Starker Beginn mit schwacher zweiten Hälfte
Die Tochter des SeidenhändlersBei der Lesejury durfte ich die letzten Wochen in einer Leserunde diesen exotischen Landscape Roman lesen. Er erzählt von Vietnam in den 1950-iger Jahren, als das Land noch Indochine hieß und unter französischer ...
Bei der Lesejury durfte ich die letzten Wochen in einer Leserunde diesen exotischen Landscape Roman lesen. Er erzählt von Vietnam in den 1950-iger Jahren, als das Land noch Indochine hieß und unter französischer Herrschaft stand. Eine Zeit, aus der wir eigentlich viel zu wenig wissen und die mich vorallem an diesem Roman gereizt hat.
Der erste Leseabschnitt erfüllte auch zu 100% meine Erwartungen und ich tauchte in die exotische Welt von Hanoi ein. Mit Nicole und Sylvie lernte ich zwei Schwestern kennen, die nicht nur vom Aussehen, sondern auch von ihrem Charaktere her sehr unterschiedlich sind. Sylvie, die Ältere der Schwestern, hat ihr französisches Aussehen von ihrem Vater geerbt, der als Seidenhändler sein Imperium an sie überträgt, um sich mehr der Politik widmen zu können. Nicole, die schon immer im Schatten ihrer Schwester stand und das vietnamesiche Aussehen ihrer, bei der Geburt verstorbenen, Mutter geerbt hat, erhält nur einen kleinen Stoffladen. Dieser liegt im Viertel der Einheimischen. Nicole versucht das Beste daraus zu machen und fühlt sich immer mehr zwiegespalten, was ihre Herkunft anbelangt. Als "Métisse", die Bezeichnung für Kinder gemischter Abstammung, wird sie beschimpft und fühlt sich keinem Kulturkreis richtig zugehörig. So widmet sie sich mehr und mehr ihren Seidenladen, denn die bunten Stoffe verzaubern sie schon seit ihrer Kindheit. In O-Lan, die im Nebenhaus wohnt, findet sie eine wunderbare Freundin. Ihr Kousin Tran versucht Nicole ihre vietnamesischen Wurzeln näher zu bringen, doch der junge Widerstandskämpfer der Vietminh verfolgt damit auch seine eigenen Ziele. Als sich die politische Lage immer mehr zuspitzt und sie erfährt, dass ihr Vater in dunkle Machenschaften verwickelt ist, muss sich Nicole entscheiden....
Ein großartiger Plot, der mich sofort mitgerissen hat. Die Autorin hat die Beschreibung der bunten Seidenstoffe, des Viertels mit seinen Menschen und Düften und den Bräuchen des Landes zu Beginn noch großartig eingefangen. Ich konnte auch den Kampf von Nicole verstehen, die sich weder als Französin, noch als Vietnamesin fühlt. Von ihrem Vater wird sie eher kühl behandelt. Auch von ihrer Schwester, die Nicole gegenüber immer bevorzugt wird, kann sie kaum auf Verständnis hoffen. Vorallem Sylvie verhält sich ihr gegenüber oftmals komisch, begegnet ihr manchmal liebevoll und dann wieder herablassend. Nicole's einzige Vertraute ist die Köchin Lisa, die für sie die Ersatzmutter ist. Als sich Nicole in Mark, einem amerikanischen Seidenhändler verliebt, der zu oft mit ihrer Schwester Sylvie gesehen wird, spitzt sich die Situation zu.....
Leider verliert der Roman ab der Hälfte all diese positiven Eigenschaften, die mich zuvor noch verzaubert haben. Die wunderbaren exotischen Beschreibungen weichen immer mehr der Liebesgeschichte, die Figuren und ihre Taten erschlossen sich mir immer weniger. Auch einzelne Handlungsstränge verlaufen im Nichts.
Der Titel des Romans spielt ebenfalls nicht mehr wirklich eine Rolle, denn die Handlung führt den Leser in eine ganz andere Richtung, die mir nicht gefallen hat. Daher bleibt von der Faszination kaum mehr etwas übrig, was ich sehr schade fand.
Auch die Charaktere konnten mich mit Ausnahme von O-Lan nicht überzeugen. Sylvie ist eine unsympathische, egoistische junge Frau, die nur auf ihre Vorteile bedacht ist. Nicoles Vater lässt gegenüber Nicole nur Gefühlskälte walten und Mark spielt eine sehr undurchsichtige Rolle in der Geschichte. Mit ihm konnte ich mich nicht wirklich anfreunden. Genauso mit Tran, der zwar voll hinter seiner politischen Gesinnung steht, aber sein wahres gesicht gut zu verhüllen weiß.
Aber auch Nicole brachte mich manchmal zum Verzweifeln und ich konnte ihr Handlungen nicht nachvollziehen. Ich hatte öfters Schwierigkeiten mich in die Figuren hineinzuversetzen und mit ihnen mitzufühlen. Die Umsetzung ihrer Gefühle ist der Autorin nur teilweise gelungen.
Positiv und sehr lebendig fand ich die Beschreibung des Landes, der Kultur und den politischen Unabhängigkeitskampf. Am Ende gibt es noch einen historischen Abriss des Landes von 1787 an bis in die Gegenwart.
Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin konnte mich zu Beginn fesseln. Sie schreibt flüssig und sehr bildhaft, doch fühlte sich zum Ende hin der Schreibstil etwas holpriger an. Die politischen und kulturellen Informationen sind interessant und sehr lebendig erzählt. Zum Ende hin hatte ich aber immer mehr Schwierigkeiten die Längen zu überbrücken und die Charaktere sympathisch zu finden. Nicoles Handeln konnte ich nicht immer verstehen und fand es teilweise unglaubwürdig.
Fazit:
Ein exotischer Roman, der uns in die Nachkriegszeit nach Vietnam entführt und die politischen Unruhen in den 1950-iger Jahren sehr deutlich aufzeigt. Der Beginn ist faszinierend und fesselnd, doch aber der Mitte lässt die Geschichte stark nach und verliert sich in Nebensächlichkeiten. Es gibt offene Handlungsstränge, die nicht zu Ende geführt werden und ich begann die anfängliche bildhafte Beschreibung zu vermissen, die mich an den Roman fesselte. Das Buch lässt mich sehr zwiegespalten zurück, denn das großartige erste Drittel verlor sich immer mehr in einer Handlung, die mich mit dem Ansteigen der Seitenanzahl immer weniger begeisterte.