Faszinierende Welt, zu detailliert erzählt und trotzdem spannend
Das Reich der VampireIch habe lange überlegt, wie ich diese Rezension schreiben soll. Während ich nämlich ziemlich begeistert von Das Reich der Vampire bin, gibt es auch ein paar Dinge, die mich sehr gestört haben. Ich bin ...
Ich habe lange überlegt, wie ich diese Rezension schreiben soll. Während ich nämlich ziemlich begeistert von Das Reich der Vampire bin, gibt es auch ein paar Dinge, die mich sehr gestört haben. Ich bin zwiegespalten, ob ich die Fortsetzung lesen sollte.
Mein erstes Jay Kristoff-Buch war vor einigen Jahren Illuminae, danach habe ich mich an Nevernight herangetraut und Aurora erwacht und Aurora entflammt haben mich total vom Hocker gehauen, bevor ich Lifelike gelesen habe. Während ich das hier schreibe, fällt mir zum ersten Mal bewusst auf, dass ich – Stand heute – keine einzige seiner Reihen beendet habe. Von manchen habe ich nur einen Band gelesen, von Nevernight auch den zweiten. Band 3 von Aurora und Band 2 von Illuminae stehen sogar schon in meinem Regal und warten darauf, gelesen zu werden.
Aber so sehr mich die Welten auch begeistern, die Kristoff in seinen Büchern (zum Teil zusammen mit Amie Kaufman) gestaltet, zum Leben erweckt und mit so faszinierenden Figuren füllt, dass ich mir diese Geschichten sehr gut als TV-Serie vorstellen könnte, so sehr gibt es einen gemeinsamen Nenner aller dieser Bücher, der mich konsequent stört:
Die Bücher sind zu lang!
Bitte nicht falsch verstehen, ich habe kein Problem mit dicken Büchern! Dass ein Roman die 1000-Seiten-Marke überschreitet, ist für mich kein Grund, nicht danach zu greifen. (Ich habe ja auch Diana Gabaldons Outlander gelesen, als es im deutschen Raum noch Feuer und Stein hieß.) Ganz im Gegenteil, ich ziehe mehr Seiten eigentlich weniger Seiten vor, weil die erzählte Geschichte dadurch mehr Raum hat, sich zu entfalten und ich die Figuren richtig kennenlernen kann, bevor sie direkt wieder verschwinden. Deshalb lese ich so gern Reihen. Aber die Geschichte muss eben auch genug Stoff haben, um all diese Seiten zu füllen.
Im Fall von Das Reich der Vampire, was meines Wissens nach wieder eine Trilogie werden soll, sind es nach meinem Bauchgefühl etwa 200 Seiten zu viel – im Verhältnis zur Seitenzahl von 1024 Seiten macht das zwar durchaus einen spürbaren Unterschied, aber ich bin mir absolut sicher, dass man die Handlung auch locker auf 824 Seiten unterbringen könnte, ohne zu viel zu verlieren. Das ist immer noch eine gewaltige Seitenzahl! Oder man hätte diesen ersten Band auf zwei Bände aufteilen können, wobei ich nicht wüsste, wo genau man den Cut setzen sollte …
Schreibstil und Erzählweise
Der Schreibstil ist absolut nicht schleppend oder langweilig, es passiert immer etwas und auch in der Handlung sehe ich keine richtigen Durchhänger, die ich am liebsten überblättert hätte (bei anderen Büchern kommt das schon ab und zu mal vor). Aber weil so unfassbar viel passiert, während die Figuren nur langsam auf ihrem Weg in Richtung Zielgerade vorankommen, hatte ich oft den Gedanken: “Wann ist es denn nun endlich soweit? Wann erfahre ich, was es mit XY auf sich hat? Wann wird dieser eine Erzählstrang weitergeführt, der mich viel mehr interessiert (und interessieren soll) als der andere?” Dieses Erlebnis hatte ich auch mit Tolkiens Herrn der Ringe – und die Bücher habe ich irgendwann frustriert abgebrochen.
Die Art, wie die Geschichte von Das Reich der Vampire erzählt wird, ist super und hebt sich von der Masse ab: Wie schon in Nevernight (übrigens wurden beide Bücher von derselben Person ins Deutsche übersetzt, s. u.) wird rückblickend berichtet, was passiert ist, sodass wir Lesenden eigentlich von Anfang an zum Teil wissen, wie das Ende aussehen muss. Es werden immer wieder Details und dezente Hinweise eingestreut. In Form einer Binnenerzählung blickt der Protagonist auf sein Leben zurück, während jemand seine Geschichte aufschreibt und immer mal wieder nachhakt.
