Eine ungewöhnliche (Liebes-)Geschichte
AnatomyAuf „Anatomy“ von Dana Schwartz bin ich durch die Buchcommunity aufmerksam geworden, weil so begeisterte Stimmen wegen des Covers laut wurden und ich muss zugeben, diese geniale Idee mit dem Kleid, das ...
Auf „Anatomy“ von Dana Schwartz bin ich durch die Buchcommunity aufmerksam geworden, weil so begeisterte Stimmen wegen des Covers laut wurden und ich muss zugeben, diese geniale Idee mit dem Kleid, das gleichzeitig so ein Herz darstellt, das hatte schon was. Zwangsweise habe ich mich mit dem Inhalt dann auch auseinandergesetzt und bin bei dem Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ hängen geblieben. Passte natürlich zum Cover, aber dennoch war es für mich optisch und logisch erstmal eine wilde Mischung, weswegen es kaum verwundert, dass ich eine Geschichte bekommen habe, die ich so niemals erwartet hätte.
Bei „Anatomy“ handelt es sich um ein Jugendbuch, das im frühen 19. Jahrhundert spielt. Es ist keine Fantasy, es ist tatsächlich einfach historisch, aber mit einer sehr ungewöhnlichen Geschichte. Es ist sicherlich auch ein Krimi, da Protagonistin Hazel in eine mysteriöse Geschichte hineingezogen wird und es ist einfach ohnehin so viel. Solche Bücher bekommt man wirklich selten zu lesen, wobei ich mich stilistisch an „Enola Holmes“, wovon es schon zwei Verfilmungen bei Netflix gibt, erinnert fühlt, da es um eine jugendliche und ungewöhnliche Protagonistin mit scharfem Verstand geht, die allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz ihren Weg gehen will. Hazel ist aber in erster Linie keine Detektivin, sondern sie ist an der Chirurgie interessiert. Als Frau generell, aber speziell als Dame aus gutem Hause, die schon seit ihrer Kindheit quasi für die Ehe versprochen ist, ist es ein Unding eine Karriere in der Medizin zu verfolgen. Zwar muss man manchmal bei der Geschichte ein wenig die Augen kneifen, um gewisse Umstände als gegeben hinzunehmen, aber dennoch war es auch ein interessanter Einblick in die damalige Zeit.
Hazel wächst einem sofort ans Herz, weil sie so herrlich unangepasst ist und weil man ihr einfach gönnen würde, ihre Träume verfolgen zu können. Man fiebert regelrecht mit ihr mit, wenn sie sich als ihr verstorbener Bruder ausgibt, um chirurgische Vorlesungen besuchen zu können und wie sie schließlich auf eigene Faust sich alles an Wissen aneignet. Manchmal sind die Szenen wirklich brutal, aber ich fand, dass das der Geschichte trotz manchem Augenzwinkern eine wichtige Ernsthaftigkeit gegeben hat. Somit wurde letztlich auch Hazel als Person noch mehr in ihrem Wert hervorgehoben, weil sie eben dickköpfig, sehr intelligent, aber gleichzeitig auch empathisch und durchsetzungsfähig ist. Auf der anderen Seite haben wir Jack, der eher ein sehr einfacher Kerl ist und immer wieder neu ums Überleben kämpfen muss. Er und Hazel haben zusammen eine gute Dynamik, zumal sie ihm erst ein wenig mitleiderregend erscheint, bis er schließlich auch sie durchschaut und ihre Persönlichkeit begreift, so dass er ihr fortan als Auferstehungsmann aushilft und die Leichen ranschafft. Auch wenn sich zwischen den beiden letztlich etwas entwickelt, so würde ich dennoch sagen, dass der Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ nicht unbedingt (nur) für sie beide gedacht ist, denn eigentlich geht es vielmehr um die Liebe von Hazel zur Chirurgie, für die sie alles riskiert.
Auch wenn „Anatomy“ mehrteilig ausgelegt ist, hätte dieser Band eigentlich sogar für sich stehen können und dieser Umstand verrät auch viel über den Erzählstil. Es ist manches Mal eher oberflächlich erzählt, vieles passiert ohne große Erklärungen. Das sorgt einerseits dafür, dass sich ein sehr angenehmes Lesetempo ergibt und man sich am Ende fragt, wie schnell man dieses Buch beendet hat, aber es bringt auch an mancher Stelle die Frage auf, wäre hier nicht noch mehr möglich gewesen? Ich bezweifle, dass diese grundsätzliche Stilistik sich im nächsten Band ändern wird, weswegen es ein Abwägen ist, was man von dieser Geschichte will. Natürlich endet der Band auch mit vielen Möglichkeiten und mir würden auch viele Fragen noch in den Kopf schießen, aber gleichzeitig war es auch so, dass es in sich rund und eben letztlich angenehm offen war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ein Mysterium aufgebaut wird, was dann über zig Bände aufgeklärt werden muss. Dennoch begrüße ich persönlich es, noch mehr aus dieser Welt zu erleben. Eine tiefsinnige Geschichte werde ich sicherlich nicht bekommen, aber eine, die herrlich ungewöhnlich ist und die einfach im vielen Allerlei sehr viel Spaß bereitet.
Fazit: Bei „Anatomy“ mit diesem Cover und diesem Klappentext wäre ich wohl nie auf dieses Endergebnis gekommen, aber genau das ist auch der Trumpf, denn es ist eine außergewöhnliche Geschichte im Stile von „Enola Holmes“, die blutige Chirurgie mit Murder Mystery vermischt. Von „Eine Liebesgeschichte“ aber bitte nicht verleiten lassen, das empfinde ich eher doppeldeutig und unterstreicht für mich eher noch diesen doppeldeutigen Witz der Geschichte.