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Veröffentlicht am 21.10.2022

Wenn Liebe in zerstörerischen Hass umschlägt …

Verbrenn all meine Briefe
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Als Alex Schulmann bemerkt, dass seine unvermittelten Wutanfälle seine Frau schockieren und seinen Kindern Angst bereiten, versucht er diese zu ergründen und stößt dabei auf ein Familiengeheimnis seiner ...

Als Alex Schulmann bemerkt, dass seine unvermittelten Wutanfälle seine Frau schockieren und seinen Kindern Angst bereiten, versucht er diese zu ergründen und stößt dabei auf ein Familiengeheimnis seiner Großeltern mütterlicherseits. Er erinnert sich an die Ferien, die er bei den Großeltern verbracht hat, an den ewig mürrischen und nie zufriedenen Großvater und an die Großmutter, die stets beflissen war und Angst vor seiner Wut hatte. Das begann im Sommer 1932, als das junge Ehepaar Sven und Karin Stolpe einige Tage Gäste im Hause einer Literaturstiftung waren, wo Sven, der schon damals ein bekannter Autor war, einige Lesungen hielt. Ebenfalls anwesend war auch der noch unbekannte junge Schriftsteller Olof Lagercrantz. Karin, die sich von ihrem berühmten Mann ständig überwacht und bevormundet fühlt, verliebt sich sofort in den zurückhaltenden und schüchternen Olof. Auch er entbrennt in heißer Liebe zu Karin und schreibt schwärmerische Gedichte über und für sie. Das bleibt Sven nicht lange verborgen und Karins Trennungsversuch von ihm endet in einer Katastrophe. Karin fürchtet um ihr Leben …

Alex Schulman, geb. 1976 in Hemmesdynge, ist einer der populärsten schwedischen Schriftsteller der Gegenwart. Er studierte Film-, Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Stockholm und ist Autor, Journalist, Blogger und Fernseh- und Radiomoderator. Er schrieb einige Bühnenshows und veröffentlichte ein paar autobiografische Geschichten über seine Familie, bevor ihm 2021 mit „Die Überlebenden“ der große Durchbruch gelang. Sein ein Schweden bereits 2018 erschienener und vielbeachteter Roman „Bränn alla mina brev“ wurde jetzt, 2022, ins Deutsche übersetzt und erschien unter dem Titel „Verbrenn all meine Briefe“ bei der dtv-Verlagsgesellschaft. Alex Schulman ist ein Enkel mütterlicherseits des schwedischen Schriftstellers Sven Stolpe. Er ist seit 2010 in dritter Ehe mit Amanda Schulman verheiratet, hat zwei Töchter und mit ihr einen gemeinsamen Sohn.

Dank der intensiven und äußerst akribischen Recherche des Autors erfahren wir, wie sein tyrannischer Großvater Sven Stolpe drei Leben zerstörte, das seiner Frau Karin Stolpe, das von Olof Lagercrantz und nicht zuletzt sein eigenes. Zwar funktioniert Karin weiterhin als Ehefrau, bringt vier Kinder zur Welt, lebt aber nur in der Erinnerung an ihre große Liebe. „Verbrenn all meine Briefe“, bittet sie den Geliebten aus Furcht, sie könnten eines Tages Sven in die Hände fallen. In Olofs Gedichten von 1935 und 1937 ist diese Liebe immer noch zu spüren.

Der Roman ist kein Krimi, aber eine spannende, aufregende Geschichte, bei der diese kurze und tragische Liebesgeschichte sehr feinfühlig wieder zum Leben erweckt wird. Behutsam nimmt man Teil an deren Leben, hofft und leidet mit ihnen. Die in jedem Kapitel wechselnden Handlungsstränge, das Kennenlernen der Liebenden in den dreißiger Jahren, die Zeit in den Achtzigern, als der Autor Alex Schulman die Ferien bei seinen Großeltern Sven und Karin verbrachte und sein Leben heute als Erwachsener, Ehemann und Vater, halten die Spannung aufrecht und machen das Lesen abwechslungsreich. Zum Schluss kann man für Schulman nur hoffen, dass er sein Gemüt besänftigen kann und seine Wutausbrüche unter Kontrolle bringt, da er nun ihren Ursprung kennt.

Fazit: Einfach nur schön, sehr emotional, ein großes Lesevergnügen!

