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Veröffentlicht am 28.12.2022

An der Glasgow School of Art

Glasgow Girls
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Susanne Goga nimmt uns in ihrem neuen historischen Roman „Glasgow Girls“ mit an die 1845 gegründete Glasgow School of Art, bis heute eine renommierte Adresse, wenn es um künstlerische Innovationen in Design, ...

Susanne Goga nimmt uns in ihrem neuen historischen Roman „Glasgow Girls“ mit an die 1845 gegründete Glasgow School of Art, bis heute eine renommierte Adresse, wenn es um künstlerische Innovationen in Design, Gebrauchskunst, Architektur und Malerei geht. Im Zeitraum von 1892 – 1898 begleiten wir Olivia MacLeod (fiktiv), die ihr künstlerisches Talent von ihrem früh verstorbenen Vater geerbt hat und sich dort mit Hilfe einer wohlmeinenden Mäzenin ihren Traum Realität werden lässt.

Die Autorin hat gründlich recherchiert, was die Literaturliste im Anhang beweist. In dem Roman selbst spielen über weite Strecken reale Personen aus der Kunstszene, eine Rolle: der herausragenden Jugendstil-Architekt Charles Rennie Mackintosh oder die Newberys, die MacDonald Schwestern und De Courcy Dewar. Aber auch Olivias Arbeitgeberin und Unterstützerin Kate Cranston, die maßgeblichen Einfluss auf die schottische Teestubenkultur hatte, ist vertreten.

Die Beschreibung des Kunstbetriebs fand ich durchaus informativ und gelungen, aber ich hadere mit den fiktiven Charakteren aus dem persönlichen Umfeld der Protagonistin und den daraus resultierenden Dramen. Offenbar kommt kein historischer Roman ohne Love Story aus, und hier bekommen wir sie gleich im Doppelpack aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln serviert. Einmal in Form von Allie, dem Jugendfreund Olivias, dessen unerfüllte Liebe nicht vergeht, und später dann ihre Beziehung zu Gabriel, dem Londoner Maler, in der die Erfüllung findet. Klischee in Reinform.

Vernachlässigt wird dafür ein anderer wichtiger Punkt, der zwar in Ansätzen thematisiert, aber nicht hinreichend ausgeführt wird. Herkunft ist kein Thema, und nur das künstlerische Talent zählt? Ist es wohl, denn nur, wer sich die Studiengebühren leisten kann oder wie Olivia Unterstützung findet, wird aufgenommen. Und ja, es gibt sie, die Klassengegensätze. Und Olivia, aufgewachsen in einem Arbeiterviertel in ärmlichen Verhältnissen, findet sich problemlos in ihrer neuen Welt zurecht, muss sich nicht mit Geringschätzung und Vorurteilen auseinandersetzen, in der sie von Menschen umgeben ist, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurden. Im Gegenteil. Alle in ihrem Umfeld reichen ihr helfend die Hand, wenn es nötig ist. Das scheint mir dann doch reichlich unrealistisch zu sein und kratzt damit an dem guten Eindruck, den die historisch belegten Fakten hinterlassen haben.

Veröffentlicht am 13.10.2022

Weitgehend gelungener Noir-Thriller

Der Sturm
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Nix los in Evelyn Bay an der tasmanischen Küste. Eine Kleinstadt auf dem absteigenden Ast. Früher lebten die Menschen dort von der Fischerei und der Forstwirtschaft, heute hat man sich fast ausschließlich ...

Nix los in Evelyn Bay an der tasmanischen Küste. Eine Kleinstadt auf dem absteigenden Ast. Früher lebten die Menschen dort von der Fischerei und der Forstwirtschaft, heute hat man sich fast ausschließlich auf den Tourismus konzentriert. Dorthin kehrt Kieran mit Frau und Kind zurück, der seine Heimat vor vielen Jahren nach einem tragischen Vorfall verlassen hat. Drei Menschen kamen in einem Sturm ums Leben, einer davon war sein Bruder, der gemeinsam mit einem Freund Kieran retten wollte. Was mit dem dritten Opfer, einem Mädchen, damals geschah, ist bis heute ungeklärt. Weiß wirklich niemand, was damals geschehen ist?

