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Veröffentlicht am 20.12.2022

Ein Jahr, ein Tag, ein Bild, ein Text

Buch der Tage
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Patti Smith. Godmother of Punk. Hat schon seine Berechtigung, aber beschreibt nicht einmal in Ansätzen die vielfältigen Talente dieser Ausnahmekünstlerin, die über die Jahre bewiesen hat, dass sie neben ...

Patti Smith. Godmother of Punk. Hat schon seine Berechtigung, aber beschreibt nicht einmal in Ansätzen die vielfältigen Talente dieser Ausnahmekünstlerin, die über die Jahre bewiesen hat, dass sie neben Singer-Songwriterin auch noch Lyrikerin, Malerin und Fotografin ist.

In den vergangenen Jahren hat sie uns immer wieder in Form von Fotos und/oder Texten an ihren Erinnerungen teilhaben lassen, wobei leider deutscher Übersetzung lediglich Just Kids, Traumsammlerin, M Train, Hingabe sowie Im Jahr dessen Affen erhältlich sind. Neu hinzugekommen ist kürzlich „Buch der Tage“, eine Sammlung von 366 alten und neuen Fotos aus dem Privatarchiv der Künstlerin samt Text. Auf jeder Seite ein Bild für jeden Tag des Jahres (plus eines zusätzlich für das Schaltjahr), versehen mit reduzierten Bildunterschriften, die oft beschreiben, aber auch erinnern und damit zugleich intim, manchmal humorvoll, aber immer zutiefst menschlich sind. Eine gelungene Mischung aus alltäglichen und außergewöhnlichen Motiven, immer mit dem ihr eigenen Blick für die Details. Gleichzeitig ist diese persönliche Sammlung auch ein kulturelles Zeitzeugnis der vergangenen Jahrzehnte, getragen von Erinnerungen an Weggefährten und Verstorbene, nicht nur aus dem persönlichen Umfeld, sondern auch solche, die Patti Smith zeit ihres Lebens inspiriert haben.

Ergänzt wird dieses immerwährende Kalendarium im Anhang durch eine Leseliste, auf der neben vielen Werken der Weltliteratur auch Gerhard Richters „The daily practice of painting“ und überraschenderweise auch Mankells „Wallander-Romane“ zu finden sind.

In der Einleitung schreibt Smith „Einträge und Bilder sind Schlüssel, um die eigenen Gedanken freizuschalten.“ Dieser Aussage kann ich vorbehaltlos zustimmen, denn dieser großartige, ungewöhnliche Text- und Fotoband, der vollgepackt mit klugen Gedanken ist, lädt zum Innehalten und Nachdenken ein und wird im kommenden Jahr mein täglicher Begleiter sein.

Veröffentlicht am 18.12.2022

Wer die Gegenwart verstehen will, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen

Das Reich der Mitte
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Dass er ein Vielschreiber ist, kann man dem studierten Historiker Edward Rutherfurd wirklich nicht vorwerfen, denn seit der Publikation seines ersten Romans „Sarum“, in dem er tief in die Geschichte seiner ...

Dass er ein Vielschreiber ist, kann man dem studierten Historiker Edward Rutherfurd wirklich nicht vorwerfen, denn seit der Publikation seines ersten Romans „Sarum“, in dem er tief in die Geschichte seiner Heimatstadt Salisbury eintaucht, sind mittlerweile 35 Jahre vergangen. Nun also „Das Reich der Mitte“, der 2021 im Original erschienene China-Roman, der die Zahl seiner Werke auf neun Bücher ansteigen lässt, von denen jedes einzelne ein Fest für jeden historisch interessierten Leser ist. Dank akribischer Recherche taucht er tief in die Geschichte einer Stadt oder eines Landes ein, versorgt uns mit belegten Fakten, verbindet diese mit individuellen Schicksalen, stellt Bezüge zur Gegenwart her und hilft damit, aktuelle politische Entwicklungen besser zu verstehen.

