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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.10.2022

Eine gelungene Fortsetzung

Der Henker von Hamburg
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Hauke Sötje und Sophie Struwe sind nun am Ziel ihrer Träume: Als glückliches Ehepaar leben sie nun mit ihrer kleinen Tochter Henriette und Kindermädchen sowie Köchin in einer großen Wohnung. Während Hauke ...

Hauke Sötje und Sophie Struwe sind nun am Ziel ihrer Träume: Als glückliches Ehepaar leben sie nun mit ihrer kleinen Tochter Henriette und Kindermädchen sowie Köchin in einer großen Wohnung. Während Hauke weiter Verbrecher jagt, muss sich Sophie den Konventionen beugen und die Karriere ihres Mannes mit den gebotenen Mitteln fördern. Dazu gehört unter anderem auch der Besuch der Hamburger Oper, um eine Wagner-Tragödie zu hören, in der die gefeierte Sopranistin Carlotta Francini auftritt. Das behagt Hauke wiederum nicht so gar nicht - Richard Wagner zu lang, zu schwermütig und zu viele Tote. Die hat Hauke als Kriminalbeamter im wirklichen Leben wahrlich genug.

Noch bevor der erste Takt der Musik erklingt, wird Hauke aus dem Parkett geholt und muss zu einem Leichenfund. Man hat einen Pastor erhängt aufgefunden. Schnell wird klar, dass der Mann getötet wurde.

Während Hauke mit den damaligen Möglichkeiten der Kriminaltechnik nach dem Mörder sucht, freundet sich Sophie mit der Sängerin an, die mehr als ein Geheimnis umgibt. Wie Backfische schlagen die beiden Frauen dem etwas aufdringlichen Verehrer Maximilian von Siems ein Schnippchen und erkunden Hamburg auf eigene Faust.

Als dann zwei weitere Personen erhängt aufgefunden werden, ist klar, dass hier jemand auf Rache aus ist. Nur wer? Alle Zeichen deuten auf Carlotta Francini, denn jedes der Opfer hat irgendwie mit der Sängerin Kontakt gehabt. Hauke und sein Team ermitteln fieberhaft, doch erst der klare analytische Blick von Sophie auf die Ereignisse, der darin mündet, im Auftrag der Polizei, quasi als „Spionin“ im Haushalt derer von Siems aus- und einzugehen, bringt mehr Klarheit in den verzwickten Fall ...

Meine Meinung:

Wie wir es von Naja Marschall gewohnt sind, ist dieser 5. Fall für Hauke und Sophie Sötje fesselnd angelegt. Nebenbei erfahren wir einiges über das Leben von bürgerlichen Frauen in Hamburg um 1899.

Obwohl die beiden den sozialen Aufstieg vom gescheiterten Kapitän und der Privatlehrerin reicher Bürger zum angesehenen Kriminalinspektor und Ehefrau geschafft haben, fühlt sich Sophie einsam und unterbeschäftigt. Ihr wacher Geist braucht mehr Beschäftigung als Teatime und Kaffeekränzchen. Das Kriminalisieren gemeinsam mit Hauke fehlt ihr sehr. Der ist naturgemäß über die bisherigen Alleingänge seiner nunmehrigen Ehefrau nur mäßig erfreut und appelliert an ihr Verantwortungsbewusstsein als Ehefrau und Mutter. Es wäre für den Fortgang der Reihe den beiden zu wünschen, dass sie ihre Unzufriedenheit den Griff bekommen. In Kriminalrat Roscher, Haukes Chef, der allen Neuerungen in der Kriminaltechnik aufgeschlossen gegenüber ist, hat Sophie einen gewichtigen Fürsprecher. Denn auch Hauke muss erkennen, dass

„Frauen die einzigen Wesen sind, die wir Männer immer wieder unterschätzen“. (S. 264)

Welch kolossale Eerkenntnis - das macht Hoffnung, dass Sophie in einem nächsten Band wieder etwas mehr „kriminalisieren“ darf. Sie könnte ja als Aushilfslehrerin ungeklärte Todesfälle in einem Waisenhaus recherchieren. Kriminalrat Roscher könnte das sicher genehmigen.

