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Venatrix

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Veröffentlicht am 03.11.2022

Regt zum Nachdenken an

Vielgeprüftes Österreich
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„Politik ist kein Ort der Geborgenheit“ (S.268)

Prof. Paul Lendvai, nach dem Tod von Hugo Portisch nun der Doyen der messerscharfen Analyse österreichischer Politik, beschreibt das „Leiden“ der Republik. ...

„Politik ist kein Ort der Geborgenheit“ (S.268)

Prof. Paul Lendvai, nach dem Tod von Hugo Portisch nun der Doyen der messerscharfen Analyse österreichischer Politik, beschreibt das „Leiden“ der Republik. Allerdings muss man festhalten, dass viele dieser Schmerzen hausgemacht, sprich von österreichischen Politikern verursacht wurden und werden.


In elf Kapiteln versucht er die Geschichte Österreichs darzustellen:

Die Last der Vergangenheit
Mythen und Realität: Das Erbe der Habrburger
Hitlers Schatten: gestern und heute
Die Achterbahnfahrt der FPÖ: Von Friedrich Peter zu Jörg Haider
Österreich: Immer wieder „unter Beobachtung“
Karl Renner und Bruno Kreisky
Geld statt Gesinnung: Niedergang der Sozialdemokratie
Die ÖVP, die ungewöhnlichste Volkspartei Europas
Von Wolfgang Schüssel zu Sebastian Kurz
Die „echten“ Österreicher und die Grünen
Österreich 2022: ein betrübliches Sittenbild

Auch wenn man das Gefühl hat, die Gegenwart ist so schlimm wie nie, auch in der Vergangenheit hat es Skandale gegeben. Allerdings haben viele Menschen ein Gedächtnis wie die sprichwörtliche Stubenfliege. Wer kann sich noch an Skandale wie Noricum, AKH oder ähnliches erinnern? Eben!

Der Unterschied liegt vermutlich darin, dass die damals nicht so informiert war. Man hat keine „Push-Nachrichten“ erhalten, soziale Medien waren noch nicht erfunden und die (wenigen) TV-Sender haben nicht in Dauerschleife von Korruption berichtet.

Die Zukunft wird angesichts der weltweiten Krisen und Katastrophen nicht einfacher werden.

„In einer existenziellen Krise sollten polarisierende Selbstinszenierungen mit der unausgesprochenen Formel „alles zu vertuschen“, keinen Platz haben, Eine zeitgerechte Warnung an die eigene Partei, die „alte ÖVP“.“ (Claus Raidl, ehemaliger Nationalbankpräsident)

Gerne gebe ich dieser gelungenen Analyse 5 Sterne.

Veröffentlicht am 31.10.2022

Wie Natur und Maßeinheiten zusammenhängen

Maß für Maß
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„Seit je her vermisst der Mensch die Welt. Er vermisst sie, um sie kennenzulernen und zu erforschen, um darin zu leben, um mit seinesgleichen zu interagieren, um Gerechtigkeit zu garantieren und zu erhalten, ...

„Seit je her vermisst der Mensch die Welt. Er vermisst sie, um sie kennenzulernen und zu erforschen, um darin zu leben, um mit seinesgleichen zu interagieren, um Gerechtigkeit zu garantieren und zu erhalten, um sich mit Gottheiten zu verbinden. Von der Antike an bestimmt das Maß das Leben der Menschen.“

Das Spannende daran ist, dass es nur sieben Basis-Einheiten braucht, um alles zu vermessen. Diese sieben, von der Natur abgeleiteten Einheiten werden SI-Einheiten (Système International d’unités) genannt. Es sind dies:

Der Meter (= m = Länge)
Die Sekunde (= s = Zeit)
Das Kilogramm (= kg = Masse)
Kelvin (= K = Temperatur)
Das Ampere (= A = Stromstärke)
Das Mol (= mol = Stoffmenge)
Die Candela (= Cd = Lichtstärke)

Wie hängen die nun mit der Natur zusammen?
Diese Messgrößen sind ausschließlich von festgelegten Naturkonstanten und nicht mehr von Messgrößen abhängig. Damit können sie überall reproduziert werden. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, diese Definitionen zu erklären - dafür ist Piero Martins Buch ja da.

