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Veröffentlicht am 24.03.2023

Man hat immer nur eine Gelegenheit

Das glückliche Geheimnis
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"Das glückliche Geheimnis" von Arno Geiger ist eines der Bücher von denen ich mir wünschte, nie ans Ende zu kommen. Es sind nur 237 Seiten, auf denen uns der Autor an seiner persönlichen Entwicklung teilhaben ...

"Das glückliche Geheimnis" von Arno Geiger ist eines der Bücher von denen ich mir wünschte, nie ans Ende zu kommen. Es sind nur 237 Seiten, auf denen uns der Autor an seiner persönlichen Entwicklung teilhaben lässt. Es ist ein Buch über sein Leben, seine Gedanken - aber auch eine Anleitung wie man ein erfolgreicher Schriftsteller wird.

Alles begann damit, dass der Autor während seiner Studienzeit Bücher und sonstige Schriften containerte. Zwar war es ihm furchtbar peinlich im Abfall anderer Leute zu wühlen. Trotzdem zog es ihn immer wieder früh am Morgen auf seine Streifzüge. Es war wie ein Sog. Die Bücher verkauften er und seine damalige Freundin auf dem Flohmarkt um finanziell besser über die Runden zu kommen. Wahre Schätze fand er im Papiercontainer. Neben Büchern wurden auch Tagebücher, Ansichtskarten oder z. B. Protokolle von Aufnahmegesprächen mit Frauen, die gescheiterte Suizidversuche hinter sich hatten (S. 31) gefunden und mitgenommen. "Tristesse hoch drei. Die sollten mich bloß in Ruhe lassen." Zu Hause wurde sortiert und gelesen. Was er in den Containern fand entsprach oftmals nicht seinem Faible für die Sprache. Was er fand war das wahre Leben.


" Ich hatte keine Lust, bei der grauen Wirklichkeit an die Tür zu klopfen, die kannte ich auss meinem Elternhaus und hatte mir geschworen, ihr nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Ich sehnte mich nach der Farbigkeit des Lebens." (S. 30/31)

Wir begegnen dem Studenten Arno Geiger, der in einer billigen Behausung mit der Toilette auf dem Flur lebte. Das Leben fern des Elternhauses mit der gewonnenen Freiheiten hatte gerade angefangen. Aus dem Text spricht der Überschwung und die Neugierde auf das, was nun kommen würde. Eins wusste er: Er wollte Schriftsteller werden. Doch bis zu den ersten, kleinen Erfolgen war es ein beschwerlicher Weg. Doch auch jetzt durchstöberte er noch immer die Papiercontainer, fand Ansichtskarten, Tagebücher und auch Briefe. Das Lesen dieser Funde bringt Arno Geiger immer weiter, eröffnet ihm den Weg, die Menschen zu verstehen wie sie sind und nicht wie man sich die Menschen vorstellt. An dieser, seiner Entwicklung lässt er den Leser teilhaben.

(S. 65) "Beim Finden weiß ich: Alles ist Zufallsfund. Es gibt für alles immer nur eine Gelegnheit. Was ich versäume, ist unwiederbringlich versäumt, denn diese Dinge halten sich mir nicht zur Verfügung wie Dokumente in einem Archiv. Für wenige Tage sind sie greifbar, möglicherweise nur für einen Tag. Und entweder ich finde sie innerhalb der eng begrenzten Frist, oder sie existieren nicht mehr. Bei Briefkonvoluten und Fotografien hat das etwas Geisterhaftes."

In die Sätze des Autors schleicht sich immer mehr Nachdenklichkeit. Gleichzeitig lebt er eiin unbeschwertes Junggesellenleben. Hat eine feste Freundin und gleichzeitig mehrere Geliebte. Eine jungenhaft Leichtlebigkeit. Auch das gehört zum Autor. Stipendien ermöglichten Arno Geiger sich voll und ganz dem Schreiben zu widmen. Wir erleben die Geburt seiner Romane. Jedes Buch entwickelt sich auf seine spezielle Art.

