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Veröffentlicht am 23.01.2023

Ida Rabes erster Fall

Altes Leid
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Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, aber die Auswirkungen des Hungerwinters sind auch in Hamburg noch deutlich zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, und wer noch etwas zum Eintauschen hat, fährt zu den Bauern ...

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, aber die Auswirkungen des Hungerwinters sind auch in Hamburg noch deutlich zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, und wer noch etwas zum Eintauschen hat, fährt zu den Bauern ins Umland und versucht dort sein Glück. Viele Männer sind noch in Gefangenschaft, nicht aus dem Krieg heimgekehrt, und so bleibt es meist an den Frauen hängen, die Hamsterfahrten zu übernehmen.

Im Mai 1947 treten Ida Rabe und Heide Brasch als erste Frauen ihren Dienst in dem Revier Davidwache auf St. Pauli an. Weibliche Polizisten? Ein Novum, das die britischen Besatzer eingeführt haben. Von Vorgesetzten und Kollegen misstrauisch beäugt, verbannt man sie in einen Abstellraum im Keller, wo sie sich um das Dienstbuch kümmern und Schreibarbeiten übernehmen sollen. Keine befriedigende Beschäftigung für Ida.

Bei den Anzeigen im Dienstbuch stößt sie auf kurze Randbemerkungen eines Kollegen, die den Gemütszustand der Frauen dokumentieren, die bestohlen worden sind und wird hellhörig, kursiert doch das Gerücht, dass ein Vergewaltiger in der Gegend von Vierlande sein Unwesen treibt. Gegen jede Vernunft und ohne Autorisierung beginnt sie, auf eigene Faust zu ermitteln. Sie vertraut ihrem Instinkt, aber sämtlich Versuche, die Erlaubnis und Unterstützung ihrer Vorgesetzten einzuholen, scheitern. Dennoch lässt sie sich nicht beirren, selbst auf die Gefahr hin, dass sie durch ihr eigenmächtiges Handeln ihre Arbeitsstelle verlieren könnte.

„Altes Leid“ ist der Auftakt einer Reihe, in deren Mittelpunkt die uniformierte Polizistin Ida Rabe stellvertretend für die Frauen steht, die in dieser Männerdomäne um ihren Platz kämpfen. Gleichzeitig wirft dieser Kriminalroman aber auch einen entlarvenden Blick auf eine Nachkriegsgesellschaft, die sich im Wandel befindet. Viele Frauen sind nicht mehr bereit, sich damit zufrieden zu geben, was ihnen von den Männern zugestanden wird. Sie suchen nach ihren eigenen Wegen, haben sie doch während der Kriegsjahre Stärke bewiesen und die Gesellschaft am Laufen gehalten.

Ein historischer Kriminalroman zeichnet sich durchgründliche Recherchearbeit aus, die durch stimmige Beschreibungen die atmosphärischen Besonderheiten dieses Zeitabschnitts aufzeigt. Das ist der Autorin hier sehr gut gelungen, und auch die Einbettung des spannenden Kriminalfalls lässt durch seine Vielschichtigkeit nichts zu wünschen übrig. Allerdings hätte ich mir mehr Informationen zu der Vergangenheit der Protagonistin gewünscht. Diese werden zwar hier und da häppchenweise in Nebensätzen eingestreut, reichen aber bei weitem nicht aus, um sich ein umfassendes Bild von Ida Rabe zu machen. Offenbar sollen/müssen wir uns gedulden und darauf hoffen, dass unser Informationsbedürfnis in den nachfolgenden Bänden, die ich mit Sicherheit lesen werde, befriedigt wird.

Veröffentlicht am 10.01.2023

Ein Eifeldorf in den Wirren der Zeit

Ginsterhöhe
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Der 1. Weltkrieg ist zu Ende. Die Überlebenden kehren in ihre Heimat zurück, jeder von ihnen verwundet. Unsichtbar die einen, sichtbar die anderen. Zu letzteren gehört Albert, ein Eifelbauer aus Wollseifen, ...

Der 1. Weltkrieg ist zu Ende. Die Überlebenden kehren in ihre Heimat zurück, jeder von ihnen verwundet. Unsichtbar die einen, sichtbar die anderen. Zu letzteren gehört Albert, ein Eifelbauer aus Wollseifen, dessen Gesichtshälfte durch eine Verwundung entstellt ist, die dafür sorgt, dass seine Frau auf Distanz zu ihm geht (was allerdings kaum relevant für die Handlung ist). Auch wenn das tägliche Leben schwierig und die Bestellung der Felder mangels ordentlicher Gerätschaften problematisch ist, aufgeben ist und war keine Option, weder für die Zurückgebliebenen noch für die Heimkehrer. Allmählich blüht das Dörfchen wieder auf und der Fortschritt hält Einzug. Doch mit der allmählichen Ausbreitung des Nationalsozialismus und der Einflussnahme durch dessen Unterstützer aus ihren eigenen Reihen, steht den Wollseifenern die nächste Bewährungsprobe ins Haus. Mit ungeahnten Folgen für die Menschen, das Dorf und die Region.

