Entwurzelt
DschinnsNach 30 Jahren Schufterei als Gastarbeiter in Deutschland will Hüseyin Yilmaz jetzt endlich seinen Ruhestand genießen. Er hat lange gespart, um sich seinen Traum von einer Eigentumswohnung in Istanbul ...
Nach 30 Jahren Schufterei als Gastarbeiter in Deutschland will Hüseyin Yilmaz jetzt endlich seinen Ruhestand genießen. Er hat lange gespart, um sich seinen Traum von einer Eigentumswohnung in Istanbul erfüllen zu können. Doch ein Herzinfarkt macht alle seine Träume zunichte. Er verstirbt in der Türkei, noch bevor er auch nur eine Nacht in der neuen Wohnung hat verbringen können.
Seine Frau Emine, ihre 4 erwachsenen Kinder Sevda, Hakan, Peri und Ümit und ihre 2 Enkelkinder reisen übereilt nach Istanbul zur Beerdigung des Familienoberhaupts.
Mit den einzelnen Charaktere, die Fatma Aydemir sehr authentisch und vielschichtig angelegt hat, treten wir in den folgenden Kapiteln in Kontakt und lernen sie recht gut kennen. Nachdem im ersten Kapitel die Einführung in die Geschichte ausschließlich aus Hüseyin‘s Sicht beschrieben wird und der Leser live miterlebt, wie in seinen letzten Minuten die Stationen seines Lebens nochmal an ihm vorbeiziehen, sind die folgenden Kapitel jeweils aus der Perspektive eines seiner Kinder geschrieben.
Die Persönlichkeiten der Kinder, die sehr unterschiedlich sind, spiegeln sich auch in dem Erzählton wieder, den die Autorin dem jeweiligen Charakter anpasst. Das machte für mich die Figuren noch glaubwürdiger.
Gemeinsam scheint allen Familienmitgliedern zu sein, dass sie ihr Glück in Deutschland nicht gefunden haben. Ihre Migrationsgeschichte spiegelt die missglückte Integrationspolitik der 90er Jahre bis heute wieder und macht betroffen.
Es geht in diesem Buch aber auch um Missverständnisse, Familientraumata, Akzeptanz und sexuelle Orientierung. Im letzten Kapitel wird auch Mutter Emine‘s Geheimnis aufgedeckt und die Autorin lässt alle Stränge der Geschichte kunstvoll zusammenlaufen. Am Ende wird es nochmal sehr dramatisch, was mir dann schon fast eine Spur too much war, aber das ist wirklich meckern auf hohem Niveau.
Der Roman ist auf jeden Fall eine Empfehlung und sehr lesenswert.
4,5 Sterne