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Veröffentlicht am 18.09.2021

Fesselnde Tiefsee

Wenn Haie leuchten
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Wie groß ist der "Wortschatz" eines Delfins, wo schwimmen Haie ins Café und warum können einige von ihnen füreinander leuchten? Können Fische zählen? Was sind Phantominseln, hat James Cook bei seinen Entdeckungen ...

Wie groß ist der "Wortschatz" eines Delfins, wo schwimmen Haie ins Café und warum können einige von ihnen füreinander leuchten? Können Fische zählen? Was sind Phantominseln, hat James Cook bei seinen Entdeckungen etwa geschummelt ? Wie lässt sich all das herausfinden und was hat es mit uns zu tun?
In ihrem Sachbuchdebüt nimmt die Meeresbiologin Julia Schnetzer ihr Lesepublikum mit auf eine spannende Tauchfahrt quer durch die aktuelle Meeresforschung. Sie erklärt anschaulich, weshalb in toxischen Tiefseekratern vielfältiges Leben möglich ist und welche Lösungen im viralen Mikrokosmos liegen. Sie erzählt von solarbetriebenen Meeresschnecken und kiffenden Delfinen. Wir erfahren, weshalb Mars und Mond präziser kartiert sind als der Meeresboden, dessen Vermessung dank neuer Technologien mittlerweile zügig vorankommt und bereits geografisch Überraschendes auf die Monitore brachte.
Und auch wenn die enthusiastische Science-Slammerin ihr Publikum mitzureißen versteht, sie schreibt keinesfalls anekdotisch. Hier steht die Forschung mit ihren Methoden und Messverfahren im Fokus, und solide Grundkenntnisse in Biochemie und Physik sind klar von Vorteil.
Dennoch kommen auch Leser*innen auf ihre Kosten, die sich mehr für neu entdeckte Arten oder Verhaltensbiologie interessieren. Sehr sympathisch fand ich hier z.B. den Ansatz, den ohnehin schwammigen Intelligenzbegriff nicht länger am Menschen festzumachen, sondern am kognitiven Vermögen der jeweiligen Art.
Julia Schnetzer bringt ihr Publikum auf den neuesten Stand der Forschung, zeigt deren Grenzen auf und dass diese nicht zum Selbstzweck geschieht. So dienen etwa Studien zum Alter von Meerestieren nicht dazu Rekorde aufzulisten, sondern nachhaltiger Fischerei.
Mit ihrer Begeisterung für das eigene Metier schafft es die Wissenschaftlerin, uns für das größte Ökosystem unseres Planeten zu sensibilisieren und appelliert eindringlich, sich um dieses zu sorgen. Dass Kunststoffe im Wasser schädlich sind, ahnt vermutlich jeder. Doch was es genau anrichtet und was deshalb auf uns zukommt, lässt umdenken.
Das Kapitel zum verlorenen Plastik- schätzungsweise 100 000 Tonnen befinden sich augenblicklich allein in Tieren und ein Vielfaches davon ist schlicht unauffindbar - wird noch lange in mir nachwirken.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

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Veröffentlicht am 14.07.2024

Dystopischer Ökothriller

Die Stimme der Kraken
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In naher dystopischer Zukunft: Die Welt ist in Eingeschränkte Regierungszonen, Autonome Handelszonen und Protektorate gegliedert, Agenten mit Abglanzschilden, die ihre Identität verschleiern, ...