Auch als erfolgreicher Autor schlüpft er immer wieder in seine Arbeitskleidung und durchstöbert Container. "Am Abend machte ich im Schauspielhaus eine Veranstaltung vor vollem Saal und Fernsehkameras. Zwei Tage später schlüpfte ich in Arbeitskleidung, und dann konnte ich wieder auf dem Rad beobachtet werden als anonymer Irgendwer, der dreckig seine Runde dreht. Je erfolgreicher ich wurde, desto weniger beunruhigt war ich bei dem Gedanken, wie wundersam die Haltbarkeit meines Doppellebens war, wie doppelt genäht." (S.117)

Viele kluge Sätze kann man lesen. Über die Logik des Lebens oder wie auf S. 139: "Krisen bekommen ihre Bedeutung erst vom Ende her zugewiesen."

Sehr einfühlsam beschreibt Arno Geiger, wie er sich wieder mehr seinen alternden Eltern zuwendet. Die fortschreitende Demenz seines Vaters verarbeitete er in einem Roman.

Der letzte Teil des Buches "Das glückliche Geheimnis" gefiel mir besonders gut. Im Grunde gibt es nur wenig Handlung, dafür umso mehr philosophische Betrachtungen über die Menschen und das Leben an sich. Und dann sind da noch die Schriftsteller in ihrer Blase und ihre Motivation zu schreiben.

Arno Geiger hat in diesem Buch sein Geheimnis gelüftet.






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Veröffentlicht am 08.11.2022

Seit hunderten von Jahren hängt alles mit allem zusammen

Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund
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Um es vorweg zu sagen, dieses Buch ist wie eine Perle in der Literatur. Der Roman mit Bezug auf tatsächliche geschichtliche Ereignisse, als auch diese faszinierende Sprache - es passt einfach alles.

Sobald ...

Um es vorweg zu sagen, dieses Buch ist wie eine Perle in der Literatur. Der Roman mit Bezug auf tatsächliche geschichtliche Ereignisse, als auch diese faszinierende Sprache - es passt einfach alles.

Sobald ich mich voll auf die Geschichte eingelassen hatte, war ich verzaubert von dieser nordischen Mystik, die in dem ganzen Buch präsent ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir vor einigen Jahren Norwegen 4 Wochen lang mit dem Wohnwagen bereisten und uns genau dort wo dieser Roman spielt, nördlich von Lillehammer, für einige Tage aufgehalten haben. Schon während unseres Aufenthaltes waren wir von dieser schieren Endlosigkeit des Fjells angetan. Ab und zu stand da mal ein Sommerhaus an einem See. Ansonsten unendlich Natur. Man konnte das Gefühl haben, allein auf der Welt zu sein, da uns kaum jemand - wenn man von den vielen freilaufenden Schafen absieht - begegnete. Wir besichtigten auch 2 Stabkirchen und wanderten über Friedhöfe, die meist ganz anders angelegt waren als bei uns. Und genau das, was wir auf unsere Reise sahen und empfanden, gibt der Autor in seinem Buch wider. Mir ging das Herz auf.

Doch jetzt zum Inhalt. Zu Beginn geht es zurück in den 1. Band der Trilogie, zu den siamesischen Zwillingen, den Hekne-Schwestern, die mit ihren geschickten Händen Kunstwerke wie Kissen oder diesen sagenumwobenen Wandteppich erschufen. Es war als wüssten sie, was sich alles nach ihnen ereignen wird, denn ihre Motive erzählen davon.

Seite 99, Kai Schwaigaart: "Das Kopfkissen ist den Träumen des Einsamen ganz nah."

Kai Schwaigaard, der Pfarrer in Butangen kennen wir schon vom ersten Band. Er war verliebt in Astrid, konnte aber deren Herz nicht gewinnen, da der deutscher Architekt Schönauer kam die Stabkirche zu zeichnen, anschließend abzubauen und nach Dresden zu verschicken, wo sie wieder aufgebaut wurde. Er zeichnete nicht nur die Kirche sondern auch Astrid, die sich in ihn verliebte und später bei der Geburt ihrer Zwillingen starb. Ab da setzt die eigentliche Geschichte des zweiten Bandes ein.

