Worum geht's?
Es war nur ein Ententeich, ein Stück weit unterhalb des Bauernhofs. Und er war nicht besonders groß. Lettie Hempstock behauptete, es sei ein Ozean, aber ich wusste, das war Quatsch. Sie behauptete, man könne durch ihn in eine andere Welt gelangen. Und was dann geschah, hätte sich eigentlich niemals ereignen dürfen … (Quelle: Eichborn)
Meine Meinung:
In „Der Ozean am Ende der Straße“ entführt Neil Gaiman seine Leser in ein modernes Märchen für Erwachsene: Man begleitet einen Mann, der zu einer Beerdigung in seine Heimatstadt zurückkehrt, auf eine phantastische Reise in die Vergangenheit. Um für einen Moment für sich allein zu sein, geht er zu dem Ententeich am Ende der Straße, den er als siebenjähriger Junge als Ozean bezeichnet hat – nein, den Lettie Hempstock so genannt hat! Lettie, das starke Mädchen, mit dem er Dinge erlebt hat, die einem nicht in der uns bekannten Welt zustoßen würden.
Nach der betrübten Einleitung, die einen in keiner Weise auf den Handlungsverlauf vorbereitet, springt Neil Gaiman zurück in die Kindheit seines Protagonisten. Gemeinsam mit dem Jungen, dessen Namen man nicht erfährt, entdeckt man die Magie in unserer realen Welt. Es ist keine schöne Magie, auf die man trifft, aber auch keine, die man einfach in Gut und Böse unterteilen kann. Es ist eine skurrile Magie, wie man sie von Neil Gaiman kennt.
Stellenweise hatte ich jedoch das Gefühl, dass der Roman tiefer gehen wollte als es die Geschichte hergab. „Der Ozean am Ende der Straße“ greift Themen auf, schneidet Mythen und Legenden an, die den Eindruck erwecken, groß und bedeutsam zu sein, ohne diesem Anspruch – zumindest zwischen den Buchdeckeln – gerecht zu werden.
Die Frage, die sich mir dabei aufdrängte, war natürlich, ob Neil Gaiman dies auch überhaupt will. Will er über die phantastische Traumszenerie hinaus? Will er den entstehenden Erwartungen gerecht werden? Ich unterstelle ihm, dass er als Autor mehr will als seine Leser zu unterhalten – und das, Erwartungshaltung hin oder her, ist ihm bei mir nur mäßig gelungen.
Für mich war „Der Ozean am Ende der Straße“ schlichtweg nicht rund genug. Während ich mich einerseits absolut von Gaimans besonderem Schreibstil verzaubern, mich in seine fantastische Welt entführen lassen konnte, wurde ich von Kapitel zu Kapitel unfreiwillig von mehr Fragen und Gedanken begleitet, die die magische Leseatmosphäre erheblich gestört haben. Ein „Mal so, mal so“, dass mich nach der letzten Seite in einer Zweckmühle sitzen ließ: Mochte ich es nun, oder mochte ich es nicht?
Dass Neil Gaiman ein besonderer und talentierter Autor ist, steht wohl völlig außer Zweifel. Er schreibt mit einer einzigartigen Magie, einer Intensität, die er in jedes seiner Worte legt. Die Poesie seiner Schreibe strahlt eine besondere und träumerische Atmosphäre aus, die perfekt zu der traumhaften Handlung passt. Fans von phantastischer Literatur, die eine ganz eigene Welt in der unseren erschafft, die etwas Skurriles und Neues in das Unbekannte einfließen lässt, ja, die unserem Leben das Unnatürliche und Magische hinzufügt, kommen bei Neil Gaiman stets auf ihre Kosten.
Fazit:
Mochte ich es – oder mochte ich es nicht? Diese Frage zu beantworten fällt mir im Fall von „Der Ozean am Ende der Straße“ von Neil Gaiman tatsächlich nicht leicht. Einerseits hat mich Gaiman mit seiner außergewöhnlichen Schreibe und seiner skurrilen Magie absolut in seinen Bann gezogen, andererseits war der Roman für mich in einigen Punkten nicht rund genug. Es waren vor allem die mich unfreiwillig begleitenden Fragen und Gedanken, die sich von Kapitel zu Kapitel dominanter in meinem Kopf auftürmten, die mir die einzigartige Leseatmosphäre und somit auch den Lesespaß vermiesten. Nichtsdestotrotz hat „Der Ozean am Ende der Straße“ definitiv einen gewissen Reiz auf mich ausgeübt, den ich nicht verleugnen kann. Für „Der Ozean am Ende der Straße“ vergebe ich daher unentschlossene drei Lurche.