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Veröffentlicht am 15.09.2016

Tagebuch eines Doppelmörders

1888
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Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, um dieses Buch korrekt zu beschreiben, so, dass es der Geschichte gerecht wird. Das Werk, das auf dem Cover als „Thriller“ ausgewiesen ist, ist zwar teilweise ...

Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, um dieses Buch korrekt zu beschreiben, so, dass es der Geschichte gerecht wird. Das Werk, das auf dem Cover als „Thriller“ ausgewiesen ist, ist zwar teilweise einer, aber einer, der so sehr darüber hinausgeht, dass man fast nicht glauben kann, dass so viel in nur diesem einen Buch Platz hat.
Wenn die Handlung nicht gerade ein Thriller ist, dann ist sie ein Krimi mit viel historischem Einschlag, wie auch der Titel vermuten lässt. Ein Teil der Geschichte spielt 1888, der andere 1923/24. Schauplätze sind London und Wien, der Protagonist ist George, ein deutscher Kriegsveteran, den es nach London verschlagen hat. Er lässt die Leute im Glauben, er sei aus der Schweiz und rechtfertigt damit seinen Akzent. Um seine deutschen Wurzeln noch besser zu verschleiern, bevorzugt er auch die englische Aussprache seines Namens.
George bekommt ein Paket zugestellt, das ihn und seine neue Existenz zusammen mit den wenigen Kontakten, die geknüpft hat, vor eine wichtige Entscheidung stellt. Aufgrund der Tagebücher und Notizen, die er von seinem Freund Richard geschickt bekommt, beschließt er, dessen Geschichte und Erlebnisse niederzuschreiben. Und die haben es in sich: Richard, Arzt, wird verdächtigt, in Wien eine Prostituierte und einen Arztkollegen ermordet zu haben. Er sitzt im Gefängnis und wartet auf die Vollstreckung seines Todesurteils. Währenddessen schreibt er all seine Erinnerungen nieder.
George, vom Krieg körperlich und seelisch gezeichnet, beschließt, nach Wien zu fahren, als er nicht mehr weiterkommt und dort an seinem Buch, wie er es mittlerweile nennt, weiterzuschreiben. Er verstrickt sich immer mehr in die Vergangenheit, die mörderischen Geschehnisse von 1888 und den Geheimnissen, die die österreichische Hauptstadt verbirgt. Vielmehr sind es ihre Bewohner und von diesen jene, die damals in die Sache verstrickt waren, die George zu schaffen machen.
Begünstigt durch seine eigenen Vergangenheit, die schwierigen Nachforschungen und den ausschweifenden Konsum von Tabak, Alkohol, Morphium und anderen Substanzen, verliert George immer wieder die Kontrolle. Nicht nur über sich, sondern über Richards Geschichte, die fast zu seiner eigenen zu werden droht, sehr viel Platz einnimmt.
Der Autor lässt die Abschnitte der Geschichte immer zwischen der Gegenwart Georges und der Vergangenheit hin- und herpendeln und erzeugt mit einem gelungenen Wechsel zwischen längeren und kürzeren Einblicken in das jeweilige Geschehen einen ganz eigenen Sog, der den Leser durch das Buch zieht. Fast nebenbei bemerkt der Leser die viele akkurate Recherchearbeit und wird von der so speziellen, herausragenden Art der Formulierung in einen Bann gezogen. Die Geschichte bietet sehr viele lose Fäden und wirft Fragen auf. Nicht alles wird aufgeklärt, vieles überlässt der Autor dem Leser, der selbst Zusammenhänge herstellen kann und oft über das Warum grübeln darf. Ob die eigenen Vermutungen denn stimmen, bekommt man nicht immer zweifelsfrei beantwortet. Das wirkt teilweise unbefriedigend, weil es (in diesem Ausmaß) doch sehr unüblich ist. Es lässt aber die Möglichkeit offen, dass verschiedenen Leser mit leicht abweichenden Theorien gegen Ende trotzdem alle recht behalten können. Das ist zwar ungewöhnlich, passt aber wiederum exakt zu diesem ungewöhnlichen Leseerlebnis.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannung mit norwegischer Mystik

Kalt wie Nordlicht
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In einem alten Haus im rauen Norden Norwegens werden Polizistin Kari und Psychologe Arne, durch ein Sturmtief abgeschnitten von jeglicher Unterstützung, unfreiwillig zu Hauptermittlern in einem brutalen ...

