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Veröffentlicht am 18.09.2023

Ein Buch für angehende Wikinger

Wikinger
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Wohl jeder der jüngeren Generationen hat sich heutzutage irgendwo (seien wir ehrlich, zumeist online) Berufsberatung oder Karrierebibeln angesehen. Überaus passend also, dass nun endlich auch ein Karriereführer ...

Wohl jeder der jüngeren Generationen hat sich heutzutage irgendwo (seien wir ehrlich, zumeist online) Berufsberatung oder Karrierebibeln angesehen. Überaus passend also, dass nun endlich auch ein Karriereführer zur berühmtberüchtigen Wikingertätigkeit erscheint. Von A bis Z wird hier nicht nur das blutige Handwerk, sondern auch der dahinterstehende Alltag, von Wiege bis zur Bahre (und darüber hinaus) thematisiert. Detaillierte Übersichten von u.a. lohnender Dienstreiseziele bieten konkrete Hilfestellung für ehrgeizigen Wikingernachwuchs.
Haptisch und optisch macht dieses humorvoll als Karriereführer gestaltetes Sachbuch einen guten Eindruck. Die Kapitel sind mit Sinn und Verstand gegliedert und verweisen locker aufeinander. Zugegeben, mir persönlich erschien die Kombination aus salopp-sarkastischen Kommentaren und gleichzeitigem Siezen des Lesers etwas sperrig, doch man gewöhnt sich daran. Ein besonderes Highlight bilden oftmals die Beschreibungen von eingefügten Bildern (z.B. von historischen Stätten oder dem, was wir heute Artefakte nennen) und vielfältige Zitate aus Chroniken und anderen zeitgenössischen Texten.
Leider gibt es einige technische Mängel: Neben Trennungs- und Rechtschreibefehlern und Dopplungen sind die fehlenden Bilder am Schwersten zu verkraften. Die zugehörigen Beschreibungen sind vorhanden, wecken Interesse – und dann fehlt die Abbildung. Vermutlich ist dies auf die Änderung des Formates von der ursprünglichen gebundenen Fassung hin zur Taschenbuchausgabe zurückzuführen, aber letztendlich spielt der Grund keine Rolle. Was bleibt, ist ein unschöner, unfertiger Eindruck.
Dem gegenüber fällt meine inhaltliche Kritik geringer aus. Zum einen wird relativ am Anfang erwähnt, dass man zum Thema Berufe für Frauen ein späteres Kapitel zu Rate ziehen solle – doch dort wird dies kaum angesprochen und wenn, dann indirekt aus der Perspektive der Männerwelt. Da hätte man sich den fadenscheinigen Verweis auch sparen können. Zum anderen missfällt mir bei der Methodik des Erzählers, wie stark er bei dem Wert, den er erzählenden historischen Texten, insbesondere Sagas, für die Realität der Wikinger zuschreibt, schwankt. Mal entsprechen sie klar nicht der Wirklichkeit, dann doch wieder, oder sind sie vielleicht doch eher nur unerreichbare Inspirationsquellen? Entweder wird ein angehender Wikinger hier haltlos verwirrt, oder aber die Illusion des Karriereführers wird durchbrochen. In letztem Fall wären wir bei Ansätzen geschichtswissenschaftlicher Quellenkritik, dann aber ist es wohl legitim zu bemängeln, dass das Buch inhaltlich nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung ist bzw. an vielen Stellen veraltete Konzepte rezipiert.
Alles in allem ein spannend aufgemachtes Sachbuch, das für Laien geeignet ist, aber durch Abbildungen und zitierter Textpassagen auch über interessante Impulse für Kenner verfügt. Es sollte allerdings noch einmal überarbeitet werden.

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Veröffentlicht am 23.05.2023

Philosophische Abhandlung über das Übersetzen meets Sachbuch über Kolonialismus

Babel
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Das neuhochdeutsche Wort „verraten“ bedeutete ursprünglich „durch falschen Rat irreleiten“, und damit mir das keiner vorwerfen kann, sei hier vorneweg gesagt, dass das Buch wirklich gut geschrieben ist, ...

