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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.01.2023

Glückauf, der Steiger kommt; und er hat sein helles Licht bei der Nacht. (Steigerlied)

Die Sehnsucht nach Licht
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2019. Das Besucherbergwerk der Firma Wismut im erzgebirgischen Bad Schlema ist Luisa Steiners Arbeitsplatz, wo sie ehrenamtlich Führungen für interessierte Besucher unter Tage leitet und ihnen ihre Heimat ...

2019. Das Besucherbergwerk der Firma Wismut im erzgebirgischen Bad Schlema ist Luisa Steiners Arbeitsplatz, wo sie ehrenamtlich Führungen für interessierte Besucher unter Tage leitet und ihnen ihre Heimat und den Bergbau, der in ihrer Familie seit vielen Generationen eine große Rolle spielt, näher zu bringen. Die Geschichte ihres Großonkels Rudolph, der 1951 spurlos verschwand, lässt Luisa nicht los, zu groß ist ihre Neugier, was damals mit ihm passiert ist. Deshalb macht sie sich daran, den Dingen auf den Grund zu gehen und stöbert dabei so manches zutage, was über lange Zeit vergraben war…
Kati Naumann hat mit „Die Sehnsucht nach Licht“ einen sehr eindrucksvollen, atmosphärischen Roman vorgelegt, der den Leser nicht nur mit vielen fundierten Informationen über den Bergbau sowie seinen Auswirkungen auf die Region im Erzgebirge versorgt, sondern ihm auch die damit verbundenen Lebensläufe und Schicksale der fiktiven Familie Steiner näher bringt, die in der Handlung eng mit der Gegend sowie dem Tagebau verknüpft ist. Der flüssige, bildhafte und packende Erzählstil erlaubt dem Leser, sich an Luisas Fersen zu heften, um mit ihr von der Gegenwart in die Vergangenheit ihrer Familiengeschichte einzutauchen und so nach und nach die einzelnen Mitglieder gut kennenzulernen und an ihren Erlebnissen teilzuhaben. Die Handlung erstreckt sich über zwei Zeitebenen, wobei der eine den Schwerpunkt auf die Gegenwart und Luisas Suche nach ihrem vermissten und für tot erklärten Großonkel Rudolph im Jahr 2019 legt, während der andere die Vergangenheit der Familie über mehrere Generationen umfasst und die Jahre von 1908 bis 1989 abdeckt. Naumann hat exzellent recherchiert und den historischen politischen wie gesellschaftlichen Hintergrund wunderbar mit ihrer Geschichte verwebt. Dabei zeigt sie nicht nur die Veränderungen auf, die während fast eines Jahrhunderts im Bergbau vonstattengingen, sondern spinnt ihre Familiengeschichte ganz dicht drum herum, so dass man als Leser das Gefühl hat, so könnte es durchaus passiert sein. Tagebauunfälle, die geliebte Familienmitglieder für immer unter der Erde halten, gefährlicher Rohstoffabbau von Kobalt und Uran, der für Gesundheitsprobleme bei der arbeitenden Bevölkerung sorgt sowie Radonbehandlungen sind nur einige erschreckende Dinge, die heutzutage fast in Vergessenheit geraten sind. Naumann erzählt so lebendig und fesselnd, dass der Leser während der Lektüre ein sehr farbenfrohes Kopfkino erleben darf und sich während der „Familien“-Zeitreise in einem Wechselbad der Gefühle befindet.
Den facettenreich gestalteten Charakteren wurde regelrecht Leben eingehaucht. Ihre glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften nehmen den Leser sofort für sich ein, der sich nur zu gern unter ihnen tummelt, um alles hautnah mitzuerleben und keinen Moment zu verpassen. Luisa ist mit ihrer Heimat und ihrer Familie eng verbunden. Die Nähe zu ihrer Familie, ihre liebenswürdige Art und ihre hartnäckige Neugier machen sie sehr sympathisch. Urgroßvater Wilhelm ist ein Mann, der viel erlebt hat und sich dabei sein großes Herz bewahrt hat. Großtante Irma ist eine liebevolle Frau, die zeit ihres Lebens wegen des Verschwindens ihres Bruders hadert. Gretchen ist ihr eine gute Freundin, die beiden Frauen tun sich gegenseitig gut an Herz und Seele.
„Die Sehnsucht nach Licht“ ist nicht nur ein hervorragender Titel für dieses ausgezeichnet zu Papier gebrachte Zeitzeugnis, sondern auch Programm, steht er doch für die Hoffnung eines jeden Bergarbeiters, wenn er im Schacht ist. Akribische Recherche in Verbindung mit einer sehr vielschichtigen Familiengeschichte und einem unwiderstehlichen Erzählstil bezaubern den Leser und schenken wunderbare Lesestunden. Absolute Empfehlung für ein Lesehighlight!!!