Den Verlust des Bruders hat Kieran bis heute nicht verarbeitet, trägt schwer an dieser Schuld, wollte nie mehr zurück. Aber nun ist die Demenz seines Vaters so weit fortgeschritten, dass seine Eltern wegziehen wollen, das Haus verkauft wurde und leergeräumt werden muss, weshalb seine Mutter Kierans Hilfe benötigt. Aber dann wird kurz nach seiner Ankunft eine junge Frau tot am Strand aufgefunden und die Vergangenheit holt Kieran wieder ein.

Kleinstädte, die Beziehungen und Geheimnisse ihrer Bewohner haben ihren eigenen Sound, und neben den atmosphärischen Schilderungen der Landschaft, die sich tief in die Seelen der Menschen eingegraben hat, sind diese Beschreibungen elementar für Jane Harpers Romane, was wir auch bereits in „Hitze“ und „Zu Staub“ sehen konnten.

So auch in „Der Sturm“. Interessant ist weniger das Offensichtliche, es ist das Ungesagte, das, was unter der Oberfläche lauert und eine bedrohliche Stimmung schafft. Das vermuten lässt, dass die Bewohner der Kleinstadt einige der sprichwörtlichen Leichen im Keller vergraben haben, die nach Möglichkeit nie mehr auftauchen sollen, weil die Gemeinschaft von Evelyn Bay nur durch Schweigen, Vertrauen und den starken Zusammenhalt der Menschen überleben kann.

Was ist damals wirklich geschehen und wie stark wirkt es in die Gegenwart hinein? Das ist die zentrale Frage, die es zu beantworten gilt. Dafür lässt sich die Autorin alle Zeit der Welt, springt in diesem vielschichtigen Thriller zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, zeigt subtil deren Verbindungen und dröselt langsam das Beziehungsgeflecht auf. Ein weitgehend gelungener Noir-Thriller, der mit Kleinstadtatmosphäre punktet, bisweilen aber durch die langsame Erzählweise die Geduld des Lesers über Gebühr strapaziert.

Veröffentlicht am 11.10.2022

Nichts dazugelernt

Einsame Nacht
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Bei der North Yorkshire Police weht ein frischer Wind. Caleb Hale hat dem Polizeidienst den Rücken gekehrt, seine Nachfolgerin Pamela Graybourne macht klare Ansagen und gibt auch DS Kate Linville zu verstehen, ...

Bei der North Yorkshire Police weht ein frischer Wind. Caleb Hale hat dem Polizeidienst den Rücken gekehrt, seine Nachfolgerin Pamela Graybourne macht klare Ansagen und gibt auch DS Kate Linville zu verstehen, dass sie keine Extratouren duldet und deshalb von ihr auch keine Nachsicht zu erwarten ist.

Bemüht, sich an diese Vorgaben zu halten, steigt Kate in die Ermittlungen bei dem Mord an einer jungen Frau ein, der weite Kreise zieht, da an dem Tatort Spuren auftauchen, die Verbindungen zu einem weit zurückliegenden Fall haben. Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt es weitere Todesfälle, die bei genauerem Hinsehen miteinander verbunden scheinen und auf Aufklärung warten. Lange Zeit rätselt Kate über den roten Faden, der sämtliche Opfer verbindet. Sie recherchiert akribisch, dreht jeden Stein um und findet schließlich die Verbindung. Doch dann bringt sie eine unüberlegte Aktion in allerhöchste Gefahr.

„Einsame Nacht“ ist der vierte Band der Reihe, und da Charlotte Links Kriminalromane mit DS Linville immer recht umfangreich sind (hier knapp 600 Seiten), reicht ein einzelner Mord natürlich nicht aus, um die Seiten zu füllen. Das heißt, wie bereits in den vorherigen Bänden der Reihe sind es mehrere Todesfälle, die miteinander in Verbindung stehen. Und leider macht die Autorin den gleichen Fehler wie in den Vorgängern, denn bis Linville dies erkennt, vergehen unzählige Seiten, die mit Vermutungen, Überlegungen und zahllosen Wiederholungen gefüllt sind, die die Geschichte unnötig in die Länge ziehen. Dazu das ständige selbstmitleidige Gejammer der Protagonistin über ihr einsames Leben, ihr mangelndes Selbstbewusstsein und ihre Sehnsucht nach einem Partner…geschenkt. Und so wenig differenziert und flach wie Linville bleiben leider auch die anderen Akteure. Eine weitere Frage, die mich beschäftigt: Warum ist diese Reihe im Norden Englands verortet, wenn sich doch keinerlei Bezug zu der außergewöhnlichen Landschaft der Yorkshire Dales in der Handlung findet? Hin und wieder die Erwähnung von Scarborough reicht hier leider nicht aus. Wenn es schon England sein muss, wäre es wünschenswert, wenn man die entsprechende Atmosphäre auch im Text wiederfinden würde.

