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Veröffentlicht am 01.11.2022

Kunstprofessorin auf Abwegen

Dämmerung. Falsch.
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"Dämmerung.Falsch" ist nicht nur der Buchtitel der schwedischen Autor*innen Tiina Nevala und Henrik Karlsson - es ist auch der Titel eines Gemäldes, Die Frage, ob es sich um ein unbekanntes Werk eines ...

"Dämmerung.Falsch" ist nicht nur der Buchtitel der schwedischen Autor*innen Tiina Nevala und Henrik Karlsson - es ist auch der Titel eines Gemäldes, Die Frage, ob es sich um ein unbekanntes Werk eines russischen Expressionisten handelt oder um eine Fälschung, beschäftigt die Polizei, seit das Bild bei den Ermittlungen zu einem Mordfall aufgetaucht ist. Die Ermittler holen sich professionelle Hilfe von der Kunstdozentin Nea Hallgren, die allerdings selbst Schwierigkeiten hat, sich festzulegen.

Zudem hat Nea gerade reichlich private Sorgen: Ihr spielsüchtiger Ehemann ist rückfällig geworden und hat hohe Schulden bei der Art von Leuten, die nicht lange fackeln, um ihr Geld zurück zu bekommen. Nea kann zwar eine Gnadenfrist erreichen - doch nun ist sie diejenige, die für die Rückzahlung gerade stehen muss. Und nicht nur das, auch Sparmaßnahmen in der Kunstakademie gefährden ihren Job. Ihre begabte Studentin Nadeshda hat eine Idee, wie Nea ihre finanziellen Probleme mit einem Schlag lösen könnte - legal sind die aber nicht.

Spoiler alert: Dass Kunstfälschung existenzrettend sein kann, ist eine Erkenntnis, die nicht nur Nea und Nadeshda teilen. Ein Fiesling von Kaufmann, dessen Beziehung zu Nadeshda Nea zunächst ein Rätsel ist verfolgt da ebenfalls Eigeninteressen und auch der Kommissar, der Nea als Expertin zu seinen Ermittlungen hinzugezogen hat, hat eine Agenda. Erste Eindrücke täuschen in diesem Schwedenkrimi aus der Kunstszene. Nea und Nadeshda sind dabei zwei toughe Frauen, die in einer schwierigen Situation unorthodoxe Wege einschlagen und zunehmend Gefallen an ihnen finden. Zugleich müssen sie aufpassen, dass ihre Aktionen nicht die Menschen gefährden, die ihnen am meisten bedeuten.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen ethischen Maßstäben und krimineller Energie verschwimmen in diesem Kunstkrimi wie die Farben eines impressionistischen Gemäldes. Gerade diese Ambivalenz gefällt mir allerdings. Die Protagonistinnen sind sympathisch und überzeugend, sorgen für die eine oder andere Überraschung. Das Ende lässt erwarten, dass dies nicht das letzte ist, was man von ihnen hört oder vielmehr liest.

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Veröffentlicht am 27.10.2022

Schottische Ungerechtigkeiten

Das Unrecht von Inverness
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Mit "Das Unrecht von Inverness" hat Douglas Skelton erneut einen Highland-Krimi um die Reporterin Rebecca Connolly aus Inverness geschrieben, die ich erstmal bei "Grab in den Highlands" kennengelernt ...

Mit "Das Unrecht von Inverness" hat Douglas Skelton erneut einen Highland-Krimi um die Reporterin Rebecca Connolly aus Inverness geschrieben, die ich erstmal bei "Grab in den Highlands" kennengelernt hatte. Auch hier gibt es wieder viel Schottland-Atmosphäre und so manchen Rückblick auf vergangene Clanstreitigkeiten und die Kämpfe zwischen den Hochlandschotten und den Engländern, die bekanntlich bis in die Gegenwart nachwirken.

Rebecca Connolly hat hier mit einem Stalker aus der rechtsextremen Szene und der andauernden Feindseligkeit der Matriarchin eines kriminellen Clan zu tun, die ihr die Schuld am Tod eines ihrer Söhne gibt. Trotzdem findet sie die Energie, mit ihren Recherchen die Hintergründe eines möglichen Justizirrtums in Angriff zu nehmen: Seit nunmehr zehn Jahren sitzt James Stewart hinter Gittern. Er wurde als Mörder seines wesentlich älteren Liebhabers, eines Anwalts und Aktivisten verurteilt. Seine Mutter glaubt an seine Unschuld - und auch die Schwester des Mordopfers ist überzeugt, dass James nicht der Täter gewesen sein kann.

