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Veröffentlicht am 27.09.2022

Origineller Wohlfühlroman mit liebenswerten, herrlich unperfekten Charakteren, eine herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Familie und Verlust, die traurig und humorvoll zugleich ist.

Das Glück hat acht Arme
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Seit Tova Sullimans Ehemann vor zwei Jahren gestorben ist, putzt sie abends im städtischen Aquarium. Finanzielle benötigt sie die Arbeit, aber sie lenkt sie von ihrem Kummer über ihren vor dreißig Jahren ...

Seit Tova Sullimans Ehemann vor zwei Jahren gestorben ist, putzt sie abends im städtischen Aquarium. Finanzielle benötigt sie die Arbeit, aber sie lenkt sie von ihrem Kummer über ihren vor dreißig Jahren unter mysteriösen Umständen im Meer verschollenen Sohn Erik ab. Dort trifft sie auf den Riesenkraken Marcellus, der dort seine letzten Tage vor seinem Tod in Gefangenschaft verbringt. Er beobachtet die stumpfsinnigen Menschen auf eine herablassende Art und Weise, bis er mit der alten Dame Freundschaft schließt, die ihn bei einem seiner regelmäßigen Ausbrüche aus seinem Becken rettete.
Als Tova verletzt für Wochen nicht arbeiten kann, wird der chronisch abgebrannte Cameron Cassmore als Aushilfe eingestellt, der aus Modesto in Kalifornien in die Kleinstadt in der Nähe Seattles gekommen ist, um seinen Vater zu finden.
Der aufmerksame Kranke erkennt eine Verbindung zwischen den beiden und versucht den Menschen auf die Sprünge zu helfen.

Der Roman ist abwechselnd aus den Perspektiven von Tova, Cameron und dem schlauen Riesenkraken Marcellus geschrieben, der über die Menschen philosophiert. Es ist ein Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft und ein Unglück aus der Vergangenheit, das nie vollständig aufgeklärt werden konnte.
Tova ist eine liebenswerte, auf Ordnung bedachte ältere Dame, die das Herz auf dem rechten Fleck hat und mit ihrem Sohn, Ehemann und zuletzt dem Bruder schmerzende Verluste hinnehmen musste. Ablenkung findet sie bei der Arbeit, aber sie weiß, dass sie diese nicht mehr lange leisten können wird und dass sie vernünftigerweise in ein Heim ziehen sollte.
Cameron ist 30 Jahre alt, hat aber in seinem Leben noch nie etwas auf die Reihe gebracht. Er wandelt von einem Job zum nächsten und gibt stets seiner Mutter, die ihn drogensüchtig mit neun Jahren im Stich ließ und in seinen Augen sein Schicksal bestimmte. Als er erneut in Geldsorgen ist und in alten Sachen seiner Mutter ein Foto findet, das seinen vermeintlichen Vater, einen inzwischen reichen Immobilienmakler zeigt, beschließt er diesen zu finden und 18 Jahre Unterhaltszahlungen einzutreiben.
Zunächst ist nicht klar, wie die Handlungsstränge verbunden werden, aber als sich alle drei in dem Aquarium begegnen, wird die Geschichte vorhersehbar, aber deshalb nicht weniger interessant.

"Das Glück hat acht Arme" ist ein origineller Wohlfühlroman mit liebenswerten, lebendig gezeichneten und herrlich unperfekten Charakteren. Es ist eine herzerwärmende, augenöffnende Geschichte über Freundschaft, Familie und Verlust, die traurig und humorvoll zugleich ist. Es handelt von Wegen, die sich unerwartet kreuzen, von Zugehörigkeit und Gemeinschaftssinn. Trotz Einfluss eines tierischen und ungewöhnlich empathischen Helden ist die Geschichte nicht albern oder kitschig. Es ist ein ganz zauberhaftes Buch, das sich wie eine warme Umarmung anfühlt (muss ja nicht gleich so fest wie die eines Riesenkranken sein!).

