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Veröffentlicht am 17.02.2023

Nicht die Religion ist böse, sondern die Menschen.

Der Kreis
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Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und ...

Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und religiöse Unruhen ihr Land bedrohen, in dem sie als Jesiden in der Minderheit wohnen. Von außen drängen die Franzosen und Engländer, dagegen wollen die einen einen religionslosen türkischen Staat errichten, die anderen fürchten um ihren Einfluss als religiöse Führer muslimischer Sekten. Ventil für Aggression und Zukunftsangst sind die religiösen Minderheiten. Aziza selbst wird von einem Sektenführer entführt, der viele Frauen in seine Dienste zu Prostituierten und gedungenen Mörderinnen zwingt. Doch mit Aziza hat er großes vor, hat sie doch Gaben, die ihm nutzbar sein könnten in seiner Taktiererei mit den Anführern der türkischen Bewegung und den äußeren Feinden aus Frankreich…
Der Roman beginnt als großer Abenteuerroman, spannend, atmosphärisch wie ein Hollywood-Blockbuster. Der Mittelteil dagegen entwickelt sich eher zäh. Die Romanhandlung weist einige logische Schwächen bzw. Sprünge auf. Historische und religiöse Hintergründe bleiben sehr allgemein und vage. Die Figuren sind eher statisch und holzschnitthaft. Jeder scheint nur nach seinem Vorteil zu trachten, um Ideale oder auch um Glauben geht es wenig. Religion dient nur der Stabilisierung oder Vergrößerung des eignen Einflusses, als politisches Instrument oder als reine Überlebensstrategie, wenn man an die konvertierten Jesiden denkt. Einzig die Frauen im Dienste des Sektenführers erscheinen als religiöse Fanatikerinnen, die im Namen der Religion ihren Körper verkaufen und hinterhältige Mordanschläge ausführen im Glauben an das Gute der Sache. Der Sektenführer selber ist ein bösartiger, berechnender, abstoßender Fettsack, der keine Werte kennt, nur den eigenen Vorteil. Aziza könnte da ein großes Gegenbild sein, aber ihre Figur gerät im Mittelteil sehr in den Hintergrund. Sie wiederholt lediglich immer an ihrem Glauben festhalten zu wollen, trotz aller gegenteiligen Erfahrung. Woher sie diese Stärke im Glauben nimmt, ist mir nicht wirklich deutlich geworden. Ihre Visionen sind mir allerdings auch zu fremd, um mich dort einfühlen zu können.
Der Schlussteil versöhnt wieder mit dem Buch. Hier schildert der Autor, was ich mir eigentlich mehr von dem Buch erwartet hätte: das Leben der Heilerin Aziza als religiöser Außenseiterin. Trotz aller Mühsal ihres Lebens – oder wegen? - hat die Schilderung ihres Todes am Ende etwas Befreiendes und Hoffnungsvolles.
Das Buch zeigt deutlich, wie der Mensch Religion zu seinem Zweck aufs Schändlichste missbraucht. Deutlicher hätte für mich werden können, dass dies im Wesen des Menschen begründet liegt, nicht in der Religion. Dazu wäre es für den Laien hilfreich gewesen, mehr über die politischen, historischen und religiösen Zusammenhänge – insbesondere auch über die Jesiden und die vielen im Buch nur genannten religiösen Gruppierungen – zu erfahren.

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Veröffentlicht am 17.10.2022

Eine lustige Weihnachtsgeschichte

Ein Alman feiert selten allein
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Elif ist Tochter einer türkischer Gastarbeiterfamilie. In diesem Jahr lernt sie die Eltern ihres deutschen Freundes Jonas kennen. Und das ausgerechnet zu Weihnachten. Werden ihr dabei ihre Weihnachtserfahrungen ...