Rebeccs recherchiert, wer sonst noch ein Interesse am Tod des Anwalts gehabt haben könnte, doch ausgerechnet ein Toter bringt ihre Ermittlungen schließlich voran. Wie der Plot dann schließlich aufgerollt wird, das soll hier nicht verraten werden. Skelton schildert auf einer zweiten Erzählebene aus der Ich-Perspektive die Gedanken eines jungen Mannes hinter Gittern, und auch hier wartet am Ende eine Überraschung auf die Leser.

Skelton jongliert gekonnt mit atmosphärischen Schilderungen, mit Gangstern und Anwälten, mit ungesühntem Unrecht, Rache, Loyalität und Auseinandersetzungen die seit den Tagen der Highlander nichts an Gewalt und Heftigkeit eingebüßt haben. Dabei gibt es märchenhaft-poetische Elemente in ganz unerwarteten Zusammenhängen.

Geholfen hat mir beim Lesen, dass ich bereits den Vorgängerband kannte, doch auch für sich gestellt ist "das Unrecht von Inverness" sicher gut verständlich. Nur die Dynamik zwischen einzelnen Protagonisten gewinnte mehr Tiefe, wenn man die Vorgeschichte kennt. Ganz nebenbei geht es einmal mehr um die Lage des Journalismus in tiefer wirtschaftlicher Krise und die Anfeindungen gegen Journalisten, die als unbequem gelten und die ähnlich düster wie ein schottisches Hochmoor an einem späten Novembernachmittag ist. Mich hat "das Unrecht von Inverness" überzeugt.

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Veröffentlicht am 25.09.2022

Vikki Viktoria ermittelt in eigener Sache

Grüße aus Bad Seltsham
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Plapperlaunig, offenherzig und gerne mal die politische Korrektheit an deibi soan lassen - so haben die Leser*innen von Gloria Grays erstem Band "Zurück nach Übertreibling" die Münchner Transfrau Vikki ...

Plapperlaunig, offenherzig und gerne mal die politische Korrektheit an deibi soan lassen - so haben die Leser*innen von Gloria Grays erstem Band "Zurück nach Übertreibling" die Münchner Transfrau Vikki Victoria kennengelernt, Mit "Grüße aus Bad Seltsham" emittelt die Ich-Erzählerin nun wieder als Hobbydetektivon in eigener Sache, wie immer unterstützt von ihrer Freundin Kati, einer jugendlichen Influencerin und ihrem Ex und besten Freund Wolf, beleseber Antiquitätenhändler und Chef der bayrischen Bikergang "Switch Blades".

Bad Seltsham vor den Toren Münchens ist der Sitz eines Shopping Senders, in dem Vikki seit einiger Zeit arbeitet. Der Finanzier und Chef des Senders, ein Schweizer Millionär, schreibt dem Prduktionsleiter eine WhatsApp, als er Vikki erstmals auf dem Bildschirm siehr: Grandiose Brüste. Ist das jetzt unserer Quotentranse? Gar nicht politisch korrekt. Und als Vikkis Chef Olaf die private Nachricht öffentlich macht, bricht ein Shitstorm los, der auch Vikki erfasst. Vor allem, weil sie sich so gar nicht als Opfer abstempeln lassen will und stattdessen kritisiert, dass eine private Nachricht, wie unpassend auch immer, in die Öffentlichkeit getragen wird. Da bekommt dann auch Vikki so einiges an digitalem Hass zu spüren.

Es wird nicht besser, als Olaf tot mit einem Schraubenzieher im Hals endet und ausgerechnet Vikki die Leiche fndet. Plötzlich gehört sie zum Kreis der Verdächtigen, hatte sie doch durchaus ein Motiv. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo der Polizist ihres Herzens in Australien weilt. Aber zum Glück setzten Wolf und Kati ihre jeweiligen Fähigkeiten ein, um Vikki zu unterstützen, während Mindy, ebenfalls Shopping-Moderatorin und eine alte Bekannte aus Münchner Clubzeiten, Vikki plötzlich sehr rabiat attackiert. Und welche Interessen verfolgt der Rotlichtkönig "Dampfhammer" Erwin, der Vikki ebenfalls Druck macht?

