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Veröffentlicht am 17.10.2022

Jede Frau kann backen

Vanilletage – Die Frauen der Backmanufaktur
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Nicht ganz standesgemäß, aber aus Liebe, haben Josephine und Carl geheiratet. Obwohl der junge Bräutigam gerne als Bäcker in die Fußstapfen seines Vaters getreten wäre, fühlt er sich seinen verstorbenen ...

Nicht ganz standesgemäß, aber aus Liebe, haben Josephine und Carl geheiratet. Obwohl der junge Bräutigam gerne als Bäcker in die Fußstapfen seines Vaters getreten wäre, fühlt er sich seinen verstorbenen Geschwistern gegenüber verpflichtet, Apotheker zu werden und wirksame Medizin herzustellen. Am liebsten forscht er jedoch an einem Backtriebmittel, welches jede Frau befähigt, flaumige Kuchen zu backen. Als er die richtige Rezeptur gefunden hat, gibt es natürlich Neid und Missgunst in der Nachbarschaft und auch die Ehe der jungen Leute steht nicht immer unter einem rosigen Stern.

Chronologisch in drei große Abschnitte gegliedert, erzählt Eva-Maria Bast sehr anschaulich die Geschichte eines Lebensmittelherstellers nach wahrem Vorbild. Die Figuren im ersten Band der Reihe sind allesamt recht bildhaft charakterisiert, die Zeit um 1900 passend ins Licht gerückt mit dem Bau von hilfreichen Maschinen, dem Automobil und der erstarkenden Frauenrechtsbewegung. Wie im echten Leben gibt es ruhige und aufregende, glückliche und niederschmetternde Zeiten. Der Leser blickt aus verschiedenen Richtungen auf die liebenswerte Familie Meister und fühlt dadurch mit allen Personen ganz unmittelbar mit, kann unkonventionelle Entscheidungen verstehen und unterschiedlichste Reaktionen nachvollziehen. In Berlin und später vorwiegend in Bielefeld spielt sich die Handlung ab, welche den Leser durchwegs in seinen Bann zieht und verschiedenste Besonderheiten der damaligen Zeit beleuchtet. So ist Josephine recht eigenständig und ideenreich, womit sie ihren Ehemann Carl immer wieder vor den Kopf stößt, wenn sie spontan und impulsiv handelt.

Von 1889 bis 1911 begleitet der Leser Josephine, von Carl gerne liebevoll Phinchen genannt, durch bewegende Zeiten. Nach jeder Niederlage spürt man die neuerliche Aufbruchsstimmung, innovative Ideen und Hilfsbereitschaft für ihre Mitmenschen prägen den Charakter der sympathischen Hauptdarstellerin.

Fazit: ein flüssig zu lesender Roman mit historischen Vorbildern und einer logisch durchdachten Handlung. Ich freue mich schon auf das Erscheinen des Folgebandes „Zuckerjahre“ im Februar 2023!



Titel Vanilletage – Die Frauen der Backmanufaktur

Autor Eva-Maria Bast

ISBN 978-3-7466-3846-1

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 388 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 20. September 2022

Verlag Aufbau TB

Reihe Die Backdynastie, Band 1

Veröffentlicht am 15.10.2022

Daheim

Wenn der Nebel schweigt
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Janas Mutter ist tot, den Kontakt zum Vater hat sie vor vielen Jahren abgebrochen, als sie nun ein Freund und Nachbar bittet, so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Den Grund nennt er nicht. Verärgert ...

Janas Mutter ist tot, den Kontakt zum Vater hat sie vor vielen Jahren abgebrochen, als sie nun ein Freund und Nachbar bittet, so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Den Grund nennt er nicht. Verärgert und beunruhigt zugleich setzt sich Jana in den Flieger und kehrt zurück ins Tal, den Ort des Unglücks.

Mit verwirrenden Zeitsprüngen und unklaren Zusammenhängen startet der Leser ins grauenvolle Vergnügen und wird dennoch sofort vom Tempo der Zeilen in den Bann gezogen. Die Augen flitzen bald rascher über die Sätze als man deren Inhalt erfassen kann. Man muss sich als Leser beinahe Einhalt gebieten, nicht zu schnell durch die Seiten zu toben, um ja nichts zu verpassen, aber der Schreibstil ist so fesselnd und einnehmend, dass man kaum länger verweilen möchte, sondern immer mehr wissen will über die unerklärlichen Zustände rund um Janas Familie. Insbesondere dann, wenn wieder einmal ein Kapitel am Ende eine Frage offen lässt.

