Kinderschultern sind nicht dazu da, um die Erwartungen ihrer Eltern zu tragen
WehrlosEs ist ein Tag wie jeder andere und doch verändert sich schlagartig alles, denn das harmlose Versteckspiel auf dem Kinderspielplatz wird Nele zum Verhängnis. An der Hand eines fremden Kindes geht sie arglos ...
Es ist ein Tag wie jeder andere und doch verändert sich schlagartig alles, denn das harmlose Versteckspiel auf dem Kinderspielplatz wird Nele zum Verhängnis. An der Hand eines fremden Kindes geht sie arglos mit und damit sind Tür und Tor für ihr Martyrium weit geöffnet. Mieke, Neles Mutter, ist vor Schreck wie gelähmt als sie mit ansehen muss, wie ihre kleine Tochter in ein dunkles Auto gezerrt wird und spurlos verschwindet. Die Suche der Polizei verläuft zunächst erfolglos. Doch dann müssen die Ermittelnden einem Hinweis nachgehen, der ein furchtbares Szenario offenbart....
Es ist der Alptraum aller Eltern, der von Nora Benrath in "Wehrlos" mit eindringlichen und sehr emotionalen Worten beschrieben wird. Das eigene Kind wird entführt und ab diesem Zeitpunkt scheint die Erde still zu stehen. Das große Loch, in das Mieke fällt, frisst die Seele auf und die Schuldgefühle, die Frage nach dem Warum und die Belagerung durch die Journalist:innen zerren an den Nerven.
Die Autorin beschreibt das beklemmende Szenario sehr authentisch, sodass sich die Leser:innen mitten in dieser Spirale aus Selbstzerfleischung und zermürbendem Warten befinden und alles hautnah miterleben. Auch scheut sich die Schreibende nicht, den Finger in die Wunde zu legen und das (eigene) Verhalten in den sogenannten sozialen Medien an den Pranger zu stellen Viel zu sorglos werden Kinderbilder hochgeladen, Informationen ins Netz gestellt und tausendfach weitergeleitet, um sich viral zu verbreiten, immer auf der Jagd nach den meisten Klicks und Likes, damit die Kasse klingelt. Was Influencer:innen ihren Kinder damit antun, ist ihnen meist nicht bewusst, denn das Netz ist ein großer Teich , aus dem sich nicht nur kriminelle Menschen alle notwendigen Informationen beschaffen können, um ihr zwielichtiges Treiben in die Tat umsetzen zu können. Es ist Zeit, umzudenken und zu hinterfragen, ob das nun alles wirklich sein muss. Denn gerade Kinder sind - wie der Titel des Buches treffend beschreibt - wehrlos, wenn es darum geht, die Interessen und Erwartungen der Eltern auf ihren kleinen Schultern zu tragen.
Die Handlung ist zu jeder Zeit unglaublich nervenaufreibend und in gewisser Weise voyeuristisch. Die Leser:innen wollen nicht hinschauen, aber sie müssen, um zu erfahren, ob alles gut wird. Es sind unvorstellbare psychische Wunden, die den Kindern zugefügt werden, um ihre kleinen Seelen zu brechen. Stück für Stück wird die Verbindung hergestellt, die Zusammenhänge werden klarer. Und trotzdem ist da diese furchtbare kalte Hand der Angst, die immer wieder nach den Lesenden greift, bis der Fall gelöst ist.
Ein Buch, das nachdenklich stimmt und emotional ganz schön aufwühlt.