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Veröffentlicht am 31.05.2023

In Gedenken

Durch das große Feuer
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In England des Jahres 1914 ist in dem ländlich gelegenen Eliteinternat Preshute der Erste Weltkrieg noch kein Thema. Die beiden Schüler Sidney Ellwood und Heinrich (Harry) Gaunt haben mit ihren Freunden ...

In England des Jahres 1914 ist in dem ländlich gelegenen Eliteinternat Preshute der Erste Weltkrieg noch kein Thema. Die beiden Schüler Sidney Ellwood und Heinrich (Harry) Gaunt haben mit ihren Freunden eine unbeschwerte Zeit. Das größte Drama im Leben von Gaunt sind seine Gefühle für Ellwood, der diese Liebe seiner Meinung nach nicht erwidert. Aus familiären Gründen meldet Gaunt sich bereits früh an die Front, was Ellwood dazu bringt, sich ebenfalls frühzeitig zu verpflichten.

Es hat sehr lange gedauert, bis ich ins Buch hineingefunden habe. Die ersten hundert Seiten lang konnte ich die Geschichte überhaupt nicht fühlen, fand keinen Zugang zu den Figuren. Das lag unter anderem auch daran, dass die Erzählung für mich nicht authentisch rüberkam. Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte im Jahr 1914 beginnt, und dennoch lässt die Autorin es für mich so klingen, als ob das halbe Internat, in dem Ellwood und Gaunt wohnen, sich miteinander vergnügt. Ein Jungeninternat, wohlgemerkt. Es ist fast ein offenes Geheimnis, alle wissen es, nur erwischen lassen darf man sich nicht. Das fand ich schon ein wenig befremdlich; nicht wegen der Sache an sich, daran sehe ich nichts anstößiges, aber im historischen Kontext ist dies mehr als unglaubwürdig. Es gab immer wieder Situationen, die verklärt, ja, fast schon romantisch dargestellt wurden, und wir wissen doch alle, dass es das nicht gewesen ist. Im Gegenteil!

Erst als es ernst wurde, der Krieg begann und das Grauen in Form von Vermissten- und Todeslisten, perfider Propaganda (ich sage nur weiße Feder) sowie der wiederholten Rekrutierung der viel zu jungen Männer endgültig da war, fing die Geschichte an, mich in ihren Bann zu ziehen. Die Freundschaft und Liebe zwischen den beiden Freunden geriet in den Hintergrund, es ging jetzt vorrangig nur noch um das nackte Überleben. Die Gräuel des Krieges, die sinnlose Vergeudung von Menschenleben, die unaussprechlichen Taten, die man sich gegenseitig angetan hat, historische Fakten und daneben zwei Freunde, die sich beide ihrer Sache sicher, aber der Liebe des jeweils anderen unsicher fühlen; all das ergab eine Story, die mich gleichermaßen fasziniert, wie abgestoßen hat. Die Naivität der jungen Männer, was den Krieg angeht, fand ich entsetzlich, die brutale Realität machte diesen Phantasien schnell einen Strich durch die Rechnung; falls sie überhaupt lange genug überlebt haben, um dies zu realisieren. Ich habe vieles gewusst, aber auch einiges dazugelernt, die Vermischung von Fakt und Fiktion fand ich außergewöhnlich gut gelungen. Ein Highlight ist es nicht geworden, aber ein interessanter und durchaus sehr unterhaltsamer Roman mit historischem Hintergrund, den ich lesenswert finde. Macht euch ein eigenes Bild.

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Veröffentlicht am 01.03.2023

Anders als gedacht

Rote Sirenen
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In diesem autobiografischen Roman verarbeitet Victoria Belim ihre Familiengeschichte. Es ist ein Buch über die Suche nach Identität und Heimat sowie darüber, die Geschichte der eigenen Familie zu recherchieren ...

In diesem autobiografischen Roman verarbeitet Victoria Belim ihre Familiengeschichte. Es ist ein Buch über die Suche nach Identität und Heimat sowie darüber, die Geschichte der eigenen Familie zu recherchieren und auch zu verarbeiten. Die Autorin reist hierzu in ihr Heimatland, besucht die Orte ihrer Kindheit und spricht mit Familienangehörigen und Nachbarn. Erinnerungen und auch neue Hinweise vervollständigen das Bild.