Düster und unheimlich ist das mysteriöse Tal, in dem Jana aufgewachsen ist und in das sie nun wiederkehrt. Ihre Erinnerungen und die tatsächliche Abgeschiedenheit dieses nicht näher bestimmten Ortes ergeben ein phantastisches Bild der Umgebung; überwucherte Hauswände und morsche Zäune lassen ein Dorf erkennen, in welchem die Zeit stillzustehen scheint. Atmosphärisch exzellent eingefangen ist aber nicht nur die unheilvolle Natur, auch die einzelnen Figuren stecken voller Geheimnisse und geben sich wortkarg, wodurch der Phantasie des Lesers keine Grenzen gesetzt werden. Im Laufe der wenigen Tage kommt einem jeder mehr oder weniger verdächtig vor, Motive gibt es genug. Häufig sehen wir durch Janas Augen auf die Handlung, immer wieder aber wird ein anderer Blickwinkel eingenommen, wodurch die stete Spannung noch weiter steigt. Nebulöse Andeutungen verstricken die Realität mit wirren Gedanken und verschleiern die wahren Hintergründe, die niemand ans Tageslicht gelangen lassen will.

Psychologisch ausgefeilt und ohne viel Blutvergießen präsentiert sich auch dieser Thriller von Roman Klemetovic und trägt seine unverwechselbare Handschrift. Meine Leseempfehlung hat dieses Buch auf jeden Fall.



Titel Wenn der Nebel schweigt

Autor Roman Klementovic

ISBN 978-3-8392-0313-2

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 345 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 14. September 2022

Verlag Gmeiner

Veröffentlicht am 11.10.2022

Russischer Autragsmörder im Schweizer Alpenidyll

Wer hat Heidi getötet?
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Das Bergdorf Gryon in den Schweizer Alpen ist hauptsächlicher Schauplatz dieses ungewöhnlichen Krimis, in dem es um eine Zuchtschau für Milchkühe geht und gleichzeitig um verschwundene Frauen und einen ...

Das Bergdorf Gryon in den Schweizer Alpen ist hauptsächlicher Schauplatz dieses ungewöhnlichen Krimis, in dem es um eine Zuchtschau für Milchkühe geht und gleichzeitig um verschwundene Frauen und einen russischen Auftragsmörder. Das passt nicht zusammen, meint ihr? Na, dann überzeugt euch einfach selbst.
Prolog, unglaubliche 140 Kapitel und ein Epilog, all das umfasst dieser etwa 400 Seiten starke Krimi. Extrem kurze Szenen und stete Schauplatzwechsel erlauben es dem Leser erst nach und nach, die Handlungsstränge auseinander zu halten und Kontinuität zu finden. Mit den überaus unterschiedlichen und daher ausgesprochen abwechslungsreichen Details ist das Geschehen rund um Heidi durchgehend interessant und spannend. Möglichkeiten für Irrwege und falsche Schlussfolgerungen gibt es genug, sodass man immer neugieriger wird und noch ein, zwei oder drei Kapitel weiterliest, anstatt eine Pause einzulegen.
Viele Personen und Kühe mit Namen schwirren dem Leser im Kopf, wer gehört wohin, wo bestehen Verbindungen? Für schnell einmal zwischendurch empfiehlt sich dieses Buch also nicht. Wer jedoch dranbleibt und den Krimi genießt mit all seinen Facetten und dem unkomplizierten Kommissar Andreas Auer über die Schulter schaut, der wird seine wahre Freude daran haben. Die Figuren sind sehr plastisch und lebensecht dargestellt, Schicksale glaubwürdig ausgearbeitet. Die einzelnen, zusammenhanglos erscheinenden Details ergeben erst im Laufe der Zeit ein komplettes Bild, das dann aber tatsächlich rund und stimmig ist. Der einnehmende Schreibstil Voltenauers macht es leicht, hier am Ball zu bleiben, mit Andreas gewissermaßen gemeinsam zu kombinieren, Sackgassen anzusteuern und irgendwie wieder zurückzufinden zu rational nachvollziehbaren Spuren.
Außergewöhnliche Themen und unterhaltsame Ermittlungsansätze lassen diesen Krimi zu einem originellen und unverwechselbaren Vergnügen werden – viel Spaß allen künftigen Lesern!

