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Veröffentlicht am 20.06.2021

Vom Zauber und Leid Venedigs

Als ich einmal in den Canal Grande fiel
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Petra Reski ist seit etwa 30 Jahren Wahlvenezianerin und kennt die Stadt wirklich wie kaum ein anderer. Man merkt, wie sehr ihr Venedig am Herzen liegt und wie sehr ihr selbiges oft blutet, wenn sie Zeugin ...

Petra Reski ist seit etwa 30 Jahren Wahlvenezianerin und kennt die Stadt wirklich wie kaum ein anderer. Man merkt, wie sehr ihr Venedig am Herzen liegt und wie sehr ihr selbiges oft blutet, wenn sie Zeugin wird, wie die Stadt immer mehr zu einem Open-Air-Museum, einer Kulisse für Instagramfotos verkommt.

Die Sache mit dem Tourismus ist wirklich ein zweischneidiges Schwert für Venedig. Das die Menschenmassen, die sich durch die Stadt drängen, nicht gut für so ein kleines Städtchen sein können und das Leben für die noch wenigen Verbliebenen schwer machen, liegt auf der Hand. Bei vielem stimme ich Petra Reski völlig zu. Riesige Kreuzfahrtschiffe, neben denen der Markusplatz wie eine Puppenstube aussieht, sind inakzeptabel und da lasse ich auch das Argument, dass sie (vielen) Venezianern Arbeit geben, nicht gelten, denn durch die Zerstörung der Stadt werden sie langfristig noch viel mehr Menschen ihres Arbeitsplatzes berauben. Auch Auswüchse wie Picknick auf dem Markusplatz veranstalten, in Badekleidung in Kirchen gehen, Selfies machen, während man im Hochwasser planscht, da fehlen mir auch die Worte. Bei anderen Punkten bin ich mir nicht so sicher. So prangert die Autorin an, dass immer mehr Wohnraum verloren geht, da dieser als Airbnb genutzt wird, dass immer mehr kleine Läden aufgeben mussten und stattdessen dort jetzt Souvenirläden oder Eisdielen zu finden sind. Die Sache mit den fehlenden Tante-Emma-Läden kann ich zwar schon verstehen, zumal man in Venedig ja nicht mal schnell ins Auto springen kann und zum nächsten Laden fahren kann, aber dennoch ist das ein Phänomen, das (leider)unserer Zeit geschuldet ist. Auch wenn ich da nostalgisch in meine Kindheit blicke, muss man da wohl – auch in Venedig- realistisch sein. Und auch bei der Argumentation Reskis, dass aufgrund der vielen Airbnbs Wohnraum in Venedig fehlt, bin ich nicht völlig von ihrer Argumentation überzeugt. Es sind halt doch viele ehemalige Venezianer, die aufs Festland ziehen und ihre Immobilien auf Venedig vermieten. Für viele ist es tatsächlich bequemer, auf dem Festland zu leben und zu arbeiten. Und wer sollte es verdenken, wenn sie sich ein so lukratives Nebeneinkommen entgehen ließen.

Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass Petra Reskis Intention ist, komplett von einem Besuch in Venedig abzuraten. Es sind nämlich wirklich viele Menschen in dieser Stadt vom Tourismus abhängig. Vielmehr verstehe ich es als ein Plädoyer für verantwortungsvollen Tourismus.

Insgesamt ist es ein wirklich empfehlenswertes, informatives und gleichzeitig sehr unterhaltsam geschriebenes Buch, vor allem wenn die Autorin Episoden aus ihrem Privatleben mit dem Venezianer an ihrer Seite einfließen lässt. Besonders amüsiert hat mich, weshalb die beiden für ihre Hochzeit dem Ruhrgebiet Vorzug gegeben haben.

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Veröffentlicht am 19.05.2021

Klassenzugehörigkeit - ein in der Literatur bisher wenig beachtetes Thema

Klasse und Kampf
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Mit der Anthologie „Klasse und Kampf“ stellen die Herausgeber Christian Baron und Maria Barankow die Frage der Klassenzugehörigkeit, ein bisher in der deutschen Literatur wenig beachtetes Thema, in den ...