Veröffentlicht am 18.12.2022

Der Zweifel ist der Antrieb auf der Suche nach der Wahrheit.

Fräulein Gold: Die Rote Insel
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1926 Berlin. Hulda ist in das Arbeiterviertel Rote Insel umgezogen und arbeitet dort mit in der Praxis von Grete Fischer, nachdem ihr Verlobter Johann starb und sie als ledige Schwangere ihre Stelle als ...

1926 Berlin. Hulda ist in das Arbeiterviertel Rote Insel umgezogen und arbeitet dort mit in der Praxis von Grete Fischer, nachdem ihr Verlobter Johann starb und sie als ledige Schwangere ihre Stelle als leitende Hebamme in der Frauenklinik aufgeben musste. Gemeinsam mit Grete kann sie weiterhin ihrer Profession nachgehen, den Ärmsten der Armen medizinisch unter die Arme zu greifen. Während Hulda schon immer mit Politik nichts am Hut hatte, engagiert sich Grete als Mitglied einer kommunistischen Vereinigung, denen Hulda ebenso ein Dorn im Auge ist wie die rivalisierenden Nationalsozialisten. Die Situation im Viertel eskaliert zwischen den politisch konkurrierenden Parteimitgliedern, als ein Mord geschieht. Hulda bringt sich hochschwanger in Gefahr, als sie sich in Sorge um Grete zwischen die Fronten begibt…
Anne Stern hat mit „Die Rote Insel“ den fünften Band um die resolute, hilfsbereite und liebenswerte Hebamme Hulda Gold vorgelegt, der in punkto Spannung und wunderbar recherchiertem Hintergrund den Vorgängerromanen in nichts nachsteht. Der flüssige, bildhafte und empathische Erzählstil beamt den Leser mit wenigen Worten ins Berlin der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, wo er als unsichtbarer Schatten Hulda bei ihren Erlebnissen über die Schulter sehen darf. Während die Weimarer Republik geprägt ist von politischen Unruhen, aber auch Hulda erlebt unruhige Zeiten, denn nicht nur ihr geliebter Johann stirbt bei einem Unfall und lässt sie als ledige Frau schwanger zurück, sie darf aufgrund dieses Zustands sogar ihrer Arbeit in der Klinik nicht mehr nachkommen und muss sich wohl oder übel einen neuen Wirkungskreis suchen, den sie in Grete Fischers Praxis auf der Roten Insel im Stadtteil Schöneberg als Helferin findet. Für Hulda ist es eine große Umstellung, ihre geliebte und gewohnte Umgebung aufzugeben. Die politischen Unruhen im Viertel tragen dazu auch nicht gerade bei. Als ein Mann ermordet aufgefunden wird, scheint die Situation zu eskalieren. Huldas kriminalistischer Spürsinn ist geweckt und bringt sie mal wieder in brenzlige Situationen, aber auch ein alter Bekannter in Person von Karl North läuft ihr dabei über den Weg. Stern lässt wieder einmal ihre exzellente historische Recherche in die Geschichte mit einfließen, zeichnet die gesellschaftlichen Unterschiede sowie die politischen Spannungen sehr gut nach und lässt den Leser die damalige Zeit hautnah miterleben. Huldas Zweifel aufgrund ihrer momentanen Situation sowie die Sehnsucht nach ihrem alten Tätigkeitsfeld als Hebamme sind wunderbar herausgearbeitet und jederzeit nachvollziehbar. Der Spannungsbogen wächst stetig bis zum finalen Schluss, so dass der Leser bis zur letzten Seite regelrecht an die Seiten gefesselt ist und sich nicht trennen kann, während das Kopfkino auf Hochtouren läuft.
Lebendige Charaktere können mit ihren glaubwürdigen Ecken und Kanten den Leser schnell von sich überzeugen und ihn in ihre Mitte nehmen. Hulda hat erneut eine Entwicklung erfahren, war sie sonst eher zupackend und selbstsicher, wirkt sie nun eher gebeutelt und voller Selbstzweifel, was nicht nur auf ihre Schwangerschaft zurückzuführen ist. Sie muss sich in einer fremden Umgebung neu orientieren, besitzt Existenzängste und trauert ihrem Beruf als Hebamme nach. Doch sie hat ihr Mitgefühl und ihr Helfersyndrom ebenso nicht verloren wie ihre Neugier und ihren Spürsinn. Grete besitzt eher eine nüchterne, pragmatische Natur, die ihr auch als Unterkühlung ausgelegt werden kann. Karl ist Huldas Retter in der Not, aber auch Frau Wunderlich, Kioskbesitzer Bert oder Fräulein Fink sind wichtige Wegbegleiter für Hulda in dieser Geschichte.
„Die Rote Insel“ knüpft mit einer fesselnden, abwechslungsreichen, unterhaltsamen Geschichte an die Vorgängerbände an, lässt den Leser mit einer lebensechten Hulda aufregende Zeiten vor einem hervorragend recherchiertem historischem Hintergrund erleben, der die Seiten nur so vorbeifliegen lässt. Absolute Leseempfehlung für ein wunderbares, packendes Lesevergnügen!!!

