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Veröffentlicht am 05.02.2023

Von Hunger und Wahnsinn

Hunger
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Oslo im 19. Jahrhundert: Er träumt davon, als Journalist oder Autor groß herauszukommen. Doch bei den Zeitungen der Stadt werden nur wenige seiner Beiträge überhaupt veröffentlicht. Von den mickrigen Einnahmen ...

Oslo im 19. Jahrhundert: Er träumt davon, als Journalist oder Autor groß herauszukommen. Doch bei den Zeitungen der Stadt werden nur wenige seiner Beiträge überhaupt veröffentlicht. Von den mickrigen Einnahmen kann er nicht leben. Ohne Geld und festen Wohnsitz irrt der Mann ziellos durch die Stadt, getrieben von dem Hunger, der Verzweiflung und dem Ehrgeiz, doch noch irgendwann ein geniales Werk zu schaffen…

„Hunger“ ist eine Erzählung von Knut Hamsun, die erstmals 1890 erschienen ist.

Meine Meinung:
Das Werk besteht aus vier Teilen, genannt „Stücke“. Das erinnert, zumindest dem Namen nach, ein wenig an die Gattung Drama. Erzählt wird - mit Zeitsprüngen zwischen den verschiedenen Teilen - in der Ich-Perspektive aus der Sicht des namenlosen Protagonisten.

Der Schreibstil ist geprägt durch viele innere und weniger äußere Dialoge. Die Sprache ist modern, für ihre Zeit vermutlich revolutionär und anschaulich. Der Text enthält vielerlei religiöse Bezüge. Als störend habe ich die unvermittelten Tempuswechsel von Präteritum zum Präsens, teils sogar mitten im Satz, empfunden. Bei der Ausgabe des Manesse-Verlags handelt es sich um eine gelungene Neuübersetzung aus dem Norwegischen, angefertigt von Ulrich Sonnenberg.

Der namenlose Protagonist stellt einen unsympathischen Anti-Helden dar. Ein gesellschaftlicher Verlierer, der aufgrund seines falschen Stolzes, seiner Überheblichkeit und seines überzogenen Geltungsbedürfnisses immer weiter in Richtung Abgrund trudelt. Sein Abwärtstrend ist selbstverschuldet. Obwohl sein Denken sehr gut zum Ausdruck kommt, habe ich sein inkonsequentes Handeln meist nicht nachvollziehen können. Die Figur wird dermaßen überzeichnet dargestellt, dass sie ins Unglaubwürdige abdriftet.

Inhaltlich geht es vor allem darum, wie der Hunger einem Menschen zusetzt. Das allein reicht als Lesart meiner Meinung nach jedoch nicht aus. Das wahnhafte, komplett irrationale Verhalten des Protagonisten zeigt sich nämlich auch in Phasen, in denen er an Essen herankommt. Insofern lässt es sich nur dann erklären, wenn man ihn als psychisch kranke Person liest, die ohne Hilfe von Familie und engen Freunden in einer großen Stadt zu überleben versucht.

Auf den etwas mehr als 200 Seiten entfaltet sich nur wenig Handlung. Stattdessen wiederholen sich die Verhaltensmuster des Protagonisten auf ermüdende Weise.

Das Nachwort von Felicitas Hoppe („Der ungeheuerliche Herr Happolati“) ist für mich leider wenig aufschlussreich. Auch die rund 80 Anmerkungen sind nur zum Teil hilfreich beim Verständnis der Lektüre. Positiv bewerte ich hingegen das angehängte Literaturverzeichnis und die editorische Notiz.

Das ungewöhnliche, haptisch ansprechende Cover sticht aus der Masse hervor. Der norwegische Originaltitel („Sult“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.

Mein Fazit:
„Hunger“ ist ein Werk von Knut Hamsun, das mich inhaltlich enttäuscht und sprachlich ebenfalls nicht gänzlich überzeugt hat. Nur bedingt empfehlenswert.

