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Veröffentlicht am 07.10.2022

Dystopie oder im Jetzt?

Unsre verschwundenen Herzen
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Unsre verschwundenen Herzen
Celeste Ng,
aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit

In ihrem Vorwort schreibt Celeste Ng, dass sie eigentlich einen Roman über eine Mutter mit ihrem heranwachsenden ...

Unsre verschwundenen Herzen
Celeste Ng,
aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit

In ihrem Vorwort schreibt Celeste Ng, dass sie eigentlich einen Roman über eine Mutter mit ihrem heranwachsenden Sohn schreiben wollte, doch aktuelle Auseinandersetzungen veränderten ihre Geschichte.

Worum geht es?
Bird war 9 Jahre alt, als er vor 3 Jahren von seiner Mutter Margaret, einer amerikanisch-chinesischen Lyrikerin, verlassen wurde. Seitdem reden sein Vater und er nicht mehr über sie. Sie ist eine persona non grata. Leute sagen, sie sei eine Aufwieglerin, eine, die Demonstranten angeführt hat. Sie ist eine PAOs - Person of Origin - und die Asiaten sind schliesslich an allem Schuld, sagt die PACT.

Damals in Amerika, bevor Bird geboren wurde, gab es goldene Jahre, aber dann kam es zur Krise. Immer öfter konnten Menschen die hohen Mietpreise nicht zahlen. Zwangsräumungen waren an der Tagesordnung. Die Vermieter setzten diese, zusammen mit ihren Möbel, auf die Strasse. Ganze Wohnblöcke waren verlassen. Krankenhausrechnungen konnten nicht mehr bezahlt werden. Die Menschen plünderten. Läden und Fabriken schlossen. Die Strassen waren für keinen mehr sicher. Dann kamen die Pandemien hinzu.
Erst PACT - Preserving American Culture and Traditions Act - stellten wieder Ordnung her. Allerdings mit einem schlimmen Unterdrückungsinstrument: das Herausnehmen von Kindern aus vermeintlich subversiven Familien. PACT versprachen amerikanische Werte zu schützen, doch mit ihnen zogen Misstrauen, Bespitzelung und Rassismus im Land ein.

Eines Tages findet Bird eine mysteriöse Zeichnung im Briefkasten, die seine Mutter angefertigt hat. Zusätzlich sieht er immer öfter den Schriftzug „All our missing hearts“ an Mauern gesprüht, ein Gedicht, das seine Mutter einst verfasst hat. Bird beschliesst die Wahrheit über seine Mutter herauszufinden.

Wow, dieses Buch regt zum Nachdenken an. Ng hat hier eine Dystopie geschrieben, aber so viele Elemente sind aus der Realität. Hat die USA nicht vor kurzem China bezichtigt, Schuld an einem Virus zu haben? Und der Iran wirft heuer der USA Protestunterstützung vor. Und was ist mit unseren hohen Strom- und Gaspreisen? Wo soll das hinführen?
Ng hat hier ein brisantes Buch geschrieben. Ein Buch was trotz kleineren Längen bei mir nachwirken wird.

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Veröffentlicht am 01.10.2022

Lebensgeschichte

Café Leben
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Café Leben
Jo Leeves,
aus dem Englischen von Maria Hochsieder


Die 32-jährige Henrietta Lockwood führt in London ein Einsiedlerdasein. Sie wohnt alleine, hat weder einen Partner noch Kinder - ihr einziger ...

Café Leben
Jo Leeves,
aus dem Englischen von Maria Hochsieder


Die 32-jährige Henrietta Lockwood führt in London ein Einsiedlerdasein. Sie wohnt alleine, hat weder einen Partner noch Kinder - ihr einziger Kontakt ist ihr etwas verkorkster Hund Dave.
Als gescheiterte Bibliothekarin braucht sie dringend einen Job. Ihr Lebenslauf trägt allerdings nicht dazu bei gute Chancen und Auswahl auf dem Arbeitsmarkt zu haben: lückenhaft und abrupt endeten ihre Arbeitsverhältnisse.
So bewirbt sie sich auf eine eigentlich uninteressante Stellenanzeige eines Hospiz. Dort wird jemand für das Projekt ‚Lebensbücher‘ gesucht. Patienten des Hospiz sollen ihre Lebensgeschichten niederschreiben lassen, '‘denn jeder Mensch hat eine Lebensgeschichte’’, so der Werbeslogan.

