Cover-Bild Unsre verschwundenen Herzen
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25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 400
  • Ersterscheinung: 05.10.2022
  • ISBN: 9783423290357
Celeste Ng

Unsre verschwundenen Herzen

Roman | Unter den besten Büchern des Jahres 2022 u.a. in People, TIME Magazine, The Washington Post, Los Angeles Times und Oprah Daily
Brigitte Jakobeit (Übersetzer)

"Ein eindringliches Nachsinnen über die - manchmal unbeabsichtigte - Macht der Worte." Stephen King

Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die »amerikanische Kultur« bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche. Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich. Eine genauso spannende wie berührende Geschichte über die Liebe in einer von Angst zerfressenen Welt.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.12.2022

Eindringliche Botschaften gegen himmelschreiendes Unrecht

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Die Welt, in der Celeste Ngs dritter Roman 'Unsere verschwundenen Herzen' (im amerikanischen Original 'Our Missing Hearts') spielt, ist erschreckend! Nach einer wirtschaftlichen Krise, auf die nicht näher ...

Die Welt, in der Celeste Ngs dritter Roman 'Unsere verschwundenen Herzen' (im amerikanischen Original 'Our Missing Hearts') spielt, ist erschreckend! Nach einer wirtschaftlichen Krise, auf die nicht näher eingegangen wird, die wie das bei Krisen nun einmal so ist, zu heftigen Unruhen führte und einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung die Lebensgrundlage entzog, ist vermeintlich Ruhe eingekehrt. Wie ist das geschehen, fragt man sich. Nun, es wiederholte sich etwas, das sich schon viele Male zuvor in der Geschichte der Menschheit ereignet hat – man fand einen Schuldigen, dem man die ganze Malaise aufbürdete, organisierte eine demagogisch clevere Hetzkampagne und verkündete gleichzeitig, dass man unbedingt wieder zurück müsse zu den Traditionen und Tugenden, die das Land – in vorliegender Geschichte die Vereinigten Staaten von Amerika – einst groß gemacht hatten. PACT wurde gegründet, der 'Preserving American Culture and Tradition Act'! Das klingt harmlos genug, denn schließlich ist es doch durchaus löblich, die eigene Kultur und die alten Traditionen hochzuhalten, nicht wahr? So mögen sich die Amerikaner, wie viele andere Völker vor ihnen, denen man mit solchen und ähnlichen Parolen eine Diktatur aufgedrückt hatte, die nur vordergründig das Leben der Menschen verbesserte, gedacht haben. Aber wie das Diktaturen nun einmal so an sich haben, war es nun vorbei mit der Freiheit! Jeder begann jeden zu bespitzeln, das Denunziantentum feierte also fröhliche Urständ – und scheint ohnehin im Menschen angelegt zu sein. Man muss es nur von staatlicher Seite sanktionieren. Jeder, der nicht ins System passt, hat Repressalien zu befürchten, jeder, der es wagt, eine Meinung zu äußern, die konträr ist zum verordneten Denken, genauso.
Aber kommen wir nun zu dem Roman, der mich ob seiner erschreckenden Realitätsnähe gehörig durchgeschüttelt hat und der mich auch noch nach beendeter Lektüre verfolgt, geradezu heimsucht! Die Hauptperson ist der 12jährige Junge Noah, der sich allerdings Bird nennt. Öffentlich darf er das zwar nicht mehr, dennoch bleibt er bei dem Namen. Bird ist Bird – und ich denke, das passt so, vor allem, nachdem man allmählich mehr erfährt über ihn und sein Heranwachsen mit den unzähligen Märchen und Geschichten seiner Mutter. Er lebt mit seinem Vater, einem ehemaligen Harvard-Dozenten, in einer winzigen Wohnung im Studentenheim in Cambridge. Ein sehr eingeschränktes Leben freilich, das von den ständigen Weisungen des Vaters geprägt ist, den Kopf geduckt zu halten, so wenig zu sagen, wie möglich, sich vorwiegend zu Hause aufzuhalten, unsichtbar zu sein in einem Wort. Es könnte brenzlig werden, wenn Bird, auf welche Art auch immer, auffallen würde. Der Grund dafür ist zum einen die Tatsache, dass seine Mutter chinesischer Abstammung ist – es sind also hier die Chinesen, die als Sündenböcke für alles Böse, das dem Land und seiner Bevölkerung widerfahren ist, herhalten müssen. Anklänge finden sich ja leider