Erschreckend, ergreifend, lesenswert
Denk ich an KiewDie junge Katja wächst zusammen mit ihrer Schwester auf dem Bauernhof der Eltern in der Ukraine auf. Beide sind verliebt, es fehlt ihnen an nichts. Doch im Jahr 1929 kommen Stalins Männer in das beschauliche ...
Die junge Katja wächst zusammen mit ihrer Schwester auf dem Bauernhof der Eltern in der Ukraine auf. Beide sind verliebt, es fehlt ihnen an nichts. Doch im Jahr 1929 kommen Stalins Männer in das beschauliche Dorf, um die Bauern zu überzeugen, ihren Besitz aufzugeben und in der Kolchose zu arbeiten. Zunächst lässt es sich auch außerhalb des Kollektivs noch gut leben, doch der Druck wird immer größer und schöne Stunden werden von schrecklichen Ereignissen überschattet, bis es schließlich nur noch ums nackte Überleben geht
2004 zieht Cassie nach einem Schicksalsschlag widerwillig mit ihrer Tochter bei ihrer ukrainischen Großmutter ein, die immer mehr in die Vergangenheit abdriftet, Essen im Garten versteckt und ihre Enkelin Alina nennt. Doch wer ist das? Da die Großmutter keine Worte für die Ereignisse der Vergangenheit findet, soll Cassie ihr Tagebuch lesen. Ein freundlicher Nachbar dient als Übersetzer...
Das Cover zeigt ein Weizenfeld soweit das Auge reicht und nimmt so direkten Bezug auf die Ukraine, die als Europas Brotkorb bezeichnet wird. Die Farben erinner ein weinig an die ukrainische Flagge. Am Himmel kommt eine Bedrohung auf die beschauliche Ruhe zu. Damit passt das Cover hervorragend zu dieser aufwühlenden Geschichte, die in zwei Zeitebenen erzählt wird. Zum einen geht es um Cassie, deren Mann gestorben ist und die nicht weiß, wie sie für sich und ihre Tochter in die Zukunft blicken soll. Ihr Leben steht in einer Arte Warteschleife, aus der sie allein nicht herauskommt. Dabei vernachlässigt sie ein bisschen auch ihre Tochter. Trotzdem ist Cassie eine sympathische Figur, deren Schmerz man nachempfinden kann. Sie ist aber auch misstrauisch, vor allem gegenüber dem netten Nachbarn, der ihrer Oma schon länger hilft.
Der Erzählstrang in der Vergangenheit beginnt mit zufriedenen, fröhlichen Menschen, Bauersleuten, die Stolz auf ihre Arbeit sind und auf das, was sie hervorbringt. Katja und ihre Schwester haben einander und beide sind verliebt, sehen eine wunderbare Zukunft vor sich. Doch diese Pläne zerstört das jähe Eindringen von Stalins Handlangern in die Dorfgemeinschaft. Sehr anschaulich schildert die Autorin den gewaltsamen Prozess der Kollektivierung. Aus Verlierern werden kurzfristig Gewinner, die alle quälen wollen, die sie als Schuldige für ihr Versagen ausgemacht haben. Die Brutalität kommt manchmal so überraschend, dass mir als Leser der Atem stockt. Und dann ist da dieser unbedingte Überlebenswille der Protagonistin und so viel Schmerz, Leid und auch Schuldgefühle, dass es schwer zu ertragen ist.
Geschickt verknüpft die Autorin Vergangenheit und Gegenwart, um auf eine bessere Zukunft hoffen zu lassen. Zwar spielt auch die Liebe eine gewisse Rolle, doch diese ist zart und vorsichtig und viel weniger kitschig, als in vielen anderen Büchern. Sie spielt nur eine Nebenrolle. Viel wichtiger sind die geschichtlichen Hintergründe, die die Autorin im Nachwort erläutert und die Botschaft, die sie sendet. Mich hat das Leid im Buch schockiert, gleichzeitig war ich verblüfft, was Menschen ertragen können und was sie auf sich nehmen, um eine Zukunft zu haben. Große Leseempfehlung!