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Veröffentlicht am 24.08.2022

Bezauberndes Buch über die Macht der Worte, Familie, Freundschaft, Zusammenhalt und Menschlichkeit in dunklen Zeiten, das nicht nur durch die kreative Erzählperspektive überzeugt.

Die Bücherdiebin
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Im Januar 1939 kommt Liesel Meminger im Alter von neun Jahren zu Pflegeeltern in die Himmelstraße 33 nach Molching. Ihre Mutter wollte ihre Kinder beschützen, nachdem der Vater als Kommunist verschollen ...

Im Januar 1939 kommt Liesel Meminger im Alter von neun Jahren zu Pflegeeltern in die Himmelstraße 33 nach Molching. Ihre Mutter wollte ihre Kinder beschützen, nachdem der Vater als Kommunist verschollen ist. Liesels Bruder überlebt die Zugfahrt nach Molching nicht und auf seiner Beerdigung stiehlt Liesel ihr erstes Buch, um sich damit an ihren Bruder und ihre Mutter zu erinnern. In Molching wird sie mit Zuckerbrot und Peitsche aufgenommen. Sie muss der strengen Mutter, die als Wäscherin arbeitet, helfen, wird dabei von ihr häufig rüde gescholten, aber doch von beiden Pflegeeltern innig geliebt. Ihr neuer Papa bringt ihr im Keller das Lesen bei, so dass Liesel versucht ist, weitere Bücher zu stehlen.
1941 nehmen die Hubermanns einen Juden bei sich auf, dessen Vater sich Hans verpflichtet fühlt. Die Familie rückt durch ihr gemeinsames gefährliches Geheimnis noch näher zusammen, während sie versuchen, die Grausamkeiten des Krieges vor der Tür zu lassen. Und während des späteren Bombardements durch die Alliierten ist es Liesel, die durch das Vorlesen aus ihren gestohlen Büchern im Schutzkeller der Nachbarn Trost spendet.

"Die Bücherdiebin" ist aus der Perspektive des Todes geschrieben, der die junge Liesel, die so früh ihren Bruder und ihre Eltern verloren hat, ins Herz geschlossen hat. Er beobachtet Liesel mit einem warmherzigen Blick während ihrer ersten Jahre in Molching. Der Tod wirkt dabei alles andere als beängstigend, auch wenn das Sterben aufgrund des Vernichtungskrieges allgegenwärtig ist und der Tod gut zu tun hat.
Trotz aller Tragik und Ungerechtigkeit, die mit den Kriegsereignissen einhergehen, ist die Geschichte liebenswert statt trübsinnig. Aufgrund des Fokus auf Liesel, die zu Beginn erst neun Jahre alt ist, hat die Geschichte eine leicht naive Kindersicht und handelt nicht nur von Krieg und Zerstörung, sondern auch dem Alltag der Kinder in der damaligen Zeit. So verfolgt man einerseits gespannt, was Liesel und ihr Partner-in-Crime Rudi aushecken werden, als auch wie lange die Hubermanns es schaffen, den jungen Juden zu verstecken.

Der Roman ist in mehrere Abschnitte untergliedert, die stichwortartig auf das nachfolgende Geschehen vorbereiten. Der Tod greift der Handlung dabei zumal voraus, macht sie damit aber nicht weniger spannend, schließlich sei der Weg und nicht das Ziel entscheidend.

"Die Bücherdiebin" ist ein bezauberndes Buch über die Macht der Worte, die Halt geben können, über Freundschaft, Familie, Zusammenhalt und ganz viel Menschlichkeit in dunklen Zeiten, das nicht nur durch die kreative Erzählperspektive, sondern durch zahlreiche originelle Charaktere überzeugt. Für mich ist es eine All-Age-Geschichte, die sowohl als Jugendbuch als auch Erwachsenenlektüre geeignet ist und nicht umsonst mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde.

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Veröffentlicht am 11.08.2022

Emotionale Geschichte um die Frage, was ein Leben lebenswert macht und ein Porträt einer ganz besonderen Familie, die vor einer lebensverändernden Entscheidung steht.