In naher dystopischer Zukunft: Die Welt ist in Eingeschränkte Regierungszonen, Autonome Handelszonen und Protektorate gegliedert, Agenten mit Abglanzschilden, die ihre Identität verschleiern, gehen in aller Öffentlichkeit ihren jeweiligen Interessen bzw denen der sie bezahlenden Konzerne nach. Es tobt ein erbitterter globaler Kampf um Ressourcen und Technologien.
Einer der größten Konzerne, DIANIMA, hat gerade die Insel Con Dao im südchinesischen Meer abgeriegelt, um eine bislang unbekannte Krakenart zu erforschen. Die hochkompetente Meeresbiologin Dr. Ha Nguyen - Expertin in Sachen Meeres-Bewusstsein und Kommunikation - soll Kontakt mit den hochintelligenten Wesen aufnehmen, um mit der neuen Spezies, die sowohl Sprache als auch Kultur ausgebildet haben soll, Kontakt aufzunehmen. Geleitet wird das Projekt von Evrim, dem einzigen empathischen Androiden der Welt, dessen Aufenthalt auf dem Archipel noch andere Gründe hat. Mit an Bord ist außerdem eine ziemlich durchgeknallte Sicherheitsfunktionärin, ohne die der Roman deutlich blutleerer wäre, im üblen wie im besten Sinne.
Und natürlich tauchen am Horizont nicht nur die fischverarbeitenden KI-gesteuerten (Menschen)-Sklavenschiffe auf, sondern üble Mächte, die anderes mit den sensiblen, aber auch mörderischen Oktopoden im Sinn haben. Die Kopffüßer besitzen nämlich nicht nur eine eigene Grammatik und architektonische Fähigkeiten, sie verteidigen ihre Welt mit ausgeprägter Gnadenlosigkeit gegen jeden, der ihre warnenden Zeichen nicht zu lesen versteht.
Der kanadische Autor Ray Nayler, stellt - inspiriert von Sy Montgomerys "Rendezvous mit einem Oktopus" sowie neuesten Erkenntnissen zur Konnektom- und Gehirnforschung - auf originell- fantastische Art die Frage nach intelligentem Leben, Sein und Bewusstein, Moral und freiem Willen.
Die noch unerforschten Geheimnisse der Tiefsee, ein dystopisches Wordbuilding und das Thema KI in bester Asimovscher Tradition werden hier zu einem vielversprechenden Setting verwoben.
Das liest sich meist spannend, oft bildend und immer unterhaltsam.
Weshalb mich der Roman dennoch nicht ganz überzeugen konnte, liegt einerseits an den mitunter holzschnittartig wirkenden Charakteren, die die zahlreichen Schauplätze betreten, eine Handlung ausführen oder ein Statement abgeben (meist zur Frage "Was ist Bewusstsein?") und dann auf der anderen Seite der Bühne wieder abtreten, ohne dass man ihnen wirklich nahekommt. Andererseits wird eine Hauptfigur wie der Japaner Eiko, auf eins der erwähnten Sklavenschiffe entführt, mit einem großen erzählerischen Bogen aufgebaut - besonders schön fand ich die Idee des Gedächtnispalasts - um dessen Rolle schließlich im Sande verlaufen zu lassen.
Nichtsdestotrotz ist es ein gut recherchiertes, wissenschaftlich fundiertes und unterhaltsam geschriebenes Buch, das einen guten Sommerschmöker abgeben könnte.



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Veröffentlicht am 19.06.2024

Ein Buch wie ein Stillleben

Das Fenster zur Welt
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1944 begegnen sich der junge britische Soldat Ulysses und die 64jährige Kunsthistorikerin Evelyn Skinner in der Toskana, wo letztere den Alliierten hilft, verschleppte oder versteckte Kunstschätze ...

1944 begegnen sich der junge britische Soldat Ulysses und die 64jährige Kunsthistorikerin Evelyn Skinner in der Toskana, wo letztere den Alliierten hilft, verschleppte oder versteckte Kunstschätze aufzufinden. In einem Weinkeller in umkämpfter Gegend verbringen sie einen einzigen Abend mit Gesprächen über die Kunst und das Leben und finden schnell zu einer tiefen Vertrautheit.
Etliche Jahre später wird auch diese Begegnung Ulysses aus dem rauen Londonder East End nach Florenz ziehen, wo er in einem geerbten Palazzo (den Eigentümer hatte er 1944 in einer halsbrecherischen Aktion vor dem Suizid bewahrt) samt Stieftochter Alys, seinem alten Freund Cress und einem vorlauten Papagei einen Neuanfang wagt.