Ausgangspunkt ist das Jahr 1839. Auf der einen Seite China, ein stolzes Reich, das auf Jahrhunderte alte Traditionen zurückblicken kann. Auf der anderen Seite die Briten unter der Regentschaft von Queen Victoria, die um jeden Preis ihre Handelsbeziehungen, im Wesentlichen die Teeimporte, mit China aufrechterhalten wollen, auch wenn sie nicht in der Lage sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Eine erfolgversprechende Möglichkeit, dieses Dilemma zu umgehen, ist der Tauschhandel. Tee gegen Opium. Das illegale Rauschmittel, das im Auftrag der East India Company von skrupellosen Mittelsmännern ins Land gebracht wird und schlussendlich zu den Opiumkriegen führt, Auftakt einer Reihe von Demütigungen Chinas durch den Westen, allen voran die Briten, was bis heute Nachwirkungen zeigt.

Aber es sind nicht nur die großen historischen Ereignisse, auf die Rutherfurd unseren Blick richtet. Über individuelle Schicksale macht er uns bekannt mit starren Traditionen, lässt uns eintauchen in philosophische und religiöse Weltanschauungen, nimmt uns mit in das Private von chinesischen, britischen und amerikanischen Familien und zeigt uns so im Kleinen die Auswirkungen dieser wechselhaften Epoche.

„Das Reich der Mitte“ ist ein unterhaltsamer, farbenprächtiger aber auch äußerst informativer historischer Roman, der Ursachenforschung betreibt und das Verhältnis des Westens zu China hinterfragt. Und das orientiert an Fakten und ohne Wertung oder ideologischer Brille. Wer die Gegenwart verstehen will, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen Und dabei helfen Rutherfurds Romane.

Nachdrückliche Empfehlung, nicht nur für historisch interessierte Leser!

Veröffentlicht am 09.12.2022

Zu Gast im größten Antiquariat Schottlands

Neue Bekenntnisse eines Buchhändlers
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Wigtown ist ein ehemaliges Fischerstädtchen im Council Galloway im Süden Schottlands. 17 Buchhandlungen bei gerade mal knapp 1000 Einwohnern, Veranstaltungsort des alljährlichen Wigtown Bookfestivals und ...

Wigtown ist ein ehemaliges Fischerstädtchen im Council Galloway im Süden Schottlands. 17 Buchhandlungen bei gerade mal knapp 1000 Einwohnern, Veranstaltungsort des alljährlichen Wigtown Bookfestivals und seit 1998 offiziell mit dem Titel „Booktown“ geadelt. Dort betreibt Shaun Bythell seit 2001 „The Bookshop“, das größte Antiquariat des Landes, das die Association of Wigtown Booksellers folgendermaßen beschreibt: „Nine well organised rooms, all full of books resting on nearly a mile of shelving“. Wahrscheinlich würde Bythell dieser Aussage nur bedingt zustimmen, türmen sich doch üblicherweise auch auf dem Fußboden noch jede Menge Bücherstapel. Und auch der Zustand der Regale macht ihn nur bedingt glücklich, denn es gibt immer wieder Situationen, speziell bei der Bearbeitung von Online-Bestellungen, dass Bücher sich nicht dort befinden, wo sie eigentlich sein sollten. Aber ich greife vor…

In „Neue Bekenntnisse eines Buchhändlers“ nimmt uns Shaun Bythell wie bereits in dem Vorgänger „Tagebuch eines Buchhändlers“ in seinen Alltag mit, listet akribisch in diesem Tagebuch das Jahr 2015 auf und verschafft so einen Eindruck, mit welchen Problemen nicht nur der Buchhandel allgemein, sondern auch seine Buchhandlung im Speziellen seit einigen Jahren zu kämpfen hat. Die Einträge geben Auskunft über die Anzahl der Online-Bestellungen (wobei leider nicht jede ausgeführt werden kann, da das Buch nicht auffindbar ist), über die Zahl der Kunden, die sich im Laden aufgehalten haben und über den täglichen Umsatz, den diese getätigt haben. Wir begleiten ihn auf seinen oft wenig erfolgreichen Ankaufstouren, freuen uns umso mehr mit ihm über wertvolle Zufallsfunde, lernen seine Stammkunden kennen und bekommen ein Gefühl für den Zusammenhalt und die Gemeinschaft in diesem Städtchen.

