„Die Gastgeberin hatte von einem offenen Haus fabuliert, von internationalen Gästen, die die internationalen Zeitungen lesen. Man wäre gebildet und liberal, alles das aber keineswegs aufgesetzt oder demonstrativ. ...
„Die Gastgeberin hatte von einem offenen Haus fabuliert, von internationalen Gästen, die die internationalen Zeitungen lesen. Man wäre gebildet und liberal, alles das aber keineswegs aufgesetzt oder demonstrativ. Die Speisen kämen ohne viel Aufwand auf den Tisch.“
Die Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet, die Playlist (Jazz, was sonst?!) sorgfältig kuratiert, das Essen vordergründig unprätentiös, doch exzellent, die Gäste ausgewählt: Nun kann eigentlich nichts mehr schiefgehen bei dieser großstädtischen, stilvollen Dinnerparty im kleinen Kreis. Und doch ist die namenlose Gastgeberin (namenlos bleiben auch der Gastgeber und die Gäste, ein befreundetes Ehepaar und „der Schweizer“) trotz scheinbarer Gelassenheit ein Nervenbündel. Denn Mühelosigkeit ist wahrlich harte Arbeit …
In verschiedenen Szenarien lässt Teresa Präauer immer wieder denselben Abend passieren. Mal kommt der eine, mal die anderen zu spät. Mal drehen sich die Gespräche um dieses, mal um jenes Thema. Und mit jeder Variation wird der Druck größer, der Ton garstiger, die Anspannung höher. Linderung verschafft einzig die – überaus berührend und poetisch beschriebene – Erinnerung an die Kindheit, in die die Gastgeberin sich flüchtet. Und der Crémant.
Ich muss gestehen, dass der Roman mich ein wenig ratlos zurücklässt. Er liest sich (buchstäblich) sehr flüssig, will sagen: Man fließt durch die Lektüre wie der Alkohol durch die Kehlen der Figuren. In seinen besten Momenten – und davon gibt es zahlreiche – ist er wunderbar entlarvend, und doch bleibt ein vages Gefühl von „Da hätte irgendwie noch mehr kommen können“ zurück, ein bisschen wie der pelzige Geschmack auf der Zunge nach zu viel Schaumwein.
Alles in allem war es für mich ein überaus unterhaltsames, kurzweiliges Leseerlebnis, das allerdings meine (möglicherweise zu hohen) Erwartungen nicht vollkommen zu erfüllen vermochte. Doch das mag, möchte ich ausdrücklich betonen, auch an mir und weniger an dem Roman gelegen haben.
So hat Detective Chief Inspector Jonah Sheens sich seinen Nachmittag wahrlich nicht vorgestellt: Als er mit seiner kleinen Tochter die ungewöhnlich warme Septembersonne in einem Biergarten genießt, wird ...
So hat Detective Chief Inspector Jonah Sheens sich seinen Nachmittag wahrlich nicht vorgestellt: Als er mit seiner kleinen Tochter die ungewöhnlich warme Septembersonne in einem Biergarten genießt, wird er unvermutet zum Protagonisten einer höchst besorgniserregenden Szene: Eine junge Frau taumelt ihm entgegen, langes, leuchtend rotes Haar, blasses Gesicht, Hände, Arme und T-Shirt über und über mit Blut verschmiert. Doch irritierenderweise wirkt Keely Lennox, so stellt sie sich vor, desungeachtet ziemlich gelassen, wenn nicht sogar amüsiert. Ihre Schwester Nina sei verschwunden, teilt sie ihm mit. Sheens ist beunruhigt – und stellt sich gleichzeitig die Frage, inwieweit Keely an diesem „Verschwunden“ beteiligt sein mag. Ist sie eine Zeugin? Selbst ein Opfer? Oder gar – die Täterin?
