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Veröffentlicht am 15.09.2016

Provinzkrimi mit kleiner Geschichtslehrstunde

Galgenmann
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Der Prolog steht lange für sich und man hat im Verlauf der Geschichte schon fast vergessen, was zu Beginn angedeutet wurde. So ist es dann eine nette Überraschung, als die Autorin dann diesen Prolog in ...

Der Prolog steht lange für sich und man hat im Verlauf der Geschichte schon fast vergessen, was zu Beginn angedeutet wurde. So ist es dann eine nette Überraschung, als die Autorin dann diesen Prolog in die aktuelle Handlung miteinfließen lässt und damit den Kreis schließt.
Ansonsten beginnt der Roman fast klassisch: Ein Polizist, Simon Dreemer, wird strafversetzt und landet in der Provinz, wo er sich erst behutsam an seine neuen Kollegen herantasten muss. Im Dorf Varange wird ein Mädchen ermordet in einer Felsspalte gefunden. Und während die Ermittler mühsam schweigsame Dorfbewohner befragen, passiert ein ähnliches Verbrechen. Zart spinnt die Autorin die Fäden zwischen den Polizisten, den Morden, den Zeugen und auch der Vergangenheit sowohl des Dorfes als auch einer der Polizistinnen, die aus eben jedem Dorf stammt und das am liebsten vergessen würde. Sollte sie nicht am ehesten in der Lage sein, Aussagen zu bekommen? Müssten ihr die Leute denn nicht freudig entgegenkommen?
Für den strafversetzten Polizisten kommt es dann zum doppelten Happy-End: Er löst den Fall, findet den Mörder und wird in seiner ehemaligen Dienststelle durch einen Zufall rehabilitiert. Wie es aussieht, wird es also keinen weiteren Krimi mit Dreemer in der Provinz geben.
Man merkt, dass die Autorin selbst aus einer solchen Gegend, einem ähnlichen Ort stammt wie dem fiktiven Varange. Auch wenn wenig Positives in der Schilderung im Roman steckt, skizziert sie dies dennoch verständlich und lässt die Straßen, Häuser und Personen real wirken und trotz der Bosheit und Bitterkeit blitzen immer wieder gute Eigenschaften durch und auch die Hilflosigkeit der Leute kann der Leser gut nachvollziehen. Auch wenn einiges schief läuft im Ort (und auch in der Vergangenheit schief lief), grundsätzlich böse und widerwärtig ist in dieser Geschichte eigentlich niemand. So wird sich jeder Leser wohl Personen finden, mit denen er sich in ähnlichen Situationen wie im Roman identifizieren könnte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Stimme für das Umfeld

Die Witwe
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Gänzlich unblutig und ohne „James-Bond-Action“ erzählt die Autorin hier ein packendes Psychodrama rund um ein Ehepaar, ein verschwundenes Kleinkind, die ermittelnden Polizisten und die neugierigen Journalisten. ...

Gänzlich unblutig und ohne „James-Bond-Action“ erzählt die Autorin hier ein packendes Psychodrama rund um ein Ehepaar, ein verschwundenes Kleinkind, die ermittelnden Polizisten und die neugierigen Journalisten. Die wechselnden Schilderungen der beteiligten Personen erzeugen beim Leser eine starke innere psychische Spannung und sowohl die Einblicke rund um die Zeit des Verbrechens und jene ein paar Jahre später sind sehr authentisch und brauchen daher auch keine zusätzliche Spannungselemente.
Ebenso gibt es wenig hollywoodreife Wendungen, wie oft in Thrillern verwendet. Hier kann der Leser mitermitteln und kommt wohl auch selbst auf einen Teil der Lösung, doch das tut der Geschichte keinen Abbruch, sondern unterstützt eher die Intention der Autorin: den Fokus nicht auf die Story selbst, sondern die Menschen zu legen, die damit zu tun haben. Was denkt der Ermittler nach einer Befragung? Wie geht es dem Beschuldigten in der Zelle, was sagt er am Besuchstag zu seiner Frau? Verbirgt auch diese etwas? Einzelschicksale bestimmen dieses Buch.
Auf den Part der Journalisten verwendet Fiona Barton viel Zeit, was auch nicht verwunderlich ist, schrieb sie doch selbst viele Jahre für Zeitungen.
Auch die wahre, mühsame Polizeiarbeit kommt nicht zu kurz. CSI ist nun einmal nicht die Realität, sondern schweigsame Befragte, unsichere Zeugen und vieles mehr machen die Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen zwar spannend, aber auch manchmal wenig unterhaltsam. Thematisiert wird auch die Tatsache, dass sowohl Journalisten als auch Polizisten ihre Arbeit oftmals mit nach Hause nehmen, schwierige Fälle wie jener in diesem Krimi hängen allen Beteiligten über Jahre nach und alle sind unterschiedlich davon betroffen.
Fiona Barton lässt sie alle zu Wort kommen: Täter, Opfer, Beschuldigte, Geschädigte, Verrückte, Kranke, Außenstehende,… und gibt somit besonders dem Umfeld eines Verbrechens eine Stimme. Diese Perspektiven und dass sie sich nicht auf die Tat fokussiert, machen diesen Roman zu etwas Besonderem. Einzig am Ende hätte ich mir noch ein wenig mehr „Nachbetrachtung“ gewünscht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine verstrickte Familiengeschichte