Besonders glücklich
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Louise Willow ist gelernte Krankenschwester und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre 30-jährige Tochter, die am Rett-Syndrom leidet, einem Gendefekt, der vor allem Mädchen betrifft und die neurologische ...

Louise Willow ist gelernte Krankenschwester und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre 30-jährige Tochter, die am Rett-Syndrom leidet, einem Gendefekt, der vor allem Mädchen betrifft und die neurologische Entwicklung stört. Patience kann weder sprechen noch sich eigenständig bewegen. Sie ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Ihr Vater Pete liebt sie genauso wie ihre Mutter, doch er arbeitet im Ausland und ist deshalb wenig präsent, um sich um die Hürden des Alltags zu kümmern. Die ältere Tochter Eliza ist gesund, hatte aber als Kind darunter gelitten, dass stets Patience im Mittelpunkt stand. Als 37-jährige Frau hat sie mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen, die sie vor ihrer Familie verschweigt, was sie immer weiter unter Druck setzt und einsam macht.
Währenddessen liegt Patience im Bett und beobachtet die Welt um sich herum. Sie ist in ihrem Körper gefangen und kann auf äußere Einflüsse nur minimal reagieren, registriert jedoch genau, was um sie vorgeht.
Als Louise von einer Studie erfährt, die den Gendefekt reversibel machen könnte, setzt sie alle Hoffnungen auf die Therapie, denn sie möchte ein besseres Leben für Patience. Pete sieht dagegen die Risiken und möchte Patience vor möglichen negativen Folgen bewahren. Er liebt Patience so wie sie ist und ist der Meinung, dass auch sie selbst mit ihrem Leben, in dem es ihr weder an Pflege noch Liebe und Zuneigung mangelt, an nichts fehlt. Louise und Pete beharren auf ihren Standpunkten und wissen nicht, wie sie das Dilemma lösen sollen. Eliza wird als Schlichterin verpflichtet.
"Besonders glücklich" ist eine emotionale Geschichte um die Frage, was ein Leben lebenswert macht. Im Fokus ist die Lebenssituation der vier Hauptfiguren, aus deren Perspektive die Geschichte abwechselnd geschildert wird. Auf diese Weise fällt es leicht, sich in jedes Familienmitglied der Willows hineinzuversetzen und ihre Gefühle zu verstehen. Als Leser*in sind besonders die Einblicke in Patiences Gedanken interessant, von denen ihre Eltern und Eliza nichts ahnen. Sie ist eine aufgeweckte junge Frau mit Vorlieben und Interessen, kann sich jedoch nicht artikulieren.
Der Konflikt, vor dem die Eltern stehen, wird ausführlich betrachtet. Beide Meinungen und Argumente für und gegen die Gentherapie sind nachvollziehbar und verständlich. Es fällt selbst schwer, sich zu entscheiden, was das Beste für die Patientin ist. Ist die Chance auf eine Umkehr des Gendefekts das Risiko der Nebenwirkungen wert? Und: Möchte Patience überhaupt etwas an ihrer Situation ändern?
Patiences Krankheit und die Folgen für die Familie sind jedoch nur ein Aspekt des Romans. Ihre Schwester Eliza wurde nach 15 Jahren von ihrem Verlobten verlassen und traut sich nicht, sich ihren Eltern zu offenbaren. Sie fühlt sich gescheitert und möchte ihre Eltern vor einer Enttäuschung bewahren. Andererseits stehen auch die Eltern der beiden Töchter vor den Scherben ihrer Ehe und bergen Probleme, die sie mit sich selbst ausmachen. Jeder von ihnen möchte stark sein und die anderen schützen.
Alle Charaktere und wie sie mit ihren schwierigen Entscheidungen hadern, sind überzeugend dargelegt. Die Geschichte ist lebendig und durch die verschiedenen Sichtweisen abwechslungsreich gestaltet.
Der Roman handelt von ernsten Themen, die bewegen und zu Tränen rühren, macht allerdings nicht schwermütig. Voller Empathie für die Figuren und einem feinsinnigen Humor, der sich vor allem durch Patiences freche Beobachtungsgabe ergibt, entsteht ein lebendiges Porträt einer Familie, die trotz aller Probleme zusammenhält und durch Liebe verbunden ist.
Es ist ein augenöffnendes Buch, das zeigt, wie Menschen mit Behinderungen behandelt werden und wie sie die Welt aus ihrer Sicht sehen und darin die kleinsten Dinge wertschätzen.