auch in der Realität, allzumal die Amerikaner eine Tradition haben, wenn ich das einmal so nennen möchte, im Wittern antiamerikanischer Aktivitäten. Man denke nur an die unselige Kommunistenhatz des vom Verfolgungswahn gepeinigten Senators McCarthy in den späten 40er und frühen 50er Jahren... Und zum anderen ist Birds Mutter, Margaret, vor einigen Jahren ins Visier der PACT-Hüter geraten und sah sich schließlich gezwungen, sich von Mann und Sohn zu trennen, um vor allem den Jungen zu schützen. Eine besonders perfide Maßnahme, die man ersonnen hatte, um aufmüpfige Eltern gefügig zu machen, ist es nämlich, ihnen in Nacht- und Nebelaktionen die Kinder wegzunehmen, um sie in systemtreuen Familien, Kinderheimen oder wo auch immer unterzubringen.
Es ist dieses Verbrechen, das den Hintergrund der Handlung bildet, das sie trägt und gegen das sich Unbekannte, Mutige, solche mit Zivilcourage mit merkwürdigen, doch stets aufsehenerregenden Aktionen zur Wehr setzen. Immer geht es darum, 'die verschwundenen Herzen' zurückzubringen, ein Synonym für all die gestohlenen Kinder. Diese Zeile aus einem völlig missinterpretierten Gedicht Margarets, somit auch der Hauptgrund für ihr letztliches Verschwinden, wurde zum Slogan derjenigen, die das Unrecht bekämpfen, im Untergrund, unerkannt. Schließlich macht sich Bird, der mit offenen, wenn auch bemüht niedergeschlagenen Augen durch sein reduziertes Leben schleicht, entschlossen auf die Suche nach seiner Mutter, über die sich sein Vater beharrlich ausschweigt. Was hat es mit ihrem Verschwinden wirklich auf sich, warum hat sie, die er so schmerzlich vermisst und an die er wunderschöne Erinnerungen bewahrt hat, die ihm einen Hauch jener Geborgenheit vermitteln, die er bei Margaret immer verspürte, ihn verlassen? Während er sie in New York sucht, begreift er langsam das Ungeheuerliche, in das sich eine ganze Nation erstaunlich willig fügt. Und als er dann seine zunächst seltsam verändert erscheinende Mutter endlich findet, die beiden zögernde Schritte aufeinander zu machen und Margaret immer weiter erzählt, von sich selbst, von Bird, von der Krise und dem, was danach kam, wächst ein neues Verständnis in ihm, Verständnis für seine Mutter, für das, was sie, die nie politisch war, bevor man sie an den Pranger stellte, bewegt und was sie kompromisslos und mit größtem Engagement verfolgt, nämlich all die verschwundenen Herzen, die ihren Eltern gestohlenen Kinder ausfindig zu machen. Er versteht, dass diese Kinder zurückgebracht werden müssen – und er vertraut seiner Mutter, die in einer so spektakulären wie für sie gefährlichen Aktion die unterwürfige Nation aufrütteln möchte. Botschaften dieser Art setzen sich in den Köpfen fest, werden weitergegeben – bis, und darauf hofft Margaret, eine Lawine ins Rollen kommt, die den Riss in dem System aus subtilem Terror, offenen Grausamkeiten, Denunziantentum und himmelschreiendem Unrecht, der haarfein ja bereits da ist, der Diktaturen von Beginn an anfällig dafür macht, zu einem riesigen Spalt machen und eines Tages das Ganze einfach zum Einstürzen bringen wird...
Summa summarum: Mit 'Unsere verschwundenen Herzen' habe ich etwas Außergewöhnliches, nämlich etwas außergewöhnlich Gutes gelesen! Etwas, das beileibe nicht alle Tage seinen Weg zu mir findet und das ich deshalb als Perle bezeichnen möchte. Es hält durchgängig sowohl inhaltlich als auch sprachlich sein hohes Niveau, hat beachtliche Tiefe, wenn man denn imstande ist, sie zu erkennen, gibt Denkanstöße, macht betroffen und nachdenklich, klingt nach, ist also genau das, was ich von einem anspruchsvollen Roman erwarte und worauf ich nach vorhergehender Lektüre der beiden ersten Romane der Autorin gehofft hatte. Dieser hier ist sogar noch besser, noch intensiver. Und trotz des beängstigenden – weil vorstellbar und, wie bereits erwähnt, schon dagewesen – Themas empfinde ich diesen Roman als ein einziges Lied der Hoffnung. Was für eine mächtige Parabel, in der harte Realität mit feinster, zartester Poesie einhergeht. Unvergleichlich! Genau wie alle Protagonisten, ausnahmslos, hervorragend sind, Leuchtpunkte in einer dunklen Welt. Ich bin begeistert – und das ohne jede Einschränkung!