Das neuhochdeutsche Wort „verraten“ bedeutete ursprünglich „durch falschen Rat irreleiten“, und damit mir das keiner vorwerfen kann, sei hier vorneweg gesagt, dass das Buch wirklich gut geschrieben ist, mit einem schönen, bildlichen Schreibstil und vielschichtigen Charakteren. Mit dem Silberwerkt, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht im Klappentext erwähnt wird, schafft Kuang ein interessantes pseudo-wissenschaftliches Magiesystem, welches auf Sprachwissenschaft fußt.
Die Einführung in das alternative Oxford der späten 1830er und die Handlung an sich ist verständlich geschrieben. Tatsächlich ist dies einer der wenigen Romane, die zu Recht „dark academia“ genannt wird, da die Etymologie und Übersetzungstheorie einen großen Bestandteil ausmachen. Es ist definitiv keins der Bücher, die willkürlich eine Uni als setting verwenden, das Studium des Protagonisten Robin Swift ist gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Allerdings wirken die Passagen, die sein Leben und seine Beziehung zu seinen Freunden während der Studienzeit erzählen seltsam gerafft. Es finden Zeitsprünge statt, aber das entschuldigt nicht, dass Vieles lediglich zusammengefasst und dem Leser zu oft die Möglichkeit des Miterlebens genommen wird. Beispielsweise hätten konkrete Szenen, in denen der Zusammenhalt und eventuell ein gemeinsames Problemlösen der vier Hauptcharakter zum Ausdruck kommt einiges dazu beigetragen, die Freundschaft glaubwürdiger und plastischer zu machen. Aus den Figuren und Figurenkonstellationen hätte man deutlich mehr herausholen können. Richtige Spannung kam für mich erst im letzten Drittel auf.
Vielleicht aber ist genau das mein Problem mit dem Roman: im Mittelpunkt stehen nicht die Figuren oder das Silberwerk sondern die Themen Imperialismus und Rassismus (mit Spuren von Feminismus). Ein Fan historischer Fantasy kommt nicht auf seine Kosten, aber eine alternative Geschichte ist es auch nicht und erst recht kein historischer Roman. Tatsächlich sind historische Sachverhalte stark vereinfacht und dadurch öfters fehlleitend verzerrt. Gleichzeitig werden bspw. rassistische Mikro- und Makroaggressionen mit nur dargestellt, sondern so ausgiebig reflektiert dass man sich fragt, ob die Autorin die Leserschaft für begriffsstutzig hält. Da hätte ich mir etwas mehr Subtilität gewünscht.

Alles in allem ein durchaus lesenswerter Genremix, der mich allerdings nicht überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 25.04.2022

Graphologin zwischen Deutsch-Deutschen Fronten

Die Diplomatenallee
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Die Diplomatenallee entführt uns ins Bonn der 1970er: das geteilte Deutschland kommt sich mit einem Mal nah wie nie zuvor, als die Ständige Vertretung der DDR in der BRD-Hauptstadt Bonn eingerichtet wird. ...

Die Diplomatenallee entführt uns ins Bonn der 1970er: das geteilte Deutschland kommt sich mit einem Mal nah wie nie zuvor, als die Ständige Vertretung der DDR in der BRD-Hauptstadt Bonn eingerichtet wird. Doch der unsichtbare Graben ist tief, Ost und West spionieren und intrigieren gegeneinander und Heike Holländer, ehemalige Überflieger-Graphologiestudentin, gerät zwischen die Fronten.
Heikes Kindheit wurde durch die Gewaltausbrüche ihres Vaters geprägt, ihre Jugend durch die (teils angeblich wohlgemeinten) Manipulationen eines Professors. Und während der Druck von außen auf sie steigt, gerät auch das gewöhnlich harmonische Zusammenleben mit ihrem Ehemann Peter aus den Fugen.
Der Schreibstil ist ungewöhnlich, was ich als angenehm zu lesen empfand. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass er manch einem Leser nicht liegt – aber dafür gibt es schließlich Leseproben.
Der Anfang der Geschichte ist stark, die Graphologie faszinierend und über die Handlung hinweg wird ein Netz aus Paranoia gesponnen, bei dem man als Leser ebenso wie Heike rätselt, wer auf welcher Seite steht – BND? Stasi? – und welche Aussagen glaubwürdig sind.
Allerdings litt die Spannung meines Erachtens durch die Perspektivwechsel zu Peter, als eine von Natur aus passive Person ist sein Blickpunkt nicht so interessant zu lesen wie Heikes, sie stellt ihn schlichtweg in den Schatten.
Mehr noch hadere ich mit dem Ende der Geschichte, ich empfand es als enttäuschend, unpassend und verwirrend, manche der kleineren Handlungsstränge scheinen einfach ohne jede Auflösung verschwunden zu sein.
Alles in allem eine behutsame Leseempfehlung an jene Leser, die vorrangig Interesse an einem gut recherchierten Roman über ein Kapitel selten beschriebener Zeit Deutsch-Deutscher Geschichte haben.