Titel Wer hat Heidi getötet?
Autor Marc Voltenauer
ISBN 978-3-7408-1536-3
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 416 Seiten
ebenfalls erhältlich als e-book
Erscheinungsdatum 27. September 2022
Verlag emons

Veröffentlicht am 06.10.2022

Winterwunderland

Nanny Bells - Ein Kindermädchen unterm Weihnachtsbaum
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Wie jedes Jahr verbringt Nele die Wintersaison am Arlberg, wo sie als Nanny arbeitet. Ganz unterschiedlich sind die Urlauberfamilien, sodass dieser Job anspruchsvoll und stressig, aber durchaus erfüllend ...

Wie jedes Jahr verbringt Nele die Wintersaison am Arlberg, wo sie als Nanny arbeitet. Ganz unterschiedlich sind die Urlauberfamilien, sodass dieser Job anspruchsvoll und stressig, aber durchaus erfüllend ist für die ehrgeizige junge Frau. Diesmal gibt es aber von Anfang an wenig Grund zur Freude: Neles Zimmer ist schimmelig, sodass ihre Allergie voll ausbricht, ein Klient will vorab ein Vorstellungsgespräch, obwohl sie über eine renommierte Agentur vermittelt wird und schlussendlich will sie sich mit einem Stück ihres Lieblings-kuchens aus der örtlichen Bäckerei trösten, wobei ein anderer Kunde just vor ihr das letzte Stück bestellt. Das Glück scheint Nele abhandengekommen zu sein, als sich wenig später genau dieser Kunde als ihr Auftraggeber entpuppt.

Voller Charme und Vorweihnachtsstimmung kommt dieser neue Roman von Karin Lindberg daher und bringt schon einmal winterliches Flair ins Wohnzimmer. Nele ist ein entzückendes Kindermädchen, das man als Leser sofort in sein Herz schließen muss. Nach einer herben Enttäuschung lebt sie lieber als Single, als sich erneut verletzen zu lassen. In ihrem Job ist sie ein Profi und wenn doch einmal nicht alles ganz rund läuft, hat sie ja ihre beiden Kolleginnen, mit denen sie eine Wohnung teilt – oder notfalls ein Stück Kuchen. Allerdings ändert sie alles, als ihre Chefin sie ins neu umgebaute Chalet in Oberlech schickt, wo sie Sky und Amy betreuen soll. Welcher Reiche hat sich denn hier niedergelassen?

Wunderbare Szenen mit Witz, Humor und vielen Missverständnissen finden sich in diesem kurzweiligen Buch und sorgen für beste Unterhaltung, auch wenn man da und dort am liebsten aufspringen und eine der Figuren schütteln möchte. Wie sehr ein Blick von außen fehlt, verdeutlichen Nele und Christoph nur zu gut und wieder zeigt sich, dass es nicht immer von Vorteil ist, mit dem Kopf zu denken, anstatt auf seinen Bauch zu vertrauen. Neben einer heiteren Liebesgeschichte verpackt Lindberg aber auch diesmal wieder tiefgründige Themen in die Handlung, interessante Überlegungen, beispielsweise über Leihmütter, Drogen, Leibwächter und andere mehr, fließen geschickt in die Geschichte ein, ohne dass irgendwie gewertet oder geurteilt wird. So wird die Sache spannend und amüsant gleichermaßen, der Duft von Vanillekipferln und der Klang von Weihnachtsglöckchen unterstreicht die Stimmung am Kaminfeuer, während draußen der weiße Schnee vor Kälte knirscht.

Auch wenn bei diesem Genre ein Happy End erwartet werden darf, so fiebert man doch mit Nele mit, wenn sie niedergeschlagen und enttäuscht ist und greift heimlich in die Pralinenschachtel, weil es für Weihnachtskekse momentan noch zu früh ist. Mir hat auch dieses Buch von Karin Lindberg wieder vergnügliche Lesestunden beschert, sodass ich es gerne weiterempfehle.



Titel Nanny Bells – Ein Kindermädchen unterm Weihnachtsbaum

Autor Karin Lindberg

ISBN 978-3-7546-7755-1

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 344 Seiten, ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 14. September 2022

Verlag tolino media

Veröffentlicht am 05.10.2022

Stille des Nordens

Das Leuchten der Rentiere
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Elsa ist ein neunjähriges Sámimädchen und fährt erstmals alleine mit ihren Skiern zum Rentiergehege, um Säcke mit Futterpellets herzurichten und Rentierflechten zu sammeln. Als sie ankommt, entdeckt sie ...

