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Veröffentlicht am 15.10.2022

Eine Familiengeschichte

Gut Erlensee - Margaretas Traum
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Die angenehme Stimme der Sprecherin hat mich ins Jahr 1919 zurückgebeamt - ich bin gut angekommen auf Gut Erlensee bei der Familie Lamprecht. Während des Krieges führt Margareta, die Tochter des Hauses, ...

Die angenehme Stimme der Sprecherin hat mich ins Jahr 1919 zurückgebeamt - ich bin gut angekommen auf Gut Erlensee bei der Familie Lamprecht. Während des Krieges führt Margareta, die Tochter des Hauses, zusammen mit ihrer Schwester Marilla und ihrer Großmutter Ilsegard die familieneigene Druckerei. Nun werden sie hier nicht mehr gebraucht, Vater Hermann kümmert sich wieder selbst darum. Der schwer traumatisiert aus dem Krieg heimgekehrte Gregor ist der einzige Sohn, er ist eher den Pferden zugetan, mit der Firma will er nichts zu tun haben. Der Druckerei droht die Insolvenz, sollte nichts schleunigst ein Geldgeber aufgetrieben werden. Greta ist im heiratsfähigen Alter und so ist es aus Hermanns Sicht nur recht und billig, seine Tochter dem vermögenden Spross derer von Weidental anzudienen. Mutter Adelheid sieht dies ähnlich.

Die Lamprechts haben mich prächtig unterhalten. Hermann in seiner ungehobelten Art brachte mich bald gegen sich auf, er war ein Vertreter seiner Zeit. Egal ob in der Familie oder in der Druckerei – sein Wort galt. Die Kinder hatten sich zu fügen, eine Tochter musste standesgemäß vermählt werden. Ein Musiklehrer oder ein verarmter Graf als Heiratskandidat – das geht gar nicht!

Es brechen neue Zeiten an, die Frauen dürfen wählen, der Arbeiterrat stellt Forderungen von wegen Arbeitsschutz, verkürzten Arbeitszeiten und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auch Lohnsteigerungen stehen im Raum.

Die Autorin hat die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gut eingefangen. Die Charaktere waren allesamt authentisch, vom Choleriker bis hin zur aufgeschlossenen Großmutter. Der Mann hatte das uneingeschränkte Sagen, die Frauen hatten sich zu fügen. Liebe und Zuneigung zählte nicht viel, ein solventer Schwiegersohn war allemal besser. Die Spanische Grippe, Drogen und Homosexualität sind ebenfalls Thema, es wird ein weiter Bogen gespannt.

„Gut Erlensee – Margaretas Traum“ ist der erste Band, zwei weitere folgen. Eine Familiensaga.

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Veröffentlicht am 14.10.2022

Informativ, unterhaltsam und grausam zugleich

Der Horror der frühen Chirurgie
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Ein Sachbuch, das zugleich informativ und unterhaltend ist. Nie hätte ich gedacht, mich mit Details aus der plastischen Chirurgie zu befassen. Nicht mal annähernd! Was hab ich damit zu tun, hätte ich mich ...

Ein Sachbuch, das zugleich informativ und unterhaltend ist. Nie hätte ich gedacht, mich mit Details aus der plastischen Chirurgie zu befassen. Nicht mal annähernd! Was hab ich damit zu tun, hätte ich mich gefragt. Kein Thema für mich! Und doch bin ich im Nachhinein froh, dieses Buch gelesen zu haben.

Der Titel erschließt sich mir während des Lesens, ich war entsetzt über die Einzelschicksale, über die entstellten, die teils weggeschossenen Gesichter. Auch das Cover sehe ich jetzt mit anderen Augen, es ist gut gewählt.