"Grüße aus Bad Seltsham" ist eneut überdreht, witzig und unterhaltsam, allerdings nur mäßig spannend. Irgendwie hat mir der Vorgängerband besser gefallen. Hier dauert es eine Weile, bis die Handlung auf Touren kommt. Vikki mit ihrem lauten Nachdenken und ihrem Plauderton ist einmal mehr eine charmante Erzählerin, die Switch Bladers kommen ein wenig spät ins Spiel, um für Action zu sorgen und auch die Beziehung zu dem Polizisten Pascal bleibt diesmal ziemlich blass. Doch, es hat schon was, aber ich hoffe, dass Gloria Gray beim nächsten Mal ein bißchen mehr und früher Gas gibt.

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Veröffentlicht am 23.09.2022

Achtsame Zeitreise in die 1980-er

Achtsam morden im Hier und Jetzt
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Drei Romane lang konnten die Leser von Karsten Dusses achtsam-humorigen Kriminal den Weg des vor einem Burnout stehenden Anwalts Björn Diemel auf seiner Sinn- und Lebenskrise verfolgen. Wie viele Alphamännchen ...

Drei Romane lang konnten die Leser von Karsten Dusses achtsam-humorigen Kriminal den Weg des vor einem Burnout stehenden Anwalts Björn Diemel auf seiner Sinn- und Lebenskrise verfolgen. Wie viele Alphamännchen hatte sich Diemel wenig Gedanken über Achtsamkeit, Meditation oder sein inneres Kind gemacht. Bis ihm Joschka Breitner, Achtsamkeitscoach für gestresste Manager, den Weg zur Selbsterkenntnis wies. Dass ein paar Leichen Diemels Weg säumten und er sich an der Spitze von gleich zwei kriminellen Gruppen wiederfand war gewissermaßen Kollateralschaden.

Achtsam Morden war ein Angriff auf die Lachmuskeln und auch die Folgebände waren durchaus vergnüglich zu lesen. Allerdings haben Romanserien das Problem, dass irgendwann auch mal alle Varianten ausgereizt sind. Folgerichtig geht es in "Achtsam morden im Hier und Jetzt" ganz besonders um Joschka Breitner, genauer, wie er zu dem Achtsamkeitscoach wurde, der er heute ist. Dabei schickt Dusse seine Leser auf eine Zeitreise in die 1980-er Jahre.

Denn Anwalt Diemel findet bei einem seiner Coaching-Termine seinen Therapeuten überl zugerichtet auf. Wer immer dem Coach schlecht gesonnen war, hatte es auf ein Buch abgesehen - so viel erfährt Diemel noch, ehe Breitner in Ohnmacht fällt. Klar, dass Diemel nicht untätig bleiben kann. Er findet denn auch Breitners Tagebuch aus den frühen 1980-er Jahren, in denen dieser seinen Ausbruch aus den bürgerlichen Erwartungen und dem Leistungsdruck zum Bhagwan nach Indien beschreibt. Das Leben im Ashram war die eigentliche Geburt des Joschka Breitner, so wie die Leser der drei vorangegangenen Romane ihn kennen.

Aber auch hier zeigt sich, es kann der Beste nicht achtsam leben, wenn es einem materialistisch-rabiaten Nachbarn nocht gefällt. Oder wenn Geschäftemacherei und Profitdenken den Traum vom besitzlosen aber glücklichen neuen Menschen im Ashram zunichte macht. Beim Versuch, ein übles Komplott aufzudecken, gerät Breitner in große Gefahr und handelt auf eine Art und Weise, die eigentlich seinem Wesen völlig widerspricht. Sein Leben und seine Arbeit als Achtsamkeitscoach sind nach dem Lesen des Buchs jedenfalls in einem ganz neuen Licht zu lesen.