Wie in den Vorgängern beginnt jedes der 39 Kapitel mit einem damals tagaktuellen Zeitungsausschnitt. Damit wir uns eine Vorstellung vom Hamburg um die Jahrhundertwende machen können, ist ein Stadtplan von 1895 abgedruckt.

Ich hatte zwar schon recht bald einen Verdacht, denn die Verknüpfung von Kirche und Waisenhaus lässt mich immer das Schlimmste denken, ist der Weg bis zur Auflösung sehr gut gelungen.

Zu den zahlreichen Charakteren, die sozusagen das „Stammpersonal“ der Reihe bilden, wie Hauke, Sophie, die Gräfin oder Roscher, gibt es wieder ein paar interessant neue Gesichter wie zum Beispiel Kriminalassistent Schröder oder Archivar Wehling.

„Sobald man den Anfang des Fadens gefunden hatte, konnte man das Gespinst aus Lügen entwirren und die Wahrheit trat zutage.“ (S. 264)

Fazit:

Wer fesselnde historische Krimis aus Hamburg, die auch mit gesellschaftlichen Details aufwarten, liebt, sollte hier unbedingt zugreifen. Ich empfehle mit dem ersten Band zu beginnen. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 26.10.2022

Macht nachdenklich

Vertrauen
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Die Journalistin Margaretha Kopeinig hat sich eines kontroversiellen Themas angenommen: Wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Pandemie begegnen bzw. begegnet sind.

In drei Kapiteln erläutern anerkannte ...

Die Journalistin Margaretha Kopeinig hat sich eines kontroversiellen Themas angenommen: Wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Pandemie begegnen bzw. begegnet sind.

In drei Kapiteln erläutern anerkannte Fachleute aus Medizin, Wissenschaft und Wirtschaft, wie sie gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und seinem Krisenstab den durchaus umstrittenen Weg der strengeren Maßnahmen für Wien ein- und durchgesetzt haben.

Brennglas Pandemie
Skepsis versus Wissen
Folgen und Konsequenzen

Es scheint, als ginge das Vertrauen in die Politik Österreichs jeden Tag ein bisschen mehr verloren. Man kann es Teilen der Bevölkerung deswegen nicht einmal verdenken. Der Zick-Zack-Kurs während der Pandemie, die Skandale in der türkis/blauen Regierung und deren Auswirkungen in die nunmehrige schwarz/grüne lassen viele Menschen enttäuscht und verdrossen zurück.

Was allerdings Sorge macht, sind die militanten Impfgegner, unter die sich rechtsradikal denkende Menschen mischen. Diese Minderheit hetzt die Verunsicherten gegen Wissenschaftler auf.

Ich wurde auch von einem solchen Kollegen über die Gefahr des „Chippens“ bei der Impfung „aufgeklärt“. Als ich ihm erklärt habe, das würde mich des mühsamen Merkens der diversen Passwörter entledigen, und daher sogar wünschenswert, ist ihm der Mund offen geblieben.

In ihrem Buch hat sich die Autorin nun mit zahlreichen Personen aus Politik, Medizin, Wissenschaft und Wirtschaft, wie es dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig gelungen ist, das Vertrauen in ihn und seine Experten zu behalten und sogar auszubauen. Ludwig setzt auf Transparenz und eine gerade Linie. Er hört auf Experten aus der Medizin und auf die Sozialpartner in der Wirtschaft. Dass dabei auch heftig diskutiert wird, weil nicht alle der gleichen Meinung sind, ist klar und wird offen kommuniziert.