Viel habe ich erfahren über die Anfänge der Schönheitschirurgie, obwohl schon sehr viel eher, nicht erst während des Ersten Weltkrieges, sich so einige an die Rekonstruktion eines Gesichtes gewagt haben. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Mit Harold Gillies, von dem ich bis dato nichts wusste, bin ich ganz tief eingetaucht in die Materie. Schon erstaunlich, was dieser Chirurg zustande gebracht hat, wie vielen er nicht nur das Aussehen, sondern auch ihre Würde zurückgegeben hat. Seine Arbeit, sein Werdegang, sein Leben zieht sich durchs Buch, angereichert mit Einzelschicksalen, mit Anekdoten vom Schützengraben bis ins Lazarett. Die Autorin erzählt diese ihre Geschichten sehr einfühlsam und gut lesbar. Des Öfteren musste ich durchatmen, war von der Grausamkeit des Krieges, den fürchterlichen Wunden, zutiefst erschüttert.

Zugegeben, das Buch ist nichts für sanfte Gemüter. Auch wenn die Bilder nur im Kopf entstehen, so kann man diese nicht zurückdrängen. Und ich konnte es nicht sein lassen, mir im Netz Bilder anzusehen. Kein schöner Anblick, aber jeder unnütze Krieg bringt nicht nur Siege oder Niederlagen. Es sind diejenigen, die an die Front müssen, deren Leben danach ein anderes ist.

Die Schönheitschirurgie, wie wir sie heute verstehen, hat ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg. Gillies hat mit seinem unermüdlichen Einsatz den Grundstein gelegt zu all diesen oftmals unnötigen, aber auch segenbringenden Operationen - man denke nur an die vielen Unfallopfer.

„Der Horror der frühen Chirurgie“ ist mein erstes Buch von Lindsey Fitzharris. Faszinierend und grausam zugleich, gut verständlich auch für medizinische Laien geschrieben.

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Veröffentlicht am 09.10.2022

Bittersüße Tage

Kinderklinik Weißensee – Tage des Lichts (Die Kinderärztin 3)
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Sind diese Tage in den Jahren 1929 und 1930 für die Schwestern Emma und Marlene Tage des Lichts? Nicht immer, denn natürlich schleichen sich auch andere, sehr viele bittere Tage dazwischen. Die Weimarer ...

Sind diese Tage in den Jahren 1929 und 1930 für die Schwestern Emma und Marlene Tage des Lichts? Nicht immer, denn natürlich schleichen sich auch andere, sehr viele bittere Tage dazwischen. Die Weimarer Republik neigt sich dem Ende zu, die Nationalsozialisten drängen immer mehr nach vorne. Und mittendrin sind die kleinen Patienten in der Kinderklinik Weißensee. Marlene, die mit Max von Weilert eine glückliche Ehe führt, ist mit Leib und Seele Kinderärztin, sie mag ihre kleinen Patienten, auch hat sie ein sehr inniges Verhältnis zu Emmas Kindern Theo und Lissi. Nur eigene Kinder waren Marlene und Max bisher verwehrt, ihr Kinderwunsch droht die beiden zu entzweien. Emma dagegen könnte glücklicher nicht sein. Sie wird zur Oberschwester befördert, mit Kurt hat sie das große Los gezogen und doch ziehen auch bei ihr bald dunkle Wolken auf.

Freud und Leid sind manchmal sehr nah beieinander, es spielen viele Faktoren mit. Es ist auch hier so wie im richtigen Leben, dass viele Unwägbarkeiten diese nicht immer einfachen Tage überschatten. Neben der immer mehr politisch aufgeheizten Grundstimmung gibt die Autorin der zufälligen Entdeckung des Penicillin viel Raum. Sie versteht es hervorragend, die ersten Versuche mit der antibiotisch wirksamen Substanz in ihre Geschichte gut lesbar einzubinden.

Natürlich habe ich auch die beiden Vorgängerbände verschlungen, ich war dabei, als Marlenes sechster Geburtstag mit dem Streuselkuchen so gut anfing und für die beiden Mädchen im Waisenhaus endete. Diese „Tage des Lichts“ sind schon gut zu lesen, ohne Marlene und Emma bis hierher gefolgt zu sein. Aber warum sollte man auf ihre ganze Geschichte verzichten?

