Bedrückend, grausam und düster: das ist Babel
BabelBabel ist düster, Babel ist grausam. In Analogie zum Turmbau zu Babel entwirft Rebecca F. Kuang den fiktiven Turm Babel im historischen Oxford im Jahr 1936. Hier verbinden sich die Schicksale vierer junger ...
Babel ist düster, Babel ist grausam. In Analogie zum Turmbau zu Babel entwirft Rebecca F. Kuang den fiktiven Turm Babel im historischen Oxford im Jahr 1936. Hier verbinden sich die Schicksale vierer junger Menschen zum ersten Mal, als der gebürtige Kantonese Robin, der indischstämmige Ramy, die Haitianerin Victoire und die Britin Letty am "Royal Institute of Translation" der "University of Oxford" aufeinandertreffen. Es ist die Blütezeit des britischen Imperiums. Von Beginn an stehen die Themen Kolonialismus und Rassismus, aber auch Feminismus im Vordergrund, da diese zum einen die Beweggründe und Handlungsmotive der vier Protagonist:innen prägen, zum anderen aber der Autorin Raum geben, sich vor einem realen historischen Hintergrund - den Opiumkriegen zwischen England und China - kritisch mit diesen auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung fand sowohl in den Dialogen und Diskussionen der Protagonist:innen als auch in den toll recherchierten, akademisch anmutenden Fußnoten Einklang. Für mich eine Besonderheit, da ich zuvor noch keine Fußnoten in Romanen angetroffen habe. All die genannten Themen verknüpft die Autorin unter dem Hauptaspekt der Übersetzung und schafft somit mit dem Übersetzungsinstitut Babel einen äußerst zwiegespaltenen Handlungsort, in dem Wissenschaft und Forschung einhergehen mit Ausbeutung, Unterdrückung und Abhängigkeitsverhältnissen. Meiner Meinung nach darf "Babel" zukünftig gerne als Archetyp eines Dark Academia-Settings gelten!
Mit dem jungen Chinesen Robin Swift, dessen Identität schon so früh durch die Annahme eines neuen, englischsprachigen Namens verloren geht, haben wir somit auch einen passenden Charakter, der im Verlaufe der Handlung in einen Zwiespalt mit sich selbst und seiner Aufgabe gerät. Immerhin beutete das britische Imperium durch ungleiche Handelsverträge mit China sein Heimatland aus. Die Übertragung dieser historischen Ereignisse ins fiktive Oxford haben mich sehr gefesselt. Gnadenlos und brutal zeigt Rebecca F. Kuang das ausbeuterische koloniale System Britanniens, deren Erfolge zu großen Teilen auf den Entwicklungen Babels beruhen. Vordergründig tritt man für freien Handel und offene Märkte ein, hintergründig jedoch ist man von Gier und Macht. Die vielen Einblicke in Sprache, Translation, Etymologie fand ich unglaublich gut aufgearbeitet. Ich hätte ein ganzes Buch allein zu lustigen und interessanten Wortherkünften lesen können! Ebenfalls überzeugen konnte mich die damit verknüpften Bezüge zu Sprache und Macht, die Kuang mit dem einzigen phantastischen Element, der Magie der Silberbarren, vereint.
Babel wurde zu einem dieser Bücher, bei denen man nicht den Handlungsverlauf vorhersehen kann. Aufgrund der allgemein eher düsteren Stimmung, sich zuspitzender Konflikte sowohl politischer Art als auch zwischen den Protagonist:innen und der vordergründigen Themen, war mir jedoch schon früh klar, dass es kein Roman mit einem Happy End wird. Nichtsdestotrotz hat mich das Ende sehr mitgenommen; gleichzeitig ist es ein sehr passendes Ende gewesen, wenn man sich die historischen Konfliktlinien vor Augen führt. Ich werde daher sicherlich noch eine ganze Weile über den Roman und seine Botschaft nachdenken.