Veröffentlicht am 29.11.2022

Poetische Dystopie - Ergreifend, erschreckend und fesselnd zugleich

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"Unsre verschwunden Herzen" der Autorin Celeste Ng, ist ein Roman welcher mir definitiv unter die Haut ging und mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Meisterhaft erzählt die Autorin von einer Welt, ...

"Unsre verschwunden Herzen" der Autorin Celeste Ng, ist ein Roman welcher mir definitiv unter die Haut ging und mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Meisterhaft erzählt die Autorin von einer Welt, welche erschreckender weise gar nicht so unglaubwürdig erscheint. Nach einer Krise, wird ein Schuldiger gesucht und in Amerikas langjährigem Kontrahenten China gefunden. Was folgt ist eine glaubhafte und stufenweise Verfestigung von Hass und Rassismus gegen alle asiatisch gelesenen Personen. Celeste Ng beleuchtet in ihrem Roman sowohl die staatlichen Maßnahmen (welche in Form des PACT auftreten), als auch die oft sehr persönlichen Reaktionen von unterschiedlichen Menschen. Ungeschönt, aber dadurch umso glaubhafter geschildert, waren nicht alle Szenen leicht auszuhalten.

Aufgeteilt in drei unterschiedliche Erzählperspektiven ergibt sich im Gesamten ein stimmiges Bild. Am liebsten mochte ich den ersten Teil des Buchs, welcher aus Sicht des 12-Jährigen Bird erzählt wird. Diese kindliche Perspektive, geprägt von einer ordentlichen Portion Naivität, ist wirklich großartig gelungen. Aber auch der zweite Teil, welcher anschließend aus Sicht von Birds Mutter erzählt, macht Sinn und bringt wertvolle Einsichten mit sich. Einzig am Ende verlor mich die Autorin aufgrund der erzwungenen Dramatik etwas. Trotzdem ist ihr Werk für mich ein absolutes 5- Punkte-Buch. Thematisch holte es mich absolut ab und trotz der teils poetischen Sprache, blieb der Schreibstil durchgehend angenehm lesbar. Gerne vergebe ich dafür volle 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung!
Mein Fazit: Lesenswert, vielschichtig, wenn auch keine leichte Kost. Für diese Lektüre sollte man sich definitiv Zeit nehmen.

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Die Macht der Worte

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Es sind einige Jahre vergangen seit der großen Krise in den USA. Arbeitslosigkeit, Inflation, Zusammenbruch der Wirtschaft. Ein Schuldiger wurde schnell gefunden mit China, und mit PACT ein Gesetz erlassen ...

Es sind einige Jahre vergangen seit der großen Krise in den USA. Arbeitslosigkeit, Inflation, Zusammenbruch der Wirtschaft. Ein Schuldiger wurde schnell gefunden mit China, und mit PACT ein Gesetz erlassen zum Schutz vor antiamerikanischen Bestrebungen: Der Preserving American Culture and Traditions Act. Was für Sicherheit und Schutz sorgen sollte, ist nun in gegenseitige Bespitzelung umgeschlagen und offenen Hass gegenüber Menschen asiatischer Herkunft. Es ist ein Kontrollstaat geworden, der Bücher verbannt und sogar Kinder aus ihren Familien reißt. Alles zum Schutz der amerikanischen Werte. Doch es regt sich Widerstand gegen PACT. „Unsre verschwundenen Herzen“ – diese Gedichtzeile der asiatisch stämmigen Dichterin Margaret Miu ist zur Botschaft des Widerstands geworden, der symbolträchtig auf die ihren Familien entrissenen Kinder aufmerksam macht.