„Man kann nicht frei sein, solange man Angst vor der Wirklichkeit hat.“ (Seite 279)

Leider konnte das Buch mich bis zuletzt nicht wirklich erreichen, zu persönlich, zu eigensinnig fand ich den Roman. Es gab zwar eine ganze Menge historischer Informationen zur Ukraine und ihren Bewohnern, insbesondere viele politische Fakten in Hülle und Fülle, aber gerade dieser Umstand behinderte immer wieder meinen Lesefluss. Der Roman wurde übrigens fertiggestellt vor dem Angriff Putins auf die Ukraine, die aktuellen Ereignisse finden lediglich im Vorwort und im Nachwort Platz. Wer ausführliche Informationen hierzu erwartet, wird gegebenenfalls enttäuscht.

Ich habe eine emotionale Familiengeschichte erwartet, bekommen habe ich eine Auseinandersetzung mit der Ukraine und den Nachbarländern. Die dazwischen gestreuten Erzählungen, die die Familie der Autorin betrafen, fand ich hierbei außerordentlich interessant und hätte mir diesbezüglich eine durchgehende Erzählung gewünscht. Der Schreibstil war insgesamt sehr nüchtern, erinnerte mich eher an ein chronologisch gehaltenes Journal über eine Reise in die Heimat, als an eine Erzählung für Fremde, berührt hat es mich leider nicht. Für historisch interessierte LeserInnen wäre dies sicherlich das richtige Buch. Meine Erwartungen waren hier wohl einfach falsch.

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Veröffentlicht am 13.02.2023

Die Erinnerung ist ein Gespenst

Macht
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Liv ist Mitte dreißig, verheiratet, hat zwei Kinder und nach außen hin ein perfektes Leben. Fast niemand weiß, dass sie vor Jahren vergewaltigt worden ist, auch ihrem Mann gegenüber hat sie es nie erwähnt. ...

Liv ist Mitte dreißig, verheiratet, hat zwei Kinder und nach außen hin ein perfektes Leben. Fast niemand weiß, dass sie vor Jahren vergewaltigt worden ist, auch ihrem Mann gegenüber hat sie es nie erwähnt. Sie ist nicht bereit, ein Opfer zu sein, versucht krampfhaft, das Trauma alleine zu verarbeiten und durchzustehen. Als in das Pflegeheim, in dem sie arbeitet, eine neue Patientin eingeliefert wird, droht die brüchige Fassade einzureißen, denn der Bruder der Frau ist ein bekannter Schauspieler, der vor einigen Jahren wegen Vergewaltigung angeklagt und freigesprochen worden ist. Die Vergangenheit holt Liv ein.

„Es war zu wenig Gewalt oder zu wenig Sex, tief in mir wusste ich, welches Wort ich hier nehmen sollte, aber ich brachte es nicht über mich, es aufzuschreiben. Konnte dieses Wort nicht ertragen, dieses verdammte Wort. Vergewaltigung.“ (Seite 27)

Die Ich-Erzählerin Liv ist eine zerrissene Persönlichkeit. Nach außen hin funktioniert sie perfekt, einer Maschine gleich erfüllt sie ihre Pflichten und verstellt sich gut. Innerlich aber zerreißt es sie, in jeder Minute, jeder Stunde und Sekunde darauf zu achten, dass der Vorfall, wie sie es nennt, sich nicht zurück in ihr Gedächtnis schleicht. Natürlich funktioniert dies nicht, denn je mehr man etwas verdrängen möchte, desto mehr will es mit Macht ans Licht. Der Roman gleicht Fetzen eines einseitigen Gesprächs, Liv erzählt und ich höre zu. Höre zu, wie sie erzählt, analysiert, relativiert und vergleicht. Wie sie versucht, einen Grund zu finden, wo keiner ist, wie sie mal belastbar und mal erschöpft erscheint; sie schwankt und tut alles dafür, damit sie nicht fällt. Wie sie leidet, stark ist und schwach, wie sie versucht, Worte für etwas zu finden, das unaussprechlich ist.