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Erster Band einer Fantasyreihe mit jungen Protagonisten

The Goddamned
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Als Urban Fantasy, die mal nicht in städtischer sondern ländlicher Umgebung spielt, eröffnet Hurricane die Serie The Goddamned gleich mit einer Neuheit. Tatsächlich kommt man als Leser schnell in Handlung ...

Als Urban Fantasy, die mal nicht in städtischer sondern ländlicher Umgebung spielt, eröffnet Hurricane die Serie The Goddamned gleich mit einer Neuheit. Tatsächlich kommt man als Leser schnell in Handlung und Geschehen, der schlichte Schreibstil ermöglicht passend dazu ein rasches, ungehemmtes Lesen.
Es wird vorrangig aus den Perspektiven von Mila und Luzi erzählt, im Laufe der Handlung kommen weitere hinzu. Die meisten Charaktere verfügen über Stimmen und Gedankenwelten, die sie für mich jünger als ihr angegebenes Alter erscheinen ließ. Über weite Strecken beschäftigen sich die Hauptfiguren mit Problemen auf Ebene der Gefühlswelt und ihrer Wirren, was für gleichaltrige (oder emotionsfokussierte) Leser vermutlich interessanter ist, als es für mich war. Ich hätte mir eine stärkere Gewichtung der Fantasy-Elemente gewünscht, da diese hier (wie sage ich das ohne zu spoilern?) Aspekte vorkommen, die ich in keinem anderen Roman gelesen habe. Dadurch verlor die Handlung für mich phasenweise an Spannung, zu Ende hin wird allerdings die Bedrohlichkeit gesteigert, obwohl sich für mich der angeblich gefährliche Gegenspieler leider nicht so „angefühlt“ hat. Auch fand ich es schade, dass Mila noch Luzi, in deren Perspektive man als Leser wie erwähnt die meiste Zeit verbracht hat, beide nicht am Klimax des Romans beteiligt sind. Das Ende ist relativ offengehalten und weist den Weg zum nächsten Band der Reihe.
Fazit: Leider nicht mein Fall, aber mit vielen Aspekten, die andere Leser sicher überzeugen können.

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Veröffentlicht am 06.01.2023

Zu wenig Arktis

In der Stille der Polarnacht
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Im April 1853 erhält Virginia Reeves, die zuvor Planwagenzüge nach Kalifornien führte, das Angebot eine Expedition zur Auffindung der bei der Suche nach der Nord-West-Passage verschollenen Franklin-Expedition ...

Im April 1853 erhält Virginia Reeves, die zuvor Planwagenzüge nach Kalifornien führte, das Angebot eine Expedition zur Auffindung der bei der Suche nach der Nord-West-Passage verschollenen Franklin-Expedition anzuführen. Diese Expedition wird ein absolutes Novum darstellen: sie wird sich nur aus Frauen zusammensetzen. Anderthalb Jahre später sitzt Virginia jedoch vor Gericht, ihre Expedition ist gescheitert und nicht alle Frauen sind aus der Arktis zurückgekehrt.
Auf zwei Zeitebenen wird der gegenwärtige (Schau)Prozess und die misslungene Expedition erzählt und obwohl die Abschnitte gut gewählt sind erschienen mir die Gerichtsszenen aufgrund der Passivität Virginias größtenteils langweilig und wurde erst gegen Ende des Romans spannend.
Die Expedition setzt sich aus Charakteren zusammen, die sich auf unterhaltsame Art unterscheiden und aneinanderecken, doch bleiben sie zugleich relativ eindimensional und distanziert. Insgesamt habe ich mir von der Expedition an sich mehr erwartet: mehr Details, mehr Seitenumfang. Tatsächlich steht der Überlebenskampf in der Arktis nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um die sich bildende Frauengemeinschaft und deren Zusammenhang. Das hätte durchaus funktionieren können, doch fand ich den beiläufig-gleichgültigen Umgang der Frauen was Vorbereitung und Durchführung der Expedition betrifft emotional erkaltend, was man wohl mit dem Empfinden vergleichen kann, wenn in einem schlechten Horrorfilm Figuren nach und nach infolge ihrer eigenen Dummheit sterben.
Die Darstellung von Lady Jane Franklin und Virginia Reeves ist durchaus interessant und der Schreibstil ist angenehm zu lesen, doch alles in allem hat der Roman mich nicht überzeugen können.

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