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Veröffentlicht am 10.08.2022

Unterhaltungslektüre mit liebenswerten Charakteren, die widererwarten nicht oberflächlich ist, sondern wichtige Botschaften feinfühlig und mit einer Prise Ironie vermittelt.

Die Hochzeit meines besten Exfreundes
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Adam Stowe freut sich auf die Hochzeit seines besten Freundes Tim, obwohl der Kontakt zwischen den beiden etwas eingeschlafen ist. Da Adam aber gerade seinen Job als Musikredakteur bei einer Zeitschrift ...

Adam Stowe freut sich auf die Hochzeit seines besten Freundes Tim, obwohl der Kontakt zwischen den beiden etwas eingeschlafen ist. Da Adam aber gerade seinen Job als Musikredakteur bei einer Zeitschrift verloren hat, ist er für etwas Ablenkung, einen feucht-fröhlichen Junggesellenabschied und attraktive Brautjungfern an diesem Wochenende dankbar.
Sophie Wallis geht weniger euphorisch zu den Feierlichkeiten. Der Bräutigam ist ihr Exfreund, der sie vor zwölf Jahren nach einem schweren Unfall, unter dessen Folgen sie bis heute leidet, verlassen hatte. Sie weiß nicht, warum Tim sie überhaupt eingeladen hat, aber nutzt die Gelegenheit um aus ihrem Schneckenhaus zu kriechen und alte Bekannte wiederzusehen.
Für Adam und Sophie wird es ein turbulentes Wochenende, während dem sie sich mit ihren eigenen Unsicherheiten auseinandersetzen. Beide überlegen, warum sie noch Single sind, haben aber keine Gelegenheit in Selbstmitleid zu versinken, sehen sie sich doch auch mit den Problemen der Gastgeber und Gästen konfrontiert, bei denen sie entschieden einschreiten.
Das Buch mag durch das auffallend pinke und witzige Cover vielleicht etwas trivial wirken und auf eine eher flache Geschichte schließen lassen, hat jedoch viel mehr als nur eine spaßige RomCom zu bieten.
Die Geschichte ist abwechselnd aus der Perspektive von Adam und Sophie geschildert, die beide mit ihrem Leben hadern. Während Adam arbeitslos ist und vor der Entscheidung steht, sich selbstständig zu machen, leidet Sophie an den Folgen ihres Unfalls, ist körperlich etwas eingeschränkt und trauert noch ein wenig der Beziehung zu Tim hinterher. Beide lernen sich durch einen peinlichen Zwischenfall in der Pension kennen und sind beim späteren näheren Kennenlernen am Single-Tisch auf der Hochzeitsfeier vom anderen fasziniert. Adam mag Sophies schlagfertige Art, während Sophie von Adams Hilfsbereitschaft positiv überrascht ist.
Neben romantischen Gefühlen handelt der Roman von der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, vom Erkennen des eigenen Selbstwerts und der Suche nach Glück. Es ist eine Geschichte über Beziehungen, Freundschaften und Familie, über das, was man verloren hat, aber auch das, was man wiedergefunden hat. Abwechslungsreich, voller Witz und Charme ist es ein Buch über Mittdreißiger, die erkennen, dass auch vermeintlich perfekte Leben nicht gar so makellos sind und das Aufgeben keine Option ist. Es ist eine erhebende Geschichte mit einem gelungenen Mix aus Romantik, Humor, Spannung und Herzschmerz mit einem zu erwartenden Happy End. "Die Hochzeit meines besten Exfreundes" ist eine Unterhaltungslektüre mit liebenswerten Charakteren, die widererwarten nicht oberflächlich ist, sondern wichtige Botschaften feinfühlig und mit einer Prise Ironie vermittelt.