„Ginsterhöhe“ ist sowohl Heimatkunde als auch ein stückweit Zeitgeschichte. Anna-Maria Caspari, lebt in der Eifel und hat sich zu diesem Roman durch die wechselhafte Geschichte des Dörfchens Wollseifen inspirieren lassen, das unweit der ehemaligen NS-Schulungsstätte Vogelsang lag. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gelände von den Briten besetzt, die das Dorf räumen ließen, sämtliche Gebäude zerstörten und dort einen Truppenübungsplatz errichteten, der ab 1950 vom belgischen Militär bis ins Jahr 2006 als Truppenübungsplatz genutzt wurde. Auf Initiative des Fördervereins Wollseifen wurden ab diesem Zeitpunkt zahlreiche Ruinen restauriert und das Gelände zu einer Besinnungs- und Gedenkstätte auf- und ausgebaut, die für die Öffentlichkeit zugänglich und als Bodendenkmal eingetragen ist.

Verpackt in eine informative Romanhandlung (zwischen 1919 und 1949) zeigt Caspari an individuellen Schicksalen anschaulich die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen, die Anstrengungen, die die Rückkehr zur Normalität ermöglichen sollte, aber auch die verheerenden Auswirkungen, die das Erstarken des Nationalsozialismus für diese strukturschwache Region hatte.

Veröffentlicht am 13.12.2022

Der Tote im Tank

Kant und der Schachspieler
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Eine stillgelegte Farbenfabrik, ein Toter mit einer Schachfigur in der Hand, ein verschwundenes Schachgenie, ein vorbestrafter Boxer, ein dubioser Grundstücksverkauf, ein zweiter Toter. Mehr Fragen als ...

Eine stillgelegte Farbenfabrik, ein Toter mit einer Schachfigur in der Hand, ein verschwundenes Schachgenie, ein vorbestrafter Boxer, ein dubioser Grundstücksverkauf, ein zweiter Toter. Mehr Fragen als Antworten in dem neuen Fall für KHK Kant und sein Team von der Münchner Mordkommission, wobei sich allerdings die Verortung glücklicherweise dezent im Hintergrund hält.

Beharrlich und fokussiert gehen Kant und seine Mitarbeiter den Fall an. Das wird aber nicht langatmig und trocken geschildert, sondern häppchenweise durch Informationen zum Leben der Teammitglieder ergänzt, die in die jeweiligen Ermittlungsschritte involviert sind: Kants Sorgen um seine halbwüchsige Tochter, die an spektakulären Aktionen von Fridays for Future teilnimmt. Rademacher, dem gesundheitliche Probleme eine Heidenangst einjagen. Dörfner, der aus prekären Verhältnissen stammt und froh ist, sich daraus befreit zu haben. Lammers, die Engagierte, die eher distanziert unterwegs ist. Und Hanna, die Neue, die Quereinsteigerin mit den diversen Zwangsneurosen. Allesamt angenehm unaufdringlich und feinfühlig porträtiert, so dass zu keinem Zeitpunkt der Fall durch das Privatleben der Ermittler überlagert wird.

Marcel Häußlers „Kant und der Schachspieler“ ist erfrischend anders, ein Polizeikrimi im klassischen Sinn, der weniger Wert auf die Beschreibung möglichst grausamer und abstruser Mordmethoden als vielmehr auf die präzise Beschreibung der Ermittlungsarbeit legt und daraus seine Spannung generiert. Eine Reihe, die ich definitiv im Blick behalten werde.

Veröffentlicht am 24.11.2022

Jäger und Gejagte

Die Stunde der Hyänen
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Wenn es Nacht wird, streifen in einem Berliner Kiez die Hyänen auf der Suche nach Beute durch die Nacht. Johannes Groschupf nimmt uns mit in die dunklen Ecken der Hauptstadt und gewährt einen ungeschönten ...

Wenn es Nacht wird, streifen in einem Berliner Kiez die Hyänen auf der Suche nach Beute durch die Nacht. Johannes Groschupf nimmt uns mit in die dunklen Ecken der Hauptstadt und gewährt einen ungeschönten Blick auf deren dunkle Ecken.