Veröffentlicht am 18.12.2022

As tears go by (Rolling Stones)

Der Salon
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1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die ...

1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die nun alle unter einem Dach in Lenis Elternhaus in Hebertshausen zusammenleben. Als Käthe sich endgültig aus dem Berufsleben zurückziehen und Leni ihren Friseursalon übertragen will, ergreift Leni mit beiden Händen die von ihrem Chef Alexander Keller gebotene Chance, ein dreimonatiges Praktikum bei Vidal Sassoon in London zu absolvieren, um die Entscheidung ihrer Mutter hinauszuzögern. Während Leni sich auf den Weg ins aufregende London macht, erhält Charlotte durch eine Zufallsbegegnung mit Maria Bogner eine Anstellung beim Modehaus Bogner. Käthe kümmert sich ebenso liebevoll um ihren Enkel Peter wie Patenonkel Schorsch, so dass Charlotte den Rücken frei hat, um beruflich Karriere zu machen. Dabei lernt sie den charismatischen Fotografen Walter kennen. Leni lebt sich derweil in London immer mehr ein, findet Geschmack an dem dortigen Modestil und der immer populäreren Musik der Rolling Stones. Nach ihrer Rückkehr begegnet sie nicht nur einer alten Liebe, sondern muss auch weitreichende Entscheidungen für ihr künftiges Leben treffen…