Henrietta bekommt den Job. Ihr neuer Arbeitsplatz befindet sich im Café Leben, das sich im Parterre des Hospiz befindet.
Dort trifft sie die 66-jährige Krebspatientin Anni, die nur noch ein paar Wochen zu Leben hat. Annie erzählt ihre Lebensgeschichte, aber sie ist dabei schlecht gelaunt und immer auf Abstand bedacht, fast so, als fände sie es belastend ihre Geschichte zu erzählen. Als sie an dem Punkt ankommt, wo sie vom Tode ihrer Schwester berichtet, versucht sie diesen auf ein paar kleine Sätze zu reduzieren. Auf Rückfragen seitens Henrietta reagiert sie fast aggressiv. Henrietta bemerkt schnell, dass Anni ihr irgendetwas verheimlicht, und beginnt, hinter Annis Rücken, den Tod der Schwester zu recherchieren.

Wer jetzt denkt, dass hier eine schnulzige Geschichte kommt, den muss ich enttäuschen. Die Geschichte entwickelt sich zu einem kleinen Krimi, der wirklich gut aufgebaut ist.
Von Anfang an habe ich den Sprecherinnen des Hörbuchs, Nora Jokhosha, Tanja Fornaro und Heike Warmuth, gerne zugehört. Der Schreibstil der Autorin ist leicht und flüssig.
Alles in einem, wirklich gute Leseunterhaltung.
4½/ 5

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Veröffentlicht am 21.09.2022

Tolle Familienbiografie

Verbrenn all meine Briefe
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Verbrenn all meine Briefe
Alex Schulman

Alex Schulman hat schon immer gespürt, dass in seiner Familie eine ganz besondere grosse Wut steckt.
Erst als seine eigenen Kinder heulend vor ihm stehen und sie ...

Verbrenn all meine Briefe
Alex Schulman

Alex Schulman hat schon immer gespürt, dass in seiner Familie eine ganz besondere grosse Wut steckt.
Erst als seine eigenen Kinder heulend vor ihm stehen und sie regelrecht Angst vor ihm haben, wird ihm das bewusst.
Bei einer Familienaufstellung stellt er fest, dass alle Familienmitglieder mütterlicherseits völlig zerstritten sind. Die Ursache hierfür ist sein Großvater Sven Stolpe. Dieser war ein berühmter schwedischer Schriftsteller, hoch gelobt für seine Bücher. Doch in Wirklichkeit war er ein Tyrann, ein cholerischer Narzisst, exzentrisch, ein Mann ohne Empathie und ein Ehemann, der seine Frau beleidigt, gedemütigt und gewalttätig bedrängt hat.

Alex Schulmann beschreibt seine Geschichte in drei Erzählsträngen:

- 1932: Das Ehepaar Stolpe zieht vorübergehend in die Sigtuna-Stiftung, dort will Sven ungestört an einem Theaterstück schreiben. Die 24-jährige Karin Stolpe lernt den (noch) unbekannten Dichter Olof Lagercrantz kennen und verliebt sich in ihn. Ihre Liebe entfacht sofort, aber ihr Ehemann Sven demütigt sie vor allen Leuten und zwingt sie dazu mit ihm abzureisen.
Karin und Olof schreiben sich Briefe. Wird Karin ihren grausamen Mann verlassen?

