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Veröffentlicht am 03.04.2023

Gelungene Fortsetzung der Guernsey-Krimi-Serie

Das Schweigen der Klippen
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"... um einen Mord aufzuklären, muss man ihn zuerst überhaupt als Mord entdecken." (S. 14)

Die 94jährige Odile Davies wird tot am Fuß der Klippen aufgefunden. Erlitt die demente Bewohnerin eines Pflegeheims ...

"... um einen Mord aufzuklären, muss man ihn zuerst überhaupt als Mord entdecken." (S. 14)

Die 94jährige Odile Davies wird tot am Fuß der Klippen aufgefunden. Erlitt die demente Bewohnerin eines Pflegeheims einen Unfall, beging sie Selbstmord oder wurde sie womöglich ermordet? Mit viel polizeilicher Kleinarbeit und einigem Stochern im Nebel begibt sich DI Kate Langlois an die Klärung dieser Fragen. Wer Band 1 gelesen hat, darf sich auf ein Wiedersehen mit dem gesamten Team aus Guernsey freuen, wobei Tom Walker diesmal eher im Hintergrund bleibt. Fälschlicherweise wird der Archäologe Nicolas Arture auf dem Klappentext als Teil des Ermittlerteams angegeben. Das kann man aber nicht der Autorin anlasten. Das Cover ist wieder sowohl außen als auch innen mit stimmigen Fotos versehen, doch leider ist bei genauerem Hinsehen erkennbar, dass hier arg die Bildbearbeitung zum Zuge kam.
Die Landschaft der Kanalinsel Guernsey und die Beschreibung ihrer Bewohner ist auch hier wieder ein wichtiger Bestandteil des Buches, ohne dass die Gefahr besteht, dass die Grenze zum Cosy Crime überschritten wird. Ellis Corbet erzählt ruhig und ohne zu werten über das Leben der Verstorbenen. Dabei werden historische Themen ebenso aufgegriffen wie aktuelle Missstände, so z.B. die Situation in Pflegeheimen und soziale Ausgrenzung. Auch wenn ich die Handlung etwas weniger überzeugend fand als die in Band 1, vergebe ich gerne in der Gesamtwertung fünf Sterne und freue mich auf die Fortsetzung, die hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt.

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  • Spannung
Veröffentlicht am 30.03.2023

Katharsis und Metamorphose auf einer Wanderung entlang der Elbe

Agnes geht
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Was wäre, wenn Frau einfach mal aus ihrem Leben ausbricht? Ausbrechen? Bricht man nicht eigentlich aus einem Gefängnis aus?

Agnes, studierte Biologin, und Tom sind schon lange verheiratet. Sie haben sich ...

Was wäre, wenn Frau einfach mal aus ihrem Leben ausbricht? Ausbrechen? Bricht man nicht eigentlich aus einem Gefängnis aus?

Agnes, studierte Biologin, und Tom sind schon lange verheiratet. Sie haben sich während ihrer Studienzeit kennengelernt und sind nun gut situierte Eltern von zwei Teenagern. Tom ist ein erfolgreicher Arzt, Agnes hat ganz klassisch die Rolle der Hausfrau und Mutter übernommen, jobbt aber zudem in einem sozialen Projekt, das ihre Freundin leitet. Als ihr Mann einen beruflichen Erfolg feiert, kommt es zu einem heftigen Streit zwischen den Eheleuten. Und so beginnt es, Agnes geht. Sie geht einfach los, lässt zunächst alles hinter sich und geht.

Nein, es ist keine geplante Pilgerreise und auch kein sportliches Wanderevent. Agnes geht einfach los, bricht aus ihrem Leben aus. Sie hat zunächst nicht einmal ein Ziel. „Weil Gedanken manchmal erst durch Bewegung an die richtige Stelle rutschen.“ Als Leserin habe ich Agnes Weg, der sie schließlich immer entlang der Elbe führt, voller Begeisterung und Mitgefühl begleitet. Ich habe mit ihr mitgelitten, ich habe gelacht, ich hatte manchmal Gänsehaut und ich hatte tatsächlich auch Tränen in den Augen – sei es vor lauter Lachen, denn ich liebe den humorvollen Schreibstil von Katja Keweritsch, sei es aus dem Mitfühlen von Wut und Schmerz.