Wir lernen Jehans kennen, einer von Astrids Söhnen. Der zweite Junge sei bei seiner Geburt verstorben, hieß es. Auch Jehans musste, wie alle anderen Bewohner auch, bei Oswald, dem reichsten Landbesitzer der Gegend, Frondienste leisten. Dieser, ebenfalls ein Hekne, bestimmte über das Land und vor allem über die Menschen. Oswald missbrauchte seine Macht wann immer es ihm beliebte und warf die Menschen von den Höfen, vertrieb sie von dem Land das sie bestellten. Die Handlung des Buches ist in einer Zeit vor etwa 130 Jahren angesiedelt. Was für ein Unterschied zum heutigen Leben, wie wir es in Europa kennen. Während unserer Reise durch Norwegen besichtigten wir auch das Freilichtmuseum Maihaugen und während ich dieses Buch las erinnerte ich mich wieder an diesen Besuch. Vor meinen inneren Augen erstanden wieder die alten Hütten und Häuser des Museums, in denen zu früheren Zeiten die Menschen in Norwegen lebten.

Wieder zurück zum Roman: Doch Jehans ist mehr als nur ein Arbeiter auf dem Hekne-Hof. Kai Schwaigaart versprach sich um ihn zu kümmern und ihm Bildung zu vermitteln. Er lehrte ihn Englisch und brachte ihn mit Hilfe von Büchern mit der moderneren Welt da draußen in Kontakt. Jehans war aber auch ein Jäger und ging auf die Rentierjagd. Kannte deren Gewohnheiten und wie man sich ihnen am besten näherte.

Seite 50: "Die Rentiere kamen den Berghang herab wie die franz. Kavallerie."

Auf seiner Pirsch traf er auf den Engländer Victor, der sich ebenfalls auf Rentierjagd befand. Gleichzeitig hatten sie auf das Tier geschossen und es war nicht mehr genau auszumachen, welcher Schuss das Tier tötete. Auch da kommt wieder dieses Übersinnliche der nordischen Mystik zum tragen, als die beiden Männer sich ohne viel Worte zu wechseln, verstehen. Es ist, als wüssten sie, was der Andere in nächsten Moment zu tun gedenkt. Eine Verbindung jenseits des Erklärbaren. Man einigte sich schnell in Bezug auf das Rentier. Mehr will ich dazu nicht verraten. Von da an überschlagen sich fast die Ereignisse.

Der Roman spielt über mehrere Jahrzehnte. Auch diese abgeschiedenen Ansiedlungen bekamen den ersten Weltkrieg zu spüren. Und als man froh darüber war alles hinter sich zu haben, fand die spanische Grippe ihren Weg nach Butangen. Immer wieder spielen die kunstvollen Kissen und der Wandteppich der Hekne-Schwestern eine Rolle. Haben sie nicht vor Jahrhunderten schon all diese Ereignisse durch ihre Motive in dem Teppich dargestellt? Die Schwesternglocken, von denen eine in Dresden in der Stabkirche hängt und die zweite auf dem Grund des dunklen Sees in Butangen liegt um von dort zu läuten, dass es die Menschen hören und gewarnt werden.

Wie oben schon erwähnt, ist die nordische Mystik in diesem Buch allzeit gegenwärtig.

Geplant ist eine Trilogie. Natürlich kann man diesen 2. Band lesen, ohne den vorherigen zu kennen, da dieses Buch in sich abgeschlossen ist. Doch ich würde jedem empfehlen, zuerst den 1. Band zu lesen oder als Hörbuch zu hören. Die Hekne-Schwestern, Kai Schwaigaart, Astrid, Schönauer und vor allem Butangen werden im ersten Teil dem Leser nahe gebracht und im 2. Band hat man das Gefühl, zu liebgewordenen Bekannten zurück zu kehren.

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Veröffentlicht am 20.07.2022

Die Wahrnehmung der Realität den Vorstellungen des eigenen Lebens anpassen

Wir sind das Licht
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Das Buch "Wir sind das Licht" von Gerda Blees hat mir ausnehmend gut gefallen. Wer sich auf dieses Buch einlässt, darf keinen Roman der üblichen Art erwarten. Die eigentliche Geschichte wird schon im ersten ...

Das Buch "Wir sind das Licht" von Gerda Blees hat mir ausnehmend gut gefallen. Wer sich auf dieses Buch einlässt, darf keinen Roman der üblichen Art erwarten. Die eigentliche Geschichte wird schon im ersten Kapitel erzählt.