Und natürlich treffen wir auch alte Bekannte wieder. Captain, der Bookshop-Kater, genauso griesgrämig wie sein Besitzer, Flo, die depressive Aushilfe, und Nicky, die Teilzeitkraft, die regelmäßig in den Tonnen bei Morrisons containert und ihre Beute am Foodie-Freitag großzügig auch Shaun anbietet. Beide bekannt für ihren kreativen Umgang mit dem Gedruckten. Speziell, was die thematische Zuordnung betrifft. Eine liebenswerte und unterhaltsame Ergänzung ist Emanuela, die exzentrische Italienerin mit dem großen Appetit, bald nur noch wegen ihrer diversen Malaisen „Oma“ genannt, die ab Mitte des Jahres das Team verstärkt.

Bythell beschreibt äußerst unterhaltsam und mit jeder Menge trockenem Humor seine mehr als schrägen Kunden und seine schrulligen Mitarbeiter. Aber es gibt auch immer wieder Passagen, in denen nachdenkliche und melancholische Untertöne über die Herausforderungen und Schwierigkeiten darüber mitschwingen, wie man eine Buchhandlung in Zeiten von ebooks und Online-Konkurrenz auch zukünftig einigermaßen profitabel führen kann. Ein Rezept dafür hat er allerdings nicht.

Große Leseempfehlung und das ideale Weihnachtsgeschenk für alle Buchverrückten!

Veröffentlicht am 06.12.2022

Zurück in der Spur. Zumindest vorerst.

Blutmond (Ein Harry-Hole-Krimi 13)
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Harry Hole ist hat den Kanal voll. Hat genug von dem Leben ohne Rakel, ertränkt seine Trauer im Alkohol. Will vergessen, sich zuschütten, bis das Geld ausgeht oder bis er stirbt. Im Idealfall. Aber so ...

Harry Hole ist hat den Kanal voll. Hat genug von dem Leben ohne Rakel, ertränkt seine Trauer im Alkohol. Will vergessen, sich zuschütten, bis das Geld ausgeht oder bis er stirbt. Im Idealfall. Aber so billig kommt er nicht davon. Noch gibt es etwas zu tun.

„Blutmond“, Band 13 in Jo Nesbøs Harry Hole-Reihe, eröffnet mit einer Szene am Tresen einer Bar in Los Angeles. Dem Ort, den der Antiheld für seine letzte Mission auserkoren hat. Aber manchmal kommt dem Todeswunsch dann doch das Leben dazwischen.

In diesem Fall ist es der Ruf aus der Heimat. Zwei junge Frauen wurden ermordet und seine ehemalige Kollegin und jetzige Kommissarin Katrine Bratt hätte ihn gerne in ihrem Team gehabt, bekommt dafür aber kein Okay von ihrem Vorgesetzten. Unter Mordverdacht steht ein vermögender Immobilienhai. Dieser möchte seine Unschuld beweisen und bietet Harry dafür ein Vermögen. Das Geld spielt für Harry keine Rolle, torpediert eher seinen Todeswunsch. Aber eine Freundin aus LA steht bei einem mexikanischen Kartell mit einem hohen Geldbetrag in der Kreide, kann diesen aber nicht zurückzahlen und wird deshalb massiv bedroht. Und Freunde lässt man nicht hängen. Vielleicht kann er ihr mit dem Geld helfen. Also macht er sich auf den Weg zurück nach Oslo.