Die Sommer mit Lulu
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Auf eine moralische Botschaft oder spektakuläre Morde kann Peter Nichols hier gut verzichten. Dennoch beginnt die Geschichte rund um Lulu, Gerald, Luc, Aegina und viele andere mit zwei Toten. Ausgangspunkt ...

Auf eine moralische Botschaft oder spektakuläre Morde kann Peter Nichols hier gut verzichten. Dennoch beginnt die Geschichte rund um Lulu, Gerald, Luc, Aegina und viele andere mit zwei Toten. Ausgangspunkt der Erzählung ist die Insel Mallorca, auf der sich Gerald und Lulu kennen- und lieben lernten und Lulu ein Hotel führt.
Abgesehen davon, warum es die Toten gibt, wird zu Beginn einiges aus der Vergangenheit der Hauptpersonen angedeutet, was doch neugierig macht und den Leser hoffen lässt, im Lauf der Geschichte mehr darüber zu erfahren. Vom aktuellen Unglück an rückwärts erzählt, für Nichols den Leser durch Geralds und Lulus Leben, das ihrer Kinder, die Kindheit dieser Kinder und ihrer beiden Anfänge auf Mallorca. In einer Welt voll unerfüllter Sehnsüchte und vieler sexueller Komponenten manövrieren sich die Hauptpersonen durch ein Leben auf Mallorca in den Achtziger Jahren, das so völlig anders scheint, als das, das wir heute führen.
Einige Fragen, die sich zu Beginn stellen, werden beantwortet: Sind Luc und Aegina Geschwister oder sonst irgendwie verwandt? Warum verhält Lulu sich Gerald gegenüber so seltsam? Was passierte auf ihrer Bootsfahrt und warum betritt Lulu seit dem kein Deck mehr?

Mit behutsamer, klarer Sprache beschreibt der Autor die Gefühlswelt der Personen zu all den verschiedenen Zeitpunkten. Und obwohl es von der Insel selbst nicht so sehr viel Umgebungsbeschreibungen gibt, fühlen sich Teile des Buches immer wieder nach Urlaub an. Doch nicht nur über die spanische Insel spannen sich die Fäden dieser verstrickten Familiengeschichte, auch weiter hinaus, nach Marokko, Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten gibt es Verbindungen. Auch wenn sich das nun sehr konstruiert liest, zu den Menschen im Buch passt das gut. Lulus Hotel auf Mallorca war seit jeher ein Umschlagplatz für Reisende von überall her, die oft nur den Sommer dort verbrachten und jedes Jahr wiederkommen, wenn sie nicht gleich dort geblieben sind.
Zwar bleiben am Ende auch Fragen offen, doch war über die vielen Seiten schön zu sehen ist, wie sich die Menschen über so viele Jahre teilweise verändert haben, im Kern aber einfach nicht aus ihrer Haut können. Sehr realitätsgetreu.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wem kann man trauen?