„Manchmal ist es schlimmer zu sagen, ich bin vergewaltigt worden, als tatsächlich vergewaltigt zu werden.“ (Seite 135)

Dieses Buch ist keine leichte Kost. Die Tat widert mich an, sie beschämt, macht wütend, kotzt mich förmlich an! Die Erzählweise ist dabei ungewöhnlich, der distanzierte Ton lässt eigentlich keine Nähe zu, aber trotzdem ist da der Hauch einer emotionalen Bindung, geht mir Livs Erzählung ein wenig nah. Es ist schwer für mich, für dieses Buch eine Bewertung abzugeben, es gibt sicherlich andere Bücher, die mich mehr berührten, aber das Thema beschäftigt mich natürlich trotzdem. Eine Geschichte, die mich beeindruckt hat, im Gedächtnis bleibt sie mir wegen dem nüchternen Schreibstil jedoch nicht.

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Veröffentlicht am 12.02.2023

Schicksalhafte Begegnung

Die Puppe wusste es
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Die junge Architektin Mariam ist verzweifelt, sie hadert mit ihrem Schicksal, ist mit ihren Kräften am Ende und suizidgefährdet. Als sie sich an einem heißen Tag auf einer Bank niederlässt, begegnet sie ...

Die junge Architektin Mariam ist verzweifelt, sie hadert mit ihrem Schicksal, ist mit ihren Kräften am Ende und suizidgefährdet. Als sie sich an einem heißen Tag auf einer Bank niederlässt, begegnet sie Tjomme, einem betagten Arzt im Ruhestand, der ihren Zustand bemerkt und sie in ein Gespräch verwickelt. Mariam öffnet sich dem alten Mann gegenüber und offenbart ihm ihre Vergangenheit, ohne zu ahnen, welche Folgen diese Begegnung für beide haben wird.

Die Erinnerungen der beiden sind nichts für schwache Nerven, Zeitsprünge und diverse Ortswechsel sorgen für Abwechslung in dieser Geschichte voller Schicksalsschläge und Prüfungen. Emotional und berührend erzählt die Autorin die Geschichte von Mariam und Tjomme, wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart bis ein Gesamtbild entsteht. Authentisch und von der Realität nicht immer weit entfernt, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise, die zum nachdenken anregt. Der Schreibstil ist hierbei sehr angenehm und trotz der bedrückenden Thematik flog ich förmlich durch die Seiten, weil ich wissen wollte, wie diese dramatische Erzählung endet. Von mir gibt es drei Sterne und eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 29.12.2022

Sagenhafte Mythen

Penelope und die zwölf Mägde
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Um Odysseus, einen der Helden der griechischen Mythologie, drehen sich zahlreiche Sagen und Erzählungen. Sein Einsatz im Trojanischen Krieg und die anschließende Irrfahrt auf der Heimreise zur Odyssee ...

Um Odysseus, einen der Helden der griechischen Mythologie, drehen sich zahlreiche Sagen und Erzählungen. Sein Einsatz im Trojanischen Krieg und die anschließende Irrfahrt auf der Heimreise zur Odyssee ergaben Stoff für viele Bücher und Filme. Die kanadische Schriftstellerin und Dichterin Margaret Eleanor Atwood widmet sich im vorliegenden Buch allerdings nicht Odysseus, sondern Penelope, seiner blutjungen Braut und Ehefrau, die jahrzehntelang treu ergeben auf ihren Mann gewartet hat, belagert von vielen Freiern, die in Anbetracht der Länge der Abwesenheit des Helden an dessen Tod glaubten.

Bekanntlich tötete Odysseus mit Hilfe einer List die Freier und viele Bedienstete, die abtrünnig geworden sind. Dazu gehörten auch zwölf Mägde, die sich mit den Eindringlingen einließen. Margaret Atwood gibt Penelope eine Stimme, lässt sie aus ihrer Sicht erzählen, wie es war, und erstellt ein Szenario, das so oder so ähnlich passiert sein könnte. Die Grundidee fand ich faszinierend, allerdings konnte die Umsetzung mich nicht überzeugen. Penelope blieb blass, schwach und zurückhaltend, ich sah hier keine starke Frau, die stoisch auf ihren Mann wartet und überlebt, sondern eine ängstliche und unterwürfige Person, die auf Rettung hofft. Das hatte ich so nicht erwartet.

Dennoch hat das Buch mich gut unterhalten, der Humor und manche moderne Entgleisung der Sprache waren erfrischend anders und spannend zu lesen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich mein Wissen zur Odyssee ein wenig auffrischen und dies erinnerte mich daran, wie gerne ich griechische Mythologie eigentlich mag. Ein interessanter Ausflug in die Welt der Mythen und Sagen, der mir Spaß gemacht hat.

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