Veröffentlicht am 19.12.2022

Die Königin der Nacht

The Things we left unsaid. Unsere Herzen auf dem Spiel
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Kate Ekberg betreibt in Stockholm einen Nachtclub, den sie selbst gegründet hat. In der Geschäftswelt hat es die 27-Jährige weit gebracht. Doch jetzt wird sie erpresst. Um das Geld aufzutreiben, besucht ...

Kate Ekberg betreibt in Stockholm einen Nachtclub, den sie selbst gegründet hat. In der Geschäftswelt hat es die 27-Jährige weit gebracht. Doch jetzt wird sie erpresst. Um das Geld aufzutreiben, besucht sie eine Bank und lernt dort Jakob Grim kennen, der mit seiner introvertierten Art kaum gegensätzlicher sein könnte…

„The Things we left unsaid - Unsere Herzen auf dem Spiel“ ist ein Liebesroman von Simona Ahrnstedt.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 50 Kapiteln. Erzählt wird im Wechsel aus der Perspektive von Kate und Jacob. Der Aufbau ist einfach, aber sinnvoll.

Sprachlich bietet der Roman, was das Genre erwarten lässt: anschauliche und unkomplizierte Beschreibungen sowie viele Dialoge. Die Wortwahl ist weder unangemessen noch vulgär. Über die ein oder andere Floskel sehe ich bei Liebesromanen gerne hinweg.

An den früheren Romanen der Autorin habe ich geschätzt, dass die Protagonisten klischeefrei und realitätsnah gezeichnet sind. In diesem Fall wurde ich leider enttäuscht. Sowohl bei Kate als auch bei Jacob greift die Geschichte auf Stereotype zurück. Zwar ließen sich die Gedanken und Gefühle der Hauptfiguren nachvollziehen. Die psychologische Ausgestaltung weist jedoch Schwächen auf.

Auch inhaltlich hebt sich der Roman nicht sonderlich ab. Zwar werden vielerlei Themen angesprochen, sodass die rund 400 Seiten an nur wenigen Stellen langatmig geraten sind. Allerdings wirkt die Geschichte in mehreren Punkten abgedroschen und mich hat das Gefühl begleitet, eine solche Story schon x-fach gelesen zu haben.

Der schwedische Originaltitel („Nattens Drottning“) gefällt mir besser als die unnötige Übertragung ins Englische. Das Cover ist nichtssagend und unauffällig, aber hübsch.

Mein Fazit:
Mit ihrem neuen Roman hat mich Simona Ahrnstedt eher enttäuscht. „The Things we left unsaid - Unsere Herzen auf dem Spiel“ ist wohl nur für ihre treuesten Fans ein Muss. Allen anderen empfehle ich jedoch die Vorgängerromane gerne.

Veröffentlicht am 02.11.2022

Das Leben ist (un)endlich

Unsterblich sind nur die anderen
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Auf der Fähre MS Rjúkandi auf dem Weg nach Island: Zwei Frauen sind aufgebrochen, um nach drei angeblich vermissten Männern zu suchen. Was sie dort erwartet, übersteigt ihre Vorstellungen…

„Unsterblich ...

Auf der Fähre MS Rjúkandi auf dem Weg nach Island: Zwei Frauen sind aufgebrochen, um nach drei angeblich vermissten Männern zu suchen. Was sie dort erwartet, übersteigt ihre Vorstellungen…

„Unsterblich sind nur die anderen“ ist ein Roman von Simone Buchholz.

Meine Meinung:
Der Aufbau des Romans ist anspruchsvoll und gut durchdacht. Das Buch besteht aus vielen kurzen Kapiteln. Erzählt wird auf unterschiedlichen Zeitebenen. Somit umfasst die Geschichte eine breite Zeitspanne.

Der Schreibstil ist sehr dialoglastig. Darüber hinaus überrascht der Roman mit Theatereinschüben, Notizen im Originallaut und sonstigen Ergänzungen, die sich nicht (sofort) erschließen. In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch wegen seiner starken, teils ungewöhnlichen Bilder beeindruckt.

Die Protagonistinnen und Protagonisten blieben mit allesamt fremd. Ihr Verhalten ist nur bedingt nachvollziehbar.