Interessanterweise hat sich Ludwig während der Pandemie keine Sorgen um eine mögliche Wiederwahl gemacht wie so mancher Landeshauptmann in den Bundesländern. Da sind ist der eine oder andere vor der (Tourismus)Wirtschaft eingeknickt, während Ludwig standhaft geblieben ist und die ziemlich unpopuläre Verlängerung des Lockdowns vor Weihnachten 2021 in Wien durchgesetzt hat. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern haben Ludwig und sein Expertenteam immer die Gesamtheit im Blick. D.h. Maßnahmen, um die Spitäler (in denen sich nicht nur Kranke aus Wien befinden) vor dem Kollaps zu retten, die Infrastruktur aufrecht zu erhalten und die Schulen so lange wie möglich offen zu halten. Nicht immer ist alles perfekt gelungen. Doch der größte Coup gegen das Virus ist in Wien mit dem Programm „alles gurgelt“ gelungen.

Primaria Dr. Barbara Maier, die Gynäkologin, die hier im Buch zu Wort kommt spricht mir aus der Seele, wenn sie sagt:

„Ich war immer tolerant, habe mich bemüht humanistisch zu reagieren. Ich ändere jetzt gerade meinen Toleranzbegriff: Keine Toleranz mehr für Intolerante. Ich möchte diese Egomanie nicht mehr tolerieren, die Haltung: Ich will alles, aber ich gebe nichts, ich brauche mich nicht Solidarität kümmern, ich brauche nichts für die Gemeinschaft zu tun.“

Maske aufsetzen in öffentlichen Verkehrsmitteln und wenn wo sonst der Abstand zu anderen nicht gewährleistet werden kann, ist wohl das gelindeste Mittel.

Ob es gelingen wird, das verlorene und leichtfertig verspielte Vertrauen in die Politik zurück zu gewinnen? Ansätze gibt es, aber es ist fraglich, ob die ausreichen.

Fazit:

Ein Buch das nachdenklich macht und dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 23.10.2022

Passt auf eure Zähen auf!

Auf den Zahn gefühlt
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Meine Großmutter hat immer gesagt: „Zähne tun mehrmals weh. Wenn man sie bekommt, wenn man sie hat, wenn sie einem ausfallen und dazwischen immer wieder in der Geldbörse.“

SO ganz unrecht hat sie dabei ...

Meine Großmutter hat immer gesagt: „Zähne tun mehrmals weh. Wenn man sie bekommt, wenn man sie hat, wenn sie einem ausfallen und dazwischen immer wieder in der Geldbörse.“

SO ganz unrecht hat sie dabei ja nicht. Doch was kann man dagegen tun? Um uns ein wenig vertrauter mit unserem wichtigsten Werkzeug zu machen, kommt das Buch von Zahnarzt Stefan Fickl gerade richtig.

Zähne sind fast immer in Bewegung: Beim Sprechen, beim Zubeißen und Kauen. Doch Hand aufs Herz, die wenigsten von uns behandeln ihre Zähne mit dem gebotenen Respekt und erhalten dann die (saftige Zahnarzt)Rechnung präsentiert.

Wie man hier vorbeugen kann, erzählt uns Stefan Fickl in fünf Abschnitten:

Teil 1: Von Zähnen und Zahnärzten
Teil 2: Der junge Zahn – es tut sich was im Kiefer
Teil 3: Der erfahrene Zahn – von Löchern, Rissen und ersten Nachbesserungen
Teil 4: Der alternde Zahn – von kleinen Kratzern bis zum Totalschaden
Teil 5: Auf dem Zahnfleisch – ein Blick hinter die Kulissen

Dabei erfahren wir mit viel Einfühlungsvermögen und Augenzwinkern viel Wissenswertes über unsere Zähne, das vielen Menschen vielleicht nicht ganz so geläufig ist. Den lieben Beißerchen wird man sich erst dann bewusst, wenn sie schmerzen.

Das Buch ist mit skurrilen und amüsanten Anekdoten aus dem Alltag eines Zahnarztes gespickt. Daneben gibt es einfache, aber wirksame Mittel und Ratschläge, wie man die Zähne bis ins hohe Altern gesund erhält.
Stefan Fickl erklärt das alles in einer humorvollen Art und Weise, so dass die Angst vor dem Zahnarzt verschwinden mag.