Das ist ziemlich clever gemacht, führt aber zu genau dem Problem, das ich oben schon erwähnt habe: Unterbrochene Erzählstränge. Die erzählende Figur beschreibt eben nicht linear von A bis Z, wie sein Leben abgelaufen ist, sondern will über Manches nicht sprechen oder findet andere Dinge irrelevant, wodurch der Zusammenhang verschleiert wird.
Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil wäre Abwechslungsreichtum, sodass das Publikum nicht von einem Erzählstrang gelangweilt ist – in der Theorie. Nachteilig wird es dann – wie hier – , wenn die Geschichte mit so vielen Details und Unterbrechungen bestückt ist, dass es schwierig wird, lange dran zu bleiben, weil man einfach den Überblick verliert. Und wenn man dann nach mehreren Tagen Unterbrechung wieder weiterlesen will, gibt es erst einmal eine Phase der Verwirrung: wo genau bin ich jetzt in der Geschichte? Welchem Erzählstrang folge ich gerade?
Inhalt
Mit Gabriel de Leon hat Kristoff nach Nevernights Mia wieder einen Antihelden geschaffen, der mit schlechten Manieren, Gewalttätigkeit und der Sehnsucht nach Rache und Ruhm zwar letzteren erlangt, aber auf dem Weg dahin immer wieder gewaltig auf die Nase fliegt und auch Familie und Freunde an den Feind verliert (das sind in diesem Fall übrigens der Tod und Vampire, die in dieser Welt nicht glitzern, sondern ziemlich blutrünstig sind). Er ist von vielen schlechten Erfahrungen gezeichnet und schon oft an die Grenzen des Erträglichen gestoßen – und doch verliert er sein großes Mundwerk nicht. Im Gegensatz zu seinem Glauben.
Religion spielt eine enorme Rolle und ist sehr deutlich an das katholische Christentum angelehnt. Meine persönliche Einstellung Religion gegenüber (agnostischer Atheismus) konnte ich in vielen Kritikpunkten und Beschreibungen wiederfinden. Ich finde es ziemlich clever, wie real existierende Elemente des Christentums aufgegriffen, minimal verändert und auf eine Weise in die Welt eingebaut wurden, die sofort einige merkwürdige Elemente und Strukturen der realen Religion erkennen lassen.
Ein Beispiel: Als morbides Symbol für die Religion wurde der Gegenstand gewählt, an/mit dem der religionsstiftende Heilige ermordet wurde, als er sich für seine Anhänger geopfert hat. Kommt euch bekannt vor, oder? Oder, als zweites Beispiel, das im Das Reich der Vampire glücklicherweise nur eine Randnotiz ist: Ein Bischof, der unter dem Deckmantel, ein Waisenhaus zu leiten, kleine Mädchen – mehr muss ich nicht schreiben, hoffe ich.
Es fällt mir schwer, genauer auf Details einzugehen, ohne zu sehr zu spoilern, deshalb halte ich den Teil zum Inhalt kurz. Nur noch so viel: Es hat mir großen Spaß gemacht, zu verfolgen, wie sehr sich manche Figuren verändert haben, und gleichzeitig habe ich den Verlust von anderen betrauert. Ich habe keine wirkliche Vorstellung davon, wie die Handlung in der Fortsetzung weitergehen könnte. Die Welt, die Kristoff hier geschaffen hat, finde ich wirklich faszinierend, und ich sehe viel Potenzial für Spin-Offs, die die Geschichten anderer Figuren in dieser Welt erzählen.
Fazit
Das Reich der Vampire ist eine spannende und aus meiner heutigen Perspektive einzigartige Geschichte über einen unsympathischen – und dadurch irgendwie wieder sympathischen – Antihelden und die Menschen und Monster, die sein Leben begleiten. Leider ist diese Geschichte so umfassend und detailreich erzählt, dass ich beim Lesen das störende Gefühl hatte, mich zu sehr in diesen Details zu verlieren, anstatt die Handlung voranzutreiben. Einige Seiten weniger hätten der Erzählung gut getan.