Veröffentlicht am 25.09.2022

Wer ist Anomie?

Das tiefschwarze Herz
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JK Rowling aka Robert Galbraith wird seit geraumer Zeit eine transphobe Gesinnung vorgeworfen. Und so verwundert es nicht, dass ihre Kritiker mit der Lupe auch in dem sechsten Band der Strike/Ellacott-Serie ...

JK Rowling aka Robert Galbraith wird seit geraumer Zeit eine transphobe Gesinnung vorgeworfen. Und so verwundert es nicht, dass ihre Kritiker mit der Lupe auch in dem sechsten Band der Strike/Ellacott-Serie mit der Lupe nach Äußerungen suchen, die dies bestätigen. Andere wiederum sind der Meinung, sie hätte in „Das tiefschwarze Herz“ diese persönlichen Anfeindungen verarbeiten wollen. Nun hat sie zwar in einem Interview versichert, dass sie den Roman bereits 2015 begonnen hätte, und in der Tat weist die Handlung starke Parallelen zu der frauenfeindlichen GamerGate-Kampagne von 2014 auf, als Zoë Quinn, eine amerikanische Programmiererin und Videospiele-Entwicklerin, im Internet massivem Mobbing ausgesetzt war, was bis hin zu Morddrohungen reichte.

Quinn überlebte, anders als Galbraith‘ fiktive Edie Ledwell, die gemeinsam mit ihrem ehemaligen Freund Josh die erfolgreiche Youtube-Animationsserie „Das tiefschwarze Herz“ geschaffen hat. Die Serie ist erfolgreich, soll sogar von Netflix verfilmt werden, was natürlich Neider auf den Plan ruft. An vordester Front der mysteriöse Anomie. Von ihm stammt „Dreks Game“, ein kostenloses Videospiel in Anlehnung an Edies Serie. Auf Twitter schart er seine Anhänger um sich, nennt Edie rassistisch, geldgierig und fordert dazu auf, ihr eine Lektion zu erteilen. Sie sucht Hilfe bei Robin, die allerdings abwinkt, da die Detektei zum einen keine Erfahrung mit Cyberkriminalität und zum anderen keine Kapazitäten frei hat. Doch dann wird sie tot aufgefunden, erstochen auf dem Highgate Cemetery. Robin macht sich Vorwürfe, weil sie Edie abgewiesen hat. Und so begibt sie sich mit Cormorans Hilfe auf die Suche nach dem Mörder.

Damit kann man natürlich keine 1350 eng bedruckten Seiten füllen, also gibt es noch jede Menge Nebenstorys zu dem umfangreichen Personentableau, das sich rund um Dreks Game im Internet versammelt hat. Natürlich wird auch in deren Vergangenheit gegraben, und, man ahnt es schon, jeder einzelnen Figur wird eine persönliche Geschichte zugeschrieben, die Rowling ausführlich durchleuchtet. Als wäre das nicht schon genug, gibt es seitenweise Chat-Protokolle, oft dreispaltig parallel präsentiert und anstrengend zu lesen, deren Kenntnis zwingend für den Fortgang der Handlung erforderlich ist, die man also nicht überblättern sollte. Und nicht zuletzt darf auch der detaillierte Blick auf die Beziehung zwischen Cormoran und Robin nicht fehlen, die aktuell in einer Sackgasse steckt.