Mit der Anthologie „Klasse und Kampf“ stellen die Herausgeber Christian Baron und Maria Barankow die Frage der Klassenzugehörigkeit, ein bisher in der deutschen Literatur wenig beachtetes Thema, in den Mittelpunkt. Und nicht nur deswegen ist die Lektüre dieses Sammelbandes absolut empfehlenswert.

Die Auswahl der Autoren und Autorinnen ist vielfältig: aus dem Westen, aus der ehemaligen DDR, mit und ohne Migrationshintergrund. Alle haben es in zwischen mehr oder weniger geschafft, das Arbeitermilieu hinter sich gelassen, auch wenn der Weg dorthin nicht immer einfach war.
Und auch die Themen umfassen ein große Bandbreite: Es geht um den Spagat, zwischen zwei Klassen zu stehen und sich keiner so wirklich zugehörig zu fühlen genauso wie um den Kampf einer alleinerziehenden Mutter durch die Schriftstellerei genug Geld einzunehmen und gleichzeitig noch genug Muße zu haben, schriftstellerisch kreativ zu werden. Wir erfahren davon, wie es ist, das Gymnasium kurz vor dem Abschluss abbrechen zu müssen, weil das Geld einfach nicht reicht, und auch davon, wie eine Arbeiterfamilie sich nach der Decke strecken muss, um sich den Traum eines kleinen Eigenheims zu leisten und Monat für Monat geradezu vom Wohlwollen der Herren in der Kreditabteilung der Bank abhängig ist.

14 Kurzgeschichten und Essays verschiedener deutscher Autoren und Autorinnen haben zwangsläufig alle einen unterschiedlichen, mal mehr, mal weniger literarischen Blick auf die Situation und natürlich sprach mich nicht jede davon gleichermaßen an. Einige davon allerdings so sehr, dass ich von den Schriftstellern unbedingt mehr lesen möchte.

Allen voran Christian Baron, Anke Stelling, Lucy Fricke, Bov Bjerg und Arno Frank, der mir in der Kurzgeschichte Bremsklotz mehr als einmal aus der Seele sprach, der so treffend das Unbehagen derer, die im Arbeitermilieu aufgewachsen sind, sich jetzt aber eher in akademischen Kreisen bewegen, zusammenfasst:
„Ein Arbeiter sieht deine Bücher und erkennt, dass du dich für etwas Besseres hältst. Eine Akademikerin sieht deine Bücher und erkennt, dass du es nicht bist.“ (Arno Frank: Bremsklotz)

In einigen anderen Rezensionen habe ich übrigens gelesen, dass man es schön gefunden hätte, wenn auch Menschen, die es nicht geschafft haben, in der Sammlung zu Wort kämen. Ich denke, eine zweite, intensive Auseinandersetzung mit den Texten könnte Aufschluss darüber geben, warum dies nicht so ist.






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Veröffentlicht am 07.09.2022

Interessanter Krimi

Lightseekers
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Auf meiner Mission 2022 Bücher von Autoren und Autorinnen aus möglichst vielen Ländern zu lesen, bin ich dieses Jahr schon auf so manches Juwel gestoßen. „Lightseekers“ von Femi Kayode erregte meine Aufmerksamkeit ...