„Agnes geht“ ist ein Roman, der eine Ehe beschreibt, in der vieles festgefahren ist. In der sich alte Rollenmuster verfestigt haben, und ja, das ist auch heute noch ein Thema! (Dankenswerterweise gibt es am Ende ein kleines Literaturverzeichnis zu den Themen Mental Load, Mutterschaft, Körperwahrnehmung und Gleichberechtigung.) Spannend ist, dass die Autorin das Instrument des Perspektivwechsels nutzt, und nicht nur Agnes, sondern auch Tom in seiner Situation beleuchtet. Meine Sympathie lag aber immer ganz klar parteilich bei Agnes, ihrer Katharsis und ihrer Metamorphose. Interessanterweise war das innerhalb der Leserunde, an der ich teilgenommen habe, nicht überall der Fall. Insbesondere die Tabuthemen der Weiblichkeit wurden heftig diskutiert – ich will hier aber nicht zu viel verraten.

„Agnes geht“ ist ein authentischer und emanzipatorischer Roman, der mich von Anfang an begeistert hat. Es ist eine Roadnovel im ganz klassischen Sinn und die Handlung lebt durch die Begegnungen, die Agnes im Laufe ihrer Wanderung erlebt ebenso wie durch die gelungene und fundierte Beschreibung der Elblandschaften, vor allem Dank der wundervollen Sprache und der bewegenden Formulierungen von Katja Keweritsch. Es ist ein Buch, das zu Reflexion und zu Diskussionen anregt, und zudem noch ist das Cover so wunderschön gestaltet, dass es auch ein sehr schönes Geschenk darstellt. Ich vergebe voller Überzeugung fünf Sterne und werde das Buch sicherlich noch einmal lesen.

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Veröffentlicht am 18.01.2023

Über das Leben in der Eifel zwischen 1919 und 1949

Ginsterhöhe
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"Es ist so schön hier, so friedlich", sagte Leni leise. "Man kann kaum glauben, dass so schreckliche Dinge passieren."

Wollseifen in der Eifel, 1919 - der Kriegsheimkehrer Albert kommt in sein Heimatdorf ...

"Es ist so schön hier, so friedlich", sagte Leni leise. "Man kann kaum glauben, dass so schreckliche Dinge passieren."

Wollseifen in der Eifel, 1919 - der Kriegsheimkehrer Albert kommt in sein Heimatdorf zurück. Nicht nur ihn hat der Krieg schwer gezeichnet. Mit der Kutsche bringt sein Vater ihn zurück auf den Hof, und im Tempo einer Kutschfahrt erzählt Anna Maria Caspari eine beeindruckende Geschichte. Ruhig und unaufgeregt beschreibt sie das dörfliche Leben und die sozialen und politischen Veränderungen in der Zeit zwischen 1919 und 1949. Dabei gelingt es ihr, den realen Schauplatz Wollseifen mit einer fiktiven Bevölkerung zu beleben. Im Mittelpunkt steht eben jener Albert mit seiner Familie, aber nach und nach führt die Autorin auch andere Personen ein.

Das Tempo ist so ereignisreich oder ereignislos, wie das damalige Dorfleben, in dem es vor allem körperlich anstrengende Arbeit gab. Schon die Kinder mussten mit anpacken, und die Jahreszeiten gaben den Rhythmus vor. Es gab weder Elektrizität noch ein Wasserklosett, ein Telefon und ein Auto waren die große Ausnahme. Das Leben in einem Eifeldorf hatte damals noch weniger mit dem Leben in Köln oder Berlin zu tun als heute. Und so ist auch die Erzählung nicht hektisch, sondern unaufgeregt. Erzählt wird, was in Erinnerung bleibt, Geburten, Hochzeiten, Todesfälle. Das Leben ist karg und die Menschen nehmen ihr Schicksal an.