Sehr gefreut habe ich mich, dass mir Willy Pinke als der große Wilfridemus wieder begegnet. Auch wenn er nicht mehr im Pförtnerhäuschen sitzt, so ist er doch ein Urgestein und aus der Kinderklinik nicht wegzudenken.

Die Charaktere sind allesamt lebensnah gezeichnet, es sind jene, die sich aufopfernd um ihre kleinen Patienten kümmern, die vermitteln, auch die Eltern mit einbinden und dann gibt es wie in allen Bereichen des Lebens auch diejenigen, die es weniger gut mit ihren Mitmenschen meinen, die eher eigennützig agieren. Es geht um das liebevolle Miteinander, auch Missverständnisse sind vorprogrammiert, die Sprachlosigkeit erzeugt viel Verwirrung. Auch von Neid und Missgunst lese ich, aber auch von Zusammenhalt und füreinander da sein. Ich habe mit ihnen gebangt, mich mit ihnen gefreut, sie in so manch dunkler Stunde begleitet und habe ihnen ihre hellen Zeiten so sehr gegönnt.

Ein spannender dritter Teil. Die Geschichte um die beiden Schwestern ist voller Leben, Antonia Blum hat sie sehr einfühlsam erzählt. Gerne empfehle ich das Buch weiter und bin auf den vierten Teil „Geteilte Träume“ gespannt.

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Veröffentlicht am 06.10.2022

Eine starke Frau

Ein Kind namens Hoffnung
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Elly Berger hat ihren eigenen Kopf, sie will Köchin sein und dafür geht sie nach Berlin. In der jüdischen Familie Sternberg ist sie nicht nur das, sie hat Familienanschluss. Wir sind kurz vor Ausbruch ...

Elly Berger hat ihren eigenen Kopf, sie will Köchin sein und dafür geht sie nach Berlin. In der jüdischen Familie Sternberg ist sie nicht nur das, sie hat Familienanschluss. Wir sind kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Nationalsozialisten haben das Sagen. Und viel zu spät werden die Sternbergs gewarnt, Elly kann gerade noch verhindern, dass Leon, der kleine Junge der Sternbergs, in deren Fänge gerät.

Es ist eine stille Geschichte und doch geht es um eine ganz besondere Heldin. Elly und Leon sind schon immer eng verbunden und als seine Eltern abgeholt werden, handelt Elly. Sie stellt sich vor Leon. Sie beschützt ihn, flieht mit ihm, sucht Schutz in ihrem Elternhaus. Es stellt sich jedoch heraus, dass diese ein Judenkind nicht aufnehmen wollen.

Marie Sands Debütroman beginnt im Jahre 1938 und handelt hauptsächlich während der entbehrungsreichen Zeit während des Zweiten Weltkrieges und danach, als alles in Trümmern lag. Wir Nachkriegskinder können uns diese Not gar nicht mehr vorstellen, wenn die letzten Krümel einfach nicht ausreichen, eine Familie zu ernähren. Das Leben war hart, die Barmherzigkeit blieb oftmals auf der Strecke, jeder war sich selbst der Nächste. Es geht schlichtweg ums Überleben, für Träume blieb sowieso keine Zeit. Unsere Heldin begegnet vielen Gefahren, sie kommt in ihrer zupackenden Art einigermaßen durch diese entbehrungsreichen Zeiten.

Gerne bin ich Elly gefolgt, sie hat für andere alles riskiert und sich oftmals selbst hintangestellt. Der gut lesbare Roman beruht teilweise auf einer wahren Geschichte. So manche Begebenheit wurde lediglich angeschnitten, hier hätte ich mir etwas mehr an Information gewünscht. Und doch war es eine emotionale Reise in die Vergangenheit, die mich tief berührt hat. Ein gelungenes Debüt.

