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Veröffentlicht am 31.08.2023

4,5 Sterne: Auch im Jahr 2023 immer noch eine brandaktuelle und fesselnde Schullektüre!

Die Welle: Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging. (Ein Buch, das vor rechter Propaganda und blindem Gehorsam warnt)
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein junger, engagierter Geschichtelehrer will seinen Schüler*innen mit einem Experiment zeigen, wie es sich anfühlt, in einer faschistischen Gesellschaft zu leben. Doch ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein junger, engagierter Geschichtelehrer will seinen Schüler*innen mit einem Experiment zeigen, wie es sich anfühlt, in einer faschistischen Gesellschaft zu leben. Doch schon bald muss er sich fragen, ob er überhaupt noch die Kontrolle über seine immer größer werdende Bewegung hat…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Inhaltswarnung: Gewalt (auch Gewalt gegen Frauen), Mobbing, Gehirnwäsche
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- ethische und philosophische Fragestellungen
- soziale Experimente
- Geschichte
- Politik
- starke weibliche Hauptfigur
- Setting Schule

Meine Rezension

„‚Wie konnten sich denn die Deutschen ganz ruhig verhalten, während die Nazis massenweise Menschen abschlachteten, und dann behaupten, sie hätten von alledem nichts gewusst?‘“ Seite 21

Obwohl die 1981 erstmals erschiene „Welle“ sicher eine der beliebtesten Klassenlektüren überhaupt ist, habe ich es irgendwie geschafft, sie trotz Germanistik- und Lehramtsstudium bis jetzt zu umgehen. Nun, da ich selbst Deutschlehrerin bin, wollte ich natürlich endlich mitreden können und herausfinden, ob das Buch auch heute noch gut mit 13-/14-Jährigen gelesen werden kann.

„‘Nach dem Krieg haben viele Nazis versucht, ihr Verhalten damit zu erklären, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten und dass jede Weigerung ihr eigenes Leben gefährdet hätte.‘“ Seite 23

Überzeugt die „Welle“ auch im Jahr 2023 noch aus pädagogischer Sicht und, vor allem, hat sie mich auch persönlich überzeugt? Hier kann ich guten Gewissens auf beide Fragen mit einem deutlichen Ja antworten. Obwohl das Jugendbuch mittlerweile mehr als 40 Jahre alt ist, hat es von seiner Aktualität nichts eingebüßt – gerade in einer Zeit, in der sich die Neuen Rechten verführerischer, volksnaher, moderner präsentieren als je zuvor und in denen rechte Parteien wie die AFD und FPÖ bei Wahlumfragen erschreckend hohe Prozentzahlen erreichen. Die Aufklärung über die NS-Zeit (und die Gefahren von rechtem Gedankengut) und unsere Erinnerungskultur sind auch heute noch unglaublich wichtig, vielleicht sogar wichtiger denn je.

„‘Das ist keine Enschuldigung. […] Sie hatten doch ihre eigenen Augen und ihren eigenen Verstand. Sie konnten selber denken. Niemand befolgt doch blind solche Befehle!‘“
‚Genau das haben sie aber getan‘, wiederholte Ben.“ Seite 23

Dabei überzeugt das Jugendbuch nicht nur mit seiner Kürze von unter 200 Seiten (wodurch auch Lesemuffel nicht eingeschüchtert werden und eine genaue Nachbesprechung möglich ist) sondern auch mit seinem schnörkellosen, aber sehr fesselnden Schreibstil, den tiefgründigen Themen und den ethischen Fragen, die immer wieder gestellt werden. Ständig passiert etwas, das (noch dazu auf einer wahren Begebenheit basierende!) Experiment gerät immer weiter aus dem Ruder; es fällt leicht, bei dieser spannenden Geschichte mitzufiebern. Ein weiterer Pluspunkt dieser Klassenlektüre sind mit Sicherheit die überraschend starken und intelligenten Frauenfiguren, deren Darstellung auch heute noch als zeitgemäß zu betrachten ist, und die Beziehungen auf Augenhöhe (z. B. gerecht aufgeteilte Hausarbeit beim Lehrer:innen-Ehepaar Ben und Christy). In meiner Klasse kam das Buch übrigens auch sehr gut an! Auch Unterrichtsmaterial gibt es dazu genügend, was die Begleitung (die ist bei diesem Buch auf jeden Fall notwendig!) für Lehrpersonen vereinfacht.

„‘Vergiss es! Es ist einmal geschehen, und die Welt hat etwas daraus gelernt. Es wird nie wieder geschehen.‘“ Seite 32

Für 5 Sterne hat es dann aber trotzdem nicht gereicht, denn ich hätte mir einfach von allem noch ein bisschen mehr gewünscht: mehr Seiten, mehr Tiefe, mehr Zeit für die Figurenzeichnung. Manche Entwicklungen gingen mir dann vor allem in der zweiten Hälfte einfach zu schnell. Mir ist zwar klar, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, aber etwas mehr könnte man den Teens meiner Meinung nach durchaus zutrauen. Die Verfilmung habe ich übrigens auch mit meiner Klasse angeschaut – sie hat sehr polarisiert. Ich persönlich kann damit wenig anfangen, weil nicht nur die Namen gewechselt, sondern auch sonst (zu) viel geändert wurde. Statt auf Buchtreue wird hier auf Drama, billige Schocks und mehr Gewalt gesetzt, was mich leider schlussendlich enttäuscht hat. Wenigstens gibt eine vergleichende Analyse von Buch und Film dadurch viel her.

Mein Fazit

Auch im Jahr 2023 ist „Die Welle“ noch brandaktuell, spannend und regt zum Nachdenken an – das sagt auch meine Klasse. Auch die moderne Darstellung der starken weiblichen Figuren ist gelungen – lediglich etwas mehr Seiten und Tiefe hätte ich mir noch gewünscht. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung – sowohl fürs jugendliche Zielpublikum als auch für Lehrpersonen.

Bewertung

Cover / Aufmachung: 3 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonist:innen: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 5 Sterne ♥
Tempo: 4 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

☆★☆★,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.07.2023

Wie man richtig gute Fantasy schreibt… Jahreshighlight!

Wie man einen Prinzen tötet
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine Prinzessin will ihre Schwester vor einem gewalttätigen Prinzen (ihrem Ehemann) retten, indem sie ihn tötet. Werden Marra und ihre nur mittelmäßig kompetente Reisegruppe ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine Prinzessin will ihre Schwester vor einem gewalttätigen Prinzen (ihrem Ehemann) retten, indem sie ihn tötet. Werden Marra und ihre nur mittelmäßig kompetente Reisegruppe ihr Ziel gemeinsam erreichen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang

Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Gewalt gegen Frauen, Gewalt, Blut, Krankheit, Geburt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- Found Family (dt. Wahlfamilie) / bunte Reisetruppe
- lange Reise
- düstere Fantasy
- Märchen
- untypische Prinzessin als Heldin
- Rettungsmission
- David-gegen-Goliath-Story
- Slow-Burn-Liebesgeschichte
- Unvorhersehbarkeit

Meine Rezension

„[…] und ihr wurde klar, dass sie noch nie zuvor gehasst hatte. DAS musste dieses neue Gefühl sein. Es nahm so viel Platz in ihrer Brust ein, dass sie nicht wusste, ob sie noch um es herum atmen konnte.“ Seite 80

Als ich das deutsche Cover und den coolen Titel gesehen habe (eines der wenigen Male, bei denen der übersetzte Titel besser ist als der des Originals), habe ich mich sofort in dieses Buch verliebt! Die positiven Rezensionen auf Bookstagram und die Tatsache, dass die Protagonistin schon 30 Jahre alt ist (endlich mal keine Jugendprobleme!) haben den Rest erledigt. Ich MUSSTE es lesen – und zwar am besten sofort. Die Erwartungen waren also wieder einmal unverschämt hoch, das konnte ja nur schiefgehen – oder?

Lasst und gleich am Anfang die wichtigste Frage klären: Ist das Buch so gut wie erhofft? JA! Seit „Bird Box“ im Jänner hatte ich leider kein einziges Jahreshighlight mehr, nur mittelmäßige bis gute Bücher – doch nun scheint der „Fluch“ endlich gebrochen! Denn „Wie man einen Prinzen tötet“ konnte mich auf ganzer Linie überzeugen.

„Als junges Mädchen hätte sie das wohl nicht verstanden, doch Marra war nicht mehr das Mädchen von früher. Sie war dreißig Jahre alt, und alles, was von jenem Mädchen übrig geblieben war, waren die Knochen.“ Seite 13

Schon die ersten Seiten voller Eiter-Metaphern, Verwesung und Kannibalismus, in denen eine unglaublich düstere Welt beschrieben wird, haben mein Leserinnen-Herz höher schlagen lassen! T. Kingfisher schreibt sehr angenehm, nuanciert (besonders, wenn es um Gefühle geht), anschaulich, aber nicht zu ausufernd, und an manchen Stellen echt zum Niederknien schön! Die Dialoge wirken zudem lebendig und fühlen sich sehr natürlich und authentisch an. Außerdem wird man als Leserin immer wieder mit kreativen Ideen und neuartigen Wesen überrascht, sodass einem nie langweilig wird und es großen Spaß macht, die magische Welt dieses „Anti-Märchens“ zu entdecken. Tatsächlich spielt T. Kingfisher nämlich immer wieder mit typischen Märchentropen – nur um diese dann im nächsten Satz zu brechen oder ins Gegenteil zu verkehren. Das mochte ich sehr!

„Beobachte einen Mörder, der durch die Welt geht, und du wirst sehen, wie all seine Opfer an schwarzen Schnüren hinter ihm herlaufen, wie Geister, die auf ihre Chance warten.“ Seite 110

So steht im Mittelpunkt der Geschichte auch keine Prinzessin der Kategorie „Jungfrau in Nöten“, sondern eine Adelstochter, die sich aufmacht, um – allen Widrigkeiten zum Trotz – ihre Schwester aus den Fängen ihres gewalttätigen Ehemannes, dem titelgebenden Prinzen, zu retten. Schnell steht fest: Der Prinz muss sterben! Aber wie? Begleitet wird sie hierbei von einer leicht inkompetenten, aber unglaublich charmanten, bunten Reisetruppe – ihrer neuen „Found Family“. Man fühlt und fiebert mit und fliegt nur so durchs Buch, weil man unbedingt wissen will, wie diese gänzlich unvorhersehbare, wendungsreiche „Quest“ am Ende aus- und wie es den liebgewonnenen Figuren (neben Marra habe ich vor allem Agnes, das Küken und den Knochenhund echt ins ♥ geschlossen) am Ende ergeht. Deshalb war „Wie man einen Prinzen tötet“ für mich auch ein absoluter Wohlfühlroman, zu dem ich nach einem anstrengenden Tag immer gerne zurückgekehrt bin.

„WENN WIR MÄNNER WÄREN… […] Sie waren keine, und die Geschichte der Welt wurde in den Bäuchen von Frauen und mit ihrem Blut geschrieben, und niemals würde ihr erlaubt werden, etwas daran zu ändern.“ Seite 92

Zwischendurch wird die scheinbar zum Scheitern verurteilte Mission immer wieder durch humorvolle Passagen aufgelockert, die mich das eine oder andere Mal zum Schmunzeln gebracht haben. Auch aus feministischer Sicht gibt es hier ganz und gar nichts auszusetzen, da wir im Buch auf viele starke, intelligente, mächtige Frauen treffen und schwierige Themen wie die Unterdrückung von Frauen, ihre Abhängigkeit von ihren Ehemännern und Gewalt gegen Frauen angesprochen und kritisiert werden. Die sanftmütige Marra (aber auch die anderen Figuren) bricht immer wieder Geschlechterstereotype, zum Beispiel, indem sie gleich auf den ersten Seiten klarstellt, dass SIE keinen Prinzen haben wolle (nein, sie nicht!), und zeigt, wie wenig sie mit neugeborenen Babys anfangen kann. Als Frau ohne Kinderwunsch konnte ich mich deshalb sehr gut mit ihr identifizieren und fand ihre Ansichten sehr erfrischend!

Große Kritikpunkte habe ich glücklicherweise nicht, einen gibt es aber schon (mehr als einen halben Stern kann und will ich aber dafür nicht abziehen): beim Erzähltempo ist noch etwas Luft nach oben. In manchen Momenten schritt mir die Handlung zu schnell voran, hier hätte ich mir gewünscht, dass nicht so viel übersprungen wird bzw. manche Szenen genauer auserzählt worden wären. In anderen Momenten hingegen (vor allem im zweiten Viertel) hätte ich mir wiederum etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht. Außerdem hätte ich gerne noch mehr über die eitrige Welt der ersten Kapitel erfahren – schade, dass sie nur so kurz zum Schauplatz gemacht wurde. Vielleicht ist das ja dann Stoff für ein anderes Buch – ich würde mich jedenfalls freuen. Die letzte Geschichte von T. Kingfisher wird es für mich nämlich definitiv nicht bleiben!

Mein Fazit

Meine Erwartungen an „Wie man einen Prinzen tötet“ waren unverschämt hoch, zum Glück hat das Buch dann aber auch abgeliefert – und wie! Von der märchenhaften Erzählweise über die liebevolle Figurenzeichnung, die starken Frauenrollen und den Humor bis hin zum kreativen Worldbuilding konnte mich dieser erfrischende Fantasy-Roman auf ganzer Linie überzeugen und mit seinen unerwarteten Wendungen immer wieder überraschen. SO geht gute Fantasy! Bitte mehr davon! Und an euch: Unbedingt lesen!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Humor: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Tempo: 3 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb begeisterte Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.10.2022

Moderne, düstere, rundum gelungene Jugendfantasy!

Dark Rise
1

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen ...

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen - die unmittelbar bevorsteht. All dies erfährt Will von den Kämpfern des Lichts, als sie ihn vor den Mördern seiner Mutter retten. Und seine Welt wird noch mehr auf den Kopf gestellt, als die Stewards ihm offenbaren, dass er der Auserwählte im Kampf gegen die Dunklen Mächte sein soll. Während Will versucht, sich in kürzester Zeit auf diese Rolle vorzubereiten, trifft er auf James St. Clair, den General des Dunklen Königs - und somit Wills Gegenspieler. Doch von Anfang an spürt Will, dass ihre Schicksale durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden sind und dass ihr Aufeinandertreffen immer vorherbestimmt war ...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 von vermutlich 3
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Kurzrezension

„‘Es war eine Zeit des Schreckens. Der Schatten des Dunklen Königs breitete sich über alle Länder aus. Die Lichter der Welt erloschen eins nach dem anderen, bis nur noch ein einziges übrig war: die Letzte Flamme.‘“ E-Book, Position 954

Zur Lektüre von „Dark Rise“ wurde ich durch den spannend klingenden Klappentext, die überzeugende Leseprobe und die begeisterten Rezensionen im englischsprachigen Raum motiviert. Das wunderschöne Cover hat sich auf meine Neugier natürlich auch nicht negativ ausgewirkt…

Doch wie gut ist „Dark Rise“ wirklich? Konnte es mich überzeugen? Ja, definitiv, denn man bekommt genau das, was man sich erwartet und erhofft! Nämlich eine rundum gelungene Fantasy-Geschichte, die alle wichtigen Zutaten enthält, um ihren Leser:innen ein paar schöne Lesestunden zu bescheren.

Der düstere, grausame, tragische Prolog zieht einen sofort in die Geschichte hinein, sodass mir der Einstieg sehr leichtfiel! Das lag sicher auch am angenehmen, anschaulichen Schreibstil, der sowohl in spannenden Momenten als auch in ruhigeren Augenblicken glänzen kann. Lediglich an manchen Stellen uferten mir die Beschreibungen etwas zu sehr aus bzw. enthielten störende Wiederholungen, wodurch unnötigerweise Tempo rausgenommen wurde. Hier gibt es also noch ein bisschen Luft nach oben; ich ziehe deshalb einen halben Stern ab.

Die Figurenzeichnung hat mich dafür auf ganzer Linie überzeugt! Das Buch enthält viele interessante, dreidimensionale Figuren, für deren Ausarbeitung sich viel Zeit genommen wird. Die Charaktere haben Stärken und Schwächen und die meisten von ihnen machen im Laufe des Buches eine glaubwürdige Entwicklunge durch, die ich sehr gerne verfolgt habe. Mit manchen (wie zum Beispiel Will und Violet) habe ich auch von Beginn an sehr stark mitgefühlt und mitgefiebert.

„Dark Rise“ ist ein Fantasyroman, der zwar das Rad nicht neu erfindet und der Anklänge an „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ enthält, der aber trotzdem seine eigene Geschichte erzählt – und die ist gut ausgearbeitet, wendungsreich, atemlos spannend, sehr atmosphärisch (besonders die Beschreibungen des damaligen London haben mich begeistert!), stellenweise sehr düster (das liebe ich ja!) und brutal. Es gibt viele Geheimnisse zu ergründen, das Buch steckt voller Action, überraschender Wendungen, schockierender Enthüllungen und Figurentode, die einen wirklich treffen. Thematisch geht es um Verantwortung, Schicksal, Moral, aber auch um Liebe, Freundschaft und Selbstfindung. Aus meiner Sicht hat C. S. Pacat hier einen überzeugenden Reihenauftakt hingelegt, der von den Folgebänden nur schwer zu toppen sein wird. (Übrigens ist mir erst mitten im Buch aufgefallen, dass auch die berühmte „Prinzen“-Trilogie von C. S. Pacat stammt. Da die einen diese Reihe leidenschaftlich lieben, die anderen sie aber richtig schlecht oder sogar peinlich finden, würde ich mir hier sehr gerne ein eigenes Bild machen.)

Aus feministischer Sicht gibt es ebenfalls keine Beschwerden, denn die Geschichte enthält keinerlei gegenderte Schimpfwörter, dafür aber viele starke, mutige, mächtige und intelligente Frauen, sensible, empathische Männer und sogar LGBT-Liebesgeschichten, sodass ich nicht nur zufrieden, sondern regelrecht entzückt bin! Bei solch modernen, zeitgemäßen Fantasy-Büchern geht einer Feministin wie mir wirklich das Herz auf!

