Sehr informativ und gut recherchiert, wenn auch stilistisch nicht gänzlich überzeugend
Marie Curie und ihre TöchterDie Idee, Marie Curie und ihren Töchtern eine gemeinsame Biographie zu widmen, finde ich hervorragend und ich kann vorab sagen, daß ich aus diesem Buch eine ganze Menge gelernt habe. Aus der Autobiographie ...
Die Idee, Marie Curie und ihren Töchtern eine gemeinsame Biographie zu widmen, finde ich hervorragend und ich kann vorab sagen, daß ich aus diesem Buch eine ganze Menge gelernt habe. Aus der Autobiographie Marie Curies war mir ihr Leben schon bekannt und ich freute mich darauf, hier in einer Romanbiografie die von ihr sehr sachlich geschilderten Fakten mit Leben gefüllt zu finden. Diese Erwartung wurde leider nicht erfüllt (dafür aber die Erwartung, mehr über sie und ihre Töchter zu erfahren). Das Buch nennt sich Romanbiografie, aber es hat nichts von einem Roman. Beginnt es noch vielversprechend mit einer intensiven Episode aus der Kindheit Marie Curies, wird es doch sehr schnell zu einem sachlichen, faktengefüllten Bericht. Die Bezeichnung „Romanbiografie“ weckt falsche Erwartungen und ist m.E. nicht zutreffend. Die Übersetzung ist dafür fast durchgehend ausgezeichnet.
Der Schreibstil ist ausgesprochen sachlich. Das wirkt zu Beginn noch erfreulich klar, aber es ist ein Stil, der eher zu einem Artikel oder Bericht gepasst hätte. Die vielen kurzen Sätze haben teilweise etwas Abgehacktes und es mangelt ihnen an Charme, wenn sich auch zwischendurch schöne Formulierungen finden. Die Autorin ist keine Romanschriftstellerin und das merkt man deutlich. Bei Emotionen ist das Ausdrucksspektrum recht klein, meistens ist jemand „bewegt“, auch zahlreiche Wiederholungen trüben das Lesevergnügen. Marie Curies jüngere Tochter Eve wird bei jeder Gelegenheit als elegant beschrieben, bis man sich fragt, ob es sonst keine Adjektive für sie gab. Auch „die zweifache Nobelpreisträgerin“ oder „die Nobelpreisträgerin“ findet sich als Beschreibung sehr wiederholend. Manche Dinge werden so oft wiederholt, daß ich mich wunderte, warum ein Lektorat hier nicht ein wenig eingegriffen hat. Ein Beispiel von mehreren:
„Ihr größter Wunsch ist es, etwas Nützliches zu tun, so wie ihre Mutter und ihre Schwester im Ersten Weltkrieg." (S. 219)
"Eve findet ihren Weg im aktiven Handeln (...), ebenso wie ihre Mutter und ihre ältere Schwester zwanzig Jahre zuvor." (S. 235/36)
"Sie war im Krieg, ebenso wie ihre Mutter und ihre Schwester, die zwischen 1914 und 1918 so vielen Menschen das Leben gerettet haben." (S. 255)
Noch extremer ist dies bei dem Thema Frauenrechte. Dieses liegt der Autorin überaus offensichtlich am Herzen und so versucht sie, es unablässig unterzubringen. Das hat angesichts des Lebens der drei Curie-Frauen auch durchaus seine Berechtigung, aber die Autorin übertreibt es sehr und manchmal hatte ich das Gefühl, ein feministisches Manifest zu lesen. Sie wiederholt einige Punkte ständig, schreibt bei diesem Thema stets mindestens drei Sätze, wenn einer gereicht hätte, bewegt sich in manchen Formulierungen auf dem Grat zum Unsachlichen und schreibt mehrere seitenlange Abhandlungen zu Frauenrechtsthemen, die mit den Curies nichts oder allerhöchstens am Rande zu tun haben. Da wird dann z.B. als eher konstruierter Zusammenhang zum eigentlichen Sujet des Buches noch dazugeschrieben: „Diesen Punkt fand möglicherweise auch Irène Joliot-Curie irritierend“ oder ein ähnlich wackliger Bezug hergestellt. Einmal findet sich eine solche Abhandlung mitten in der Beschreibung des Todes von Irène, was unpassend ist. So überlagern die politischen Neigungen der Autorin manchmal das Buchthema und das ist nicht sonderlich professionell und beim Lesen sehr enervierend.
Dem Thema selbst widmet sich die Autorin allerdings auch mit großer Kenntnis und Hingabe, man merkt die sorgfältige Recherche. Sie berichtet detailliert, zwischendurch finden Auszüge aus Briefen oder anderen Texten der Curies und mancher Zeitgenossen Eingang in den Text, was immer gelungen war. Hintergründe werden erklärt und der Respekt, den die Autorin für alle drei Curie-Frauen und einige der Männer in ihrem Umkreis empfindet, wird immer wieder angenehm deutlich. Oft bleiben die Menschen hinter den Fakten etwas zurück, aber es gibt auch Passagen, in denen die Leser unmittelbar berührt werden, in denen leise und eindringlich die Gefühle zum Vorschein kommen – oft jene der Trauer, aber auch der Enthusiasmus während der USA-Reise der drei Frauen in den 1920ern, die stille Freude, welche Marie Curie angesichts ihrer Enkelkinder empfand, oder die Energie Eves. Vom Informationsgehalt ist das Buch enorm und es hat auch mein Interesse an den beiden Töchtern geweckt, die mir vorher kaum ein Begriff waren. Auch wenn mich die Lektüre stilistisch nicht überzeugt hat, hat es sich gelohnt, das Buch – und somit auch Marie, Irène und Eve Curie – kennenzulernen.