Wer sich noch an die "Bhaggy"-Diskos mit den Sanyassin erinnerte (ganz zu schweigen von elterlichen Ängsten, die Kids könnten dort in die Fänge einer Sekte geraten) dürfte beim Lesen öfters scmunzeln. Und unterhaltsam ganz in der bewährten Art der Vorgänger ist auch dieses Buch. Trotzdem gefällt es mir nicht ganz so gut wie seine Vorgänger, auch wenn der achtsam-ironische Stil Dusses auch hier wieder überzeugt. Das liegt zum einen daran, dass die liebgewonnenen Nebenfiguren aus der Welt des organisierten Verbrechens diesmal kaum eine Rolle spielen. Zum anderen merkt man dem Buch die Schwierigkeiten an, etwas Neues schaffen zu müssen ohne die Gefahr einer Wiederholung. Für Fans dennoch ein Muss.

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Veröffentlicht am 22.09.2022

Eine Verwandlung und ihre Folgen

Der letzte weiße Mann
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Der Anfang von Mohsin Hamids neuestem Roman "Der letzte weiße Mann" erinnert an Kafka: Der Protagonist, Anders, wacht eines Morgens auf und findet sich verwandelt. Es ist nicht die allmähliche Metamorphose ...

Der Anfang von Mohsin Hamids neuestem Roman "Der letzte weiße Mann" erinnert an Kafka: Der Protagonist, Anders, wacht eines Morgens auf und findet sich verwandelt. Es ist nicht die allmähliche Metamorphose in ein Insekt, doch das Erlebnis ist nicht weniger einschneidend: Denn Anders ist auf einmal dunkelhäutig. Nicht nur er hat Schwierigkeiten, sich in seinem Spiegelbild zu erkennen. Nachbarn, Kollegen, sein Chef erleben ihn als einen anderen, einen Fremden.

Anders bekommt den unterschwelligen wie auch den offenen Rassismus zu spüren, merkt, wie er selber sich anders verhält, vorsichtiger wird - etwa wenn ihm eine Gruppe weißer Männer entgegenkommt. An seinem Arbeitsplatz, einem Fitnessstudio, scheuen die Kunden plötzlich den unmittelbaren Kontakt. "Wenn mir das passiert wäre, würde ich mich umbringen", sagt Anders´Chef. Famous last words. Denn Anders ist nicht der einzige, der sich verwandelt. Immer mehr vormals Weiße haben plötzlich eine tiefbraune Hautfarbe.

Ändert sich die Identität, wenn sich das Aussehen ändert? Das ist eine Frage, die sich wie ein roter Faden durch den mit 160 Seiten eher kompakten Roman zieht. Auf jeden Fall ändern sich die Reaktion und das gesellschaftliche Klima. Es kommt zu Aggressionen, bewaffnete Männer, darunter wohl auch ehemalige Nachbarn, vertreiben auch Anders aus seinem Haus. Er flieht zu seinem Vater, einem kranken und einsilbigen Mann, der das alles zwar nicht versteht, aber zu Anders steht. In der doppelten Krise - Anders´Verwandlung und der körperliche Verfall des Vaters - finden die beiden zu einer Nähe, die sie viele Jahre nicht hatten.

Zu den wenigen, die den verwandelten Anders interessanter finden als vorher, gehört die Yoga-Lehrerin Oona, die mit ihm auf der High School war. Ihre Mutter hängt hingegen Verschwörungstheorien an und idealisiert das Weißsein - mich erinnert sie an die Anhänger von Donald Trump in den "redneck"-Regionen.

Die Jagd auch Dunkelhäutige wird obsolet, als die Verwandlungen die Mehrheitsverhältnisse umkehren - plötzlich ist fast jeder dunkel. Anders´Vater stirbt als "der letzte weiße Mann". Und doch bleiben die Menschen gespalten in diejenigen, die sich an ihr Weißsein erinnern, teils sehnsüchtig der nächsten Generation davon erzählen, und denen, die ihr Leben lang die Erfahrung gemacht haben, schon allein äußerlich einer Minderheit anzugehören.

"Der letzte weiße Mann" lässt über Identitäten nachdenken, hat stellenweise einen surrealen Humor und stellt Gewissheiten in Frage. Trotzdem hat mich das Buch nicht so stark beeindruckt wie sein Vorgänger "Exit West". Empfehlenswert in einer Zeit, in der Diversität und Identität einen viel höheren Stellenwert bekommen, ist es dennoch.

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