Ein Auftakt, der mich neugierig auf mehr macht
Zur Info: Dies ist der erste Band einer unabhängig voneinander lesbaren Reihe. Aber natürlich ist es auch hier so, dass die Reihenfolge ganz schön ist, wenn man schonmal ein paar Details über zukünftige ...
Zur Info: Dies ist der erste Band einer unabhängig voneinander lesbaren Reihe. Aber natürlich ist es auch hier so, dass die Reihenfolge ganz schön ist, wenn man schonmal ein paar Details über zukünftige Protagonisten erfahren und in Bezug auf frühere Paare in späteren Büchern nicht gespoilert werden will.
Klappentext:
Avery kann ihr Glück kaum fassen: Sie hat tatsächlich eins der begehrten Zimmer der Mulberry Mansion ergattert! In einem Wohnprojekt der Universität sollen Studierende die alte englische Villa wieder instand setzen. Aber Averys Freude wird jäh gedämpft, als sie feststellen muss, dass einer ihrer Mitbewohner kein anderer ist als ihr Ex-Freund Eden, der ihr vor zwei Jahren beim Abschlussball das Herz brach. Aus dem warmherzigen Jungen von damals ist ein verschlossener junger Mann geworden, der alle auf Abstand hält. Doch während sie gemeinsam die Mulberry Mansion renovieren, kommen plötzlich Gefühle hoch, über die Avery eigentlich längst hinweg war, oder etwa nicht?
Schreibstil:
Die Autorin kannte ich vorher nicht, doch sie wird mir in Erinnerung bleiben. Ich will noch keine Vergleiche ziehen, aber es war doch schon sehr schön geschrieben. Flüssig und locker lesbar und gleichzeitig nachdenklich und gewichtig. Hier werden viele Wörter gezielt eingesetzt, um Emotionen und die Bedeutsamkeit dieser rüberzubringen. Für mich persönlich wird eine Geschichte so immer noch viel tiefgreifender.
Meine Meinung zur Geschichte:
Ich habe letztens erst ein Buch gelesen, in dem das Paar sich ebenfalls schon vor Beginn der Geschichte verliebt hatte. Dort fand ich persönlich es nicht ganz so gut gemacht, weil mir die Emotionen und das Band zwischen den Protagonisten fehlte. Ich hatte es nicht persönlich „miterlebt“ und irgendwie konnte mich die Nacherzählung nicht so erreichen. Hier war ich also skeptisch, was ich von Avery und Eden halten sollte. Es fing aber dann doch alles ganz anders an…
Erst einmal finde ich die Idee von der Mulberry Mension super schön. Ein altes Haus zu renovieren und darin mit so unterschiedlichen, bisher fremden Menschen zu leben, klingt für mich nicht nur spannend, sondern auch magisch und nach unheimlich viel Potential, um zusammenzuschweißen. Und genau das passiert hier auch und deshalb war es der perfekte Ort für die beiden Protagonisten, die für sich allein zunächst einmal recht verloren in der Welt wirkten. Und das meine ich nicht bezogen auf die Geschichte, sondern auf ihre Charaktere, die einfach unheimlich gut ausgearbeitet waren.
Erzählt wird hauptsächlich aus der Perspektive von Avery, die anfangs sehr in sich gekehrt ist. Ihr ist etwas passiert, was weiß man zunächst nicht. Man erkennt aber in den Kleinigkeiten, wie es ihr Leben beeinflusst. Und das allein fand ich schon sehr gut gemacht, denn ich habe Avery kennenlernen können, sie auch sofort gemocht und dennoch war da dieses Unbekannte, das unheimlich schwer auf ihr lastete und die Stimmung um sie herum nicht unbedingt locker flockig gemacht hat. Manchmal reagiert man als Leser dann ja ein wenig genervt, fragt sich, wann sie endlich mal wieder besser drauf ist und was eigentlich ihr Problem ist. Nicht so bei Avery – von Anfang an versteht die Autorin es, uns Avery als eine Person vorzustellen, die man erst einmal so hinnimmt und ganz langsam versucht, herauszufinden, was bei ihr los ist.
Die erste Zeit in der Mulberry Mansion ist dann auch die, in der man hauptsächlich etwas über Avery, ihre Mitbewohner und deren Leben lernt. Was die Liebesgeschichte angeht, so hüllt sich die Geschichte hier noch ein wenig in schweigen. Als Leser tappt man so lange im Dunkeln, aber das hat mich hier nicht wesentlich gestört. Immerhin gab es da Eden, den es einzufangen galt.