Elsa ist ein neunjähriges Sámimädchen und fährt erstmals alleine mit ihren Skiern zum Rentiergehege, um Säcke mit Futterpellets herzurichten und Rentierflechten zu sammeln. Als sie ankommt, entdeckt sie jedoch ihr totes Rentierkalb und dessen Mörder, der ihr die Geste des Halsabschneidens zeigt, sollte sie nicht Stillschweigen bewahren. So behält die Jüngste in der Familie ihr Geheimnis für sich, wobei sie sich gleichzeitig schuldig fühlt, weil der Täter ungestraft davonkommt. Andererseits nimmt die Polizei solche Vorfälle ohnehin nur als Diebstahl zu Protokoll.

In drei grobe Abschnitte gegliedert und in viele einzelne Kapitel, welche mit Zahlen auf Samisch durchnummeriert sind, präsentiert Laestadius diesen Roman. Eine ruhige Schreibweise, passend zur Stille der langen Winter im hohen Norden, begleitet den Leser durch mehr als zwanzig Jahre mit detaillierten und interessanten Szenen aus dem Leben der Samen. Spannende Besonderheiten über acht Jahreszeiten, bunte Festgewänder, Kunst und Rentierhaltung, sowie die Ablehnung durch die Bewohner aus den umliegenden Dörfern werden voller Einfühlungsvermögen erzählt. Auch wenn die Darstellung da und dort lang erscheinen mag, so spiegelt genau das das Leben in Abgeschiedenheit und Einsamkeit wider, die langen dunklen Nächte, die tief verschneiten Wälder, die Weite des Landes und die Liebe zu den Rentieren. Besondere Fellschattierungen und Zeichen am Ohr lassen die Züchter ihre Herde erkennen, oftmals bekommen die Tiere sogar Namen, Elsas Kalb war für die kurze Dauer seines Lebens Nástegallu.

Inmitten dieser scheinbar idyllischen Landschaft ist aber gar nicht alles eitel Wonne. Wilderer treiben (nicht nur im Roman – am Ende des Buches wird auf wahre Grundlagen in Sápmi hingewiesen) ihr Unwesen, was allerdings, wenn überhaupt, nicht als schweres Verbrechen geahndet wird, sondern nur als Diebstahl. Oftmals hat die Polizei nämlich weder zeitliche noch personelle Ressourcen, um solchen Anzeigen nachzugehen. Elsas Zwiespalt, sich selbstbewusst diesem harten Leben zu stellen und gleichzeitig ihre Angst vor den Gegnern vermag die Autorin gekonnt nachzuzeichnen. Dazu kommt noch so mancher Nachbar, der Zurückhaltung einfordert, um Unruhen und Streitereien zu vermeiden. Auch in den konservativen Familienverbänden geht es nicht immer unkompliziert zu, die jüngeren Mitglieder haben zu kämpfen mit den starren Erwartungen der Alten und gleiten leicht ab in Depressionen oder Alkoholsucht.

Erst nach vielen Jahren, als die Zustände unerträglich werden, setzt Elsa einen mutigen Schritt. Damit steigt die Spannung, welche lange Zeit eher wenig spürbar ist, deutlich an. Insgesamt tut das aber der interessanten und informativen Handlung keinen Abbruch. Das Augenmerk liegt ja auf der Schilderung der extremen Lebenssituation.

So tut sich dem Leser bestimmt in vielen Fällen ein völlig neuer Aspekt auf, wie das Leben nördlich des Polarkreises funktioniert. Da Ann-Helén Laestadius selbst gebürtige Sámi ist und aus dem Erfahrungsschatz ihrer Familie schöpfen kann, wirkt dieses Buch rundum authentisch. Auch, dass sie viel Zeit darauf verwandt hat, um „die richtige Form für diese Geschichte zu finden“ (kindle, Pos. 5806) merkt man bei all den so feinfühligen und taktvollen Schilderungen der einzelnen Szenen. Das Verständnis für Mensch, Tier und Natur wird jedenfalls immer wieder geschärft, jedoch die Vorkommnisse in diesem wunderbaren Roman zeigen, dass vieles trotz offizieller Grundlagen immer noch im Argen liegt.

Danke, Ann-Helén Laestadius, für dieses Plädoyer, welches die indigene Bevölkerung Skandinaviens nicht in Vergessenheit geraten lässt. Ich kann nur eine klare Leseempfehlung aussprechen für dieses ruhige, aber eindringlich verfasste Werk.





Titel Das Leuchten der Rentiere

Autor Ann-Helén Laestadius

ISBN 978-3-455-01294-1

Sprache Deutsch

Ausgabe Gebundenes Buch, 448 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 4. Oktober 2022

Verlag Hoffmann und Campe

Originaltitel Stöld

Übersetzer Maike Barth, Dagmar Mißfeldt

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