Julia Fischer hat mit „Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ den zweiten Teil ihrer Salon-Dilogie rund um ihre Hauptprotagonistin Leni Landmann vorgelegt, der an sowohl an Unterhaltungswert als auch mit wunderbar recherchiertem historischem Hintergrund den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Der farbenfrohe, flüssige und gefühlvolle Erzählstil entführt den Leser in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, wo er über wechselnde Perspektiven auf Leni Landmann, Käthe, Charlotte und Schorsch trifft und die Entwicklungen in ihrem Leben hautnah miterlebt. Der damalige Zeitgeist sowohl gesellschaftlicher als auch politischer Art wurde von der Autorin wunderbar eingefangen und mit ihrer Geschichte verwebt. So erlebt der Leser nicht nur Lenis Praktikumszeit beim Starfigaro Vidal Sassoon in London mit und trifft dort mit ihr gemeinsam auf Prinzessin Margret und Minirock-Erfinderin Mary Quant, sondern sieht dort auch die Rolling Stones in einem Club. Mit Charlotte darf der Leser in die internationale Modewelt eintauchen, mit Schorsch die Olympiade in Innsbruck erleben. Die Sechziger bedeuten nicht nur einen Aufbruch in der Gesellschaft, die sich etwas bunter, vielfältiger und offener zeigt, sondern lässt auch Leni, Charlotte, Alexander und Schorsch an ihren Aufgaben wachsen und sich entwickeln. Gerade dieser Mix an realem Historie und fiktiver Geschichte wirkt hier unwiderstehlich und vielschichtig, ist er doch durch das Talent der Autorin ebenso mitreißend wie authentisch. Die Lektüre lässt das Kopfkino anlaufen und die Seiten an den Fingern des Lesers kleben.

Die Charaktere wurden liebevoll ins Bild gesetzt und haben durchweg einige realistische Entwicklungen erfahren. Mit ihren authentischen menschlichen Eigenheiten schleichen sie sich schnell ins Leserherz, der mit ihnen fiebert, hofft und bangt. Leni hangelt sich nach einem schweren Schicksalsschlag mühsam wieder ins Leben zurück, doch ihre lebensfrohe, positive Art reißt mit. Sie ist offen für Neues, wagt sich hervor und tritt immer selbstsicherer auf. Charlotte ist eine liebevolle Mutter, die sich nach mehr sehnt. Schorsch ist der heimliche Star, denn er ist nicht nur der Ruhepol, sondern vor allem empfindsam, großzügig und hilfsbereit. Walter wirkt auf den ersten Blick erfolgsverwöhnt und etwas arrogant, doch im Grunde ist er auch nur auf der Flucht und wünscht sich etwas Normalität. Käthe ist die gute Seele, die alle zusammenhält. Aber auch Alexander, Günther, Marie und weitere Protagonisten verleihen diesem Roman Vielfalt und Farbe.

„Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ ist nicht nur ein farbenfrohes Potpourri der 60er Jahre, sondern verführt mit wunderbaren Protagonisten, Schicksalen, Liebe, Familiensinn und einer Prise Dramatik den Leser zu unvergesslichen Lesestunden. Absolute Leseempfehlung für dieses Highlight!!!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 04.12.2022

Abschiede sind Tore in neue Welten. (Albert Einstein)

Labyrinth der Freiheit
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1922 Berlin. Während die Stadt unter unruhigen Zeiten leidet, die Inflation sowie Armut für die Menschen immer schlimmer wird und die gegenseitigen politischen Lager sich gnadenlos bekämpfen, halten Anwältin ...