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Veröffentlicht am 19.10.2022

Wenn Diäten das Leben bestimmen …

Lügen über meine Mutter
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Ela ist etwa acht Jahre alt als sie zum ersten Mal bemerkt, dass in der Ehe ihrer Eltern etwas nicht stimmt. Der Vater kritisiert die Mutter ständig wegen ihres Gewichts, er schämt sich für sie und macht ...

Ela ist etwa acht Jahre alt als sie zum ersten Mal bemerkt, dass in der Ehe ihrer Eltern etwas nicht stimmt. Der Vater kritisiert die Mutter ständig wegen ihres Gewichts, er schämt sich für sie und macht ihre Figur sogar für sein berufliches Scheitern verantwortlich. Die Mutter hingegen fühlt sich wohl in ihrem Körper, sie braucht das Essen als Ausgleich für alles, was sie täglich leistet. Sie kümmert sich um ihre Familie, erträgt die Launen ihrer Schwiegermutter, bekommt noch ein Baby, nimmt ein Pflegekind auf und versorgt auch ihre demente Mutter, währenddessen ihr Mann immer nachdrücklicher fordert, dass sie endlich abnehmen soll. Ja, er schafft sogar eine Waage an, um das Gewicht seiner Frau in demütigender Weise kontrollieren zu können. All den Streitigkeiten ist die kleine Ela ständig ausgesetzt. Sie liebt ihre Mutter, doch durch den Einfluss des Vaters beginnt auch sie, sich allmählich für den dicken Körper der Mutter zu schämen …

Daniela Dröscher ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde 1977 in München geboren und wuchs in Rheinland-Pfalz auf. Nach ihrem Studium der Germanistik, Philosophie und Anglistik in Trier und London promovierte sie im Fach Medienwissenschaft an der Universität Potsdam. Sie schrieb und veröffentlichte Theaterstücke, Romane, Geschichten und Essays, für die sie zahlreiche Preise erhielt. „Lügen über meine Mutter“ schaffte es 2022 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Dass es für die Autorin sehr schmerzhaft gewesen sein muss diesen Roman zu schreiben kann man nur vermuten, denn es handelt sich, nach ihren eigenen Aussagen, um die Geschichte ihrer Eltern und die ihrer eigenen Kindheit. Über einen Zeitraum von vier Jahren erzählt sie über das Aufwachsen in dieser Familie und nennt es den „Versuch einer Rekonstruktion“, um mit zeitlichem Abstand „die Dinge anders zu sehen und besser zu verstehen“. Deshalb wird auch die Geschichte, die das Kind aus der Ich-Perspektive erzählt, immer wieder durch Rückblicke als erwachsene Tochter unterbrochen und das damalige Geschehen reflektiert.

Auch als Leser wird man von vielfältigen Emotionen gepackt. Wut und Empörung darüber, wie abwertend und abfällig der Mann über das Gewicht seiner Ehefrau urteilt und wie selbstherrlich er das Leben der Familie bestimmt, Beklemmung und Verwunderung darüber, wie klaglos die Frau sich damals in den 80er Jahren damit abfindet, und nicht zuletzt Mitleid mit dem Mädchen, das mit seinen Gefühlen ständig zwischen den beiden Elternteilen hin und her schwankt. Es kann durchaus sein, das der ein oder andere Leser oder Leserin gelegentlich an die eigene Kindheit, oder gar an seine eigene Ehe, erinnert wird.

Fazit: Ein Roman der Emotionen weckt, unter die Haut geht und in Teilen sogar wütend macht – mitreißend und aufwühlend!

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Veröffentlicht am 03.10.2022

Flucht ins Baumhaus

Die Grasharfe
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Vom Friedhof der Kleinstadt, irgendwo im Süden der Vereinigten Staaten, blickt man auf das Feld mit dem hohen Präriegras, das sich im Herbst rot färbt und in dem der Wind wundersame Töne erklingen lässt. ...

Vom Friedhof der Kleinstadt, irgendwo im Süden der Vereinigten Staaten, blickt man auf das Feld mit dem hohen Präriegras, das sich im Herbst rot färbt und in dem der Wind wundersame Töne erklingen lässt. Tante Dolly nennt es die Grasharfe. Bei ihr und ihrer Schwester Verena wurde der 11jährige Collin Fenwick nach dem Tod seiner Eltern untergebracht. Außerdem lebt noch Catherine, die schwarze Freundin von Dolly, mit im Haushalt. Es ist eine gute Zeit, die Collin bei den beiden unverheirateten Tanten hat, bis diese sich zerstreiten. Mitten in der Nacht fliehen Dolly und Catherine zusammen mit dem nunmehr 16jährigen Collin in den nahen Wald, wo sie Unterschlupf in einem Baumhaus finden. Am nächsten Morgen durchstreift der 18jährige Riley den Wald und entdeckt die drei. Er weiß nicht besseres mit seiner Zeit anzufangen und schließt sich ihnen an. Als die spießigen Honoratioren des Ortes die Ausreißer gewaltsam zurück holen wollen, empört sich der alte Richter Charlie Cool und kletter auch zu ihnen ins Baumhaus. Zu fünft verteidigen sie nun ihr vermeintlich freies Leben, was natürlich nicht ohne Blessuren abgeht …