Keely erklärt sich bereit, alle seine Fragen zu beantworten. Aber erst, nachdem sie ihre Geschichte erzählt. Nach und nach enthüllt sie Sheene immer verstörender werdende Details ihrer Vergangenheit. Doch sagt sie auch die Wahrheit? Derweil bleiben Ninas Aufenthaltsort und Zustand trotz der fieberhaften Ermittlungen seines Teams ungewiss. Und die Zeit verrinnt …
„Was ich euch verschweige“ (aus dem Englischen von Kristian Lutze) ist der nunmehr vierte Band der „Detective Chief Inspector Sheens ermittelt“-Reihe (allerdings lassen sich die Bände relativ problemlos unabhängig voneinander lesen). Wieder gelingt es Gytha Lodge, die Spannung kontinuierlich aufzubauen und die Story mit immer neuen Wendungen in eine unvermutete Richtung zu lenken. Das ist vor allem der Figur der Keely zu verdanken, deren Undurchsichtigkeit und Widersprüchlichkeit die gesamte Handlung trägt.
Mein einziger Wermutstropfen war die für mich etwas verworrene Auflösung in Verbindung mit einem letztlich doch recht banalen Ende. Nichtsdestotrotz bietet „Was ich euch verschweige“ über den Großteil der Lektüre hinweg spannende und kurzweilige Krimiunterhaltung!
„Ein untrügliches Zeichen der Liebe ist wohl, dass es den Liebenden möglich ist, einander anzuschauen, ohne auch nur in die geringste Verlegenheit zu geraten.“ (35)
Sommer 1990. Die Mauer ist gefallen, ...
„Ein untrügliches Zeichen der Liebe ist wohl, dass es den Liebenden möglich ist, einander anzuschauen, ohne auch nur in die geringste Verlegenheit zu geraten.“ (35)
Sommer 1990. Die Mauer ist gefallen, die Grenzen sind offen. Zum ersten Mal in ihrem Leben reisen Ella und René, ein junges ostdeutsches Paar, durch Frankreich. Das Budget ist klein, der Freiheitsdrang umso größer. Unversehens gelangen sie zu dem Schloss der Comtesse de Violet, das diese mit dem einzigen ihr verbliebenen Dienstboten bewohnt. Der einst prunkvolle Bau verfällt zusehends, in dem darin beherbergten Hotel wurden schon seit geraumer Zeit keine Gäste mehr empfangen. Umso erstaunlicher ist es, dass Ella und René ein Zimmer bekommen, ja, mehr noch: Die distanziert-elegante Comtesse erweist dem Pärchen die Ehre, mit ihr dinieren zu dürfen. Das Essen ist vorzüglich, die Atmosphäre unterkühlt – bis Alain, der hitzköpfige Sohn der Gräfin unangekündigt aus Paris anreist und die unterschwellig angespannte Situation zwischen ihm und seiner Mutter eskaliert, wovon auch Ella und René nicht unberührt bleiben. In der Folge reist René mit Alain nach Paris – ohne Ella …
… und mehr möchte ich über den Inhalt des Romans nicht verraten, auch wenn es noch sehr, sehr viel mehr zu erzählen gäbe. Denn Mario Schneiders scheut sich in seinem Romandebüt nicht davor, die ganz großen Themen des Menschseins aufzugreifen: Vergangenheit und Zukunft, Hoffnung und Verzweiflung, Lebenshunger und Lebensüberdruss und – natürlich! – die Liebe, in all ihren Schattierungen. Doch so monumental diese Themen auch sein mögen: Der Autor nimmt sich ihrer mit einer Leichtigkeit und Eleganz an, die so erfrischend ist wie ein Rosé an einem heißen Sommertag – und das, ohne in Banalitäten abzugleiten.
Vielleicht kennt ihr das, dass man sich während der Lektüre eines Buches die Frage stellt, wie eine Verfilmung aussähe. So ging es mir mit „Die Paradiese von gestern“. Doch wenn ich ehrlich bin, bedürfte es dieser gar nicht: Der Roman ist so atmosphärisch, lebendig und plastisch, dass der „Film“ sich ganz von allein vor dem inneren Auge entfaltet.