Genau diese Zusammenhänge werden vom renommierten Physiker und Professor an der Universität von Padua Piero Martin erklärt. Er führt den neugierigen Leser
mittels zahlreichen Anekdoten beinahe spielerisch an die physikalischen Größen heran. Doch neben seinen unterhaltsamen Erklärungen müssen einige Formeln hergeleitet werden. Die können allerdings von allen jenen, die es gar nicht so ganz genau wissen wollen, gerne überlesen werden.

Wer kann sich noch an die Blamage von 1999 erinnern, als der Mars Climate Orbiter im Weltraum verschwand? Die NASA hat die Entfernung zum Mars in SI-Einheiten (Meter) berechnet, die Herstellerfirma Lockheed im Imperialen System (= angloamerikanischen System) mit Fuß und Meilen.

Fazit:

Ein leicht lesbares und unterhaltsames Buch, das so manche, bisher nicht so bekannten Zusammenhänge der Messkunst, gut erklärt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.10.2022

Regt zum Nachdenken an

Der Milchmann
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Dieses Buch ist aus mehreren Gründen für viele schwer zu lesen. Zum einen sind viele Dialoge in jiddisch geschrieben und zum anderen zeigt es eine Seite der KZ-Häftlinge über die nicht so gerne geschrieben ...

Dieses Buch ist aus mehreren Gründen für viele schwer zu lesen. Zum einen sind viele Dialoge in jiddisch geschrieben und zum anderen zeigt es eine Seite der KZ-Häftlinge über die nicht so gerne geschrieben wird: Um selbst zu überleben, werden auch Juden zu Verrätern und Tätern.

Worum geht’s also?

Jakob Weinberg arbeitet als Zwangsarbeiter der KZ Auschwitz an den Geleisen der Bahn als eine Kiste von einem Zug fällt, die Dosen mit Trockenmilch enthält. Da er allein zu schwach ist, die Kiste mit in die Baracke zu nehmen, helfen ihm mehrere Mitgefangene in der Hoffnung etwas davon abzubekommen. Noch bevor Jakob selbst von „seiner“ Trockenmilch nehmen kann, haben die anderen verhungernden Juden die Dosen unter sich aufgeteilt. Jakob fühlt sich betrogen. Es kommt zum Tumult, der weitreichende Folgen für Jakob haben wird.

Nach dem Krieg bildet sich die Legende vom Milchmann, der die gefundene Dosenmilch quasi selbstlos mit seinen Mitgefangenen geteilt hat. Jakob widerspricht nicht, obwohl er genau weiß, was wirklich passiert ist.

Weinberg lebt wieder in Deutschland, wird wohlhabend, hat nun erwachsene Kinder und nach dem Tod seiner Frau eine neue, die allerdings eine Schickse (also Nichtjüdin) ist. Doch glücklich ist er nicht. Die Schatten der KZ-Vergangenheit und die Ablehnung der Deutschen lassen sich nicht verdrängen. Als ihm der Arzt zu einer Biopsie rät, kommen seine Todesängste wieder hoch.

Völlig aus der Bahn wirft ihn das tödliche Attentat auf Israels Premierminister Yitzhak Rabin vom 4. November 1995, denn der Täter ist ein rechtsradikaler Jude.