Die Geschichte setzt ein bei dem Jungen Bird, der nach dem Untertauchen seiner Mutter Margaret Miu allein mit seinem Vater lebt. Die Mutter im Widerstand wurde aus ihrem Leben gestrichen. Doch auch wenn der Vater sie totschweigt, begibt sich Bird heimlich auf Spurensuche. Wir erleben den ersten Teil der Erzählung aus Birds ahnungsloser, kindlicher Sichtweise. Später wird die Geschichte um die in poetischer Sprache gehaltene Perspektive der Mutter erweitert. Durch diesen Erzählkniff kommt es erst nach und nach zu erschütternden Erkenntnissen und Einsichten.

Von Anfang an ist die bedrohliche Atmosphäre vorherrschend, gibt den Geschehnissen einen düsteren Rahmen. Beim Lesen hatte ich ständig Gänsehaut, und spätestens beim Wechsel der Perspektiven war ich völlig von der Geschichte erschüttert, bewegt und berührt. Diese Erzählung geht wirklich unter die Haut, ließ mich hoffen und leiden. Es mag ein fiktiver Roman sein, doch wie die Autorin im Nachwort selbst einräumt, gibt es entsetzlich viele historisch belegte Vorkommnisse dieser Art. Es geht um die Haltung, ob man sich wegduckt oder ob man aufsteht. Es geht um die Liebe zur Familie, die manchmal schwere Entscheidungen abverlangt. Und am meisten berührten mich die Passagen über Margarets Gedichte, märchengleiche Passagen voller Poesie. Es ist die Macht des Wortes. Nicht des geschriebenen Wortes, sondern das Erzählen, das Nicht-Vergessen und Weitertragen, das Aussprechen der Wahrheit.

Von mir eine klare Leseempfehlung für diesen bewegenden Roman.

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Veröffentlicht am 30.10.2022

Ein absolutes Highlight

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Meine Meinung:
Dies war tatsächlich die erste Geschichte der Erfolgsautorin Celeste Ng und ich war wirklich mehr als begeistert.
Dieses Buch ist für mich eines der literarisch überzeugendsten Bücher in ...

Meine Meinung:
Dies war tatsächlich die erste Geschichte der Erfolgsautorin Celeste Ng und ich war wirklich mehr als begeistert.
Dieses Buch ist für mich eines der literarisch überzeugendsten Bücher in diesem Jahr. Denn selten habe ich eine so faszinierende Art erlebt, wie eine Geschichte erzählt wird, so emotional, spannend und von literarischem Können geprägt, dass man voller Erstaunen dem Geschehen des Buches entgegen blickt und dieses kaum mehr aus der Hand legen kann.

Ng erschafft eine Geschichte, die komplex und durch viele Personen geschildert wird. Dabei lösen die so fein und präzise, beinahe minutiös ausgearbeiteten Charaktere eine solche Sogkraft, durch ihre Ambivalenz aus, dass man erstaunt vor der Geschichte verweilt. Denn das großartige ist, ihre Charaktere sind keinesfalls perfekt, oder leicht zu durchschauen, sie sind zutiefst menschlich und dabei manchmal hassens- und liebenswert zugleich.
Dabei setzt sie sich mit streitbaren, wichtigen und aktuellen Themen wie Rassismus auseinander, ohne dabei eine Meinung aufzuzwingen oder einseitig auf dss Geschehen zu blicken. Vielmehr macht sie dies mit viel Empathie und Glaubwürdigkeit!


Mein Fazit:
Ein unglaubliches spannendes Buch, das beinahe die Qualitäten eines Pageturners hat. Welches streitbare Themen und Charaktere hervorbringt, die ebenso vom Leben geprägt und vielschichtig gezeichnet sind, wie es das echte Leben ist. In meinen Augen ein zutiefst kluges und literarisch mehr als lesenswertes Buch!

Veröffentlicht am 14.10.2022

Dystopie mit Realitätsnähe

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Mit "unsre verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus ...