1922 Berlin. Während die Stadt unter unruhigen Zeiten leidet, die Inflation sowie Armut für die Menschen immer schlimmer wird und die gegenseitigen politischen Lager sich gnadenlos bekämpfen, halten Anwältin Isi, Kameramann Carl und der umtriebige Arthur als alte Freunde und Dreigestirn eng zusammen. Als auf Isi in ihrem eigenen Zuhause ein Anschlag verübt wird, kann sie sich in letzter Minute retten, indem sie aus dem Fenster springt und als Folge davon ihr Baby verliert. Carl und Arthur eilen ihrer alten Freundin sofort zur Hilfe, und gemeinsam machen sie sich daran, die Strippenzieher des Anschlags aufzuspüren, wobei sie sich immer wieder Gefahren aussetzen und so manchen Schicksalsschlag überstehen müssen…
Mit „Labyrinth der Freiheit“ hat Andreas Izquierdo nun den finalen Band seiner „Wege der Zeit“-Trilogie vorgelegt, der den beiden Vorgängerbänden in punkto historische Fakten sowie durchgängige Spannung und liebenswerten Charakteren in nichts nachsteht. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil lässt den Leser gedanklich eine Reise in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts antreten, wo er sich unsichtbar unter das Freundeskleeblatt mischt und ihre Abenteuer hautnah aus der Sicht von Carl mitverfolgt. Isi als Kämpferin der Armen und Unterdrückten ist mit ihrem streitbaren Wesen einigen ein Dorn im Auge, und an ihr soll ein Exempel statuiert werden. Doch Isi ist nicht allein, denn ihre alten Freunde stehen verlässlich an ihrer Seite, obwohl sie sonst alle ihr eigenes Leben führen. Carl arbeitet inzwischen bei der UFA unter Regisseur Fritz Lang und ist bei der Entstehung des ersten Sprechfilmes dabei. Währenddessen fühlt sich Artur in der zwielichtigen Unterwelt wohl, wo er die Strippen zieht und mit seiner Gesichtsmaske einiges an Aufsehen erregt und so manchen das Fürchten lehrt. Gemeinsam müssen sie sich gegen mächtige Gegner behaupten, die ihre Spitzel und Helfershelfer anscheinend in allen wichtigen Instanzen der Stadt und der Politik sitzen haben. Izquierdo nutzt die Geschichte seiner drei Protagonisten dazu, die historischen Begebenheiten der damaligen Zeit als Hintergrundkulisse wunderbar miteinzuflechten. Der Leser darf nicht nur die Entwicklungen auf dem Filmset miterleben, sondern kann sich auch ein Bild der gesellschaftlichen und politischen Lage im damaligen Berlin machen. Die eingebettete Geschichte um das Dreigestirn sorgt für einen Spannungsbogen, der den Leser durchgängig atemlos hält und mitfiebern lässt.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und überzeugen mit menschlichen Eigenheiten, die sie dem Leser schnell ans Herz wachsen lassen. Unsichtbar folgt dieser ihnen, um alles aus erster Hand mitzuerleben. Isi ist eine energische, intelligente, mutige und kämpferische Frau, die sich den Mund nicht verbieten lässt und sich für andere einsetzt. Arthur genießt seine Rolle als entstellter Gauner, ihm fehlt es nicht an Selbstbewusstsein und der nötigen Cleverness, um sich durchzusetzen. Dabei versteckt er in sich ein gutes Herz. Carl ist der liebenswerte Ruhepol in dem Dreigestirn, der seinen Traum beim Film wahr gemacht hat, jedoch auch gerade dort oftmals verzweifelt. Aber für seine Freunde ist er immer da, auch wenn sich die drei nicht mehr so oft sehen wie früher.
„Labyrinth der Freiheit“ ist ein spannender historischer Roman um drei Freunde, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten und füreinander einstehen. Ein gelungener Abschluss, der die Trilogie einmal mehr mit wunderbaren Charakteren und geschichtlichem Hintergrund krönt. Ein toller Pageturner, der dem Leser ein Wahnsinnskopfkino beschert und in alte Zeiten abtauchen lässt. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 20.11.2022

Die einzig sichere Freiheit liegt im Aufbruch. (Robert Frost)

Kinder des Aufbruchs
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1967 Berlin. Sechs Jahre nach ihrer dramatischen Flucht und dem Mauerbau und leben die Zwillingsschwestern Emma Laakmann und Alice Weiß mit ihren Familien nun in Westberlin. Während Emma als Dolmetscherin ...