Inhaltlich ist die Geschichte ein wilder Mix aus Mystery, Fantasy, Thriller und erotischer Literatur. Eine interessante und kreative Mischung, die mir letztlich aber etwas zu abgedreht war. Alkohol, Medikamentenmissbrauch und amouröse Eskapaden nehmen in der Geschichte überhand. Obwohl ich die zugrundeliegende Botschaft durchaus würdigen kann, hat mich die Umsetzung insgesamt leider nicht überzeugt.

Auf den rund 260 Seiten bleibt die Geschichte lange undurchsichtig, bisweilen verwirrend. Sie bietet viel Raum für eigene Interpretationen. Auch zum Schluss sind noch einige Fragen offen.

Das düstere, geheimnisvolle Cover passt meiner Ansicht nach sehr gut. Der Titel ist ebenfalls stimmig.

Mein Fazit:
Freunde ungewöhnlicher Literatur dürften bei „Unsterblich sind nur die anderen“ von Simone Buchholz durchaus auf ihre Kosten kommen. Mir ist der durchaus originelle und experimentelle Roman leider eine Spur zu schräg.

Veröffentlicht am 17.10.2022

Ein besonderer Außenseiter

Die leise Last der Dinge
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Eine zerbrochene Christbaumkugel oder ein Paar Schuhe: Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji fängt der 13-jährige Benny Oh an, die Stimmen unbelebter Gegenstände zu hören. Für den Teenager ist ...

Eine zerbrochene Christbaumkugel oder ein Paar Schuhe: Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji fängt der 13-jährige Benny Oh an, die Stimmen unbelebter Gegenstände zu hören. Für den Teenager ist es nicht leicht, die Gegenstände auszublenden, weil seine Mutter Annabelle in ihrer Trauer immer mehr Dinge zu Hause anhäuft. Beide drohen sowohl in einem psychischen als auch in einem realen Chaos zu versinken…

„Die leise Last der Dinge“ ist ein Roman von Ruth Ozeki.

Meine Meinung:
Der Roman setzt sich aus fünf Teilen zusammen, die wiederum aus 91 Kapiteln bestehen. Zudem gibt es zwei Prologe. Der Aufbau ist durchaus kreativ.

Erzählt wird aus zwei Perspektiven: aus der des Buches und der Bennys. Die Idee, ein Buch erzählen zu lassen, ist originell und vielleicht sogar einzigartig. Diese Erzählstruktur wird gegen Ende jedoch aufgeweicht. Eine weitere stilistische Besonderheit ist das Einflechten von Auszügen eines fiktiven Entrümpelungsratgebers. Die Sprache ist dialoglastig, detailliert, insgesamt unspektakulär, aber sehr anschaulich.

Der Fokus der Geschichte liegt in erster Linie auf dem jugendlichen Benny, einem reizvollen Charakter, und in zweiter Linie auf dessen Mutter. Während diese beiden Charaktere noch weitgehend realitätsnah dargestellt werden, sind die Nebenfiguren gnadenlos überzeichnet und wirken teilweise geradezu absurd.

Inhaltlich bietet der Roman eine Menge Potenzial. Besonders interessant finde ich, dass psychische Traumata und Krankheiten im Zusammenhang mit dem Messie-Syndrom beziehungsweise Überforderung aufgegriffen werden. Darüber hinaus spielen das Thema Literatur und die Rolle von Büchern eine wesentliche Rolle. Diesbezüglich gibt es mehrere lesenswerte Passagen.

Im ersten Teil schafft es der Roman, mich zu berühren und zu fesseln. Allerdings kommt danach ein Konglomerat an weiteren Aspekten wie Rassismus und Geschlechtsidentität zum Tragen, was die Geschichte zwar facettenreich, aber auch unübersichtlich macht. Der rote Faden geht somit immer mehr verloren.

