Profilbild von Eight_butterflies

Eight_butterflies

Lesejury Profi
offline

Eight_butterflies ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Eight_butterflies über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.05.2023

Hedy Lamarr - schöne Schauspielerin in ungesehene Erfinderin

Die einzige Frau im Raum
0

Hedy Lamarr hat einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, der viel zu wenig über sie aussagt. Hedy Lamarr war viel mehr als die begehrte Hollywood-Schauspielerin. Sie war eine mutige Frau, eine schlaue ...

Hedy Lamarr hat einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, der viel zu wenig über sie aussagt. Hedy Lamarr war viel mehr als die begehrte Hollywood-Schauspielerin. Sie war eine mutige Frau, eine schlaue Frau, eine schöne Frau und eine bewegende Frau. Marie Benedict erzählt in „Die einzige Frau im Raum“ die rührende Geschichte von Hedy Lamarr während der NS-Zeit zwischen 1933 und 1942 und gibt damit einer starken Frauenpersönlichkeit eine Stimme und ein Denkmal.

Friedrich Mandl ist hitlernah, österreichischer Unternehmer, Waffenhändler und Lebemann, als er der jungen Schauspielerin Hedy Kiesler Avancen macht. Die Jüdin heiratet Mandl, auch um sich und ihre Familie vor Verfolgung aufgrund ihrer Abstammung zu schützen. Sie begibt sich damit eine toxische Beziehung, welche dem Frauenbild der damaligen Zeit angelehnt ist und deutlich aufzeigt, wie Potenziale von Frauen klein gehalten und ins Leere kanalisiert wurden. Hedy gelingt die Flucht nach Amerika, wo sie wieder als Schauspielerin arbeitet und gemeinsam mit George Antheil einen Beitrag zur Spreizbandtechnologie leistet und die störungssichere Funksteuerung von Torpedos erfindet. Auch weil die Erfindung einer Frau nicht erhört werden sollte, konnte ihre Idee nicht kriegsentscheidend eingesetzt werden, wird jedoch später und dann bis heute verwendet.

Die beschriebene Misogynie, der Sexismus und die weltweiten Ausmaße der Naziideologie und deren Vernichtungsfeldzug geben ein bewegendes, krudes und mahnmalhaftes Bild der damaligen Zeit. Die erzählte Story von Hedy Lamarr steht beispielhaft für Schicksale starker Frauen, die Geschichte bewegt haben und doch nur aufgrund ihrer Schönheit Bekanntheit hatten. „Für alle anderen war ich Hedy Lamarr, ein schönes Gesicht und ein geschmeidiger Körper. Nie war ich Hedy Kiesler, aufstrebende Erfinderin, wissbegierige Denkerin, Jüdin. Nie war ich die, die ich hinter den vielen Masken auf und abseits der Bühne tatsächlich war.“

Das Buch liest sich flüssig und schnell, ist sprachlich wenig anspruchsvoll. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Hedy, was ich selbst weniger gelungen finde. Dadurch erhebt sich die Autorin in eine Position, die möglicherweise als vermessen dasteht. Mit einem Blick auf Hedy statt aus Hedys Sicht hätte ich die Lebensleistung von Hedy Lamarr besser fühlen können. Trotzdem ist das Gesamtpaket ein gutes Buch und bekommt meine volle Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.11.2022

Dem Schicksal unter uns eine Stimme verliehen

Das letzte Versprechen
0

Hera Lind gibt Anna Eckhardt mit diesem Buch eine Stimme, einer Frau, die ein unfassbares Schicksal erlitten hat. Als Fünfjährige, 1944 im Banat lebend, wird die deutschstämmige Anna durch Partisanen ihrer ...