Auf meiner Mission 2022 Bücher von Autoren und Autorinnen aus möglichst vielen Ländern zu lesen, bin ich dieses Jahr schon auf so manches Juwel gestoßen. „Lightseekers“ von Femi Kayode erregte meine Aufmerksamkeit zunächst auch vor allem deswegen, weil der Autor aus Nigeria stammt. Und ich muss gestehen, mehr wusste ich zu dem Roman nicht, als ich mich zur Lektüre entschied. Die einzig literarisch Schaffende aus Nigeria, die ich bis dahin kannte, war Chimamanda Ngozi Adichie. Und das nahm ich als gutes Zeichen, ist sie doch einen meiner Lieblingsautorinnen.
Gut, gleich mal vorweg. An die Werke besagter Autorin kommt „Lightseekers“ meiner Meinung nach nicht heran, aber vielleicht sollte man auch keinen Vergleich ziehen, da es sich um ein ganz anderes Genre handelt.
„Lightseekers“ ist ein vielleicht nicht unglaublich spannender, aber doch äußerst fesselnder Krimi. Ausgangspunkt ist der Mord an drei Studenten durch eine wütende Menschenmenge in Port Hartcourt. Durch Videoaufnahmen ist klar, was geschah und wer beteiligt war. Dennoch findet keine Verurteilung der Täter statt, vielmehr scheint es, soll der Vorfall unter den Tisch gekehrt werden. Der Vater eines der Opfer engagiert den Psychologen Dr. Philip Taiwo, um herauszufinden, was wirklich passiert ist. Doch das ist kein einfaches Unterfangen, da es den Anschein hat, dass vielen daran gelegen ist, genau das zu verhindern.
Taiwo bei seinen Ermittlungen zu verfolgen, fand ich wirklich sehr interessant, aber da Tat und Täter von Anfang an relativ klar waren und es eher auf die Suche nach dem Motiv ging, empand ich die Lektüre nicht ganz so spannend, wie manch anderen Krimi. Dennoch ein sehr empfehlenswertes und lesenswertes Buch, bei dem man auch mehr über die Verhältnisse und das Leben in Nigeria erfährt.

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Veröffentlicht am 03.11.2022

Inhaltlich interessante Kurzgeschichten

Miss Kim weiß Bescheid
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Wenn man 8 Jahre in Asien gelebt hat, bleibt einem nicht verborgen, dass Süd-Korea der ‚big Influencer‘ in dieser Region ist. Alle wollen so schön, schlau und erfolgreich sein wie die großen Vorbilder ...



Wenn man 8 Jahre in Asien gelebt hat, bleibt einem nicht verborgen, dass Süd-Korea der ‚big Influencer‘ in dieser Region ist. Alle wollen so schön, schlau und erfolgreich sein wie die großen Vorbilder aus dem eher kleinen Land. Doch diese Perfektion hat einen hohen Preis. Davon erzählt die Autorin Cho Nam-Joo bereits in ihrem letzten Bestseller-Roman ‚Kim Jiyoung, geboren 1982‘, den ich begeistert verschlungen habe. Als ich entdeckte, dass mit „Miss Kim weiß Bescheid“ ein neues Werk der Autorin erschienen ist, habe ich natürlich sofort zugegriffen und in meiner großen Freude übersehen, dass es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten handelt, die so gar nicht mein Format sind. Da die Autorin aber im letzten Roman so eindrücklich den sozialen Druck, der auf Frauen in Süd-Korea ausgeübt wird, beschrieben hat, entschloss ich mich, dem Format „Short Story“ eine Chance zu geben.

Gleich vorweg, auch Cho Nam-Joo konnte mich nicht zu einem großen Fan kürzerer Erzählungen machen. Alles, was ich daran nicht schätze, mochte ich auch an den Geschichten dieses Buchs nicht: Wenn man sich erst auf die Story eingelassen hat, ist sie auch schon wieder vorbei. Das Ende hängt mir meist zu sehr in der Luft…