Viele Jahre werden vergehen und viele Wege sich nur fast kreuzen, bis sich Ulysses und Evelyn endlich wiedersehen. Die Geschichte dazwischen wird leise und undramatisch, chronologisch, detailreich und dicht erzählt. Einen spannenden Handlungsbogen gibt es nicht, trotzdem möchte man das Buch nicht aus der Hand legen. Wie ein riesiges Stillleben - so auch der Originaltitel - breitet Sarah Winman die Leben und Beziehungen ihrer Figuren aus und tupft hier und da etwas magischen Realismus (kein normaler Papagei hat immer das passende Zitat parat !) als besonderen Hingucker dazu. Es gibt viel zu entdecken in diesem nicht nur idyllischen Gemälde. Obwohl der Titel im Deutschen vielleicht nicht viel hermacht, finde ich ihn angesichts der Erzählweise und Evelyns Reflexionen über das künstlerische, oft als trivial geltende Sujet, die mir durchaus die Augen geöffnet haben und insofern auch bildend waren, deutlich passender als die Übersetzung.

Doch vor allem sind es die warmherzig, komplex und sehr liebenswert gezeichneten Charaktere, die einen das Buch am Ende nur schweren Herzens zuklappen lassen. Obwohl sie mitunter einen rauen Ton anschlagen, stehen sie trotz aller Höhen und Tiefen stets wertfrei zueinander. Sie alle - verbunden durch tiefe Freundschaft oder Wahlfamilie - suchen nur eins: ihren Platz im Leben. Dies ist ganz klar ein Wohlfühlbuch und als Sommerschmöker sehr zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 05.11.2022

Solider Krimi mit Fortsetzungspotenzial

Der Tintenfischer
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Die Straßen, Brücken und Kanäle Venedigs sind menschenleer. Der Lockdown hält Trubel und Touristen fern. Doch auch jetzt kann sich Commissario Antonio Morello mit der Serenissima nicht anfreunden. Obgleich ...


Die Straßen, Brücken und Kanäle Venedigs sind menschenleer. Der Lockdown hält Trubel und Touristen fern. Doch auch jetzt kann sich Commissario Antonio Morello mit der Serenissima nicht anfreunden. Obgleich die "schönste Stadt der Welt" wie mit Tintenfischarmen nach ihm greift, will er nur weg von hier. Zurück nach Sizilien, wo die Mafia nur auf ihn wartet. Er will endlich abrechnen, die Mörder seiner Frau stellen. Stattdessen läuft er Streife, auf der Suche nach Corona-Betrügern, die vorzugsweise ältere Bürger ausrauben, indem sie etwa vorgeben, deren Wohnungen zu desinfizieren.
Auf einem dieser Streifengänge werden Morello und seine Kollegin Anna Klotze gewahr, wie sich ein verzweifelter junger Mann in den Kanal stürzt. Die sportliche Polizistin kann ihn gerade noch retten. Es ist der 20jährige David Ekele aus Nigeria, dessen Schicksal nicht nur die beiden Ordnungshüter tief berührt, sich mit ihrem verstrickt und nach - Sizilien führt. Denn dort ist Davids Freundin, die es aus einem Bordell der nigerianischen Mafia zu befreien gilt...

In ihrem zweiten Morello-Roman stochern Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo @kiwi-verlag in Wespennester aus Korruption, Chauvinismus und Rassismus in staatlichen Behörden und tauchen erneut tief ins organisierte Verbrechen hinab. Diesmal nicht nur in das der Cosa Nostra, die sich zwecks Imagewandel aufs Investment verlegt, nicht nur bei Asylbewerberheimen kräftig mitkassiert und neuerdings EU-Mittel Schutzgeldern vorzieht. Im Fokus stehen die längst arrivierten und mit ihnen kooperierenden nigerianischen Cults; brutalen Bruderschaften wie Black Axe, die ihre meist studentischen Mitglieder ohne Chance auf Entkommen zu Drogenhandel, Menschenschmuggel, Mord und Prostitution zwingen.
Das alles ist hochaktuell, gründlich recherchiert, fiktiv und doch wahr, wie aus den angehängten Dokumenten am Ende des Romans hervorgeht und diesem seine inhaltliche Tiefe verleiht.