Hera Lind gibt Anna Eckhardt mit diesem Buch eine Stimme, einer Frau, die ein unfassbares Schicksal erlitten hat. Als Fünfjährige, 1944 im Banat lebend, wird die deutschstämmige Anna durch Partisanen ihrer Mutter entrissen, welche in ein Arbeitslager in Sibirien verschleppt wird, während Anna in einem jugoslawischen Kinderheim vegetiert. Ihre Oma weicht nicht von Annas Seite und wird zur zentralen Bezugsperson. Herzzerreißend schildert Hera Lind diese Zeit, schmerzhaft lesen sich die Ereignisse der kommenden Jahre, beißend greift das Schicksal immer wieder in Annas Leben ein, das bis zum Jahr 2012 mit all seinen Härten in diesem Buch verarbeitet wird. Die Autorin orientiert sich dabei an den liebevoll gestalteten und ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen der Protagonistin, die dem Roman eine authentische Vorlage sind.
Für mich waren zudem die historischen und geographischen Kontexte neu. Bei der Ankunft von Annas Mutter Amalie in Deutschland im Jahr 1949 sagt jemand zu ihr „Sie haben in den Nachrichten gesagt, dass ihr im Banat geboren seid, wir wussten gar nicht, dass es so etwas gab, das haben wir erst mal im Atlas nachgeschlagen.“ Und so ging es mir auch.
Hera Lind nutzt ihr schriftstellerisches Können, um der Tragik von Annas Schicksal noch eine besondere Brisanz zu verschaffen. Geschickt wird in den ersten Jahren mal aus der Sicht von Annas Mutter aus dem sibirischen Lager und mal aus Annas Sicht im jugoslawischen Lager erzählt. Später lässt die Autorin diese Schichtung des Romans und wird quasi in der Erzählstimme parteiisch für Anna. Die beschriebenen Ereignisse reihen eine Herausforderung an die Protagonistin an die nächste, die immer wieder erlitten und gemeistert werden, mit Härte gegen sich selbst, Aufopferung und zum großen Teil Selbstaufgabe. Geschildert wird das Leben einer Frau, nach deren Gefühlen und Bedürfnissen nie jemand fragte und die immer leisten musste, weil es eben so war. Die eigene Mutter rechtfertigt ihre Härte gegen ihr Kind mit „Was glaubt ihr denn, wie WIR uns gefühlt haben in Sibirien.“ So bliebt wie an dieser Stelle oft beim Lesen des Buches ein Kloß im Hals und eine Träne im Auge. Jedoch die langweiligen, weil normalen und ereignislosen Phasen in Annas Leben ebenso wie ihre Schatten werden geschickt ausgespart, um Anna Eckardt die Aufmerksamkeit zu geben, die sie durch ihre Lebensleistung sicher verdient hat. In der Summe wirkt der Roman dadurch aber für mich zu theatralisch, fast überdramatisiert, einseitig in Annas Leid, weshalb ich keine ganze Leseempfehlung geben kann.
Dieses Buch ist aus meiner Sicht aber geeignet für Menschen, die sich für Dramen des Lebens interessieren, sich an den Geschichten starker Frauen orientieren und sich auch auf die grausamen Seiten, die ein Leben ab 1944 mit sich brachte, einlassen wollen. Wem dazu auch eine einfache Biographie reicht, die eher sachorientiert erzählt, wer womöglich alte Traumata nicht triggern möchte oder zart besaitet ist, sollte dieses Buch besser denen schenken, die dafür offen sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.10.2022

Familie krankt über vier Generationen an kruden Ideologien

Schwalbenwinter
0

Thor Hermann und Freya Viktoria Johannson wollen nicht so heißen und die Ursachen gehen bis ins Jahr 1864 zurück. Matthias Johannson floh damals nach Dänemark und pflanzte in seiner Zeit den Hass und die ...

Thor Hermann und Freya Viktoria Johannson wollen nicht so heißen und die Ursachen gehen bis ins Jahr 1864 zurück. Matthias Johannson floh damals nach Dänemark und pflanzte in seiner Zeit den Hass und die Wut auf Menschen in die Familie. Bis selbst in die 1950er Jahre setzt sich die Nazi-Ideologie in den Köpfen fort, bis die junge Generation dagegen reagiert.
Klaus Jensen schreibt einen Familienroman über vier Generationen, dessen vier Zeitebenen gekonnt miteinander spielen. Familiengeheimnisse werden angeteasert und dann mit einem Peng rausgelassen, Erklärungen ergeben sich mit den Seiten zunehmend und fließend. In der Summe entsteht ein Psychogramm hassender Menschen, ein Einblick in ihre Einbettung in familiäre Kontexte und die Fortpflanzungsgeschichte kruder Ideologien. Vor dem Hintergrund unserer derzeitigen gesellschaftlichen Lage erhält das Buch eine aktuelle Brisanz.
Und doch konnte mich das Buch nicht voll catchen. Das liegt vorrangig am Erzählstil, der eher sachlich ist und mich nicht bei den Emotionen packte. Deshalb gebe ich keine volle Leseempfehlung, obwohl es sich um einen guten Plot handelt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2022

Psychogramm eines lebensmüden Antihelden

Die Mauersegler
0

Toni ist ein Antiheld, wie er im Buche steht. Er ist des Lebens überdrüssig, hat resigniert, auch weil er wohl nie so Glück gespürt hat, wie ich es kenne. Er beschließt im Juli, in 365 Tagen Suizid zu ...