Eden ist anfangs ein bloßer Schatten im Haus, genauso wie für den Leser, bleibt er auch den anderen Mitbewohnern ein Rätsel. Er ist schweigsam, zieht sich aus allem raus und scheint unheimlich viel mit sich selbst auszumachen. Avery weiß mehr, aber dann auch wieder nicht, denn Eden hat sich verändert und lebt hier ein anderes Leben. So versucht man zusammen mit ihr an Eden heranzukommen und ihn zu verstehen und kennenzulernen. Und das ist nicht leicht. Der ganze Prozess ist zieht sich über viele Seiten und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, zwischendurch hätte ich nicht gerne die ein oder andere Seite übersprungen. Gleichzeitig aber wurde man als Leser auch immer wieder mit tollen Momenten gefüttert. Momente, in denen Avery sich öffnet, in denen sie ihre Mitbewohner besser kennenlernt, in denen auch Eden ein klein wenig verständlicher wird und Momente, in denen wir in die Vergangenheit abtauchen. Und diese Tauchgänge sind als Analepsen immer sehr gut eingefügt. Immer, wenn gerade eine Schlüsselszene auftaucht oder wir als Leser den Schubs benötigen, den Avery ja schon weiß, fügt sich eine Analepse ein. Das sind immer nur kurze Kapitel, die immer wahnsinnig gut für das Verständnis der Situation waren und nicht unbedingt chronologisch abgespult wurden. Das Highlight war dann für mich, als Eden gegen Ende des Buches auch aus seiner Perspektive erzählt und somit auch die Rückblicke aus seiner Perspektive weitererzählten, wo Avery es nicht mehr mitbekommen hat. Mega spannend und gut gemacht. Ich war selten so happy, ein „Damals“ zu lesen wie hier. Normalerweise nerven mich solche Rückblicke nämlich oft, weil sie einfach nur die Gegenwart unterbrechen und eigentlich auch gar keinen Einfluss mehr auf die Gegenwart nehmen. Hier aber war das nicht so, denn Avery und Eden haben sich in diesem „Damals“ das letzte Mal gesehen und in dieser Zeit ist unheimlich viel passiert, was sie heute noch prägt und was nicht einfach nur Vergangenheit ist. Man braucht es also sowieso, um die Charaktere zu verstehen. Eine kluge Lösung also, um die Vergangenheit dem Leser mitzuteilen, ohne die Protagonisten seitenlang erzählen zu lassen.
Ganz gleich, wie viel Dunkelheit und Schwere in unseren Leben existierte, völlig egal, wie viel Raum wir dem gaben, indem wir darüber sprachen, es würde nie etwas daran ändern, wie hell und echt und gut der Rest zwischen uns war.
NO LONGER YOURS – MERIT NIEMEITZ
So, jetzt aber zu den Charakteren an sich. Avery mochte ich sehr gerne, weil sie einerseits sehr verschlossen ist, anderseits aber irgendwo auch genau weiß, was sie will und wo sie ihre Grenzen zieht. Sie ist sehr direkt in ihrem Tun und kann sich auch anderen gegenüber mit Worten behaupten, ohne fies zu werden. Das ist für mich immer eine Begabung, die ich bewundere. Das Schwere an ihr beeinflusst sowohl ihre Vorstellung von der Zukunft als auch ihre Gegenwart. Sie hat mit Problemen zu kämpfen, die ihr anfangs nicht alle bewusst sind, die ihr im Laufe der Geschichte jedoch bewusst werden und die sie in ihrem Entwicklungsprozess auch angeht. Das fand ich sehr gut gemacht. Ich konnte alles nachempfinden, habe Avery selbst verstanden und ihre Handlungen passten zu dem, was sie innerlich in sich verankert hatte.
Das Besondere an ihr ist wohl, dass sie seit dem „Damals“ keine großen Fortschritte gemacht hat, weil Eden es war, dem sie viel aufgebürdet hat. Auch das wird problematisiert und von ihr reflektiert und das auf sehr schöne Art und Weise. Man merkt ihr nach und nach an, wie sie ihre Stärke wiederfindet und erkennt, das der Prozess, in dem sie steckt, aus ihr selbst heraus seinen Anfang finden muss und das die Menschen um sie herum nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, wie sie damit umgeht.