Vor Ort stellt sich Harry „Privatermittler“ ein illustres Team zusammen, das aus dem mittlerweile todkranken Ståle Aune, dem Dealer Øystein Eikeland, beides alte Freunde, plus dem korrupten Polizisten Trune besteht. Und dann macht er mit deren Unterstützung das, was er am besten kann, nämlich den Mörder aufspüren und dingfest machen. Harry ist wieder fokussiert und in der Spur. Zumindest vorerst.

Wir kennen das bereits aus dem Vorgänger, Nesbø braucht oft etwas länger als in diesem Genre üblich, bis sich die Komplexität seiner Storys entfaltet. So auch hier, aber es lohnt sich, denn spätestens ab Harrys Ermittlungen erhöht sich nicht nur das Tempo, auch die Spannungskurve steigt deutlich an, was unter anderem auch durch die unterschiedlichen Perspektiven inklusive Tätersicht sowie durch zahlreiche unerwartete Wendungen forciert wird.

Eine Warnung zum Schluss: Wie immer ist Nesbø nicht zimperlich, wenn es um die Beschreibung von Gewaltverbrechen und Grausamkeiten geht. Wer damit ein Problem hat, sollte die Finger von diesem Buch lassen. Allen anderen, vor allem den Fans der Reihe, kann ich nur raten „Greift zu, es lohnt sich!“

Veröffentlicht am 04.12.2022

Hochspannung par excellence

Fifty-Fifty
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Ein Toter, zwei Verdächtige und ein Verteidiger, dessen Chancen „Fifty-Fifty“ stehen, dass er auf das richtige Pferd – respektive auf die richtige Mandantin – gesetzt hat.

Eddie Flynn steckt in der Zwickmühle. ...

Ein Toter, zwei Verdächtige und ein Verteidiger, dessen Chancen „Fifty-Fifty“ stehen, dass er auf das richtige Pferd – respektive auf die richtige Mandantin – gesetzt hat.

Eddie Flynn steckt in der Zwickmühle. Er, der nur dann die Verteidigung eines/einer Angeklagten übernimmt, wenn er von dessen/deren Unschuld überzeugt ist, hat es diesmal mit einem Fall zu tun, in dem er während des Prozessverlaufs von Zweifeln geplagt und seine Gewissheit immer wieder erschüttert wird.

Zwei Schwestern melden unabhängig voneinander den Tod ihres Vaters und beschuldigen gleichzeitig die jeweils andere, diesen ermordet zu haben. Die Beweise sind nicht eindeutig, und so kommt es zu einem Prozess, in dem die die wahre Täterin entlarvt werden muss.

Von Justizthrillern kann man in der Regel immer dann glaubwürdige Szenarien erwarten, wenn die Autoren/Autorinnen das Gerichtsmilieu aus eigener Anschauung kennen. Das haben beispielsweise Anne Holt, John Grisham, Scott Turow und Gianrico Carofiglio, allesamt ausgebildete Juristen, hinlänglich bewiesen. Nun wird dieser Zirkel von dem nordirischen Steve Cavanagh ergänzt, der sich in der Vergangenheit als Bürgerrechtsanwalt einen Namen gemacht hat und in der Tat eine echte Bereicherung darstellt.

Zieht sich z.B. bei Grisham die Handlung oft durch detaillierte Hintergrund-Informationen zum juristischen Prozedere in die Länge, setzt Cavanagh hier durch multiperspektivisches Erzählen auf Tempo. Und auch der sympathische Protagonist, in seinen Handlungen nicht immer ganz regelkonform, sorgt damit für Abwechslung. Und dann wäre da noch der raffinierte Plot mit seinen unerwarteten Wendungen, der immer wieder sämtliche Gewissheiten der Leser auf den Kopf stellt. Hochspannung par excellence! Lest selbst, und ihr werdet begeistert sein.

„Fifty-Fifty“ ist nach „Thirteen“ Teil 5 der Eddie-Flynn-Reihe, kann aber, da in sich abgeschlossen, problemlos ohne Kenntnis der vorherigen Bände, die nach und nach in den kommenden Monaten erscheinen (teilweise in Neuauflage wie Bd. 1 und 2), gelesen werden.