Toni ist ein Antiheld, wie er im Buche steht. Er ist des Lebens überdrüssig, hat resigniert, auch weil er wohl nie so Glück gespürt hat, wie ich es kenne. Er beschließt im Juli, in 365 Tagen Suizid zu begehen und notiert bis dahin an jedem Tag seine Erinnerungen, Erlebnisse des Tages oder Gedanken.
Dass Toni an diesen Punkt in seinem Leben kommt, wundert mich als Leserin nicht. Echte Emotionen, vor allem positive, sind bei ihm nicht erkennbar. Er fühlt dumpf, unter einem Schleier von Pragmatismus und Distanz, Kälte und Verrohung. Seine Tagebuchepisoden sind zum Teil schwer zu ertragen, derbe emotionslose Gedanken. Insbesondere Sexualität wird gegenständlich, objektiv und kalkulativ beschrieben. Davon sind sowohl seine Exfrau Amalia als auch seine Sexpuppe Tina betroffen. Toni hasst alles; er schreibt im Oktober, er hasse voll Lust. Und zwar jeden, allen voran seine Exfrau Amalia, seinen Bruder Raúl, seinen Job als Philosophielehrer, seinen - aus seiner Sicht minderbemittelten - Sohn Nikita, seine Eltern und Schwiegereltern. Ausdruck findet dies in seinen Schilderungen immer wieder, bspw. wenn er sich erinnert, sein erster Gedanke, als seine Mutter ihm seinen kleinen Bruder, ein Baby, auf den Arm gab, war ihn fallen zu lassen. Über seinen Sohn schreibt er im November noch, „Man hätte aus Eis und Stein sein müssen, um dich nicht zu hassen.“ Toni bekommt Erektionen, wenn er mit seiner Exfrau streitet. Und hätte Toni eine Partei, so schreibt er, wäre wohl ihr Motto „Lasst mich in Ruhe.“ Allein seine Hündin Pepa und sein einziger Kumpel, den er heimlich Humpel nennt, schaffen einen beschränkten Zugang zu Toni. Über viele, viele Seiten zieht sich die melancholisch machende, langatmige Schreibe, seine schmerzhaften Gedanken und der Einblick in die Lesart einer abgestumpften, lebensmüden Abrechnung mit dem selbst verursacht trostlosen Leben. Die Redundanzen empfand ich zum Teil hindernd beim Durchhalten der mehr als 800 Seiten, auch weil sie das beim Lesen erzeugte Gefühl der Düsterkeit verstärkten. Und dann, ganz heimlich still und leise schleicht sich Empathie für Toni durch die Zeilen. Zarte Pflänzchen des Verständnisses keimen bei den nicht chronologischen, wild gemusterten Schilderungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Es entsteht ein Psychogramm einer armseligen Existenz, die mir am Ende doch ein Stück weit ans Herz gewachsen ist, obwohl mir kaum eine Denke ferner liegt als die von Toni. Und so fieberte ich dem Ausgang des einen Jahres entgegen, der für mich in vielen Gestalten Sinn ergeben hätte und dann doch überraschte.
Das Buch erfordert beim Lesen eine gewisse emotionale Stabilität und viel Aufmerksamkeit. Die 365 episodischen Kapitel sind zwar chronologisch notiert, bauen aber inhaltlich nicht aufeinander auf. Zuweilen dauert es Momente, ehe die einzelnen Episoden im lesenden Kopf ein Bild des Lebensabschnittes von Toni ergeben. Wer das hinzunehmen bereit ist, findet in „Die Mauersegler“ eine zwar schwere, aber lohnenswerte Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2022

Ein Leitfaden für alle betroffenen Omis

Omi, ich bin jetzt vegan!
0

Dieses Buch füllt auf ganz liebevolle Weise eine Marktlücke. Mit der Zunahme des Veganismus in unserer Gesellschaft gibt es viele Geschichten wie die, welche die Autorin von ihrem Weg in diese Ernährungsform ...

Dieses Buch füllt auf ganz liebevolle Weise eine Marktlücke. Mit der Zunahme des Veganismus in unserer Gesellschaft gibt es viele Geschichten wie die, welche die Autorin von ihrem Weg in diese Ernährungsform zu berichten weiß. Die Vielfalt tierproduktfreier Rezepte insbesondere außerhalb der in Deutschland landläufigen und traditionellen Hausmannskost ist groß. Aber wie steht es nur mit Omas alten, gut bürgerlichen Rezepten? Gerade für traditionelle Kost funktioniert das Finden veganer Alternativen in erster Linie, indem tierische Produkte durch pflanzliche ersetzt werden: Hack durch veganes Hack, Ei gegen Eiersatz, Butter gegen Margarine und Milch gegen pflanzliche Milchalternativen. Und dieses Prinzip, verständlich für traditionsbewusste Köch*innen, sinnbildlich die Omis, praktiziert auch dieses Rezeptbuch. Darüber hinaus entsprechen die vorgestellten Rezepte für gefüllte Paprikaschoten, Kohlrouladen oder Kuchen dem Standard und sind nicht in besonderer Weise der Gourmetküche angehoben worden; eben einfach bodenständig, wie bei Omi. Die Fülle der Rezeptideen reicht über alle Kategorien wie Suppen, Hauptgerichte und Backwaren, inklusive der Weihnachtsbäckerei.
Das Buch schafft es nicht, für vegane Lebensweise zu überzeugen. Aber es schafft, sie zu erklären und traditionelle Küche umzuschreiben. Dabei bleibt das warme Gefühl, dass dieses Buch in der Tat für die und mit der Omi geschrieben wurde, um eine Brücke zu bauen nach der womöglich verunsichernden Ankündigung „Omi, ich bin jetzt vegan“.
Ein tolles Buch, wirklich für Omis, die ihren Enkelinnen und Enkeln etwas Leckeres aus der Kindheit kochen möchten und dafür eine erste Anleitung brauchen. Für mich als eingeFLEISCHte Veganerin war allerdings wenig Neues dabei.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere