Das Ende ist vorhersehbar - aber wie!
Dann schlaf auch duVorab: Das ist KEIN Thriller, auch wenn "psychologischer Thriller" auf der Rückseite aus den Besprechungen zitiert wird - mehr Hinweise bietet die Auszeichnung mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten französischen ...
Vorab: Das ist KEIN Thriller, auch wenn "psychologischer Thriller" auf der Rückseite aus den Besprechungen zitiert wird - mehr Hinweise bietet die Auszeichnung mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten französischen Preis für LITERATUR. Der Titel "Dann schlaf auch du" klingt leider auch nach Spannungs-Massenware; das Original heißt "Chanson douce", sanftes oder Wiegenlied.
Das Ende ist vorhersehbar, die Erzählung macht daraus keinen Hehl. Hier bedarf es keines verräterischen Klappentextes, bereits der erste Satz lautet „Das Baby ist tot.“ S. 9
Autorin Leïla Slimani erzählt den einen Strang ihres Romans chronologisch, dazwischen streut sie Passagen ein wie mit eben diesem ersten Satz, die den Leser erinnern an das, was kommen wird, was längst gewesen ist. Unvermeidbar?
Das Situation ist eine, wie es sie vielfach gibt: Zwei Erwachsene, zwei Kinder, zwei Jobs – wer soll sich um die Kinder kümmern? Myriam und Paul finden für ihre beiden Kinder die perfekte Lösung: Louise. Vordergründig ist die Nanny notwendig, weil neben Musikproduzent Paul nun auch Myriam wieder zurück in ihren Beruf als Juristin möchte, aber Slimani macht auch für den Vater der beiden Kleinen klar: „Die Kinder, ihr Geruch, ihr Treiben, ihr Verlangen nach ihm, all das rührte ihn zwar unbeschreiblich. Und manchmal wollte er am liebsten mit ihnen Kind sein, sich auf Augenhöhe mit ihnen begeben, in die Kindheit eintauchen. Doch zugleich war etwas in ihm gestorben, und das war nicht nur die Jugend oder die Unbekümmertheit. Er war nicht mehr entbehrlich.“ S. 119
Wie gesagt, das Ende ist vorhersehbar. Was diesen Text besonders macht, ist die große sprachliche Kraft, die von ihm ausgeht, dieser Sog, diese absolut meisterliche Beherrschung der Sprache, ihrer Bilder. „Sie war in jene bleierne Betäubung gesunken, aus der man bedrückt, verwirrt und mit dem Gefühl unendlichen Leids wieder zu sich kommt. Ein so tiefer schwarzer Schlaf, dass man kurz geglaubt hat, man müsse sterben, man ist von eiskaltem Schweiß bedeckt und widersinnigerweise erschöpft.“ S. 133 Der Text bedrückt UND hält gleichzeitig im Bann.
Während mich sprachlich die Autorin vollständig überzeugt hat, war ich zum Thema zunächst etwas gespalten. Im Gegensatz zur Situation beispielsweise im Deutschland der 70er, 80er Jahre mit wenigen Scheidungskindern und planbaren (und vor allem noch meistens lebenslang sicheren) Jobs der Eltern hat sich die Situation doch reichlich verändert: eine Frau ohne Berufstätigkeit wird eine Frau ohne eigene Rente, fertig (ja, ich empfand den Fokus hier ungerechtfertigt zu sehr auf die Mutter gerichtet, einfach auch, weil das Unglück mit ihrer Berufsaufnahme seinen Lauf nahm). Eine Projizierung der Leserin, sicherlich. Eine Reaktion, wie sie die Autorin hervorzurufen vermag, noch mehr. Ein Buch, sicher perfekt für eine Leserunde.
Daneben wird sehr gekonnt die Unfähigkeit aller drei in der sozialen Interaktion dargestellt, der Eltern und von Louise. Ducken, ignorieren, verschieben – und gerne nicht ganz erwachsen werden, wenn möglich. Dargestellt ist das meisterhaft. Beruhigend ist das nicht, soll und kann es auch nicht, besonders die gewisse „Infantilisierung“ der Eltern, die sich ganz gerne auch „betüttern“ lassen, sie hatten schließlich einen anstrengenden Tag, während die Nanny „nur“ die lieben Kleinen genießen durfte. Man hat keine Vorurteile, aber die Nanny soll diesen entsprechen, dauernd verfügbar sein – wie, interessiert schon weniger. Eine Überprüfung? Nun, man wird sehen…
Kein Mitbringsel für junge Eltern mit dem Kind frisch bei Tagesmutter, Kindertagesstätte, Au Pair und Co., noch weniger für deren sich einmischende Schwiegermütter oder "beste Freundinnen".
Sehr starke 4 Sterne von 5