Auf den fast 700 Seiten kommt es zu einigen Längen, vor allem aufgrund von Wiederholungen und sehr ausschweifenden Passagen. Die Handlung tritt immer wieder auf der Stelle. Den Lesegenuss trüben außerdem widersprüchliche Angaben, Logikfehler und Ungereimtheiten. Leider lässt die Autorin zudem die Möglichkeit ungenutzt, mit einem Plottwist oder anderen Überraschungen einen gelungenen Schlusspunkt zu setzen.

Den deutschen Titel mag ich etwas lieber als das englischsprachige Original („The Book of Form and Emptiness“). Das gilt auch für das liebevoll gestaltete Cover, wobei beide thematisch nicht die gesamte Geschichte abdecken.

Mein Fazit:
Mit „Die leise Last der Dinge“ konnte Ruth Ozeki meine hohen Erwartungen nicht erfüllen. Der mit dem Women‘s Prize for Fiction 2022 prämierte Roman konnte mich leider nur in Teilen überzeugen.

Veröffentlicht am 25.09.2022

Die Verweigerung von Liebe

Ich verliebe mich so leicht
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Er ist beinahe 50 Jahre alt. Mit der Mutter seiner Kinder ist er nicht zusammen. Aber eine junge Frau hat es ihm angetan. Nach einem gemeinsamen sexuellen Abenteuer möchte sie nichts mehr von ihm. Trotzdem ...

Er ist beinahe 50 Jahre alt. Mit der Mutter seiner Kinder ist er nicht zusammen. Aber eine junge Frau hat es ihm angetan. Nach einem gemeinsamen sexuellen Abenteuer möchte sie nichts mehr von ihm. Trotzdem reist er ihr hinterher…

„Ich verliebe mich so leicht“ ist ein Kurzroman von Hervé Le Tellier.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwölf kurzen, teils sehr knappen Kapiteln mit stichwortartigen Zusammenfassungen zu Beginn. Sie werden von einer Art Prolog („Lange Vorrede“) eingeleitet. Die Handlung beschränkt sich auf kaum mehr als einen Tag. Erzählt wird im Präsens in chronologischer Reihenfolge.

Der Schreibstil mit seinen süffisanten Bemerkungen und launigen Beschreibungen liest sich amüsant. Der Text verzichtet auf Namen, zeugt aber von sprachlicher Gewandtheit.

Der Protagonist („unser Held“) ist eigentlich ein Antiheld. Mit einer gewissen Portion Schadenfreude habe ich sein Scheitern und seine Missgeschicke verfolgt. Allerdings ist sein Verhalten dazu geeignet, den Puls der Leserschaft in die Höhe zu treiben. Auch die Protagonistin ist keine Sympathieträgerin. Eine Entwicklung der Charaktere ist nicht erkennbar.

Inhaltlich finde ich den Roman leider recht problematisch. Ein 49-jähriger Mann stellt einer 20 Jahre jüngeren Frau, die noch dazu vergeben ist, hinterher. Das ist nicht nur „Verrücktheit“, wie der Erzähler auf verharmlosende Weise behauptet, sondern übergriffig und mindestens eine Form von Belästigung und grenzt fast an Stalking. Dass der Mann kein Nein und keine Zurückweisung akzeptiert, wird nicht genügend kritisiert. Eine bedenkliche Botschaft. Um romantische, echte Liebe geht es zudem im Grunde nicht, allenfalls um Besessenheit. Die Gefühle haben sich mir darüber hinaus nicht erschlossen.

Auf den nur wenig mehr als 100 luftig bedruckten Seiten kommt es zu mehreren Wiederholungen. Das macht einige Passagen langatmig.

Der französische Originaltitel („Je m‘attache très facilement“) ist etwas treffender als die deutsche Entsprechung. Das Cover passt inhaltlich sehr gut.

Mein Fazit:
Mit „Ich verliebe mich so leicht“ hat mich Hervé Le Tellier auf inhaltlicher Ebene enttäuscht. Ein kurzer literarischen Snack, der meinen Hunger nach einer gehaltvollen Lektüre nicht stillen konnte. Ein Buch, das ich bedauerlicherweise nicht guten Gewissens empfehlen kann.