Meine Meinung:

Autor Rafael Seligmann ist selbst Sohn von KZ-Überlebenden, die nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückkehren. Der Vater freiwillig, die Mutter nicht. Das ist in seinem autobiografischen Roman „Rafi, Judenbub“ nachzulesen.
Womit Seligmann aufräumt, ist das bis zur glorifizierten Selbstaufgabe stilisierte Leben der KZ-Häftlinge. Hier kommen Wahrheiten ans Tageslicht, über die nicht gerne gesprochen wird. Um das eigene Überleben zu sichern, werden noch schwächere geopfert. Der Kampf ums tägliche Stück schimmelige Brot macht die Menschen zu Todfeinden. Kapo gegen Barackenbewohner, Stärkere gegen Schwächere - so intensiv ist das noch selten beschrieben worden.

Darf das sein, dass Juden so denken und handeln wie Nazis? Dürfen Juden rechtsextrem sein?

Das Buch, das erstmals 1999 erschienen ist, zeigt deutlich, dass auch Juden keine homogene Gruppe sind. Da gibt es die säkularen, die gemäßigten und die ultra-orthodoxen. Da werden die aus Russland Vertriebenen verächtlich angesehen. Rafael Seligmann wird wegen des schonungslosen Aufzeigen der Interessenkonflikte zwischen den Juden untereinander als Nestbeschmutzer beschimpft.

Fazit:

Ein Buch das auch mehr als zwanzig Jahre nach seiner Entstehung polarisiert und zum Nachdenken anregt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 29.10.2022

Eine Hommage an die Raben

Raben
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Was Sie schon immer über Raben wissen wollten!

Dass Raben äußerst intelligente Vögel sind, ist ja hinlänglich bekannt. Doch wie beweisen? Autor Thomas Bugnyar, seines Zeichen Professor und Leiter des ...

Was Sie schon immer über Raben wissen wollten!

Dass Raben äußerst intelligente Vögel sind, ist ja hinlänglich bekannt. Doch wie beweisen? Autor Thomas Bugnyar, seines Zeichen Professor und Leiter des Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Uni Wien, ist es gemeinsam mit anderen, Versuchsreihen extra für Raben(vögel) zu erstellen, um deren kognitive und soziale Fähigkeiten zu überprüfen. In mehreren Forschungsstätten wie am Haidlhof in Bad Vöslau oder in Grünau im Almtal ist es ihm gelungen zahlreiche Fähigkeiten nachzuweisen.

Seine Erkenntnisse hat er in diesem Buch in zehn Kapiteln zusammengefasst:

„Raben sind auch nicht anderes wie fliegende Affen“
Raben verstehen mehr, als wir denken
Allesfresser mit gewissen Vorlieben
Tarnen und Täuschen
Der schwierige Blick in den Rabenkopf
Von Vielfliegern und Dableibern
Komplexe Beziehungen
Danke für die Information
Eine Frage der Persönlichkeit
Was wir von den Raben lernen können

Mit viel Herzblut und noch mehr Liebe zu den Raben hat Thomas Bugnyar dieses Buch verfasst. Akribisch erklärt er dem interessierten Laien, wie Raben ticken und wie sie quasi „ausgehorcht“ werden können. Doch nicht jeder Proband macht gerne bei den Versuchen mit - deswegen ist Fingerspitzengefühl und individuelle Betreuung nötig. Der eine mag gerne Käsestückchen als Belohnung, der andere ist darüber indiginiert.

Rabenvögel sind Wildtiere, doch als Kulturfolger sind sie den Menschen oft näher und ähnlicher als beiden lieb ist.

Das Buch ist im Verlag Brandstätter in gediegener Ausführung mit Lesebändchen erschienen und eignet sich bestens als Geschenk.

Fazit:

Spannend ist zu lesen, wie die Raben auch ihn immer wieder überraschen und damit seine bisherige Erkenntnisse aus den Kopf stellen. Gerne gebe ich diesem humorvoll geschriebenen Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 29.10.2022

Wie der normannische Herzog König von England wurde

Der eiserne Herzog
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Fast jeder kennt in groben Zügen die Geschichte von Wilhelm dem Eroberer, der 1066 in der Schlacht von Hastings den König von England, Harald Godwinson geschlagen hat. Doch die Hintergründe, warum ein ...