- 1988: Der kleine Alex besucht regelmässig seine Großeltern. Er liebt die Nähe zu seiner liebevollen Oma. Seinen Großvater hingegen fürchtet er. Immer wieder bekommt der junge Alex mit, wie der Grossvater seine Frau unter Druck setzt. Eines Tages findet er Briefe in dem Schrank seiner Grossmutter. Zu spät bemerkt er, dass er einen großen Fehler machte, als er die Briefe seinem Grossvater zeigte.

- Alexander heute: Seine Großeltern sind bereits tot und er versucht alles über sie in Erfahrung zu bringen, indem er Svens Tagebücher, Bücher und Briefe, die ein gewisser Olof verfasst hat, liest, wodurch er Karins und Svens Lebenslüge aufdeckt.
Hierbei stellt er erstaunlicherweise fest, dass sich alle Bücher seines Großvaters mit nur einem Thema beschäftigen, nämlich mit dem Ehebruch seitens der Frau.

Ich habe dieses Buch wirklich gerne gelesen und mich keine Minute gelangweilt. Alex Schulman ist eine wunderbare Familienbiografie gelungen, dennoch muss ich sagen, dass es ein ganz kleines bisschen hinter meinen Erwartungen blieb, da ich sein letztes Buch so geliebt habe.
In Schweden wird dieses Buch, welches 2018 erschien, gerade verfilmt und ich kann mir einen Film zu diesem Buch sehr gut vorstellen.
Ständig hatte ich einen muffeligen Ernest Hemingway vor Augen, der hier Sven Stolpe hiess.
Leseempfehlung von mir.
4½/ 5

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Veröffentlicht am 10.09.2022

Wunderbare Fortsetzung

Gretas Geheimnis
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Gretas Geheimnis - Die Winzerin, Band 2
Nora Engel

Da es erst zwei Monate her ist, dass ich Gretas Erbe, die Winzerin Band 1, lesen durfte, ist mir die Geschichte von Greta, die als ungeliebte Ziehtochter ...

Gretas Geheimnis - Die Winzerin, Band 2
Nora Engel

Da es erst zwei Monate her ist, dass ich Gretas Erbe, die Winzerin Band 1, lesen durfte, ist mir die Geschichte von Greta, die als ungeliebte Ziehtochter auf dem Weingut Hellers aufwuchs, noch gut in Erinnerung. Ich habe die Fortsetzung herbeigesehnt und eines darf ich vorweg nehmen: Das Warten hat sich gelohnt!

Greta nimmt das Erbe ihres Erzeugers Fritz Freudberg an, das grösste Weingut der Pfalz zu leiten, obwohl dieses an drei Bedingungen geknüpft ist:
- Ihre Grossmutter Adela darf bis zu ihrem Tode auf dem Weingut wohnen.
- Greta darf kein Land verkaufen.
- Sie muss innerhalb von drei Monaten Freudbergs Kellermeister Bruno Bachstern heiraten.

Die erzwungene Ehe mit Bruno gestaltet sich nicht immer leicht: Immer wieder verfällt dieser in Phasen des Schweigens. Auch als die ersten Kinder geboren werden, wird die Vertrautheit zwischen ihnen nur zeitweise besser. Greta stürzt sich in Arbeit und versucht trotzdem ihre erste 'eigene' Familie zu schützen. Eine grosse Hilfe hierbei ist ihre Grossmutter Adela, die fest an ihrer Seite steht und sie bei allen Vorhaben unterstützt.
Greta hat Erfolg, sie wird als Winzerin in der Winzergemeinschaft und Männerdomaine anerkannt. Ihr gutes Gespür für den Weinanbau lässt sie die richtigen Entscheidungen treffen.
Als ihre grosse Liebe Robert aus Amerika zurückkommt und fast zeitgleich ihr der südafrikanische Winzersohn Henry, der Weinlesehelfer ist, schöne Augen macht, passiert ungeplantes.