Autos brennen, Angst greift um sich, die Bewohner werden aktiv und gehen auf Streife, weil die Polizei nicht vorwärts kommt. Romina, die strafversetzte Romni beim Dezernat für Branddelikte, verbündet sich mit Jette, der Journalistin, um den Verantwortlichen dingfest zu machen. Der obdachlose Radek, ehemaliger Trucker, wird zum Opfer, aber steigt wie Phönix aus den Flammen auf. Ein Geläuterter, der nun seine Botschaft verkünden muss. Wie auch die Mitglieder einer dubiosen Jahwe-Sekte, unter ihnen auch Maurice, der Postbote, der die Gegend wie seine Westentasche kennt und sich jede Nacht aus der Wohnung schleicht. Aber es sind nicht nur die inneren Dämonen, die all diejenigen auf die nächtlichen Straßen treiben.

„Die Stunde der Hyänen“ ist nicht nur ein atmosphärischer Urban Noir Thriller sondern auch eine Milieustudie, genau beobachtet, packend und mit ansteigender Spannung erzählt. Die Sprache transportiert den Sound des Kiez, ist rau, direkt, nicht gefällig, realistisch und ohne Bling-Bling.

Neben der Suche nach dem Brandstifter gibt es allerdings noch jede Menge aktuelle Themen, die Groschupf anreißt und mit der Lebenswirklichkeit seiner Personen verknüpft. Obdachlosigkeit, Diskriminierung und Misogynie, Gewalt gegen Frauen, Missbrauch, Selbstjustiz angesichts der Untätigkeit der offiziellen Stellen, was angesichts der überschaubaren Länge dieses Thrillers etwas überladen ist. Und auch die eine oder andere Wendung zum Schluss hin ist leider nicht wirklich überzeugend und nachvollziehbar herausgearbeitet.

Aber dennoch, „Die Stunde der Hyänen“ ist ein tiefschwarzer, ein großartiger, schonungsloser Großstadtroman, den ich in einem Rutsch gelesen habe und gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 20.11.2022

Edikt des Vergessens

Königsmörder
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1660. Der englische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des absolutistischen König Charles I. und den „Roundheads“ um den frömmelnden Puritaner Oliver Cromwell ist Geschichte. Nach der Enthauptung seines ...

1660. Der englische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des absolutistischen König Charles I. und den „Roundheads“ um den frömmelnden Puritaner Oliver Cromwell ist Geschichte. Nach der Enthauptung seines Vaters 1649 sitzt mittlerweile „The Merry Monarch“ Charles II. auf dem Thron, der 1660 den „Act of Oblivion“ (so der Originaltitel des Romans) erlässt, und damit all jene begnadigt, die gegen den König gekämpft haben. Alle, mit Ausnahme der Unterzeichner des Urteils, aufgrund dessen Charles I. geköpft wurde. Diese werden gnadenlos verfolgt, gefangen genommen und mit äußerster Brutalität hingerichtet. Doch zwei „Königsmörder“ aus den Reihen Cromwells können sich diesem Schicksal entziehen, Edward Whalley, ein Cousin Cromwells und sein Schwiegersohn William Goffe, beide keine jungen Männer, verlassen ihre Heimat, gehen an Bord eines Schiffes, verlassen ihre Heimat, fliehen nach Amerika und finden in einer puritanischen Kolonie in Neuengland Unterschlupf. Ihnen auf den Fersen ist Richard Nayler, Sekretär des Geheimen Rats, übrigens die einzige fiktive Person dieses Romans, ein verbohrter, verbitterter und traumatisierter Mann, der geschworen hat, den Königsmord zu rächen. Die Jagd beginnt.

Robert Harris, der ehemalige politische Journalist, hat für diesen Roman gründlich recherchiert, man sehe sich nur die ausführliche Literaturliste im Anhang an. Dabei richtet er seinen Fokus aber nicht ausschließlich auf die Verfolgung der beiden Flüchtigen, sondern vermittelt durch Whalleys Aufzeichnungen auch einen überzeugenden Einblick in Leben und Denkweise dieser Epoche. Royalisten und Puritaner, auf der einen Seite das Festhalten an gottgegebenen Machtstrukturen, auf der anderen Seite die religiös geprägten Überzeugungen, die in Anklängen das revolutionäre Potenzial ahnen lassen, die ihnen innewohnt. Beide Gruppen überzeugt davon, dass nur ihr Leben und Handeln gottgefällig ist und seine Berechtigung hat.

Königsmörder ist zwar ein historischer Roman, aber er spielt in einer komplett anderen Liga als das, was man üblicherweise von diesem Genre kennt. Über weite Strecken ähnelt er zwar einem Sachbuch, was aber dennoch nicht zu Lasten des Lesevergnügens geht. Allerdings sollte man weniger an amourösen Verwicklungen als an historischen Fakten, insbesondere an denen, die Großbritannien nicht nur in der Vergangenheit sondern auch in der Brexit-Gegenwart betreffen, interessiert sein. All denen kann ich diesen beeindruckenden Roman wärmstens empfehlen.