Truman Capote, der Autor dieser Geschichte, wurde 1924 in New Orleans geboren. Er wuchs zunächst bei seiner Großmutter auf, bis er 1935 vom zweiten Ehemann seiner Mutter adoptiert wurde. Er kam ins Internat, wo er bald den Entschluss fasste, Schriftsteller zu werden. 1946 gelang ihm der Durchbruch, er galt als literarisches Wunderkind, seine Romane brachten ihm Ruhm und Geld ein, was ihn jedoch offensichtlich überforderte. Nach 1966 veröffentlichte er keine wichtigen Werke mehr, lebte luxuriös, wurde alkohol- und drogenabhängig und verfiel psychisch und körperlich. 1984 stirbt er in Los Angeles an einer Überdosis Tabletten.

„Die Grasharfe“ war der zweite Roman des Autors und ist sein erster großer Verkaufserfolg. Er erschien 1951 und enthält einige autobiografische Elemente aus Capotes Kindheit in Alabama. Hier lässt er den Protagonisten Collin in der Rückschau erzählen, was der Geschichte eine etwas melancholische Note verleiht, die aber immer wieder von beinahe slapstickhafter Komik begleitet wird. Fünf Menschen sitzen ein paar Tage im Baumhaus und haben die Gesellschaft des Ortes gegen sich. Alle fünf haben seelische Wunden im Umgang mit Mitmenschen erlitten, doch hier im Baumhaus ist plötzlich ein Miteinander, eine vertrauensvolle Nähe und Liebe möglich – sie sind ja „einige Meter näher bei Gott“. Der Schreibstil ist sehr poetisch und voll menschlicher Wärme. Es ist nicht die Geschichte die das Buch ausmacht, es sind die Worte, die im Inneren berühren und die es schaffen, Gerüche und Geräusche real erscheinen zu lassen. Die detailreiche Schilderung der meist liebenswert-skurrilen Charaktere lassen das Geschehen sehr lebendig wirken.

Fazit: Ein leises Buch voller Poesie – sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 25.09.2022

Sie nannten sie Marschmädchen

Der Gesang der Flusskrebse
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Mit Blutergüssen und Platzwunden im Gesicht, die vom letzten Wutausbruch ihres jähzornigen Mannes stammen, verlässt die Mutter frühmorgens für immer die armselige Hütte – zurück bleiben fünf Kinder. Auch ...

Mit Blutergüssen und Platzwunden im Gesicht, die vom letzten Wutausbruch ihres jähzornigen Mannes stammen, verlässt die Mutter frühmorgens für immer die armselige Hütte – zurück bleiben fünf Kinder. Auch die ergreifen nach und nach die Flucht, bis die sechsjährige Kya noch alleine mit dem alkoholkranken Vater zurückbleibt. Sie ist zu jung um auch abzuhauen, hat aber gelernt sich vor den Gewaltexzessen des Vaters zu schützen, indem sie sich in den Weiten der Marschlandschaft North Carolinas versteckt. Irgendwann ist dann auch der Vater verschwunden, Kya ist nun allein und muss lernen, in und mit der Natur zu überleben. Die Jahre vergehen, sie wächst zur jungen Frau heran und bald interessieren sich auch die jungen Männer des Dorfes für die seltsame Einsiedlerin. Dann wird eines Tages der allseits beliebte Chase Andrews tot im Sumpf aufgefunden. Unfall oder Mord? Der Verdacht fällt auf das „Marschmädchen“, wie sie von allen genannt wird. Eine gnadenlose Hetzjagd beginnt …

Delia Owens, geb. 1949 als Cordelia Dykes in Thomasville, Georgia, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Zoologin. Nach ihrer Schulzeit studierte sie an der University of Georgia in Athens und an der University of California in Davis Zoologie und Animal Behavior, was sie mit einem Bachelor of Science abschloss. 1972 heiratete sie den Biologen Mark Owens. „Der Gesang der Flusskrebse“ ist ihr Debütroman, der 2019/2020 monatelang die internationalen Bestsellerlisten anführte.