1967 Berlin. Sechs Jahre nach ihrer dramatischen Flucht und dem Mauerbau und leben die Zwillingsschwestern Emma Laakmann und Alice Weiß mit ihren Familien nun in Westberlin. Während Emma als Dolmetscherin tätig ist, arbeitet Alice als Journalistin für eine Tageszeitung. Bei einem Übersetzungsauftrag in einem Kinderheim findet Emma einen kleinen Jungen in ihrem Auto, der sich als italienisches Waisenkind entpuppt und nicht das erste Mal aus dem Heim ausgebüchst ist. Emma, die gerade an einer Fehlgeburt zu knabbern hat und mit deren Ehe es momentan auch nicht zum Besten steht, nimmt sich des kleinen Luca an. Währenddessen steckt Schwester Alice mitten in der Berichterstattung über die Studentenunruhen anlässlich des Besuchs des Schah von Persien. Als die Sängerin Irma Assmann, eine ehemalige Bekannte aus Alice‘ Heimvergangenheit in der DDR mit Emma Kontakt aufnimmt und Alice davon erfährt, läuten bei ihr alle Alarmglocken, befürchtet sie doch, dass Irma sie oder ihre Schwester als Spionin für den KGB observieren soll. Der Hilferuf eines alten Bekannten aus dem Osten bringt die Zwillingsschwester nebst ihren Familien in größte Gefahr. Sie geraten zwischen die Aktivitäten der Geheimdienste von Ost und West…
Claire Winter hat mit „Kinder des Aufbruchs“ eine brillante Fortsetzung ihres Romans „Kinder ihrer Zeit“ vorgelegt, der das Schicksal der Zwillingsschwestern Emma und Alice sowie deren Familien weitererzählt und mit einem exzellent recherchierten historischen Hintergrund eng verknüpft ist. Der flüssige, bildgewaltige und atmosphärisch-dichte Erzählstil nimmt den Leser von der ersten Zeile an als Geisel, lässt ihn in die Zeit des Kalten Krieges reisen, wo er über Perspektivwechsel die Sichtweise sowie die Gedanken- und Gefühlswelt der einzelnen Protagonisten studieren darf. Emma und Alice haben sich mit ihren Ehemännern Max und Julius in Westberlin eingelebt, doch ihre Vergangenheit sowie ihre Gesinnung können sie nicht wie einen Handschuh abstreifen. Sie folgt ihnen wie ein unsichtbarer Schatten, um ihnen an der nächsten dunklen Ecke frech ein Bein zu stellen. Winter lässt nicht nur den Zeitgeist der damaligen Jahre wiederaufleben, sondern den Leser die Zerrissenheit, Angst, Schuldgefühle und das Misstrauen ihrer Protagonisten wunderbar spüren, die unterschwellig die Spannung immer mehr in die Höhe treiben, während auch in Berlin die Unruhen und die Spionage der unterschiedlichsten Geheimdienste einem Pulverfass gleichen, das jeden Moment explodieren kann. Viele historisch belegte Begebenheiten pflastern die Handlung, machen sie dadurch noch authentischer und lassen die Grenzen zwischen Fiktion und Wahrheit völlig verschwimmen. Als Leser hat man während der Lektüre nicht nur ein Wahnsinnskopfkino, sondern das Gefühl, selbst Teil der Geschichte zu sein.
Die Charaktere sind facettenreich und lebendig in Szene gesetzt, sie können den Leser mit ihren glaubwürdigen Eigenheiten sofort für sich einnehmen, der ihnen keine Sekunde von der Seite weicht. Emma ist eine freundliche und mitfühlende Frau, die sich für die Schwachen stark macht. Sie knabbert an einem Schicksalsschlag, doch lässt sie sich nicht unterkriegen. Alice kämpft mutig gegen die Schatten ihrer Vergangenheit, indem sie als Journalistin Missstände aufdeckt. Doch insgeheim ist Furcht ihr ständiger Begleiter. Aber auch Max und Julius können sich von den vergangenen Ereignissen noch nicht befreien, was ihnen den Blick in eine glückliche Zukunft verwehrt.
„Kinder des Aufbruchs“ lebt nicht nur von hervorragend inszenierten Protagonisten, sondern vor allem im Zusammenspiel mit dem brillant recherchierten historischen Hintergrund, der diesen Roman zu einer fantastischen Thrillerlektüre macht. Lebendige Schicksale und dramatische Handlungsabläufe lassen den Leser Geschichte leibhaftig erleben. Absolute Leseempfehlung für einen leuchtenden Stern am Bücherhimmel! Chapeau!!!