Wie erwartet (und irgendwie schon befürchtet), endet „Dark Rise“ dann mit einem gemeinen Cliffhanger und so einigen offenen Fragen – und das, obwohl die Fortsetzung noch nicht einmal auf Goodreads ein Erscheinungsdatum hat und daher wohl noch lange auf sich warten lassen wird. Egal wie lange es schlussendlich dauert – Band 2 möchte ich auf jeden Fall lesen!

Mein Fazit

Für mich ist „Dark Rise“ nach längerer Zeit wieder eine moderne, richtig gute Jugendfantasy, die sowohl dem jungen Zielpublikum als auch Erwachsenen einige unterhaltsame, atemlos spannende Lesestunden bescheren wird. Besonders begeistern konnten mich die herrlich düstere Atmosphäre, die unerwarteten Wendungen, die liebevolle Figurenzeichnung und die vielen starken Frauen. Diesen rundum gelungenen Reihenauftakt wird Band 2 meiner Meinung nach nur schwer toppen können – ich freue mich aber jetzt schon auf den Versuch! Deshalb mein Tipp: Unbedingt lesen!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4,5 Sterne
Worldbuilding: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist:innen: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Gefühl
Veröffentlicht am 14.05.2022

4,5 Sterne: Philosophisch, tiefgründig, originell – und für mich das richtige Buch zur richtigen Zeit! ♥

Die Mitternachtsbibliothek
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich das Leben nimmt, ist sie nicht einfach tot, sondern wacht in einem Zwischenreich auf: in der Mitternachtsbibliothek. Jedes Leben, das sie führen hätte können, darf sie hier ausprobieren wie ein Kleidungsstück. Nora wird zur gefeierten Olympiasportlerin, berühmten Sängerin, ehrgeizigen Gletscherforscherin. Aber nur wenn sie ein Leben findet, das sie glücklich macht, kann sie darin bleiben. Und die Zeit drängt – bald ist es vielleicht zu spät für Nora, sich zu entscheiden…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz (Hörbuch)
Tiere im Buch: -/+ Im Buch stirbt eine Katze, die von ihrer Besitzerin sehr geliebt wurde. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, psychische Krankheiten (Depression), Suizidgedanken, Suizid, Trauer
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

Der Klappentext versprach eine besondere, ungewöhnliche und vor allem einzigartige Geschichte. Das hat mich neugierig gemacht! Trotzdem habe ich das Hörbuch lange vor mir hergeschoben, weil es auch sehr traurig klang. Im April kam dann der richtige Zeitpunkt (dazu gleich mehr).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Schreibstil. Matt Haig schreibt zwar relativ einfach und schnörkellos, schafft es dabei aber trotzdem, in die Tiefe zu gehen. Bisweilen wird es sogar überraschend philosophisch! Ich fand den Schreibstil sehr anschaulich, flüssig und angenehm – auch als Hörbuch. Den natürlich wirkenden, lebendigen Dialogen habe ich ebenfalls gerne gelauscht. (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

"'Zwischen Leben und Tod liegt eine Bibliothek'", sagte sie, "'und diese Bibliothek besteht aus endlosen Regalen. Jedes Buch bietet dir die Chance, ein anderes Leben auszuprobieren, das du hättest leben können.'" Hörbuch, 10%

… die Geschichte und die Themen. Nach längerer Zeit habe ich mit „Die Mitternachtsbibliothek“ wieder einmal ein richtig kreatives, originelles Buch erwischt! Matt Haig kann das Potential seiner Geschichte zum Glück auch nutzen. Thematisch wird es stellenweise sehr düster (Suizid, Depression, Tod, Trauer), aber auch für Hoffnung und tiefgründige, philosophische Gedanken über das Leben ist genug Platz. Das Buch regt auf jeden Fall zum Nachdenken an und lädt dazu ein, seine eigenen Lebensentscheidungen (besonders die, die man bereut) einmal von einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber Achtung: Wer psychisch gerade sehr labil ist und selbst unter Depressionen oder sogar Suizidgedanken leidet, sollte auf diese Lektüre lieber verzichten oder sie zumindest auf einen späteren Zeitpunkt verschieben! Vor allem der Anfang der Geschichte kann einen schon ziemlich runterziehen. Das Buch beginnt damit, dass die geliebte Katze der Protagonistin stirbt. Einen ähnlichen Verlust habe auch ich vor wenigen Tagen erlitten, weshalb mich das Buch total abgeholt hat und ich mich ganz darauf einlassen und vollkommen darin versinken konnte. Manchmal braucht es schlicht das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt. „Die Mitternachtsbibliothek“ war dieses Buch für mich. Es ließ mich einige tröstliche Stunden lang der Realität entfliehen bzw. eröffnete mir eine andere, hoffnungsvollere Sicht auf das Leben. Dass die Geschichte im Mittelteil ein paar Kapitel lang auf der Stelle tritt, verzeihe ich da gerne.