Thematisch haben mich die Geschichten dagegen alle, wenn auch nicht alle gleichermaßen, überzeugt. Sie lassen die gesellschaftlichen Zwänge und den enormen Druck erkennen, denen gerade Frauen in diesem Land ausgesetzt sind. Besonders berührt hat mich die letzte Geschichte im Buch ,Erste Liebe, 2020‘, da man hier den extremen Stress erkennen kann, dem Schüler in Süd-Korea und - wegen der fatalen Vorbildfunktion - ganz Asien ausgesetzt ist. Meine Tochter besuchte 8 Jahre lang Schulen in China. So einiges kenne ich also aus erster Hand. So ist der Besuch diverser Nachhilfe-Institute, wo im Anschluss an den Unterricht und in den Ferien Stoff für die Schule vorgepaukt wird, das tägliche Brot südkoreanischer Schüler. Wahrscheinlich hat mich diese Geschichte deshalb besonders berührt, weil ich es in so vielen Fällen miterlebt habe und irrsinnig fand, wie viel diese Kinder vorlernen mussten, und zwar nicht in der Schule, wie viele Kritiker des deutschen Schulsystems, das sicher auch Verbesserungspotenzial hat, immer glauben. Vielleicht tragen Geschichten wie diese auch dazu bei, nicht immer nur einen Aspekt aus einem anderen Land hervorzuheben, ohne das ganze Bild zu kennen. Sondern genauer hinzuschauen, welchen Preis in diesem Fall die Kinder und Jugendlichen für die vermeintliche intellektuelle Überlegenheit zahlen.
Auch die anderen Kurzgeschichten greifen interessante Aspekte der Rolle der Frau in der südkoreanischen Gesellschaft auf: Perfektion um jeden Preis und immer die Bedürfnisse hinter denen des Mannes anstellen.

Natürlich haben wir auch in Deutschland noch „still way to go“, um gleiche Chancen für Männer und Frauen zu schaffen. Aber vielleicht können wir im Vergleich auch erkennen, dass die Bemühungen der Vergangenheit durchaus schon einiges zum Positiven verändert hat.

Kurzum, wenn Geschichten wie die im Buch auch nur dazu beitragen, dass wir uns nicht immer nur vom schönen Schein trügen lassen, sondern auch hinter die Fassaden blicken, dann hat diese Sammlung schon einen großen Beitrag geleistet.
Wer sich zwischen den beiden in Deutschland erschienen Büchern der Autorin entscheiden muss, dem würde ich aber doch eher zu ,Kim Jiyoung, geboren 1982‘ raten.

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Veröffentlicht am 17.08.2022

Eine Verwandlung

Der letzte weiße Mann
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„Der letzte weiße Mann“ von Mohsin Hamid handelt von einer Verwandlung. Wer jetzt an Kafka denkt, liegt gar nicht so falsch. Auch bei Hamid wacht der Protagonist eines Tages auf und die Welt hat sich grundlegend ...

„Der letzte weiße Mann“ von Mohsin Hamid handelt von einer Verwandlung. Wer jetzt an Kafka denkt, liegt gar nicht so falsch. Auch bei Hamid wacht der Protagonist eines Tages auf und die Welt hat sich grundlegend für ihn verändert. In „Der letzte weiße Mann“ bezieht sich die Veränderung – der Titel lässt es schon erahnen – auf die Hautfarbe. Hamids Protagonist erwacht eines Tages und muss feststellen, dass er nicht mehr weiß ist. Wie Gregor Samsa verlässt er zunächst sein Haus nicht mehr. Doch irgendwann muss er sich seiner neuen Realität stellen und wieder am gesellschaftlichen Leben Teil haben. Einer Gesellschaft in der mehr und mehr Menschen Schwarz werden und erfahren, wie sie ihre weißen Privilegien verlieren und von den anderen nicht mehr wahr genommen werden.

Die Idee zum Gedankenexperiment, das Mohsin Hamid hier durchspielt, hatte der Autor in etwa seit den Anschlägen am 11. September, in Folge derer er ein ähnliches Gefühl hatte, wie im Buch beschrieben, nämlich als Mensch dunklerer Haut plötzlich argwöhnisch beobachtet oder nicht mehr wahrgenommen zu werden.

Die von Hamid beschriebene Verwandlung einer Gesellschaft, in der die privilegierte Mehrheit auf einmal der Minderheit angehört, fand ich spannend, auch wenn ich zugeben muss, dass mich die sprachliche, sehr nüchtern, distanzierte Umsetzung nicht ganz so begeistert hat, wobei das in meinem Fall eine weitere Parallele zu Kafkas Verwandlung ist, das ich auch nie wirklich geliebt habe, obwohl ich es inhaltlich interessant fand.

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