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Veröffentlicht am 06.10.2022

Anderssein in finsteren Zeiten

Unsre verschwundenen Herzen
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Die amerikanische Gegenwart hat Celeste Ng in „Unsre verschwundenen Herzen“ verarbeitet, es ist eine Art Dystophie geworden. Wir sind in Cambridge an der Harvard-Universität. Um den 12jährigen Bird, der ...

Die amerikanische Gegenwart hat Celeste Ng in „Unsre verschwundenen Herzen“ verarbeitet, es ist eine Art Dystophie geworden. Wir sind in Cambridge an der Harvard-Universität. Um den 12jährigen Bird, der eigentlich Noah heißt, spinnt sich diese Familiengeschichte. Er lebt mit seinem Vater, einem Bibliothekar, in einer kleinen Wohnung. Seine Mutter ist Asiatin, vor nunmehr drei Jahren ist sie gegangen, um ihre Familie zu schützen, denn ihr sieht man die Andersartigkeit sofort an und es ist gefährlich, als Asiat erkannt zu werden. PAO zu sein ist kein Verbrechen sagen sie. Nicht um ethnische Zugehörigkeit geht es ihnen, ausschlaggebend ist eher Patriotismus und Gesinnung. So zumindest die offizielle Lesart der Behörden. „Jeder wusste, dass Birds Mutter eine Person of Asian Origin war. Kung-PAOs nannten sie manche Kinder…“

Der Roman erinnert an die vorherige Regierung, die das Land mit ihrem Slogan „Amerika first“ tief gespalten hat. Die anti-asiatische Stimmung wurde auch angeheizt, als der damalige Präsident vom China-Virus sprach. Für Krisen wurde alles Asiatische verantwortlich gemacht,

ein großes Thema dieses Buches. Es wurde ein Gesetz erlassen - PACT genannt - in dem alles unter Generalverdacht stand, was nicht amerikanisch war. Ein Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Tradition. Birds Mutter Margret ist Schriftstellerin, die Suche nach ihr ist ein Erzählstrang. Man erfährt im Laufe der Geschichte, warum sie ihre Familie verlassen hat. Eines ihrer Gedichte „Missing Hearts“ wird zur Losung derer, die gegen dieses Regime angehen. Auch verschwinden Kinder spurlos, die gegen den Willen ihrer Eltern den Familien entrissen werden. In den Bibliotheken – und nicht nur da – regt sich Widerstand, es werden Botschaften auf geheimen Wegen weitergegeben.

Ich mag das Buch, ich bin neugierig auf Birds Leben, will mehr von seiner Mutter wissen. Wird er sie wiedersehen? Er vermisst sie - diejenige, deren Bücher nicht mehr zu haben sind. Ausgemustert sind sie, genau so wie sie auch. Ihre Spuren sind verwischt, einfach nicht mehr vorhanden.

Und dann mag ich das Buch so überhaupt nicht. Der Ton, den Celeste Ng anschlägt, ist eine distanzierte Kühle. Eine düstere Welt, eine bedrückende Stimmung schwebt von Anfang an über der Geschichte. Es geht um die Ausgrenzung all derer, die nicht der Norm entsprechen, dieser nicht entsprechen wollen oder können. Die reale Welt schwingt im Hintergrund mit, die Autorin zeichnet ein realistisches Bild, in der Andersdenkende eingeschüchtert werden, die verfolgt und diskriminiert werden. Und doch gibt es immer wieder die anderen, die im Verborgenen helfen, die versteckte Botschaften weiterreichen.

Zwischen Traum und Realität sind „Unsre verschwundenen Herzen“ angesiedelt. Auch eine Geschichte über die Liebe zwischen Mutter und Sohn in dunklen Zeiten. Ein Roman, der nicht durchgehend unterhält, der von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit erzählt, der auch berührende Momente einfängt mit einem Ende, das dann doch sehr plötzlich daherkommt.

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