Die Wohngemeinschaft "Klang und Liebe" entsagt im Grunde allem, was dem Normalbürger wichtig ist. Die Mitglieder leben in 70er Jahre Möbel, schlafen auf Luftmatratzen und sind davon überzeugt, ohne feste Nahrung und nur von Licht und Luft leben zu können. Klingt verrückt und der logische Verstand sagt einem, dass dies nie gutgehen kann. Trotzdem sind die Mitglieder dieser Gemeinschaft davon überzeugt. Müde und abgemagert gehen sie unbeirrt ihren Weg, harren am Sterbebett ihrer Mitbewohnerin Elisabeth aus, die letztlich an Unterernährung und Entkräftung stirbt. Wegen unterlassener Hilfeleistung kommen alle in Untersuchungshaft und die Ermittlungen beginnen.


Danach setzt das Spannende dieses "experimentellen" Buches ein. Immer wieder wird die selbe Geschichte aus anderer Sicht aufgerollt. Jedes Kapitel beginnt mit: "Wir sind..." und es wird aus jeweils dieser Perspektive erzählt.


Kapitel 3: "Wir sind das tägliche Brot." Hat man schon jemals aus der Sicht eines Brotes unsere Nahrung und unser Leben betrachtet? Brot, das uns am Leben erhält aber im Denken der Mitglieder von "Klang und Liebe" nicht gut für den Körper ist und sinnlos zerkrümelt, aber nicht gegessen wird. Hunger, der so überwunden wird. Beim Lesen musste ich an Bölls "Das Brot der frühen Jahre" denken, denn dort ist Brot auch das Sinnbild für andere Lebensempfindungen. im Gegensatz zu dieser Betrachtungsweise ist das Wort Brot bei Böll aber positiv besetzt.


Kapitel 9: "Wir sind die Eltern". Die Bewunderung für ihre Kinder ist unverkennbar, denn jedes ihrer Kinder ist anders begabt. Doch es zeigt sich auch die Traurigkeit, wenn die eigenen Kinder im Erwachsenenalter mit Worten und Apellen an die Vernunft nicht mehr zu erreichen sind. Da ist Melodie, die mehr Aufmerksamkeit braucht als die anderen Kinder. (S.85/86) Ihr erstes Wort war nicht Papa oder Mama, sondern Cello. "Die Einzige, die wirklich ein Gespür hatte für die Schönheit von Bach, Mahler, Sibelius und all unseren Lieblingskünstlern." Näher wird in dem Kapitel: "Wir sind ein Cello" aus Sicht dieses Musikinstrumentes auf Melodies musikalische Laufbahn, üben bis zum Exzess und trotzdem das Scheitern, eingegangen. (S. 105): "Und damit wurde unsere gemeinsame Zukunft besiegelt. Eine bewegte Zukunft, können wir schon jetzt verraten. Freud und Leid haben wir mit ihr geteilt, aber wenn wir jetzt zurückdenken, erinnern wir uns vor allem an das Leid." Die Erkenntnis, das alles Fördern und Üben nicht reichte. Aus Melodie wurde nie eine große Cellistin. Sie blieb immer Mittelmaß, was sie selbst nicht akzeptieren konnte und enttäuscht die Musik gänzlich aufgab.


Oder Kapitel 10. "Wir sind ein Schmetterling". Ein wundervoller, neugeborener Schmetterling, der schlüpft und in Muriels Gedankenwelt lebt. "Mindestens einmal pro Tag, aber meistens öfter, schlüpfen wir aus unserem Kokon und entfalten unsere Flügel im Sonnenlicht, wobei sich unsere Musterung beeindruckend von der blaugelben Morgenluft abhebt...." Ich glaube, noch nie wurde ein Schmetterling, sowie die Wahrnehmung dieser Tiere mit solch einer Tiefe beschrieben wie in diesem Kapitel. Was löst der Blick auf einen Schmetterling bei Muriel - und sicherlich auch bei Lesern, die sich auf dieses Buch voll einlassen - aus? Es geht immer um Empfindungen, die durch einen äußeren Reiz wachgerufen werden. "Wodurch bekommst du Flügel?" (S. 97)


In allen Abschnitten spielt philosophisches Denken eine große Rolle. Fühlen und Empfinden kommt oftmals stärker zum Tragen als die Realität - auch wenn dies noch so irrational ist.