Die große Politik wirkt sich auch auf das Dorfleben aus, Krieg, Inflation, der Versailler Vertrag mit seinen Grenzziehungen, aber es sind eben hier nicht die vielbeschworenen Goldenen Zwanziger. Die Außenwelt begegnet uns durch die Tagebuchaufzeichnungen des Dorflehrers. Sie gefallen mir als stilistisches Mittel sehr gut, da sie noch einmal eine andere Perspektive einfließen lassen. Auch die kleinen Zeitsprünge in der Erzählung finde ich passend.

Unberührt vom aufkommenden Nationalsozialismus bleibt das Dorf nicht. Ein NSDAP-Mitglied der ersten Stunde lässt sich in Wollseifen nieder und trägt - fiktiv - mit dazu bei, dass in unmittelbarer Nähe die sogenannte Ordensburg Vogelsang errichtet wird. Für Wollseifen bringt dies zwar zunächst einen wirtschaftlichen Aufschwung, am Ende aber nur Unheil. Vor allem aber verändert sich der einst gegebene Zusammenhalt der Dörfler. Caspari beschreibt, wie der Nationalsozialismus das Dorf schleichend spaltet, und die Menschen sich immer weniger trauen, offen miteinander zu sprechen. Wie Gewalt und Willkürakte zunehmen, und es dadurch immer gefährlich wird, wie zuvor füreinander einzustehen und miteinander zu leben.

Die persönlichen Schicksale werden erzählt und sie sind bewegend - Krieg, Gewalt, Euthanasie, Rassenwahn. Caspari beschreibt auch hier fast schon sachlich und lässt dadurch der Leserschaft Raum für eigenes Empfinden und eigene Emotionen.

Anna Maria Caspari hat mit ihrem Erstlingswerk “Ginsterhöhe” einen Roman geschaffen, der ganz in der Tradition der Antikriegsliteratur steht. Man merkt dem Buch an, dass sie sich eingehend mit der ungewöhnlichen Geschichte des Dorfes beschäftigt hat. Ergänzt wird der Roman durch sehr schön gestaltete Umschlagklappen mit alten Fotos von Wollseifen und einer Karte der Region.

"Ginsterhöhe" ist der erste Teil einer Trilogie. Band 2 mit dem Titel "Perlenbach" erscheint im Juli 2023 und steht bereits auf meiner Wunschliste. Band 1 erhält von mir eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 18.01.2023

Einfach Liebe - warum kann es nicht einfach sein?

Die Liebe an miesen Tagen
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Ein Roman über die Liebe? Droht da nicht jede Menge Kitsch zwischen zwei Buchdeckeln, seichtes Dahinplätschern auf rosaroten Wolken?

Ewald Arenz mach bereits mit dem Titel "Die Liebe an miesen Tagen" ...

Ein Roman über die Liebe? Droht da nicht jede Menge Kitsch zwischen zwei Buchdeckeln, seichtes Dahinplätschern auf rosaroten Wolken?

Ewald Arenz mach bereits mit dem Titel "Die Liebe an miesen Tagen" klar, dass seine Erzählung nicht diesem Klischee folgt. Das hätte man bei Arenz aber auch nicht erwartet. Der Autor ist spätestens seit " Alte Sorten" bekannt für seine sensible und poetische Sprache, für authentische Figuren mit all ihren Ecken und Kanten, und dafür, dass die Realität vor seinen Büchern nicht halt macht.

"Die Liebe an miesen Tagen" ist ein Beziehungsroman über Menschen, die mitten im Leben stehen, und dennoch das Wagnis einer neuen Liebe eingehen. Wie tief kann man sich fallen lassen, wenn man bereits Beziehungen durchlebt hat, kein Neuling mehr in Liebesdingen ist?

Es geht um Clara und Elias, die sich begegnen und ineinander verlieben. Clara ist Ende 40, Fotografin, verwitwet und Elias, Schauspieler und ein Jahrzehnt jünger, und voller Lebensgier. Ewald Arenz erzählt eine wunderschöne Liebesgeschichte, beschreibt zwei Menschen, die sich fallen lassen, und doch immer wieder reflektieren. Beiden ist gemein, dass sie mit der Sprache jonglieren, sich selbst offenbaren, ihre Ängste und Hoffnungen zum Ausdruck bringen.