Wenn ich Menschen erstmals traf, sagte ich meistens entweder gar nichts oder irgendwie das Falsche. Lexi meinte oft, mir würde ein Filter im Kopf fehlen, der dafür sorgte, dass die Ehrlichkeit sich der Höflichkeit unterordnete, wie es sich gehört hätte.
NO LONGER YOURS – MERIT NIEMEITZ
Eden ist verschlossener als Avery. Er trägt so gut wie nichts nach außen, weshalb man auch erst sehr spät offenbart bekommt, was ihn so belastet. Interessant an seiner Figur ist, dass er sich lange Zeit sehr für Avery verbiegt bzw. sich ihren Bedürfnissen anpasst. Erst, als Avery also in ihrem Prozess weiter voranschreitet, erlaubt sie Eden sozusagen aus dem von ihr gemalten Bild von ihm herauszutreten und seine Verletzlichkeit zu zeigen. Ich weiß nicht, ob das so vage für euch deutlich wird, aber ich möchte nicht spoilern und trotzdem meine Bewunderung dafür kundtun, dass diese beiden Figuren hier mit ihren Problemen wunderbar ineinandergreifen. Die Autorin hat es geschafft, dass die beiden einerseits ganz allein für ihr Glück verantwortlich sind und sie andererseits aber als Paar Erwartungen abändern und Formen ablegen müssen.
Deutlich wird diese besondere Synthese der beiden als Paar durch ihr Alles. Für Eden und Avery gibt es immer nur ein Alles. Nichts halbes, nichts Ganzes, die beiden wollen füreinander da sein und das wird bis zum Ende zu einem Motiv, das letztlich wunderschön vollendet wird. Ich war dementsprechend sehr happy mit dem Ende, bei dem nochmal so deutlich wurde, wie tiefgreifend und vielschichtig diese beiden Charaktere gestaltet wurden.
Tja, das war eigentlich schon alles, was ich zu dieser schönen Geschichte zu sagen habe. Vielleicht kann ich noch sagen, dass ich mich als Germanistin und Buchliebhaberin unheimlich an Eden erfreut habe. Es sind immer wieder so schöne Szenen zu ihm und seiner Buchliebe eingeflochten. Zu gerne würde ich zum Beispiel seiner Hörbuchstimme lauschen und das Immernachtstraum besuchen.
Und dann sind da natürlich noch die Bewohner der Mulberry Mansion, die unheimlich liebenswürdig sind. Das Huhn würde ich gerne mal kuscheln, Maxton drücken, mit May Muffins backen, mit Willow tanzen gehen und ach, einfach mal auf einen Kaffee vorbeischauen. Allein das zeigt glaube ich schon, dass alle einen wunderbar fassbaren Charakter bekommen haben und das finde ich immer super schön bei Nebenprotagonisten.
Und weil ich gerade so im Fluss bin, führe ich jetzt einfach mal ein kleines Anhängsel an meine Rezensionen an:
Drei Gründe, warum du dieses Buch lesen solltest:
1. Du möchtest eine Liebesgeschichte lesen, die nicht nur aus Küssen, sondern aus ungesagten Worten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und den tiefsten Emotionen besteht.
2. Du möchtest in die Mulberry Mansion reisen. Eine alte Villa, ungezähmt und wunderschön, deren Bewohner alle auf ihre Art Einzigartig sind und dich mit ihrer Herzlichkeit willkommen heißen.
3. Du möchtest von echten, authentischen Problemen lesen, die manchmal nicht schön sind und leider auch triggern, die aber bewältigt werden müssen und dich deshalb nicht nur mitfiebern, sondern auch mitleiden lassen.
Fazit:
Eine Geschichte, die langsam Fahrt aufnimmt, dabei aber tiefemotional ist. Die Autorin schreibt wunderschön, weiß, Gewicht in ihre Worte zu legen und hat hier zwei Protagonisten geschaffen, die unheimlich vielschichtig sind. Die Thematik ist nicht leicht, aber sehr gut ausgearbeitet und vor der Kulisse der Mulberry Mansion fühlt man sich als Leser dann doch die meiste Zeit einfach nur wohl.
PS: Ich freue mich unheimlich auf Willow und Maxton!
4 von 5 Sterne von mir.