Die letzten zwei Tage bin ich nur so durch die Fortsetzung des Buches geflogen. Unglaublich gut gefiel mir, wie das Autorinnen-Duo, Danela Pietreck und Tania Krätschmar, Gretas Geschichte mit historischen Fakten verbunden haben. Von den Musiksongs der Zeit, die wichtigsten politischen Geschehnisse, bis hin zur Pril-Blume. Hier fehlte nichts.
Allerdings konnte ich die Motivation Gretas, die Ehe mit Bruno fortzusetzen, nicht ganz nachvollziehen.

Eine gelungene Zeitreise und Fortsetzung von der Winzerin, und ich kann es kaum erwarten bis der letze und dritte Band erscheint!
Leseempfehlung und vergesst nicht Taschentücher und einen guten Pfälzer Wein im Hause zu haben!
4½/ 5 und zum Wohle 🍷

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Veröffentlicht am 04.09.2022

Cooler flashback

Vorglühen
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Moin, habt ihr früher eigentlich auch immer vorgeglüht?


Vorglühen
Jan Müller / Ramses Engler


1994: Albert kommt zum studieren nach Hamburch. Freunde seina Eltern haben ihm ne coole Butze zur Verfügung ...

Moin, habt ihr früher eigentlich auch immer vorgeglüht?


Vorglühen
Jan Müller / Ramses Engler


1994: Albert kommt zum studieren nach Hamburch. Freunde seina Eltern haben ihm ne coole Butze zur Verfügung gestellt. Nur leida ist diese in Barmbeeek und da ist ja bekanntlich der tote Hund begraben. In der Bahn lernt Albert 'nen coolen Typen kennen: Claus! Als er diesen ein zweites Mal auf'm Konzert trifft, wird das Wiedersehen erstma gebührend gefeiert, und zwar mit nem Zuch durch die Gemeindee. Wo er überall wa, weiss er nich mehr, aber irgendwann in der Naacht hat er sogar noch irgendwo 'n paar Riffs auf der Gitarre geklimpert. (Kommt ihr mit meinem Hamburger Schnodder-Slang klar? Oder soll ich ins Hochdeutsche wechseln? Nö?) Na ja, auf jeden Fall sind die neuen Kumpels von Albert begeistert und nehmen ihn prompt in ihrer Band auf.

Albert zieht kurzerhand um, in Claus seine WG nach St. Pauli - mitten auf'm Kiez. Den Eltern wird das erstmal nicht verklickert, denn Vaddern würde das sicher nicht gefallen. Und morgens zur Uni geh'n is auch viel zu früh und überhaupt.

Als Albert dann schon morgeens um 10 Uhr die erste Knolle (für nicht Hamburger: Bier) am Hals hat, 'ne Kakerlake in seinem WG-Zimmer findet, die Barmbeker Wohnung unabgestimmt an einen Messi untervermietet und zum ersten Mal in der Uni aufschlägt, und zwar gerade dann als vorlesungsfreie Zeit ist, merkt er, dass er ein kleines Problem hat.


Ups, da bin ich wieder! Ich war gerade mal für ein paar Lesestunden in Hamburg. Zurückversetzt in 1994, als ich selber dort als 23-jährige rumtobte. Allerdings in anderen Clubs.
Aber das war ja mal ein #flashback der besonderen Art! Herrlich! Und diese liebe Frau Baszak! Ein echtes Hamburger Unikat!
Das Autorenteam Müller und Engler haben hier wirklich ein besonderes Buch geschrieben. Auch wenn er meinen Musikgeschmack nicht wirklich traf, so fliegt man mit dem sympathischen Albert nur so durch die Seiten. Locker und leicht ist das Buch geschrieben. Ich konnte förmlich diese dreckige WG (wer kennt sie nicht?) vor mir sehen …
Kleinere Passagen im Musikbereich waren mir zu lang, aber sonst ein wirklich kurzweiliges Buch.

Leseempfehlung für alle, die eine a
Affinität zu Musik und/oder Hamburg in den 90er haben!
4½/ 5 und tschüss!

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