Üblicherweise habe ich kein Problem mit umfangreichen Büchern, aber „Das tiefschwarze Herz“, der sechste Band der Strike/Ellacott-Reihe, hat meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Es ist ermüdend, sich durch diese langatmige Story zu quälen, in der Rowling offenbar sämtliche unangenehmen Zeitgenossen abdecken möchte, denen man in dieser Parallelwelt begegnen kann. Trolle, Mobbing, gewaltbereite Rechtsradikale, frauenfeindliche Incels, Pädophile, die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Herausgekommen ist ein mäßig spannender Kriminalroman, dessen Handlung sich im Kreis dreht und der im Wesentlichen um die Frage „Wer ist Anomie?“ kreist, wobei mich selbst deren Beantwortung, weil vollgepackt mit Klischees, nicht überzeugen konnte.

Veröffentlicht am 15.08.2022

Chancen muss man ergreifen, wenn sie sich bieten

Die Köchinnen von Fenley
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Worum geht es in „Die Köchinnen von Fenley“? 1941/42 ist auf der britischen Insel die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln (zumindest für das normale Volk) stark eingeschränkt. Lieferketten sind unterbrochen, ...

Worum geht es in „Die Köchinnen von Fenley“? 1941/42 ist auf der britischen Insel die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln (zumindest für das normale Volk) stark eingeschränkt. Lieferketten sind unterbrochen, Ackerflächen liegen brach, weil die Männer im Krieg sind. Die zurückgebliebenen Frauen landauf, landab, sind kreativ, bemühen sich, aus dem, was die Lebensmittelkarten an verfügbarer Nahrung anbieten, ihre Familien bestmöglich zu versorgen.

Als für die BBC-Kochsendung The Kitchen Front (die es in der Tat wirklich gab) eine Co-Moderatorin gesucht wird, lobt der Moderator einen Kochwettbewerb aus, bei dem die Gewinnerin den begehrten Job erhalten soll. Vier sehr unterschiedliche Frauen bewerben sich: eine junge Witwe, die ihren Mann im Krieg verloren hat und darum kämpft, ihren Kindern das hoch verschuldete Dach über dem Kopf zu erhalten. Ihre hochnäsige Schwester, die über ihren Stand geheiratet hat und nun in einer unglücklichen Ehe gefangen ist. Das schüchterne Küchenmädchen, eine Waise, deren Potenzial die betagte Chefköchin des Landguts erkannt hat. Und eine ausgebildete, ledige Köchin, die wegen ihrer ungewollten Schwangerschaft ihre Stelle in London verloren hat und nun in der Provinz festsitzt. Chancen muss man ergreifen, wenn sie sich bieten, denn jede dieser Frauen hätte durch den Gewinn des Wettbewerbs ohne Frage die Möglichkeit, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben.

Frauen und Kochsendungen, da war doch was. Richtig, Bonnie Garmus‘ „Eine Frage der Chemie“, ein kritisch-humorvoller Blick auf die Rolle der Frau im Wissenschaftsbetrieb der sechziger Jahre. Aber damit kann und sollte man Jennifer Ryans historischen Roman „Die Köchinnen von Fenley“ besser nicht vergleichen, bietet dieser doch „nur“ Unterhaltung im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs ist, eine Zeitspanne, die in letzter Zeit häufig bei britischen Neuerscheinungen den Hintergrund für die typischen „Frauenbücher“ bietet. Ob dies mit dem Brexit zusammenhängt? Ich denke schon, denn gemeinsam ist all diesen Romanen die Aussage: Wir schaffen das gegen alle Widrigkeiten.

Und genauso vorhersehbar entwickelt sich die Handlung dieses Romans, der den Schwerpunkt auf die zwischenmenschlichen Beziehungen legt und nicht an den in diesem Genre üblichen Klischees spart. Höchst interessant fand ich allerdings die dem Buch vorangestellte Auflistung der „Wöchentlichen Essensrationen in Kriegszeiten für einen Erwachsenen“ (die auf den ersten Blick nicht besonders kärglich erscheint) und deren kreative Verwendung samt Anreicherung mit dem, was die Natur zu bieten hat, sowie die entsprechenden Rezepte zu den Gerichten, die die Teilnehmerinnen daraus zubereiteten. Und auch wer sich für die Alltagskultur während dieser Zeitspanne interessiert, findet zwischen den Zeilen immer wieder interessante Informationen zu bestimmten Nahrungsmitteln, die auch heute noch mit Sicherheit in britischen Haushalten Verwendung finden und auf den Tisch kommen.