Doch es wäre nicht Arenz, wenn das alles wäre. Seine Protagonisten sind authentisch, Menschen mittleren Alters, die einem Beruf nachgehen, die familiär gebunden sind , die Probleme bewältigen müssen wie Arbeitslosigkeit oder Erkrankungen naher Angehöriger - und noch viel mehr.

Man denkt immer, es trifft einen nicht. Tut es aber. Und dann denkt man, dass man dem Schicksal seine Schuld doch bezahlt hat und es einen dann nicht mehr trifft. Weil das erste Mal schon so unfair war. Aber es trifft einen doch. Ein zweites Mal und dann vielleicht auch ein drittes Mal, und es hört überhaupt niemals auf, weil es dem Schicksal oder Gott oder dem Leben einfach scheißegal ist, wie oft es dich trifft. " (S. 338)

Und das alles in einem Buch von 378 Seiten? Hier zeigt sich die Erzählkunst von Ewald Arenz, der spielerisch und dennoch feinfühlig auch die dramatischen und unvorhergesehenen Ereignis beschreibt, manchmal detailreich, dann wieder mit herbem, fast sarkastischen Humor, aber immer berührend, intensiv und lebensnah.

Ich habe mich wohlgefühlt bei der Lektüre. Abgerundet wird das Leseerlebnis durch das sehr schön gestaltete Cover, einen Buchdeckel mit einem haptisch erfahrbaren Stillleben, und - zu meiner Freude - einem Lesebändchen.

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Veröffentlicht am 14.12.2022

Verschachtelte Hommage an irischen Whiskey und die Literatur der Grünen Insel

Ein Schuss Whiskey
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Nun also der Whiskey, und nicht irgendein Whiskey sondern der irische, denn:

1297 - Robert Savage of Bushmills kredenzt seinen Truppen >> a mighty draught of uisce beatha

Nun also der Whiskey, und nicht irgendein Whiskey sondern der irische, denn:

1297 - Robert Savage of Bushmills kredenzt seinen Truppen >> a mighty draught of uisce beatha<<, um die Kampfmoral zu heben. Die erste schriftliche Erwähnung von Whiskey - in Irland!"
Carsten Sebastian Henn hat seine schreibende Tätigkeit als Weinjournalist begonnen. Und er möchte sein Wissen teilen. Dies ist ihm bereits mit der kulinarisch-vinophilen Serie um den Spitzenkoch und Hobbydetektiv Julius Eichendorff hervorragend gelungen. Henn hat dabei ein ganz eigenen Stil entwickelt, der sich nicht an die üblichen Grenzen der Realität hält, und zum Teil bizarre, aber immer wieder unterhaltsame Geschichten zu Papier gebracht, an deren Ende ein nicht ganz ernstzunehmender Kriminalfall gelöst, vor allem aber die Leserschaft wieder sehr viel über Weinbau und Kulinarik gelernt hat.

In dieser Tradition steht nun auch die Trilogie um das Hochprozentige, Nach "Der Gin des Lebens" und "Rum oder Ehre" wird dieses Projekt nun abgeschlossen durch "Ein Schuss Whiskey". Wir begleiten den jungen Krimiautor Janus Rosner auf einer skurrilen Mörderjagd durch Dublin. Dabei begegnen wir der irischen Literatur, der irischen Mentalität und natürlich dem irischen Whiskey. Dass der fast eine größere Rolle spielt als der eigentliche Fall muss man mögen. Die Handlung ist verschachtelt und ich gebe zu: es hat etwas gedauert, bis ich mit dem Buch warm geworden bin. Augenzwinkernd könnte man meinen, dass das Buch ein bisschen unleserlich sein möchte wie die Ulysses von James Joyce. Kleine Parallelen tauchen immer wieder auf zur großen Literatur. Ein wenig Böll, der darf ja nicht fehlen, wenn es um Irland geht. Und natürlich der großartige Beckett. Ein wenig Wissen um die irische Literatur kann nicht schaden, wenn man das Buch verkosten möchte.

Fazit: Ich habe mich gut amüsiert, viel über den irischen Whiskey gelernt, und mich gedanklich auf eine kleine Irlandreise begeben.

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