Kapitel 23: "Wir sind kognitive Dissonanz." (Seite 212) In diesem Kapitel geht es um den Selbstbetrug und wie die Mitglieder der Wohngruppe vor sich selbst die unterlassene Hilfeleistung erklären. Die Überzeugung, dass man Elisabeth einen Gefallen tat, als man bei ihrem Sterben ihre Hand hielt und bei ihr blieb anstatt einen Krankenwagen zu rufen. Spätere Selbstzweifel werden weggeleugnet. "Wir sind die unangenehme Empfindung, die Sie haben, wenn sich herausstellt, dass die Wirklichkeit nicht mit Ihren Überzeugungen übereinstimmt. Wenn sie sich aufgrund Ihres eigenen Verhaltens eingestehen müssen, dass Sie doch kleingeistiger, kleinlicher und konservativer sind, als sie dachten. Wir sind die Grimasse, die dann kurz über ihr Gesicht huscht, nur ein paar Sekunden, bis Sie es geschafft haben, sich eine Geschichte auszudenken, in der Sie die Fakten, oder Ihr eigenes Verhältnis dazu, so verdrehen, bis es den Anschein hat, als würde alles wieder stimmen. Wir sind der Vater und die Mutter Ihres Selbstbetrugs. Dafür müssen sie sich nicht schämen, Sie sind nicht der Einzige." Ganz deutlich wird es auf Seite 214 thematisiert: "Und ganz langsam setzen wir auch bei Muriel und Petrus die Rädchen des Selbstbetrugs in Gang....... und die Erinnerungen an ihre Erfahrungen in der Zelle werden schleunigst angepasst." Was für ein starkes Kapitel. Hier wird generell den Menschen tief in die Seele geschaut.


Dies ist ein Buch das man nicht von vorne nach hinten lesen muss. Jedes Kapitel steht für sich. Einige Kapitel wird man öfters lesen weil sie etwas in einem ansprechen. Andere Kapitel wirken abgehoben oder auch irrational. Aber jedes Kapitel ist eine eigene Betrachtungsweise die es wert ist, darüber nachzudenken. Es ist die Geschichte der Wohngemeinschaft "Luft und Liebe" und doch sind es auch Geschichten von uns selbst. Es wird hinterfragt und entgegen der menschliche Vernunft auch gerade gerückt und angepasst, bis hin zum Selbstbetrug. Das ist das Spannende und auch Skurrile an diesem Buch.


Zum Lesen aber nicht zur Nachahmung empfohlen.








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Veröffentlicht am 13.02.2022

Es kann jede Frau treffen

Brust raus
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Tanja Bülter war 48 Jahre alt als bei ihr die Diagnose "Brustkrebs" gestellt wurde. Auf Grund dieser eigenen Erfahrungen schrieb sie das vorliegende Buch "Brust raus".

Gleich zu Beginn stellte sie sich ...

Tanja Bülter war 48 Jahre alt als bei ihr die Diagnose "Brustkrebs" gestellt wurde. Auf Grund dieser eigenen Erfahrungen schrieb sie das vorliegende Buch "Brust raus".

Gleich zu Beginn stellte sie sich selbst die Frage, "wieso noch ein Buch zu diesem Thema, wo der Markt doch bereits vieles dazu hergibt und damit gesättigt ist?" Die Antwort auf diese Frage gibt das Buch selbst.

Sie ist getrennt lebende und allein erziehende Mutter mit 2 Kindern und hat auch beruflich ihren Platz im Leben gefunden. Als Journalistin bei RTL ist sie erfolgreich und im Grunde könnte alles so geordnet weiterlaufen, wie sie sich das Leben eingerichtet hat. Doch eines Tages merkte sie, dass an ihrer Brust etwas anders war. Meine "Mistbeule" nennt sie von da an den aggressiven Krebstumor, der recht schnell diagnostiziert wurde. Das ganze geordnete Leben war auf einmal in völliger Unordnung. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Wem sollte sie sagen, dass sie an Brustkrebs erkrankt war? Von Anfang war für sie klar, dass nur ein kleiner Kreis eingeweiht werden sollte. Gerade so, wie es gut für sie ist. Nichts in die Öffentlichkeit.