Fast jeder kennt in groben Zügen die Geschichte von Wilhelm dem Eroberer, der 1066 in der Schlacht von Hastings den König von England, Harald Godwinson geschlagen hat. Doch die Hintergründe, warum ein aus der Normandie stammender Herzog, die Insel angreifen soll, ist heute nicht mehr so geläufig. Ulf Schiewe erzählt in diesem, seinem neuen historischen Roman, wie es dazu kam.

Wir lesen ein Mittelalterepos, das an Dramatik kaum zu überbieten ist. Von Kindern, die als Geiseln an anderen Herrschaftshäusern gehalten werden, von gebrochenen Schwüren, einem Papst, der sich in das Leben der Menschen einmischt, von Herrschern und deren Gemahlinnen, mit wenigen Ausnahmen (hier Matilda und Ealdgyth) ausschließlich nach dynastischen Gesichtspunkten verheiratet werden, Frauen, die oft analytischer denken als ihre Männer, von Norwegern, Angelsachsen und Normannen, deren Anführer alle den Anspruch stellen, König von Engaland zu sein. Aber, es kann nur einen geben. Nachdem die Frage nicht beim Schach geklärt wird, klirren die Schwerter und die englische Erde wird mit dem Blut von tausenden Menschen und Pferden getränkt.

Wer nun glaubt, dass ganze Buch handelt ausschließlich von blutigen Gemetzeln, der liegt falsch. Die Schlacht bei Hastings ist die Entscheidung, das Ende des Streits um den englischen Königsthron. Zuvor lernen wir die Kontrahenten Guilhem und Harold kennen sowie ihre Herkunftsgeschichte kennen. Beide intelligent, charismatisch und geborene Anführer. Unter anderen Umständen hätten sie Verbündetet, ja vielleicht sogar Freunde sein können. Doch der Ehrgeiz der Familie Godwin führt die beiden als Gegner auf das Schlachtfeld.

Ulf Schiewe gelingt es wie keinem zweiten, diese Zeit auferstehen zu lassen. Sein bildhafter Schreibstil kann sich durchaus mit dem Wandteppich von Bayeux, der eine Grundlage dieses Romans bildet, vergleichen lassen. Geschickt verknüpft der Autor, wie wir es von ihm aus anderen historischen Romanen gewöhnt sind, historische Fakten und seine Interpretationen (also Fiktion). Weder William noch Harald sind als abgrundtief böse Menschen dargestellt. Ränkeschmied ist eher Haralds Vater Godwin, der seinen Hals nicht voll kriegen kann und vermutlich selbst König werden wollte. Und wenn nicht er, dann über den Umweg seiner Tochter Edith, die den aktuellen König Edward den Bekenner geheiratet hatte. Um die Krone in seiner Familie zu halten, ist ihm jedes Mittel recht.

Sehr gut gelungen ist die Darstellung der Lebensweise der Menschen im Hochmittelalter: zugige Burgen, vorerst aus Holz, teilweise auf römischen Kastellen errichtet sowie das ständige auf der Hut sein, vor expandierenden Nachbarn. Eine Herrschaft währt oft nicht lange. Kaum zeigt der Herrscher Schwäche, ist sein Land auch schon überrannt. Leidtragende wie immer die einfache Dorfbevölkerung, die die eigenen als auch fremden Truppen mit ihren Feldfrüchten und Tieren versorgen muss. Leidtragende auch wie immer Frauen und Kinder, die als Kriegsbeute betrachtet werden. Die Darstellung der Scharmützel beinhalten natürlich auch grausame Szenen. Doch werden sie nicht aus Sensationsgier, sondern zum Verständnis beschrieben. Es ist nur gut, dass keine Gerüche übertragen werden können.

Fazit:

Ein gelungene Darstellung der Geschichte rund um Guilhem (Wilhelm) und seiner Eroberung Englands. Gerne gebe ich diesem penibel recherchierten und opulent erzählten historischen Roman 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.