Elif ist Tochter einer türkischer Gastarbeiterfamilie. In diesem Jahr lernt sie die Eltern ihres deutschen Freundes Jonas kennen. Und das ausgerechnet zu Weihnachten. Werden ihr dabei ihre Weihnachtserfahrungen aus ihrer eigenen Familie, die sich bemüht hat, ihren Töchtern Weihnachten vergleichbar dem ihrer deutschen Mitschülerinnen zu ermöglichen, dabei helfen können, diese Probe zu bestehen?
Weihnachtlicher Hype ist ja immer eine Satire wert. So wird auch hier das Notstands-Gebaren der Familie zu Weihnachten genüsslich auf die Schippe genommen. Dabei aus der Perspektive einer Nicht-Christin zu schreiben, macht diese Weihnachtsparodie besonders reizvoll und originell. Dabei klingen durchaus auch ernste Töne an über Clash of Cultures, Assimilation und Vorurteile. Allerdings hoffe ich doch, dass Fragen und Phrasen: „Warum esst ihr kein Schweinefleisch?“, „Bei uns Deutschen wird das aber so gemacht.“ oder „Wieso bist du überhaupt hier? Ihr feiert ja noch nicht mal Weihnachten!“ sowie ein mit einem Geschirrtuch um den Kopf als Muslima verkleideter Labrador zu den übertriebenen Klischees gehören und nicht in eine durchschnittlich aufgeklärte und halbwegs weltoffene Familie. Oder zumindest mit dem gleichen Augenzwinkern gemeint sind wie die vielen Stereotypen über deutsche Gründlichkeit, Ordnungsliebe oder Gemütlichkeit, die die Protagonistin/Autorin von sich gibt.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Zwei ungleiche Brüder

Zwischen Brüdern
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Als der Erzähler nach seiner Kriegsgefangenschaft in Folge des 1. Weltkrieges ins Nachkriegswien zurückkehrt, trifft er dort auf seinen jüngeren Bruder Hans. Dieser hat die Gabe trotz allen persönlichen ...

Als der Erzähler nach seiner Kriegsgefangenschaft in Folge des 1. Weltkrieges ins Nachkriegswien zurückkehrt, trifft er dort auf seinen jüngeren Bruder Hans. Dieser hat die Gabe trotz allen persönlichen und geschichtlichen Widrigkeiten immer wieder das Schöne in der Welt zu sehen. Das Schöne ist für ihn die neue Ästhetik des Kunsthandwerks, wie sie z. B. vom Bauhaus definiert wird. Aus den Augen des Erzählers, Lehrer für Geographie und Turnen, eher bodenständig, realistisch und „enervierend bescheiden“, entfaltet sich das Leben des Schöngeistes und Lebenskünstlers Hans, der in den stürmischen Zeiten zwischen Nachkriegsjahren und Kriegsjahren des 2. Weltkriegs, immer wieder in ganz persönliche Krisen schlittert und immer wieder ein neues Leben beginnt oder beginnen muss. Im Stil der Literatur der Neuen Sachlichkeit beschreibt der Erzähler das schillernde Leben in der Metropole Wien in seinen Höhen und Tiefen, die verschiedenen Stile der damaligen Baukunst, das rote Wien und darin die persönlichen Schicksale seiner Familie und Freunde sehr anschaulich und packend. Sein Verhältnis zu seinem Bruder ist geprägt von Bewunderung, aber auch Unverständnis für dessen egoistische Eskapaden, die auch vor der eigenen Tochter nicht Halt machen. Schade dabei ist nur, dass er, obwohl er ja der Erzähler ist, nicht so viel über sich erzählt. Es mag seiner „enervierenden Bescheidenheit“, wie der Bruder Hans einmal sagt, geschuldet sein, dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt. Ein leises, bescheidenes Buch über eine laute, schillernde Zeit. Genauso so schnörkellos wie die Bauhauskunst, um der reinen Kunst zur Form zu verhelfen.

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Veröffentlicht am 05.10.2022

Scönheit als Schild gegen das lauernde Dunkle

Drei Tage im August
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Drei Tage im August 1936 in Berlin Unter den Linde. Die Stadt wiegt sich während der Olympischen Spiele in trügerischer Sicherheit vor dem Aufstieg der Nazis und damit dem Untergang des Deutschen Reiches. ...

Drei Tage im August 1936 in Berlin Unter den Linde. Die Stadt wiegt sich während der Olympischen Spiele in trügerischer Sicherheit vor dem Aufstieg der Nazis und damit dem Untergang des Deutschen Reiches. Allerdings nehmen die Ladenbetreiber Unter den Linden die seltsam bedrohliche Atmosphäre bereits deutlich wahr. Sei es in Gestalt eines schwarzen Tieres, das die Protagonistin Elfie als Sinnbild ihrer Schwermut auf Schritt und Tritt folgt. Mühsam versucht sie ihren Alltag als Angestellte der Chocolaterie Sawade aufrecht zu erhalten. Sei es in Form der existentiellen Bedrohung des Buchhändlers Franz Marcus, dem die Nazis mit Schließung der Buchhandlung drohen und der an Flucht denkt, bevor er gänzlich in der Falle sitzt. Oder in Form des Todes, der die alte Madame Comte über der Chocolaterie bedroht. Alle versuchen der drohenden Dunkelheit mit Hilfe der Schönheit zu trotzen, der Schönheit der Schokoladen und ihrer Verpackungen, der Schönheit der Bücher und der Schönheit der Erinnerungen an das gelebte Leben. Darin verwebt sich das Schicksal der Haupt- und Nebendarsteller Unter den Linden auf sehr gefühlvoll-melancholische Weise. In bedächtigen und leiden Worten schafft die Autorin ein stark atmosphärisches Bild der Allee in diesen drei Tagen im August und setzt damit selbst das Schöne gegen das Böse. Wer spannungsreiche Handlung sucht und große Geschichten, der ist hier schlecht beraten. Wer sich in die komplexen Gefühlswelten, die ein wenig mantrahaft stets von Neuem heraufbeschworen werden, begeben will, findet hier einen „ausnehmen schöne[n] Roman, voll zarter Sinnlichkeit und besonderen Figuren“, wie es der Klappentext verspricht.