Noch bevor sie mit der Chemo begann erkannte sie, dass sie mehrere Menschen in ihrem Umfeld einweihen musste, da sie auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. Ihre Freundinnen boten sofort an, sie wechselweise von der Chemo abzuholen und nach Hause fahren. Ihre Mutter als auch ihr getrennt lebender Mann würden sie bei der Betreuung der beiden Kinder entlasten. Natürlich musste ihr Chef eingeweiht werden, der auch später immer wieder sehr viel Verständnis für ihre Situation hatte, genau wie die nächsten Kollegen. Als es mit der Behandlung los ging, halfen ihr diese Menschen, die Monate der Chemo einigermaßen gut zu überstehen.

Das ist auch einer ihrer Ratschläge: Man darf sich nicht scheuen Hilfe anzunehmen. Besonders in dieser Situation braucht man Menschen die einem den Alltag erleichtern, wenn man alleine nicht mehr zurecht kommt.

Tanja Bülter, eine hübsche Frau die ausstrahlt mit beiden Beinen im Leben zu stehen, ist der Blickfang des Covers. Als Journalistin ist sie seit Jahren regelmäßig im TV zu sehen. Gutes Aussehen ist in diesem Job Teil des beruflichen Kapitals. Ihre bange Frage: Wie soll es weitergehen, wenn sie durch die Chemo ihre Haare verliert? Ein Katalog mit Perücken bringt sie fast zur Verzweiflung. Doch zum Glück ist die med. Entwicklung inzwischen auch da weiter. Als Journalistin weiß Tanja wie man recherchiert und erfährt von "Kühlkappen" (S. 26/27), die den Haarausfall zu einem hohen Prozentsatz stoppen können. Um es vorweg zu nehmen - sie brauchte nie auf eine Perücke zurück greifen.

Viele Arztbesuche, Beratungsgespräche und vor allem Planung waren nötig bevor die aggressive Behandlung beginnen konnte. Immerhin will sie während der Zeit der Chemo nicht wochenlang zu Hause rumhängen sondern weiter arbeiten. Sobald die Chemo vorüber ist gibt es eine OP und anschließend Bestrahlung - so war der Plan.

Tanja Bülter nimmt in diesem Buch den Leser mit durch ihre Höhen und Tiefen während der Behandlung. Dank ihres Berufes als Journalistin ist sie versiert, sich in fließender Sprache und auch für Laien verständlich auszudrücken. Dadurch entstand ein Buch, das man einerseits nur so weg lesen kann und trotzdem sehr viele Informationen rund um die Erkrankung erhält.

Es gibt mehrere grau unterlegte Passagen, für die man sich Zeit und vor allem Konzentration nehmen muss. Es lohnt sich! Ich denke, diese Teile sollte man mehr als nur einmal lesen. Da werden nicht nur Fachbegriffe erklärt sondern es gibt handfeste Informationen rund um die Behandlung, die Ernährung (ab S. 120 Christopher Crell, Ernährungsexperte) oder das Interview (S. 150/151), mit Dr. Med. Claudia Herzler, Fachärztin für Dermatologie, Proktologie, Venerologie, Allergologie. Sie beantwortet Fragen der Autorin. Z. B. "Nach einer OP haben die meisten Patientinnen mit Narbengewebe zu kämpfen. Was kann ich aktiv tun, um die Narben bestmöglich zu versorgen?" usw.

"Was genau passiert bei einer Strahlentherapie, was bewirkt sie?" Darüber gibt PD Dr. Christian Weissenberger auf den Seiten 153 bis 161 Auskunft.

Von ihrem Onkologen bekam die Autorin ein Rezept für eine Heilsuppe, die eine seiner ehemaligen Patientinnen gegen Übelkeitsattacken entwickelte (S.133) und deren Zubereitung man nachlesen kann. Auch auf "Chemobrain" geht die Autorin auf Seite 135 ein. Eine Nebenwirkung der Behandlung war die Vergesslichkeit, ein absolutes Novum für Tanja.