Wer ist nun Zielgruppe dieses Buches? Vor allem jene Leser, die sich für Medizin oder Gesundheit interessieren. Der Schreibstil ist locker, leicht und humorvoll. Dr. Stefan Fickl schafft es, medizinische Details so gut mit Humor zu verpacken, dass man zwischendurch gerne auch schmunzeln oder sogar herzhaft lachen darf. Dabei nimmt der Autor sich und seinen Berufsstand ein wenig auf die Schaufel. Nicht jeder Zahnarzt fährt Rolls Royce, hat eine Yacht und ein gut gefülltes Konto auf den Caymans. Die meisten Zahnärzte sind Selbständige und „arbeiten selbst und ständig“.

Fazit:

Ein Buch das Lust macht, seinen Zähnen die gebührende Achtung zu teil werden zu lassen. Dazu gehört auch, regelmäßig zum Zahnarzt zu gehen. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 23.10.2022

Jede ermordete Frau ist eine Tote zu viel

Heimat bist du toter Töchter
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Der Buchtitel ist an die österreichischer Bundeshymne, in der es nach langen Jahren der Diskussionen heißt „Heimat bist du großer Töchter und Söhne“ (auch wenn es sich nun nicht mehr reimt) angelehnt. ...

Der Buchtitel ist an die österreichischer Bundeshymne, in der es nach langen Jahren der Diskussionen heißt „Heimat bist du großer Töchter und Söhne“ (auch wenn es sich nun nicht mehr reimt) angelehnt. Das Thema ist allerdings alles andere als bewundernswert: Die Autorin berichtet über 60 tote Frauen in den Jahren 2020 und 2021.

Innerhalb von 11 Jahren werden in Österreich 319 Frauen ermordet. Der Täter? Fast immer der Partner oder der Ex-Partner. Damit hat Österreich den zweifelhaften Ruf, ein Land der Femizide zu sein.

Yvonne Widler beschäftigt sich schon seit langem mit diesem Thema. Mit gebotener Sorgfalt, Respekt und Empathie den Opfern gegenüber wagt sie sich in diesem Buch an die grauslichen Tatsachen. Was muss geschehen, dass bedrohte Frauen auch von den Behörden ernst genommen werden? Damit sie sich nicht in deren Zuständigkeitsgerangel verstricken sondern schnelle und kompetente Hilfe erhalten? Denn einem Frauenmord in einer Beziehung geht ein oft Jahre langes Martyrium voran.

Außerdem muss man endlich aufhören, den Frauen eine Mitschuld an ihrem Tod zu geben und „Statt zu fragen, warum Frauen nicht früher aus diesen Beziehungen gehen, sollten wir fragen, warum diese Männer gewalttätig sind.“

Die Autorin berichtet sehr sachlich, was in Anbetracht der Grausamkeiten eine eigene Meisterschaft bedeutet, über die einzelnen Schicksale. Dabei ist sie weder sensationslüstern noch schlachtet sie die grausigen Details aus.

Mit den Medien geht sie harsch ins Gericht. Denn hier wird durch so manche Wortwahl eine Verharmlosung der Tat betrieben, die absolut fehl am Platz ist. Mord ist Mord. Punktum! Egal ob das Opfer Mann oder Frau ist!

Auf ihrer Suche nach möglichen Antworten und Lösungen hat die Journalistin und Autorin mit zahlreichen Angehörigen, Überlebenden, ExpertInnen von Polizei und Politik gesprochen. Sie hat mehrere Gerichtsverhandlungen verfolgt. Yvonne Widlers Anliegen ist, allen jenen ermordeten Frauen eine Stimme zu geben. Denn die Toten können ihre Geschichte nicht mehr erzählen.

Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Dieses Buch gibt den ermordeten Frauen ihre Stimme zurück, die ihnen so brutal von ihren Partnern oder Ex-Partnern genommen worden ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 23.10.2022

Ein Buch wider das Vergessen

Das Wolfsmädchen
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Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der ...

Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der NS-Diktatur beschäftigt. Nämlich mit jenen Kindern, die 1945/46 aus dem ehemaligen Ostpreußen vor den sowjetischen Truppen nach Litauen geflohen sind, dort anfangs freundlich aufgenommen worden sind und letztlich zwischen die Fronten rivalisierender Gruppen geraten sind, und sich in die Wälder geflüchtet haben: Die Wolfskinder. Stellvertretend für die kleine Gruppe erzählt Ursula Dorn ihre Geschichte.

Ursula ist 10 Jahre als Königsberg 1945 von den Alliierten in Schutt und Asche gelegt wird. Doch die größte Gefahr droht von der sowjetischen Armee, die durch die zerstörte Stadt zieht, und Rache an der deutschen Bevölkerung nimmt. Während ihre Mutter Martha sich weigert die Stadt mit Ursulas anderen Geschwistern die Stadt zu verlassen, ergreift Ursula die nächstbeste Gelegenheit und springt auf einen Güterzug auf, ohne zu wissen wohin die Reise geht. Sie landet in Litauen, schlägt sich durch und wird aufgepäppelt.

Verantwortungsbewusstsein und Sehnsucht nach der Familie lässt sie im Hungerwinter 1946 nach Königsberg zurückkehren. Sie findet die lethargische Mutter und die fast verhungerten Geschwister an. Auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes bleiben die Geschwister in der Obhut der Nachbarin zurück. Erst später wird Ursula erfahren, dass nur ihr Bruder Heinz überlebt haben wird. Zurück in Litauen ist das Leben schwieriger geworden, zumal Martha sich weigert zu arbeiten und Ursula Nahrung für zwei herbeischaffen muss.

Letztlich werden Ursula und Martha aufgegriffen und in die neu entstandene DDR ausgewiesen. Das ist zwar besser als die drohende Deportation nach Sibirien, aber Ursula muss nach wie vor für sich und ihre Mutter sorgen, die nur von einer Zigaretten zur anderen denkt. Schnell erkennt Ursula, dass sie eine Diktatur gegen eine andere eingetauscht hat. Sie passt sich scheinbar an und nimmt die erste Gelegenheit zur Flucht zu ihrem Bruder Heinz in den Westen wahr.

Meine Meinung:

Wie schon in seinen anderen Sachbüchern wie z.B. „Die verlorene Generation“, „Die verratene Generation“ oder „Die verdammte Generation“ nimmt sich Christian Hardinghaus aller jener an, deren Geschichten niemand (mehr) hören mag.

Für dieses Buch hat er zahlreiche Interviews mit Ursula Dorn, die ihr Leben selbst in zwei Bücher gefasst hat und damit einige ihrer Traumata aufgearbeitet hat, geführt. Daneben wird Ursulas Geschichte in den historischen Kontext gestellt, ohne belehrend zu wirken. Das ist die große Stärke des Autors: Wissen vermitteln, Vorurteile ausräumen und die Kriegsgräuel sachlich darstellen, ohne Sensationslust oder zu werten. Manche Szenen lassen den Atem der Leser stocken, wenn sie von Kriegsverbrechen lesen, die damals verübt worden sind. Gleichzeitig weist der Autor in seinem Vorwort auf die Ähnlichkeiten, die aktuell in der Ukraine passieren, hin.

Ich muss Ursula Dorn mit Hochachtung begegnen und ihr Tribut zollen, dass sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Es ist über viele Ereignisse beharrlich geschwiegen worden, weil sie erstens niemand hören wollte und zweitens, weil sie einfach so schrecklich waren.

Im Kapitel „Wolfskindschicksale“ beleuchtet Christian Hardinghaus noch weitere
Wolfskinder und den schändlichen Umgang der deutschen Behörden bis heute mit ihnen. Interessant ist das Wirken von Wolfgang von Stetten und seinem Verein „Edelweiß“, der ebenso wie Christian Hardinghaus jener Gruppe von Personen eine Stimme gibt.

Fazit:

Ein weiteres Buch wider das Vergessen, das noch lange nachhallt. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.