Zwei kleine Kritikpunkte habe ich indes doch. Zum einen hätte manche Passage und mancher Dialog für meinen Geschmack gerne etwas straffer erzählt werden dürfen. Zum anderen sollte man die an einigen Stellen etwas eigenwillige Interpunktion für die nächste Auflage vielleicht noch einmal überarbeiten.
Sabine Yao, Rechtsmedizinerin der Berliner BKA-Einheit „Extremdelikte“, wird unversehens mit einem Fall konfrontiert, der sie in ihrem Innersten erschüttert: Ihre seit Tagen vermisste Tante wurde in der ...
Sabine Yao, Rechtsmedizinerin der Berliner BKA-Einheit „Extremdelikte“, wird unversehens mit einem Fall konfrontiert, der sie in ihrem Innersten erschüttert: Ihre seit Tagen vermisste Tante wurde in der Nähe von Kiel tot aufgefunden, offenkundig wurde sie ermordet. Sabine reist sofort in ihre alte Heimat, und dank der Beziehungen ihres Chefs bekommt sie die Gelegenheit, sich über die Ermittlungsergebnisse zu informieren. Doch das reicht Sabine nicht – sie will den Fall aufklären. Und sie hat auch schon eine Spur …
Dass der habilitierte Rechtsmediziner Michael Tsokos auch fesselnde Bücher schreiben kann, hat er bereits mehr als einmal unter Beweis gestellt. Und auch „Kaltes Land“ bietet spannende Unterhaltung, wobei für mich vor allem die Verwendung des Fachvokabulars nicht nur faszinierend, sondern durchaus auch lehrreich war (merke: Löcher in einer Bluse nennt man „Stoffedefekte“, bestimmte Spuren heißen „Residuen“). Allerdings bleibt nach meinem Empfinden die Figurenzeichnung etwas auf der Strecke – die Figuren sind in ihrem Wesen, ihrem Charakter, ihren Empfindungen und Handlungen nicht soooo komplex – und auch das Ende kam etwas abrupt, was dem Roman etwas „Unfertiges“ verleiht.
Fazit: Ein durchaus solider Thriller, wenngleich bei Weitem nicht Tsokos‘ bester.
Dora ist ausgelaugt. Die Beziehung zu ihrem Freund wird zusehends belastet, denn Robert entwickelt immer militantere Ansichten zum Umweltschutz, zur Durchsetzung von Corona-Maßnahmen, überhaupt zu allem, ...
Dora ist ausgelaugt. Die Beziehung zu ihrem Freund wird zusehends belastet, denn Robert entwickelt immer militantere Ansichten zum Umweltschutz, zur Durchsetzung von Corona-Maßnahmen, überhaupt zu allem, was derzeit bewegt. Und er erhält als Online-Redakteur ungeahnten Zuspruch. Dora selbst hat trotz der Pandemie und eingefrorener Budgets ihren Job als Senior-Texterin einer Werbeagentur zwar behalten können, doch das Homeoffice ihrer gemeinsamen Altbauwohnung ist plötzlich viel zu klein, viel zu eng, seit Robert und sie pausenlos aufeinanderhocken.
Kurzentschlossen packt Dora ihre Hündin und zieht in ihr frisch erworbenes Haus im brandenburgischen Dorf Bracken – ohne Robert. Ein altes Gutshaus, ein verwildetes Grundstück und „dank“ Lockdown viel Zeit; Dora hofft, hier endlich zur Ruhe zu kommen. Die Zimmer streichen, den Garten kultivieren und nebenbei an der Werbekampagne für ein neues – selbstverständlich nachhaltiges – Jeanslabel arbeiten: So könnte man dem Wahnsinn entkommen, ohne ihm selbst anheimzufallen.