Das Buch ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht und einem Sachbuch. Obwohl es sich um eine absolute Ausnahmesituation handelte, schreibt Tanja zwar emotional, drückt aber weder auf die Tränendrüse noch schreibt sie übertrieben euphorisch. Ganz sicher hatte sie während der Zeit der Therapie sehr viele Ängste. Doch beim Schreiben blieb sie klar und zuversichtlich. Tanja wusste von Anfang an, dass es sich um einen sehr aggressiven Krebs handelte, wusste aber auch, was sie wollte: Gesund werden.

Dieses Buch sollten nicht nur Brustkrebspatientinnen lesen. Ich denke, die persönlichen Erfahrungen von Tanja Bülter zeigen auch Angehörigen und Freunden von Betroffenen unterschiedliche Wege, wie sie die Patientinnen unterstützen und auch selbst mit all den Anforderungen die auf sie einstürzen, umgehen können.

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Veröffentlicht am 06.01.2022

Mit einer Charme-Offensive manilulieren Narzissten ihren Partner oder Partnerin um ihre Ziele zu erreichen

Die perfiden Spiele der Narzissten
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Wer kennt sie nicht, die Zeitgenossen, über die entschuldigend gesagt wird, "ach, die sind etwas eigen und haben ihre Marotten". Doch wo liegt die Grenze zum Narzissmus?

Der Autor gibt in diesem Buch ...

Wer kennt sie nicht, die Zeitgenossen, über die entschuldigend gesagt wird, "ach, die sind etwas eigen und haben ihre Marotten". Doch wo liegt die Grenze zum Narzissmus?

Der Autor gibt in diesem Buch Aufklärung darüber, denn es ist sein Spezialgebiet. Am Ende weiß man als Leser, dieses Gebiet ist vielschichtiger als gedacht. Besonders gegen die Charme-Offensiven, mit denen viele Narzissten ihre Wünsche in der Partnerschaft durchsetzen, fühlen sich ihre Opfer machtlos. Angst vor Abwendung ist eine starke Triebfeder, die eine eingenständige Befreiung dauerhaft blockieren kann. Mit ihrer Unfähigkeit Grenzen zu ziehen, und einem zu großen Toleranzverhalten fördern die Opfer noch das Ausbreitungsbestreben des Narzissten. Wie ein Schauspieler braucht ein Narzisst die Bühne und sucht Ruhm. Sein Leitsatz: "Ich verdiene diese Anerkennung". (S.55)

Bei dem Opfer führt ein übergroßer Wunsch nach Geborgenheit und Versorgung, leicht zu starker Abhängigkeit (S.76). Tatsächlich ist das in uns Menschen angelegte Bedürfnis nach Zugehörigkeit stärker als das nach Autonomie. (S.41) Angst bestimmt immer die Richtung, in die Konflikte gelebt werden. Das gilt für alle Konflikte in uns. (S.39) All das spielt einem Narzissten in die Hände. Er genießt seine Macht.

Das sind einige der wichtigsten Sätze des Kapitels "Das Spiel um Autonomie", die sehr viel über das Verhältnis von Narzissten und deren Opfer - die sich oftmals gar nicht als Opfer empfinden - beschreiben. Sie sind leidensfähig.

Dr. med. Pablo Habemeyer stellt in diesem Buch mehrere Beispiele von narzistischen Beziehungen aus seiner Praxis vor. In keiner der vorgestellten Beziehungen outet sich der Partner von Anfang an als Narzisst. Im Gegenteil! Anfangs scheint alles perfekt. Der Narzisst entwickelte nach und nach sein Machtstreben, umgarnt anfangs seine Mitmenschen und nimmt immer mehr Besitz von seiner Partnerin, bis sie nicht mehr weiter weiß und sich fragt: Wer bin ich?

Nehmen wir das Kapitel 4, "Das Spiel um Macht".

Die Kraft, die im Verborgenen wirkt: Macht!. Dabei macht es uns krank, wenn wir uns hilflos ausgeliefert fühlen (S. 101). Oftmals wird der falsche Weg eingeschlagen, die Flucht nach innen (S.102) Das Opfer sucht die Schuld bei sich selbst. Wenn ich etwas netter gewesen wäre, dann.... Wenn ich ihm mehr Verständnis entgegengebracht hätte, dann....... Die Argumente zielen immer darauf ab, die eigene Person oder Handlungsweise infrage zu stellen - nie den Partner.