In einem alten Haus im rauen Norden Norwegens werden Polizistin Kari und Psychologe Arne, durch ein Sturmtief abgeschnitten von jeglicher Unterstützung, unfreiwillig zu Hauptermittlern in einem brutalen Mordfall. Sie sind nicht alleine: sieben weiter Personen sind mit ihnen eingesperrt, im Haus, das Akka, einer alten Sami-Frau gehörte, anlässlich deren Todes sie nun alle beisammen sitzen.
Vor der malerischen wie gefährlichen Winterkulisse Norwegens, die der selbst in Norwegen lebende deutsche Autor so treffend und eindringlich beschreibt, wachsen die Beteiligten an der Situation über sich hinaus und sollen nebenher noch ihre eigenen Probleme lösen.
Kari und Arne leiden noch deutlich an Nachwirkungen ihres traumatisierenden, ersten gemeinsamen Falles („Arne Eriksen ermittelt“). Arne unter Panikattacken und Albträumen, Kari ertränkt die Erinnerung in Alkohol und entwickelt sich unter der Last der Verantwortung dieses Falles zur leicht aufbrausenden, impulsiven 24-Stunden-Polizistin.
Der Prolog entführt den Leser in das Jahr 1993 und auch hier wird jemand nicht mehr lange zu leben haben. Doch erst im Lauf der aktuellen Geschichte offenbar sich, welch düsteren Zusammenhang die Ereignisse von damals mit heute haben und welche Gefahr davon ausgeht. Die durchaus packende, reale Handlung wird vorsichtig mit mystischen Elementen versetzt, die einfach zum Schauplatz passen. Nordnorwegen im eisigen Winter, wo die Sami ihre Heimat haben, von der sie großteils vertrieben wurden und wo es fast so viele Glaubensarten und -praktiken gibt, wie es (Baum-)Stämme gibt. Rational ist vieles nicht erklärbar, aber lässt man sich ganz auf die Beschreibungen ein, kann man schon eher verstehen, was die Menschen hoch oben am Polarkreis, unter dem Nordlicht, das das Firmament, zu ihren Anschauungen gebracht hat.
Dieser mystischen Aura, die das Buch an manchen Stellen ausstrahlt, stehen dann auch wieder sehr banale, zutiefst menschlich berührende Szenen gegenüber. Als alle noch gesund und munter sind und die Trauergemeinschaft in Akkas Zelt am Feuer sitzt und Erinnerungen an die alte Frau untereinander teilt, sitzt man als Leser mittendrin und kann sich nicht vorstellen, dass diese Idylle so jäh unterbrochen wird.
Geht denn trotzdem alles gut aus? Ja und Nein. Nur eines ist sicher, der letzte Wunsch der Sami-Frau wird erfüllt und ihre Asche schwimmt wohl noch heute mit den Meereswellen der Polarregion.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Packend, aktuell und gleichzeitig historisch

Die dunkle Talion
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Wer gerne mitreißende Thriller liest, die historischen und (immer noch) aktuellen Bezug haben und noch so ganz nebenbei eindringlich Gesellschaftskritik über, ist hier genau richtig. Die Geschichte springt ...