Doch Bracken ist nicht Berlin, weder was seine Bewohnerinnen noch deren Leben oder Probleme angeht. Doras direkter Nachbar, der kahlrasierte „Gote“, stellt sich ihr gleich unmissverständlich als „der Dorf-Nazi“ vor. Der andere Nachbar, Heini, macht gerne Witze, die nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Tom wiederum, der mit seinem Mann Steffen eine kleine Floristik-Manufaktur unterhält, wählt die AfD. Eigentlich alles klar. Oder? Genau so stellt man sie sich vor, die Dörfler jenseits des Speckgürtels. Tendenziell rechts, rassistisch und abgehängt.
Doch so einfach ist die Welt, wie man sie sich als Vertreterin einer woken Generation im urbanen Berlin vorstellt, dann doch nicht, muss Dora erkennen. Wenn es um reale Personen geht, greifen sozio-kulturelle Kategorien nur bedingt – oder gar nicht. Denn der „Dorf-Nazi“ ist eben nicht nur der Dorf-Nazi (auch wenn er des Abends mit Gleichgesinnten das Horst-Wessel-Lied singt). Der AfD-Wähler ist nicht nur ein AfD-Wähler. Der homosexuelle Ex-Schauspieler nicht nur ein Feingeist. Doch wenn es auf all diese Kategorien nicht ankommt, wenn keiner in die ihm zugewiesene Schublade passt, was sagt das über ihn und noch viel mehr über die aus, die in diesen Schubladen denkt? Und worauf kommt es denn eigentlich dann an?
Uff. Selten hat mich eine Lektüre so unentschlossen, so ratlos hinterlassen wie diese. Der Anfang des Romans hat mich entsetzlich erschöpft, denn Juli Zeh packt im ersten Viertel gleich das ganz große Besteck aus: Pandemie, Klimakatastrophe, Flüchtlingskrise, Alltagsrassismus, Rechtsextremismus, Chancenlosigkeit, Wendeverlierer, struktureller Wandel – es bleibt nahezu nichts unerwähnt. Und so sehr all diese Themen natürlich ihre Berechtigung haben, so sehr sie es verdient haben, auch literarisch geformt, benannt und transportiert zu werden: Es ermüdet nicht nur, letztlich wird die Fülle den Sachverhalten im Einzelnen auch nicht gerecht.
Die Geschichte Doras, die das urbane Kreuzberg hinter sich lässt, um im brandenburgischen Dorf Bracken der Pandemie (und ihrem bisherigen Leben) zu entfliehen, ist insgesamt zweifellos aktuell, die geschilderten Probleme akut, die Quintessenz ihrer Erkenntnis, dass soziokulturelle Kategorien nur bedingt dazu taugen, einen „echten“ Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen, wahr – und gleichzeitig entsetzlich banal.
Man muss nicht Soziologie studiert haben, um zu wissen, dass sich Identität aus vielen verschiedenen Rollen zusammensetzt, die mitunter in Konflikt zueinander stehen. Man muss nicht in ein brandenburgisches Dorf ziehen, um zu wissen, dass die Wende nicht nur „blühende Landschaften“ erzeugt hat. Und man muss auch nicht die Tochter eines wohlhabenden renommierten Chirurgen sein und erst eine alleinerziehende Mutter mit Knochenjob kennenlernen, um zu erkennen, dass soziale Ungerechtigkeit existiert. „Man“ muss das nicht – Dora, die naive, um nicht zu sagen: etwas dümmliche Protagonistin, schon.
Dennoch konnte ich dem Roman letzten Endes einiges abgewinnen, und das liegt vor allem an Juli Zehs Erzähltalent. So ermüdend für mich bisweilen der Inhalt, so banal die Botschaft auch waren – so gut waren die Sprache, die Art des Erzählens und letztlich auch die Handlung.
Deshalb kann ich „Über Menschen“ weder uneingeschränkt empfehlen, noch kann ich von der Lektüre abraten. Ich kann nur sagen, dass ich die Meinung jener, die das Buch feiern, ebenso nachvollziehen kann wie derer, die genervt die Augen verdrehen. Vielleicht macht ihr euch am besten selbst ein Bild?