4,5 Sterne: Auch im Jahr 2023 immer noch eine brandaktuelle und fesselnde Schullektüre!
Die Welle: Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging. (Ein Buch, das vor rechter Propaganda und blindem Gehorsam warnt) Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein junger, engagierter Geschichtelehrer will seinen Schüler*innen mit einem Experiment zeigen, wie es sich anfühlt, in einer faschistischen Gesellschaft zu leben. Doch ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein junger, engagierter Geschichtelehrer will seinen Schüler*innen mit einem Experiment zeigen, wie es sich anfühlt, in einer faschistischen Gesellschaft zu leben. Doch schon bald muss er sich fragen, ob er überhaupt noch die Kontrolle über seine immer größer werdende Bewegung hat…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Inhaltswarnung: Gewalt (auch Gewalt gegen Frauen), Mobbing, Gehirnwäsche
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥
Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):
- ethische und philosophische Fragestellungen
- soziale Experimente
- Geschichte
- Politik
- starke weibliche Hauptfigur
- Setting Schule
Meine Rezension
„‚Wie konnten sich denn die Deutschen ganz ruhig verhalten, während die Nazis massenweise Menschen abschlachteten, und dann behaupten, sie hätten von alledem nichts gewusst?‘“ Seite 21
Obwohl die 1981 erstmals erschiene „Welle“ sicher eine der beliebtesten Klassenlektüren überhaupt ist, habe ich es irgendwie geschafft, sie trotz Germanistik- und Lehramtsstudium bis jetzt zu umgehen. Nun, da ich selbst Deutschlehrerin bin, wollte ich natürlich endlich mitreden können und herausfinden, ob das Buch auch heute noch gut mit 13-/14-Jährigen gelesen werden kann.
„‘Nach dem Krieg haben viele Nazis versucht, ihr Verhalten damit zu erklären, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten und dass jede Weigerung ihr eigenes Leben gefährdet hätte.‘“ Seite 23
Überzeugt die „Welle“ auch im Jahr 2023 noch aus pädagogischer Sicht und, vor allem, hat sie mich auch persönlich überzeugt? Hier kann ich guten Gewissens auf beide Fragen mit einem deutlichen Ja antworten. Obwohl das Jugendbuch mittlerweile mehr als 40 Jahre alt ist, hat es von seiner Aktualität nichts eingebüßt – gerade in einer Zeit, in der sich die Neuen Rechten verführerischer, volksnaher, moderner präsentieren als je zuvor und in denen rechte Parteien wie die AFD und FPÖ bei Wahlumfragen erschreckend hohe Prozentzahlen erreichen. Die Aufklärung über die NS-Zeit (und die Gefahren von rechtem Gedankengut) und unsere Erinnerungskultur sind auch heute noch unglaublich wichtig, vielleicht sogar wichtiger denn je.
„‘Das ist keine Enschuldigung. […] Sie hatten doch ihre eigenen Augen und ihren eigenen Verstand. Sie konnten selber denken. Niemand befolgt doch blind solche Befehle!‘“
‚Genau das haben sie aber getan‘, wiederholte Ben.“ Seite 23
Dabei überzeugt das Jugendbuch nicht nur mit seiner Kürze von unter 200 Seiten (wodurch auch Lesemuffel nicht eingeschüchtert werden und eine genaue Nachbesprechung möglich ist) sondern auch mit seinem schnörkellosen, aber sehr fesselnden Schreibstil, den tiefgründigen Themen und den ethischen Fragen, die immer wieder gestellt werden. Ständig passiert etwas, das (noch dazu auf einer wahren Begebenheit basierende!) Experiment gerät immer weiter aus dem Ruder; es fällt leicht, bei dieser spannenden Geschichte mitzufiebern. Ein weiterer Pluspunkt dieser Klassenlektüre sind mit Sicherheit die überraschend starken und intelligenten Frauenfiguren, deren Darstellung auch heute noch als zeitgemäß zu betrachten ist, und die Beziehungen auf Augenhöhe (z. B. gerecht aufgeteilte Hausarbeit beim Lehrer:innen-Ehepaar Ben und Christy). In meiner Klasse kam das Buch übrigens auch sehr gut an! Auch Unterrichtsmaterial gibt es dazu genügend, was die Begleitung (die ist bei diesem Buch auf jeden Fall notwendig!) für Lehrpersonen vereinfacht.
„‘Vergiss es! Es ist einmal geschehen, und die Welt hat etwas daraus gelernt. Es wird nie wieder geschehen.‘“ Seite 32
Für 5 Sterne hat es dann aber trotzdem nicht gereicht, denn ich hätte mir einfach von allem noch ein bisschen mehr gewünscht: mehr Seiten, mehr Tiefe, mehr Zeit für die Figurenzeichnung. Manche Entwicklungen gingen mir dann vor allem in der zweiten Hälfte einfach zu schnell. Mir ist zwar klar, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, aber etwas mehr könnte man den Teens meiner Meinung nach durchaus zutrauen. Die Verfilmung habe ich übrigens auch mit meiner Klasse angeschaut – sie hat sehr polarisiert. Ich persönlich kann damit wenig anfangen, weil nicht nur die Namen gewechselt, sondern auch sonst (zu) viel geändert wurde. Statt auf Buchtreue wird hier auf Drama, billige Schocks und mehr Gewalt gesetzt, was mich leider schlussendlich enttäuscht hat. Wenigstens gibt eine vergleichende Analyse von Buch und Film dadurch viel her.
Mein Fazit
Auch im Jahr 2023 ist „Die Welle“ noch brandaktuell, spannend und regt zum Nachdenken an – das sagt auch meine Klasse. Auch die moderne Darstellung der starken weiblichen Figuren ist gelungen – lediglich etwas mehr Seiten und Tiefe hätte ich mir noch gewünscht. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung – sowohl fürs jugendliche Zielpublikum als auch für Lehrpersonen.
Bewertung
Cover / Aufmachung: 3 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonist:innen: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 5 Sterne ♥
Tempo: 4 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥
Insgesamt:
☆★☆★,5 Sterne
Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Sterne!