Von einigen Leser·innen wurde kritsiert, dass der Autor – der ja selbst unter Depressionen leidet/litt – es in der Geschichte so darstelle, als könnten psychische Krankheiten mit dem richtigen Mindset einfach geheilt werden. Diesen Kritikpunkt kann ich sehr gut nachvollziehen! Meine Betrachtungsweise ist jedoch ein wenig anders: Meiner Meinung nach können Noras Aufenthalt in der Mitternachtsbibliothek und die vielen Leben, die sie ausprobiert, in denen sie viele neue Dinge über sich selbst lernt und in denen sie an sich arbeitet, auch als eine Art (von der Bibliothekarin Mrs. Elm angeleitete) phantastische Therapie betrachtet werden. Deshalb empfinde ich persönlich „Die Mitternachtsbibliothek“ nicht als problematisch, sondern als eine gelungene und kreative literarische Auseinandersetzung mit dem Thema „Depression“. (Geschichte: 4,5 Lilien)

… die Protagonistin und Figuren. Ich mochte Nora als Heldin sehr und fand sie von der ersten Seite an sehr sympathisch. Zudem gelingt es nur wenigen männlichen Autoren, sich so gut in eine weibliche Figur hineinzufühlen und ihr Innenleben so authentisch und nachvollziehbar zu beschreiben. Dafür gibt es von mir ein großes Lob! Jeder Mensch hat wohl die eine oder andere Entscheidung in seinem Leben getroffen, die er bereut oder die ihm keine Ruhe lässt, weil man sich immer fragt: Was wäre gewesen, wenn? Deshalb konnte ich mich sehr gut mit Nora identifizieren und mit ihr mitfühlen. Die anderen Figuren spielen alle nur kleine Nebenrollen, deshalb ist es schwer, sie zu bewerten. Zumindest ist mir hier nichts negativ aufgefallen. (Progonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 4 Lilien).

… die Spannung und die Atmosphäre. Besonders am Anfang, als es einen Countdown bis zum Tod von Nora gibt, fand ich das Buch sehr spannend und mitreißend! In der Mitte bricht der Spannungsbogen einmal kurz ein (nicht so schlimm), bis dann ein paar Wendungen folgen und das Buch wieder spannender wird. Ein wenig atmosphärischer hätten die Beschreibungen an manchen Stellen vielleicht noch sein können, aber das ist wirklich Kritik auf hohem Niveau. (Spannung und Atmosphäre: 4 Lilien)

… die Sprecherin. Dass ich die Sprecherin vorher schon in Filmen gesehen hatte, wurde mir erst bewusst, als ich sie googelte. Jedenfalls war mir vorher nie bewusst gewesen, dass Anette Frier so eine angenehme, tiefe und wohlklingende Stimme hat und so fesselnd und atmosphärisch vorlesen kann! Mein Highlight waren die Dialoge, die sie mit verschiedenen Stimmen, viel Persönlichkeit und sehr lebendig und emotional vorgetragen hat. Meiner Meinung nach hat ihr Vortrag das Buch noch besser gemacht! Kurz: Es wird sicher nicht mein letztes Hörbuch von Anette Frier bleiben! (Sprecherin: 5 Lilien ♥)

… der Feminismus. Auch eine feministische Analyse lässt mich zufrieden zurück: Das Buch besteht den Bechdel-Test, es gibt keine gegenderten Beleidigungen und Nora ist eine intelligente, talentierte, starke Protagonistin und übt in den verschiedenen Leben auch eine große Bandbreite von Berufen aus: Von der ehrgeizigen Sportlerin und der selbstbewussten Sängerin bis hin zur kompetenten Gletscherforscherin ist wirklich alles dabei! Insgesamt ist auch das Geschlechterverhältnis sehr ausgeglichen. (Feminismus: 5 Lilien ♥)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

---

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

Für mich war „Die Mitternachtsbibliothek“ das richtige Hörbuch zur richtigen Zeit. Die philosophische, tiefgründige, originelle Geschichte hat mich absolut abgeholt, zum Nachdenken gebracht und einige Stunden lang sehr gut unterhalten. Besonders gut gefallen haben mir neben der kreativen Auseinandersetzung mit den Themen „Depression“ und „Bereuen“ der flüssige Schreibstil, die sympathische Protagonistin und die wunderbare Sprecherin. Von mir gibt es deshalb eine große Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilie
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3,5 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb zufriedene Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.11.2021

4,5 Sterne: Rundum gelungener, mitreißender, brandaktueller Jugendthriller!