Mit "unsre verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus der Hand nehmen konnte. Verstörend, weil die Zukunftsversion eines von antiastiatischem Rassismus geprägten amerikanischen Überwachungsstaats, der missliebigen Eltern ihre Kinder entzieht und zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziation ermutigt, so realistische Parallelen in der nicht so weit zurückliegenden Geschichte hat.

Seien es die Kinder von Migranten an der Südgrenze der USA die während der Präsidentschaft Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, die indigenen Kinder in Nordamerika oder in Australien, die in Heimen und Internaten zwangsassimiliert und häufig gebrochen wurden, sei es das Schicksal der Kinder von Regimegegnern in der DDR, die zwangsadoptiert wurden oder in der stalinistischen Sowjetunion. Und auch die Schubladisierung von Menschen, hysterischer Patriotismus, der vor allem von der Schaffung von Feindbildern lebt - das klingt alles nur zu vertraut und ist noch gar nicht lange her.

"Sie war lang, die Geschichte von Kindern, die man ihren Lieben entrissen hatte - die Vorwände unterschieden sich, aber die Gründe waren dieselben. Ein wertvolles Pfand, ein Damoklesschwert über den Köpfen der Eltern. Es war das Gegenteil dessen, was ein Anker ist: der Versuch, etwas Andersartiges, etwas Gehasstes und Gefürchtetes zu entwurzeln.Eine Fremdheit, die als invasives Kraut galt, etwas, das vernichtet werden musste."

Im Fall des zwölfjährigen Bird, Sohn eines weißen Vaters und einnn er chinesischstämmigen Mutter, war es allerdings etwas anders: Die Mutter, eine Dichterin, hat die Familie verlassen. Seitdem wird sie regelrecht totgeschwiegen, die offizielle Lesart des Vaters ist: Wir wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dass sein Vater, vom Hochschullehrer zum Büchereigehilfen degradiert und in prekären Verhältnissen in einem Studentenwohnheim lebend, seinen Sohn damit vor allem schützen will, wird Bird erst später erkennen.

Vorerst ist er wütend, ratlos, unsicher, warum die Mutter gegangen ist, bis seine Schulfreundin Sadie ihm erzählt, die Mutter sei im Widerstand gegen die Regierung aktiv. Als ein Brief in ihrer Handschrift auftaucht, macht sich Bird auf die Suche - und stößt ebenso wie die Ausreißerin Sadie nach und nach auf ein Netzwerk, in dem Bücher eine wichtige Rolle spielen, um das Schicksal auseinandergerissener Familien aufzuklären.

"Das Gehirn einer Bibliothekarin war ein geräumiger Ort. Jede von ihnen hatte ihre eigenen Gründe, warum sie dieses Risiko auf sich nahm, und auch wenn die meisten diese Gründe nie mit anderen teilen und sie auch nie persönlich treffen würden, teilten sie alle dieslbe verzweifelte Hoffnung, einen Treffer zu landen und eine Notiz mit dem neuen Aufenthaltsort des Kindes zwischen den Seiten zurückschicken zu können. Eine Nachricht, die der Familie versicherte, dass ihr Kind noch existierte, wenn auch in weiter Ferne, und die dem tiefen Loch ihres Verlustes einen Boden gab."

Und hierin liegt denn auch das Hoffnungsvolle und Optimistische bei aller Düsternis des Romans. Es gibt sie eben doch, die Anständigen, dir Gerechten, die Hinsehenden, die sich mit den Umständen nicht abfinden wollen, die ihrer eigenen Angst trotzen und versuchen, etwas zu tun, auch wenn sie in ihrem Widerstand so klein, so einsam, so gefährdet sind. Kunst, Bücher, Bibliotheken werden Orte der Erinnerung, des Bewahrens von Werten, der Ausgangsort von Handlungen und Hoffnung.

Der Schreibstil von Ng erinnert an chinesische Tuschezeichnungen oder Kalligraphie - mit weniger Worten und Sätzen gelingt es ihr, die Stimmung und Atmosphäre zu skizzieren, den Gemütszustand von Bird, die Einsamkeit seines Vaters, die Aktionen des Widerstands. Manche Elemente sind geradezu märchenhaft, andere erinnern nur zu sehr an Realitäten. Seit "Vox" und "Paradies" habe ich keine ähnlich beeindruckende Dystopie gelesen.

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