Bevor ich das von Martina Mair wunderhübsch illustrierte und von Heidi Knoblich mit viel Gefühl erzählte gewiss nicht alltägliche Bilderbuch 'Xaver im Uhrenland' zum Lesen und anschließenden Besprechen bekam, war mir die Thematik, die als Hintergrund der Geschichte dient – ich muss es zu meiner Schande gestehen! - vollkommen unbekannt! Nun, ich komme schließlich nicht aus der Freiburger Gegend, wo alles rund ums Uhrwerk Allgemeingut zu sein scheint, sondern aus einer ganz anderen Ecke Deutschlands... Dies mag mein Unwissen erklären, das ich allerdings mit Hilfe der anrührenden Geschichte, zu der ich im Folgenden einige Gedanken aufschreibe, und einiger zusätzlicher Nachforschungen in doch wenigstens Grundwissen umgewandelt habe. Die Schwarzwälder Uhrenhändler, respektive ein Teil von ihnen, die Schwarzwald-Engländer, die im 19. Jahrhundert in die Welt hinauszogen, ins Uhrenland, das überall da war, wo sie ihre Uhren verkauften, sind nun gewiss keine Unbekannten mehr für mich!
Erfolgreich waren sie, diese Schwarzwald-Engländer; durch sparsames Wirtschaften und der oft harten Arbeit unter widrigen Bedingungen zum Trotz, gelangten viele von ihnen zu Wohlstand, um dann in der alten Heimat, die sie regelmäßig besuchten, Hofgüter oder Gastwirtschaften zu erwerben. Hochgeachtet waren sie überdies, sorgten sie denn auch treu und zuverlässig dafür, dass die Ihren in der alten Heimat ein Auskommen hatten und somit ein wenig teilhaben konnten am Erfolg der Verwandten. Kein Wunder also, dass viele in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Jungen, die oft nur Hütejungentätigkeiten ausübten und ansonsten keine rechte Zukunft hatten, den dringenden Wunsch verspürten, in die Fußstapfen der reichen, fernen oder engen, Verwandten zu treten. Aber damals wie heute – ohne Beziehungen lief da gar nichts....
So auch, und nun komme ich endlich auf die eigentliche Geschichte zu sprechen, der Hirtenjunge Xaver aus dem Schwarzwald, dessen Onkel Johann zu den erfolgreichen Schwarzwald-Engländern gehörte. Seine Mutter unterstützt ihn, rät ihm, an sich selbst zu glauben, während dem Vater der Herzenswunsch des Sohnes suspekt ist. Dennoch willigt er schließlich ein und lässt Xaver mit dem Onkel nach England ziehen, allerdings sozusagen erst einmal auf Probe! Sollte Xaver bis zum Weihnachtsfest nicht bewiesen haben, dass er zum Uhrmacherhandwerk taugt, muss er wieder zurück und weiterhin das Vieh hüten. Und dann wäre es vorbei mit seinem Traum, das weiß er und ist daher fest entschlossen, sich zu bewähren und so viel wie möglich von seinem freundlichen, so geduldigen wie gutherzigen Onkel Johann zu lernen. Stolz sollen sie auf ihn sein, zuhause, freuen sollen sie sich, denn unser Xaver denkt nicht im Traum daran, das Geld, das er als erfolgreicher Schwarzwald-Engländer in ferner Zukunft verdienen würde, für sich selbst zu verwenden! Nein, es war Ehrensache, damit die Familie zu unterstützen, eine Einstellung, über die die meisten jungen Leute von heute nur verständnislos den Kopf schütteln würden, die ich aber für außerordentlich liebenswert halte....
Nun, Xaver erweist sich als gelehriger Schüler, und gleichzeitig begreift er, dass das Handwerk, das er zu dem seinen auserkoren hat, ein hartes ist. Bei Wind und Wetter, mit schmerzenden Füßen und schwerem Gepäck durch die Lande zu ziehen, ist kein Zuckerschlecken! Dazu ist es gar nicht leicht, sich in dem fremden Land, in dem er die Menschen nicht versteht, und in der so großen Stadt London einzugewöhnen. So ist das nagende Heimweh Xavers ständiger Begleiter, wird aber erträglicher, als er das Mädchen Vicky kennenlernt, deren liebenswerter Großvater es als nunmehr in London sesshafter Schwarzwald-Engländer zu einigem Wohlstand gebracht hat. Xaver ist also zuversichtlich, Weihnachten nicht nach Hause zurück geschickt zu werden. Womöglich allzu zuversichtlich, denn wähnt man sich zu sicher, wird man manchmal unbedacht und es geschehen Fehler, im schlimmsten Falle sogar schwerwiegende, wie man ja auch dem Klappentext entnehmen kann. Und nun zeigt sich, dass nicht nur Vicky eine wahre Freundin ist, sondern dass man sich auch auf den ihm anfangs nicht wohlgesonnenen Lehrjungen Olly verlassen kann. Gemeinsam verhüten die drei Kinder das Schlimmste, zu Onkel Johanns Zufriedenheit, der dem Neffen gar eine große Zukunft als Uhrmacher prophezeit!
Alles hätte in Wohlgefallen enden können, aber da gab es etwas, das Xaver das Herz schwer machte: Weihnachten stand vor der Tür! Und er war in der Fremde, konnte nicht bei seinen Lieben sein, zuhause, im Schwarzwald. Das, so begriff er jetzt vielleicht, wenn auch unbewusst, war das Los derer, die in die Fremde zogen, um dort ihr Glück zu machen. Doch der Onkel und Xavers neugewonnene Freunde, die zum Weihnachtsmahl einluden, - mit Tannenbaum, versteht sich, obgleich dieses an Weihnachten unverzichtbare Requisit zu der Zeit, da die Geschichte spielt, noch keinen Einzug in England gefunden hatte - halfen, den Schmerz zu lindern – und als dann, neben den typisch englischen Weihnachtsgerichten, schließlich all die Köstlichkeiten aufgetragen wurden, die es auch daheim gab, spürte Xaver endlich die Weihnachtsfreude, tief in seinem Herzen....
Ein wunderschönes Bilderbuch, wie ich schon zu Anfang schrieb, eines, das so recht dazu taugt, mitten in der Weihnachtszeit gelesen zu werden, in der die Menschen ohnehin in sentimentaler, sehnsuchtsvoller Stimmung sind – und vielleicht durch das so freundlich erzählte Bilderbuch (das ganz gewiss einen Platz finden wird in meinem Regal besonders schöner Bilderbücher) zum Nachdenken gebracht werden, über all diejenigen, die das Fest weit weg von der Familie verbringen, ob freiwillig oder unfreiwillig. Doch wie gesagt, Weihnachten ist im Herzen, man trägt es mit sich, wo immer man auch ist – und wenn man das Glück hat, die Weihnachtsfreude mit lieben Freunden teilen zu können, dann ist das ja wie zu Hause, beinahe....