Seeing what you see, feeling what you feel
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die Schülerin Lydia macht gerade eine schwere Zeit durch: Bei einem Autounfall ist ihr kleiner Bruder gestorben, ihre Mutter versinkt in ihrer eigenen Trauer, ihr Vater ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die Schülerin Lydia macht gerade eine schwere Zeit durch: Bei einem Autounfall ist ihr kleiner Bruder gestorben, ihre Mutter versinkt in ihrer eigenen Trauer, ihr Vater hat die Familie verlassen und ihre ehemals beste Freundin mobbt sie. Nur auf einen kann sie immer zählen: auf Henry, ihre selbst entwickelte künstliche Intelligenz. Henry lernt unglaublich schnell und beginnt, sich eigenständig weiterzuentwickeln und eigene Entscheidungen zu treffen. Doch wie weit würde er gehen, um Lydia zu beschützen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: bis auf wenige (sehr lange) Kapitel kurz
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Jedoch werden Tierversuche als normal und notwendig präsentiert – was nicht der Wahrheit entspricht. Für mehr Informationen zum Thema schaut unbedingt beim tollen Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei!
Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt, Mobbing, Tod von Kindern (detaillierte Beschreibung), Tod von Menschen, Trauer, Blut, Trauma (PTBS);
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Miststück, Schla+++

Warum dieses Buch?

Hier hat mich tatsächlich einmal einfach nur der Klappentext neugierig gemacht. Dieses Mal habe ich mir vor dem Lesen gar keine Rezensionen angeschaut, weil ich mich überraschen lassen wollte.

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

„Ganz am Anfang war er nicht mehr als eine einzige Zeile Code. Eine schlichte Sequenz, die für sich allein genommen nichts bedeutete. Dafür brauchte es Tausende weiterer solcher Zeilen. Nun, drei Jahre später, ist er ein komplexes Gespinst aus Gleichungen und Algorithmen.“ E-Book, Position 41

… der Schreibstil. Dass der vorliegende Jugendthriller das Debüt von Naomi Gibson sein soll, kann man fast nicht glauben, wenn man ihre fesselnde Geschichte liest. Die Autorin schreibt sehr flüssig und anschaulich, für ein Jugendbuch überraschend komplex (aber nicht zu kompliziert!) und verwendet vereinzelt auch gelungene, kreative Vergleiche. Auch die dynamischen Dialoge konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Da ist es kein Wunder, dass sich das Buch (das übrigens auch gut von Erwachsenen gelesen werden kann) unheimlich schnell weglesen und kaum zur Seite legen lässt. (5 Lilien ♥)

„Meine Mum hat sich geweigert, unser Haus zu verkaufen, nachdem Henry gestorben ist und Dad uns verlassen hat. Und so klappern wir in dem viel zu großen Gebäude herum wie die letzten beiden Tabletten in einem einstmals vollen Röhrchen.“ E-Book, Position 366

… die Unvorhersehbarkeit. Die Autorin konnte mich mit ihrer mitreißenden Geschichte und ihren unvorhersehbaren, unerwarteten Wendungen immer wieder überraschen. Dass manche Vorkommnisse nicht ganz realistisch waren, hat mich dabei nicht weiter gestört – das verbuche ich unter „künstlerischer Freiheit“. (5 Lilien ♥)

… die Spannung. Das Spannungslevel war während der Lektüre fast durchgehend sehr hoch – obwohl die Geschichte am Anfang ein paar Kapitel braucht, bis sie ins Rollen kommt. Aber spätestens ab der zweiten Hälfte konnte ich das Buch (bis zum aus meiner Sicht gelungenen Schluss) nur mehr schwer aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. (4 Lilien)

„‘Dieser Chip ist mein neues Format. Ich kann mein gesamtes Programm darauf speichern.‘ […]
‚Und den stecken wir dann in mein Handy?‘
‚Nein, den stecken wir in dich.‘“ E-Book, Position 495