Wer glaubt, Narzissten würde man nur in Beziehungen begegnen, der irrt. Man findet diese Spezis Mensch auch unter Vorgesetzten. "Kritik wird als Angriff gegen die eigene Person gewertet, denn Kritik gefährdet die persönliche Großartigkeit. Die eigenen Spielregeln werden nicht hinterfragt."

Besonders gut gefiel mir: "Ihr Chef nervt durch ständige Besserwisserei und Selbstüberschätzung. Im Extremfall haben sie es mit dem Dunning-Krueger-Effekt zu tun: vollkommener Blödheit bei subjektiver Überzeugung genial zu sein. (S.124)

Im Volksmund nennet man solche Leute auch Blender oder Schaumschläger, die sich selbst für ganz Großes wähnen, im Grunde aber nur Dilettanten sind und dies auf die oben beschriebene Art überspielen. Man muss genau hinschauen und hinhören. Diese Sinne werden beim Lesen sensibilisiert.

Wer sich auf dieses Buch von Pablo Hagemeyer tiefergehend einlässt und die einzelnen Kapitel durcharbeitet, der lernt auch solche Leute zu erkennen, sieht ihre Schwächen, die sie unbedingt verbergen wollen und lernt auch vor solchen Blendern keine Angst mehr zu haben und mit ihnen umzugehen. Wie der Autor an verschiedenen Stellen ausführt, muss man solche Menschen mit den eigenen Waffen schlagen und in speziellen Fällen auch mal auf Schmeichelei zurückgreifen. Auch dafür gibt er Beispiele.

Was allen Narzissten gleich ist, das ist die emotionale Erpressung, die sie ohne schlechtes Gewissen anwenden, wenn es ihnen Vorteile verschaffen kann. Der Autor nennt dies Mißbrauch. Diese Mechanismen zu erkennen, hilft dieses Buch.

In Kapitel 6 "Das Spiel um Identität" führt er den Fall von Emma an, die es schafft, sich von den Jahren an Emils Seite zu erholen und sich ein eigenes Leben aufzubauen. "Man muss erst mit sich selbst klarkommen, bevor es mit anderen Menschen funktioniert", sagte mal einer seiner Patienten. (S.178) Der Autor ermutigt: "Stellen Sie sich selbst einmal die Frage: Wer bin ich? Aus welchen Selbsanteilen bestehe ich? Welche Rollen spiele ich im Leben? In meinem eigenen und im Leben der anderen." (S. 179) Der Autor zitiert David McClelland, der davon sprach, dass der eigene Erfolg und Misserfolg bis zu 95 % von den Menschen in unserem Umfeld abhängt. (S. 184) Und immer wieder kommt die Aufforderung Grenzen zu setzen und deren Einhaltung auch von den Mitmenschen einzufordern.

Dieses Buch "Die perfiden Spiele der Narzissten" von Dr. med. Pablo Hagemeyer ist eine der besten Anleitungen die ich bisher las, die Menschen im (persönlichen) Umfeld zu erkennen und mit ihnen umzugehen, toxische Beziehungen - egal ob in einer Beziehung oder in einer Tätigkeit - rechtzeitig als solche zu erfassen und eigene Grenzen setzen, bevor man in eine ungesunde Abhängigkeit, bzw. in ein Gespinst aus Boshaftigkeit gerät.

Der Autor schreibt in einer auch für Laien verständlichen Ausdrucksweise und die einzelnen Kapitel sind zudem übersichtlich nach Themen aufgebaut. Ein Rat von ihm gefiel mir gesonders gut: Man soll nicht darauf hoffen und warten, dass sich der Narzisst ändert - man muss sich selbst ändern. Sei es die Beziehung zu beenden, sich psychologische Hilfe zu holen, eigene Wege zu gehen usw. Auf jeden Fall ist es wichtig selbst aktiv zu werden und nicht in der Dulderrolle zu verharren.

Dieses Buch kann ich nur jedem empfehlen .


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