Ein penibel recherchierter hist. Krimi
Die Totenärztin: Donaunebel"..jenen Toten eine Stimme geben, um die sich niemand kümmert ..."
Wien, 1909. Dass der jungen Gerichtsmedizinerin Fanny Goldmann bei einer Obduktion auch die kleinsten Details auffallen, ist Fluch und ...
"..jenen Toten eine Stimme geben, um die sich niemand kümmert ..."
Wien, 1909. Dass der jungen Gerichtsmedizinerin Fanny Goldmann bei einer Obduktion auch die kleinsten Details auffallen, ist Fluch und Segen zugleich. Es bedeutet einerseits, dass sie ausgesprochen gut ist in dem, was sie tut, andererseits entdeckt sie immer wieder Geheimnisse, die besser unentdeckt geblieben wären. Ihre Neugier und ihr Wissensdurst hat Fanny schon mehr als einmal in Lebensgefahr gebracht.
In diesem dritten Fall für Fanny gibt es ein Novum: Sie wird gemeinsam mit ihrem Kollegen Franz Wilder an einen Tatort am Donauufer nächst Albern gerufen. Sechs Menschen liegen tot in ihren ärmlichen Lehmhütten und eine Todesursache ist zunächst nicht sichtbar. Es wird von einer Bestie gesprochen, die die Menschen überfällt und tötet. Bei den Obduktionen fällt Fanny dann ein zerstörtes Lungengewebe auf. Ähnliches hat sie schon bei der Leiche eines Hausmeisters gesehen, der zusätzlich noch Brandblasen an den Händen hatte.
Neugierig geworden, beginnt sie gemeinsam mit Cousin Schlomo und Freundin Tilde zu recherchieren, um das zu tun, was seit dem ersten Fall „Wiener Blut“ ihr Credo ist: "..jenen Toten eine Stimme geben, um die sich niemand kümmert ..."
Dass sie zu Recherchezwecken im Altarm der Donau, dem Gänsehäufel muss, hätte sie nicht gedacht. Blöderweise herrscht dort strikte Geschlechtertrennung, außer man ist ein Ehepaar. Schlomo und Tilde sowie Fanny und Franz tun als ob. Dabei erfahren sie unter anderem, dass das Grundstück auf dem die Behausungen der Toten stehen, für den Ausbau des Alberner Hafens gedacht ist.
Meine Meinung:
Es scheint, als hätte Autor René Anour einige Anmerkungen seiner Leser genau gelesen und diese im dritten Band berücksichtigt.
So hat Cousin Schlomo mehr Platz erhalten und der Autor gönnt Erzherzog Ludwig Viktor, genannt „Luziwuzi“, dem homosexuellen und nach Salzburg verbannten Bruder des Kaisers, einen kurzen Auftritt.
Einen etwas längeren Auftritt haben die beiden deutschen Chemiker Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf, wenn auch „nur“ durch ihr chemisches Produkt „LOST“, später als Senfgas bezeichnet, das hier eine entscheidende Rolle spielt.
Dafür kommt dem undurchsichtigen Graf Waidring diesmal keine Rolle zu, sorgt aber dafür auf der letzten Seite für einen Cliffhanger.
Fannys Rolle als Gerichtsmedizinerin hat diesmal wieder mehr Raum erhalten. Sie hat auch einiges dazugelernt, was vor allem ihrem Kollegen Dr. Franz Wilder zu verdanken ist. Denn nach wie vor wird sie von Prof. Dr. Kuderna und Dr. Clemens Valdery nicht ernst genommen. Allerdings hat unser werter Herr Autor möglicherweise schon ein Ausstiegsszenario im Kopf: Immerhin hat sie ja gemeinsam mit Franz einen Artikel über Fuchsbandwürmer verfasst, der in der Zeitschrift für Pathologie veröffentlicht worden ist. Und dann gibt es noch die Histologie, die vielleicht eine neugierige Forscherin benötigt. Lassen wir uns überraschen.
„Meinen Sie, ich brauche noch einen Speichellecker an meinem Institut? Zuerst die Sache mit der gemeinsamen Obduktion. Es hat Sie doch niemals interessiert, ob Sie noch etwas lernen können, nur dass ich Sie lobe, darum ging‘s!“
Da hat der alte Kuderna ja nicht ganz unrecht.
Allerdings, ein Lob zur rechten Zeit, ist ein gewaltiger Ansporn, immer nur gemaßregelt zu werden, regt den Widerspruchsgeist an, wie wir bei Fanny ja sehen.
Daher darf ich dem Herrn Autor ein großes Lob für seine medizin-historischen Kenntnisse und deren Vermittlung aussprechen. Ich habe diesen dritten Teil mehr oder weniger in einem Tag ausgelesen. Dazu hat der fesselnde, bildhafte Schreibstil sehr viel beigetragen. Ich gebe zu, dass ich recht bald auf das LOST gekommen bin. Das hängt allerdings damit zusammen, dass ich mehrere Bücher über den Ersten Weltkrieg (Stichwort Ypern) gelesen habe.
Fazit:
Schade, dass hier nicht mehr als 5 Sterne vergeben werden können. Die gibt es auf jeden Fall sowie eine unbedingte Leseempfehlung. Ich freue mich auf den vierten Fall „Schattenwalzer“.