Doch keine Angst, trotz bitterem Hintergrund liefern Schorlau/Caiolo ein mit leichter Hand geschriebenes spannendes Lesevergnügen ab, bei dem der Unterhaltungswert klar dominiert - wilde Verfolgungsjagden, erotisches Knistern, Nacht-und-Nebel-Befreiungen und Rezeptsammlung inklusive. Dabei stets auf der Seite der Guten, denen mehr als einmal wundersame Rettung in letzter Sekunde widerfährt.
Und gerade, als sich Morello doch noch mit der Serenissima arrangiert, gibt es einen Cliffhanger und das Versprechen auf Band 3...
Lesen!







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Veröffentlicht am 05.11.2022

Ein wahrer Pageturner

HELIX - Sie werden uns ersetzen
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🧬„Helix“ 🧬
🦠In den ärmsten Gegenden der Welt tauchen plötzlich Nutzpflanzen und Tiere auf, die nicht nur äußerlich perfekt scheinen, sondern auch sämtlichen Schädlingen und Krankheiten trotzen.
In Kalifornien ...

🧬„Helix“ 🧬
🦠In den ärmsten Gegenden der Welt tauchen plötzlich Nutzpflanzen und Tiere auf, die nicht nur äußerlich perfekt scheinen, sondern auch sämtlichen Schädlingen und Krankheiten trotzen.
In Kalifornien wendet sich ein junges Paar an eine Kinderwunschklinik und bekommt mehr in Aussicht gestellt als es je zu (alb)träumen gewagt hätte.
In München erliegt zur selben Zeit der US-Außenminister einem Anfall. Bei der Obduktion entdecken die Ärzte ein erschreckendes Mal auf seinem Herzen und ein gezielt platziertes Virus in seiner DNA. Schnell wird klar, dass alle Ereignisse in einem Zusammenhang stehen, doch wie ? Dann verschwindet ein Kind aus der Klinik und die Ereignisse überschlagen sich.
🧫Viel ist über diesen intensiv recherchierten und fesselnd geschrieben Science-Thriller gesagt worden. Ich habe ihn bereits im Sommer im Rahmen des #dickebüchercamp gelesen und kann mich den begeisterten Kritiken nur anschließen. Ich habe mich exzellent unterhalten gefühlt, viel gelernt und anschließend über das Genome-Editing mittels CRISPR/CAS 9 nachgelesen, das gezielte DNA-Mutationen ermöglicht. Seitdem wird heftig debattiert und 2018 wurden vom EuGH so geschaffene Pflanzen unter strikte EU-Kontrolle gestellt. Seit dem Erscheinen des Buches 2016 hat sich die Forschung zur Manipulation auch der menschlichen Keimbahn rasant entwickelt und mit ihr das verschärfte ethische Dilemma, das Marc Elsberg in seinem Roman ausleuchtet.
🧪Die zahlreichen Schauplätze und Protagonisten hat der Autor dabei jederzeit fest im Griff. Die Figurenzeichnung würde ich nicht unbedingt als Charakterstudien bezeichnen, doch sie ist differenziert und dreidimensional genug, um Helden und Handlung glaubhaft zu machen.
🧬Nur mit dem Finale hadere ich etwas. Den diabolischen jungen Figuren hätte ich trotz der frühen Einsicht, dass es so kommen musste, ein versöhnlicheres Ende gewünscht. Zumal die Drahtzieher davonkommen. Und haben es Helen und Greg nun geschafft oder gehen sie in die Falle? Tja, da muss wohl eine Fortsetzung her…




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