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Veröffentlicht am 05.08.2022

Der Holodomor in der Ukraine - eine fiktive Geschichte mit einem wahren Hintergrund, die nicht nur vor dem aktuellen Hintergrund fesselnd und erschütternd ist, traurig und wütend macht.

Denk ich an Kiew
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Cassies Ehemann ist vor 14 Monaten bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und seitdem spricht ihre fünfjährige Tochter Birdie nicht mehr. Beide sind in ihrer Trauer gefangen, weshalb Cassies Mutter ...

Cassies Ehemann ist vor 14 Monaten bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und seitdem spricht ihre fünfjährige Tochter Birdie nicht mehr. Beide sind in ihrer Trauer gefangen, weshalb Cassies Mutter Anna beschließt, dass Cassie zurück in ihrer Heimat Illinois und zu ihrer Großmutter Bobby ziehen soll, die immer seltsamer wird und erste Anzeichen von Demenz zeigt. Dort findet Cassie ein Tagebuch, dass sie jedoch nicht lesen kann, da es ihre Großmutter auf Ukrainisch verfasst hat. Erst durch den hilfsbereiten Nachbar Nick, der selbst ukrainische Wurzeln hat und vor allem wieder in Birdies Leben mehr Freude bringt, wird Cassie gewahr, was ihre Großmutter in der Ukraine während des Holodomor erleben musste.
Der zweite Erzählstrang handelt von Katja und ihrer Familie, die in den 1930er-Jahren in einem Dorf in der Nähe von Kiew wohnten und Bauern waren. Sie werden der Kollektivierung unterworfen und gezwungen, der Kolchose beizutreten, nachdem jeder Widerstand zwecklos war und so viele Menschen in ihrer Umgebung getötet oder deportiert wurden. Katja hat ihrem Ehemann versprochen, alles in ihrem Tagebuch für ihre Nachkommen aufzuschreiben, was sie erleiden müssen, um die Erinnerungen am Leben zu erhalten.

Beide Erzählstränge handeln von Verlust und Trauer und auch wenn man mit den jeweils betroffenen Figuren innig mitfühlen kann, erschüttert doch vor allem die Handlung in der Vergangenheit, die Jahre 1929 bis 1934, als die Sowjetunion die Bauern in der Ukraine zwangsweise kollektivierte und ihren Besitz verstaatlichte. Schon bevor Millionen von Menschen an Hunger starben, wurde all diejenigen, die sich nicht beugten oder gar zur Wehr setzten, deportiert oder direkt getötet. Ganze Familien wurden ausgelöscht und auch Katja musste miterleben, wie sie alles, was sie sich eigenhändig erwirtschaftet hatten, verloren und sich von geliebten Menschen trennen mussten.

Nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignissen macht die schreiende Ungerechtigkeit und die Grausamkeit in der Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Ziele unfassbar wütend. So ist auch nachvollziehbar, dass Katja einfach nur vergessen wollte und weder ihrer Tochter noch ihrer Enkelin von ihrem Leben erzählte, bevor sie nach Amerika kam. Erst an ihrem Lebensende löst sie ihr Versprechen ein, die Tragödie durch ihr Tagebuch offenzulegen.

Während der Erzählstrang in der Vergangenheit fast ausschließlich schmerzhaft ist, setzt die Gegenwart im Frühsommer 2004 einen Gegenpol und schenkt Hoffnung bei der Aussöhnung mit der Vergangenheit, bei der Verarbeitung von Traumata und dem Mut, dem Leben eine zweite Chance zu geben.
Auch wenn die positive Entwicklung etwas schnell und fast wie von allein voranschreitet, ist "Denk ich an Kiew" eine fesselnde Geschichte über Generationentraumata, Familiengeheimnisse und den Versuch, Frieden zu finden und gleichzeitig eine Geschichte über Liebe - die romantische Liebe und die zur Familie.

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