Wer gerne mitreißende Thriller liest, die historischen und (immer noch) aktuellen Bezug haben und noch so ganz nebenbei eindringlich Gesellschaftskritik über, ist hier genau richtig. Die Geschichte springt zwischen Pierre Larut und Karim, den zwei Hauptakteuren, hin und her. Beide, der Polizist im Ruhestand und der Algerier, der sich als Taschendieb durchschlägt, werden von höheren Mächten getrieben und ausgenutzt. Welche Verbindungen es gibt und wem sie vertrauen können und wer sie hinters Licht führt, merken sie erst nach und nach.
Eine Hetzjagd beginnt. Hat die Anschlagsserie in Marseille etwas zu tun mit dem toten Anwalt, der hingerichtet in einer Grube im Dorf Saint-Lemis gefunden wird? Ausgerechnet dort, wo Pierre Larut bis vor einiger Zeit noch hauptberuflich ermittelt hat. Er stellt schnell einen Zusammenhang zu einem sehr ähnlichen Fall vor zwölf Jahren her. Wurden beide Männer mit der selben Waffe ermordet? Eigentlich unmöglich, doch Larut lässt nicht locker und stöbert in Marseille Unterstützung in Form von Émile Revian, ebenfalls Polizist, auf.
Die beide decken auf, wie sehr Frankreich immer noch an den Folgen des Algerienkriegs zu knabbern hat und suchen nach einer ominösen Liste, auf der Personen des OAS (Organisation de l’Armée Secrète) notiert sein sollen. Nur diese können ihnen helfen, den Fall von vor zwölf Jahren zu lösen, soll diese Liste doch damals für den Ermordeten das Todesurteil und für Laruts Ex-Kollegen Ranfort das Gefängnis bedeutet haben. Revian und Larut entknoten die Zusammenhänge langsam und kommen damit nicht nur dem Attentäter, sondern auch einem gefährlichen Ende immer näher.
Mit seinem klaren, eindringlichen Schreibstil schafft der Autor eine Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Er verbindet Fiktion und historisch gewachsene Probleme so gekonnt, dass sich jegliche Ereignisse echt und beklemmend anfühlen. Und um diesen Thriller zu genießen, muss man kein Historiker sein, einen kleinen Überblick erhält man im Laufe der Lektüre und am Ende des Buches findet sich ein Register mit den wichtigsten Begriffen und Abkürzungen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Thriller im Romanpelz

Blume des Bösen
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Obwohl es von der Seitenzahl her nicht mit Romanen von Elizabeth George mithalten kann, bringt der Autor in seinem Buch gefühlt ebenso viel unter. Zwar weiß man, dass viel drin ist, aber die Geschichte ...

Obwohl es von der Seitenzahl her nicht mit Romanen von Elizabeth George mithalten kann, bringt der Autor in seinem Buch gefühlt ebenso viel unter. Zwar weiß man, dass viel drin ist, aber die Geschichte ist so geschrieben, dass es beim Lesen nicht überfordert oder verwirrt.
Die Stirn runzeln muss man bei diesem Roman nur dann, wenn wieder neue unbekannte Zusammenhänge auftauchen oder angedeutet werden. Genauso wie Hans, der Protagonist, bleibt man aber auch als Leser im Dunkeln und kommt selbst ins Grübeln, ob das, was der Berliner als nächstes vorhat, denn so ratsam wäre. Mit ihm, auf der Suche nach der Sängerin Laura, durchlebt man eine Reise, die von West-Berlin nach Südamerika und dort von Argentinien bis nach Chile führt. Was als harmlose Suche beginnt, wird schleichend zu einer nervenaufreibenden Hetzjagd und mehrfachen Versuchen, vor der südamerikanischen Mafia zu fliehen. Ein Thriller im Romanpelz sozusagen.
Schon bevor es richtig eng wird, macht sich beim Leser ein gewisser Verfolgungswahn breit, da man ja selbst keine Hintergründe erfährt. Man versucht, die Seilschaften nachzuvollziehen und ist allmählich, wie Hans, selbst bei jeder neuen Erwähnung einer Person, überzeugt, dass diese schon vorher in der Geschichte eine Rolle gespielt hat. Kann das sein? Deutschland liegt doch so weit entfernt?
Man hofft natürlich, dass es für die gute Seite auch gut ausgeht und ein Happy End ist nicht ausgeschlossen. Immerhin, die Gerechtigkeit schlägt zurück. Trotzdem schafft es der Roman, den Leser mit einem eigenartigen Gefühl zurückzulassen und er regt auch an, noch einmal über die Geschichte nachzugrübeln. Wenn ich Hans wäre, was hätte ich anders gemacht?
Diese Geschichte um besondere Umstände und persönliche Schicksale wird noch eindrucksvoll umrahmt von der sehr lebensnahen und akkuraten Beschreibung der Natur, der Schauplätze, Städte, Straßen, Stimmung und beteiligten Personen. Man wird das Gefühl nicht los, als hätte der Autor schon an all diesen Orten gelebt und mindestens so viele Freundschaften geschlossen wie der "alte Pianist".

Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannend und stimmig

Sterbegeld
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Spannend und stimmig sind zwei Worte, die dieses Buch meiner Meinung nach ziemlich gut beschreiben. Die Autorin hat hier zweifellos sehr vieles richtig gemacht.
Jeder Abschnitt wird generalstabsmäßig und ...

Spannend und stimmig sind zwei Worte, die dieses Buch meiner Meinung nach ziemlich gut beschreiben. Die Autorin hat hier zweifellos sehr vieles richtig gemacht.
Jeder Abschnitt wird generalstabsmäßig und in Anlehnung an ein Polizeiprotokoll mit Ort, Datum und Uhrzeit eingeleitet, was verhindert, dass der Leser durch schnelle Ortswechsel verwirrt wird. Man fühlt sich beim Lesen immer an der richtigen Stelle abgeholt und an den Ermittlungen beteiligt.
Auch wenn die Hauptermittlung alleine spannend aufgebaut ist und man wohl auch damit ein Buch hätte füllen können, fügen sich diverse Nebenschauplätze logisch und stimmig ein. Es sind zwar einige, aber grade nicht zu viel, um zu nerven oder zu verwirren.
Die handelnden Personen sind glaubhaft und es ist alles vertreten, von den Alphatieren bis zu den eher unauffälligen Kollegen, die aber dann zum entscheidenden Augenblick das Zünglein an der Waage sein können. Zwei Frauen, Emilia und Zhou, als Ermittlerduo, gefallen mir sehr und sie ergänzen sich gut und wachsen durch die ihnen übertragene Aufgabe zusammen. Ganz wie „im normalen Leben“ auch. Dass sie in den eigenen Reihen einen Verräter, einen Maulwurf ausfindig machen sollen, wird zwischenzeitlich die Hauptstory und man vergisst über diese schwierigen Momente (eine haarige Polizeiaktion inklusive), dass der Fall einer toten Familie neu aufgerollt und nach neuen Beweisen gesucht wird. Ist denn nun der inhaftierte Mann doch nicht der Täter?
Auch wenn der Spannungsbogen der Geschichte nicht immer greifbar ist und im Vordergrund steht, ist eine gewisse Neugier und Vorahnung beim Lesen immer präsent. Die Ermittlerinnen kommen zwar lange Zeit nicht so weiter, wie sie sich das erhoffen, dennoch passiert immer etwas, sodass man immer auf alle möglichen Details achten sollte, wenn man selbst mitermitteln möchte. Dazu kommen die verschiedenen Stimmungen, die die Autorin immer wieder beschreibt, die den Leser packen und das Bild der Szenen vor dem geistigen Auge vervollständigen. Manche Nebenschauplätze werden so vorsichtig eingesetzt, dass sie entweder gar nicht so wichtig wirken, wie sie sind, oder dass man bei der nächsten Erwähnung die angesprochene Person schon wieder vergessen hat. Aber auch das gehört zum Kalkül der Autorin, die nichts dem Zufall überlässt und einen überzeugenden messerscharfen Kriminalroman kreiert hat.
Dies ist Band drei der Reihe mit Emilia und Zhou. Es stört aber nicht, wenn man die anderen nicht kennt. Ab und an wird zwar etwas aus der Vergangenheit angesprochen, aber es hat keine unmittelbare Auswirkung auf die aktuellen Fälle.
Was ich noch gerne im Buch erfahren hätte, ist, wie der Maulwurf denn zu seinem Auftrag kam und seit wann genau das schon so war, wird doch zu Ende vom Emilia so ziemlich alles infrage gestellt, was sie zuvor mit demjenigen erlebt hat. Auch, wie es dazu kam, dass die Polizeiaktion vereitelt wurde, wird nicht restlos aufgeklärt.
Was es mit dem Cover, das ich grundsätzlich in sich stimmig finde, auf sich hat, fand ich durch die Geschichte allerdings leider nicht heraus.