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Veröffentlicht am 15.09.2022

In der Mausefalle

Die Wagemutige
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In dem Roman „Die Wagemutige“ geht es um Lisa Fittko, die schon bei Machtergreifung der Nazis 1933 in den Widerstand geht und damit in der Illegalität lebt. Die Handlung setzt ein in dem Internierungslager ...

In dem Roman „Die Wagemutige“ geht es um Lisa Fittko, die schon bei Machtergreifung der Nazis 1933 in den Widerstand geht und damit in der Illegalität lebt. Die Handlung setzt ein in dem Internierungslager Gurs in Frankreich, in das Lisa 1940 wie alle deutschen Frauen muss, nachdem die Deutschen in Frankreich einmarschiert sind. Als sie von dort fliehen kann und nach Marseille kommt, ist sie eine der vielen Flüchtlinge, die sich von dort die Rettung vor den Nazis über das Meer nach Amerika erhoffen. Ihre Lage spitzt sich dramatisch zu, als der noch nicht besetzte südliche Teil Frankreichs mit den Deutschen ein Abkommen eingeht, die deutschen Flüchtlinge an die Nazis auszuliefern. Daraufhin macht Lisa sich auf die Suche nach einem Schlupfloch aus der Mausefalle für sich und ihre Familie, aber zunächst einmal auch für viele andere, die auf Flucht vor den Nazis sind, Schriftsteller, Intellektuelle, Politiker, Andersdenkende, Juden …
Der erste Teil im Lager Gurs und auf der Flucht lies sich so, wie die Protagonisten sich fühlen: wie ein absurdes Theaterstück. Das Leben der Betroffenen lässt sich weder mit dem Verstand noch emotional wirklich fassen und begreifen. Fassungslos liest der Leser, in welcher Situation sich diese vielen Frauen, die glaubten, in Frankreich vor den Nazis sicher zu sein, und nun von den Franzosen als Deutsche unter widrigsten Uimständen interniert werden, befinden. Ein schwer ertäglich zu lesender Einstieg.
Spannung und Dramatik nehmen zu, als Lisa sich aufmacht, Fluchtrouten aus Frankreich zu erkunden. Dies zieht den Leser in einen Sog, sie und den ihr Anvertrauten auf ihren verwegenen Pfaden atemlos zu folgen, wo sie nicht nur durch Gendarmerie, sondern auch durch feindlich gesinnte Zivilisten und durch die Tücken der Natur immer wieder in Gefahren geraten.
In diesem Teil rückt mir persönlich die Hauptakteurin auch ein stückweit näher. Die Autorin selbst erklärt im Nachwort, sie habe Lisa Fittko, die in ihrer Autobiographie das Persönliche und Emotionale weggelassen habe, eben dieses in ihrem Roman wiedergeben wollen, indem sie versucht habe, ihre Gedanken, Wünsche und Emotionen nachzufühlen. Das ist sicherlich eine schwieriges Unterfangen. Und gerade anfänglich bin ich nicht sehr warm geworden mit dieser Figur, weil sie für mich nicht zu einer Person wurde, sondern zu einer Frau, die eine Rolle übernimmt. Aber dessen ungeachtet ist dies insgesamt ein auf jeden Falls lesenswerter Roman über die Zeit des Exils in Frankreich, kommen doch viele bekannte historische Persönlichkeiten vor, deren Schicksal anrührt, und viele historische Tatsachen, aber auch über eine wagemutige Frau, die Großes geleistet hat, aber ganz unverdientermaßen in Vergessenheit geraten ist. Auch in dieser Hinsicht ist dies ein wichtiges Buch!

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