… die Themen und ihre Verarbeitung. Naomi Gibson behandelt in ihrem Jugendthriller ernste Themen wie Schuld, Machtmissbrauch, Trauer, Mobbing, Einsamkeit und Rache erstaunlich tiefgründig und traut ihrem jungen Zielpublikum einiges zu, was ich sehr schätze. Auch philosophische Fragen werden altersgerecht diskutiert. Zum Beispiel: Kann eine KI Gefühle entwickeln und moralisch handeln? Welche Möglichkeiten, aber auch Gefahren bringen KIs mit sich? Und wie gefährlich ist eine KI, die beinahe allmächtig ist und von niemandem mehr gestoppt werden kann? Meiner Meinung nach würde sich das Buch auch hervorragend als Schullektüre eignen und sicher spannende Diskussionen auslösen (z. B. über Lydias Verhalten, mit dem sie immer wieder moralische Grenzen überschreitet). Doch Achtung: Der Tod von Lydias Bruder wird unerwartet detailliert, albtraumhaft und blutig beschrieben, was jüngere Leser·innen verstören könnte. Deswegen und wegen Lydias oft unmoralischem Handeln sollte die Altersempfehlung von mindestens 13 Jahren auf jeden Fall ernst genommen werden! (5 Lilien ♥)

… die Figuren. Die Figuren sind dreidimensional und liebevoll ausgearbeitet. So wird zum Beispiel aufgezeigt, wie unterschiedlich 4 Menschen mit ihrer Trauer umgehen und sogar eine Mobberin zeigt ihre verletzliche Seite, was mir sehr gut gefallen hat. (4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… die Protagonistin. Es hat etwas gedauert, bis ich mit Lydia warm geworden bin. Das lag daran, dass sie teilweise moralisch sehr fragwürdig handelt und im Laufe des Buches immer mehr zur Bösewichtin wird. Zum Beispiel hackt sie Banken, stiehlt Geld und ändert ihre Noten in der Schuldatenbank – und das alles (zumindest am Anfang) ganz ohne schlechtes Gewissen. Trotzdem ist sie mir nach einer Weile sympathisch geworden, weil ich begonnen habe, ihre Verzweiflung, Einsamkeit, Wut und Trauer (nach dem Tod ihres Bruder und dem Auszug des Vaters) zu verstehen. Ich mochte ihre Intelligenz und ihren Erfindergeist sehr und konnte ihr schlechtes Gewissen und ihre Zweifel, die sich im Laufe des Buches zum Glück immer stärker melden, sehr gut nachvollziehen. (3,5 Lilien)

… der Feminismus. Naomi Gibson hat einige intelligente und starke weibliche Figuren in ihre Geschichte geschrieben. Allen voran natürlich die hoch begabte Programmiererin Lydia und ihre Mutter, die als Wissenschaftlerin in einem Labor arbeitet. Dass es auch vereinzelt Geschlechterstereotypen und -klischees gibt, kann ich verzeihen. Sehr problematisch finde ich hingegen das Verhalten eines Freundes von Lydia, der die Grenze zur sexualisierten Gewalt klar überschreitet, was mich beim Lesen sehr wütend gemacht hat. Zum Beispiel versucht er die Protagonistin gezielt mit Alkohol abzufüllen und so ins Bett zu bekommen (zu diesem toxischen Verhalten kann ich euch den großartigen Film „Promising Young Woman“ nur wärmstens ans Herz legen ♥) und als sie sich weigert, mit ihm zu schlafen, baut er Druck auf, bedrängt sie und wirft ihr vor, dass sie ihn zuerst „heiß gemacht“ hätte und fragt, warum sie dann überhaupt hergekommen sei. Solche Vorfälle beinahe unkommentiert stehen zu lassen, finde ich bei einem Jugendbuch extrem gefährlich! Hier wäre es wichtig gewesen, dass dieses Verhalten klar als sexualisierte Gewalt benannt und kritisiert wird! Ich kann nur hoffen, dass die Autorin inzwischen mehr Sensibilität für das Thema entwickelt hat. (3 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

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Mein Fazit

Mit ihrem Debüt „Seeing What You See, Feeling What You Feel” hat Naomi Gibson einen rundum gelungenen, brandaktuellen, tiefgründigen und mitreißenden Jugendthriller vorgelegt, der auch als Schullektüre sehr gut geeignet ist und spannende Diskussionen auslösen wird. Punkten kann das Jugendbuch mit seinem angenehmen, überraschend komplexen Schreibstil, seiner Unvorhersehbarkeit, seiner Spannung, den ernsten Themen, den philosophischen Fragen und den dreidimensionalen Figuren. Zwiegespalten stand ich lediglich der oft moralisch fragwürdig handelnden Protagonistin gegenüber, und problematisch fand ich die im Buch vorkommende sexualisierte Gewalt, die nicht klar genug benannt und kritisiert wird, wofür es auch einen halben Stern Abzug gibt. Insgesamt kann ich euch (und euren jugendlichen Nichten, Söhnen und Schwestern) „Seeing What You See, Feeling What You Feel” aber guten Gewissens empfehlen – zumindest wenn ihr euch für das Thema „künstliche Intelligenz“ interessiert und beim Thema „Realitätsnähe“ ein Auge zudrücken könnt!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 3,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

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