Die Autorin befasst sich hier nicht, wie es ihr Beruf und Buchtitel vermuten lassen, überwiegend mit der Tierwelt, sondern mehr mit der Erbarmungslosigkeit des Verlassenwerdens, der Einsamkeit und dem Überlebenswillen eines kleinen Mädchens. In Zeitsprüngen und Rückblenden verdeutlicht sie, wie Kya zu einer ungewöhnlichen und äußerst intelligenten Frau heranreift, in welchem Verhältnis diese zu dem Toten im Sumpf stand und wie dieser zu Tode kam. Neben dieser gut konstruierten Kriminalgeschichte ist es auch ein Buch über eine unvergleichliche Landschaft, den Sümpfen der Küstenregion North Carolinas, mit seinen Salzwiesen und Sandbänken, wo die Grenze zwischen Land und Wasser fließend ist.

Dieses Buch ist eines der wenigen, die mich von Anfang an gefesselt haben. Allein das Heranwachsen des kleinen Mädchens zur jungen Frau und ihre vielfältigen Erlebnisse in der Natur beinhalten bereits eine geheimnisvolle Spannung, hinzu kommen noch die Ermittlungen im Todesfall des jungen Mannes, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Der Schreibstil ist beeindruckend, ein angenehm flüssiger Sprachrhythmus, gepaart mit einer gut konstruierten Story und wunderbaren Landschaftsschilderungen, intensiv und atmosphärisch beschrieben, mit einem nicht vorhersehbaren Ende – kurzum, ein ganz besonderes Lesevergnügen!

Fazit: Literatur wie sie sein soll, ernsthaft und trotzdem unterhaltend – sehr empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 22.09.2022

Kann man dem Schmerz und der Trauer entfliehen?

Insel im Sommer
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Er war nicht mehr er selbst, seit er eines Morgens seinen Sohn tot auffand. Der Schmerz war so groß, dass er sich komplett in sich zurück zog und niemanden mehr an sich ran ließ. So verlor er alle Freunde ...

Er war nicht mehr er selbst, seit er eines Morgens seinen Sohn tot auffand. Der Schmerz war so groß, dass er sich komplett in sich zurück zog und niemanden mehr an sich ran ließ. So verlor er alle Freunde und auch seine Frau verließ ihn. Dieser Zustand änderte sich jedoch allmählich, nachdem er eines Tages von einer fremden Frau angesprochen wurde. Ihr Wesen berührte in tief im Inneren, er ließ eine Freundschaft zu, die bald in Liebe überging. Doch dann stellte sie ihm eine Forderung, die zu erfüllen er nicht bereit war. Auf der Flucht vor sich selbst reist er zunächst nach Paris und dann nach Südfrankreich, Orte, an denen er mit seinem Sohn glücklich war. Er wohnt dort bei Freunden, die einzigen die ihm noch verblieben sind, und findet endlich so etwas wie inneren Frieden. Doch erst ein kleines Mädchen öffnet ihm die Augen für eine neue Dimension der Wahrnehmung …

Wolfgang Hermann ist ein österreichischer Schriftsteller. Er wurde 1961 in Bregenz geboren, wuchs in Dornbirn (Vorarlberg) auf, studierte Philosophie in Wien, wo er 1986 mit einer Arbeit über Friedrich Hölderlin zum Doktor promovierte. Seit 1987 ist er freier Schriftsteller und schreibt Prosa, Lyrik, Theaterstücke und Hörspiele. Seine Publikationen wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Wolfgang Hermann ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und lebt heute in Wien.

Es ist schier unglaublich, wie leicht und lebendig man über ein so ein ernstes Thema schreiben kann. In wunderbarer, schon beinahe poetischer Sprache, führt uns der Autor durch den Schmerz und das Leid eines großen Verlustes zu einem hoffnungsvollen Neubeginn. Es entsteht eine ganz besondere Atmosphäre die den Protagonisten, und mit ihm den Leser, aus dem schwarzen Loch der Leere allmählich ins helle Licht einer schrittweisen Genesung und Verheißung auf bessere Tage holt. Man spürt die Leichtigkeit des südfranzösischen Klimas, fühlt den Sommerwind und riecht beinahe den Duft der Kräuter – und das alles auf gerade mal 70 Seiten.

Fazit: Das dünne Buch liegt leicht in der Hand, sein literarisches Gewicht ist jedoch beachtlich.

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