Das Mona-Lisa-Virus
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Ein sehr spannendes Thema (woher kommt der „Schönheitswahn“ und kann man etwas dagegen unternehmen? Muss man das überhaupt?) verflechtet der Autor hier zu einem weltumspannenden Gebilde, zu Ereignissen, ...

Ein sehr spannendes Thema (woher kommt der „Schönheitswahn“ und kann man etwas dagegen unternehmen? Muss man das überhaupt?) verflechtet der Autor hier zu einem weltumspannenden Gebilde, zu Ereignissen, die die Welt, wie wir sie kennen, aus den Angeln heben.
Fast gleichzeitig passieren seltsame Dinge: Große Teile von Bienenvölkern sterben an einem unbekannten Virus, die amerikanischen Missen werden auf einem Trip nach Mexico entführt und zwei der Hauptpersonen leben in Angst: Neuroästhetikerin Helen Morgan vermisst ihre Tochter, Patryk Weisz seinen Vater. Die eine lebt in Boston, der andere in Warschau.
Wenn der Leser sich zu diesem Zeitpunkt schon fragt, wie das wohl alles zusammenhängen mag, so werden sich die Neugier und die Verwunderung noch steigern. Während die Vermissten gesucht werden und sich wegen der anderen Fälle das FBI einschaltet, passieren in Europa noch „Attentate“ der anderen Art. Und alles scheint mit Schönheit zu tun zu haben.
Während einer Hetzjagd um die halbe Welt, die ein wenig an Romane von Dan Brown erinnert, lässt Tibor Rode seine Figuren immer wieder in neuem Licht erscheinen, der Leser muss sich selbst fragen, wem er trauen würde. Man merkt sowohl der Haupthandlung, als auch den zahlreichen Nebenschauplätzen die Recherchearbeit an und bis auf ein wiederkehrendes Element ist auch alles realistisch und durchaus denkbar. Zur Auflösung tragen ein paar Zufälle bei und eine der Nebenhandlungen ist leider sehr von diesen belastet, verwirrt daher eher, als Spannung zu erzeugen.
Der Titel ist gut gewählt und fasst mehrere Aspekte des Buches zusammen, das Cover ist dazu stimmig.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Leben, die auseinanderbröseln

Engelsspiel
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Menschliche Eitelkeiten und Abgründe zeigt der Autor hier meisterhaft auf und lässt den Leser immer wieder mit einer Mischung aus Abscheu und unbändiger Neugierde die Seiten umblättern. Der Gesellschaft ...

Menschliche Eitelkeiten und Abgründe zeigt der Autor hier meisterhaft auf und lässt den Leser immer wieder mit einer Mischung aus Abscheu und unbändiger Neugierde die Seiten umblättern. Der Gesellschaft und vor allem dem Leser selbst wird hier immer wieder ein Spiegel vorgehalten, immer wieder taucht die Frage auf, wie man sich selbst verhalten hätte.
Janina, 17, würde alles tun, um ihre Ziele zu erreichen. Sie belügt Eltern, Freunde, Polizisten und nimmt auch in Kauf, dass anderen, wie hier Daniel Schönwind, ungerechtfertigt leiden müssen. Hauptsache, ihr selbst passiert nichts und sie kann ihr Leben leben, wie sie es für richtig hält. Daniel wird zwar zufällig in Janinas Lügennetz gefangen, kann aber zu Beginn auch nicht als „Saubermann“ dastehen. Er liebt zwar seine Tochter abgöttisch, lebt sich aber mit ihrer Mutter immer weiter auseinander und lässt eine Gelegenheit zu einem One-Night-Stand selten verstreichen.

Als ein Verbrechen passiert, tritt die Polizei auf den Plan. Die Verhörszenen und alltägliche Ermittlungsarbeit sind sehr natürlich gestaltet, nicht zuletzt deshalb, weil Klaus Schuker ehemaliger Polizeibeamter ist. Geduldig lässt er die Hauptfiguren in einen Strudel der Ereignisse hineintreiben, der den Leser mitreißt. Ein kleines Ereignis, ein paar Minuten lassen langsam das Leben mehrerer Menschen und leider auch das eine Kindes immer weiter auseinanderbröseln. Es gibt hier niemanden, der ganz ohne Schuld ist, niemand ist makellos und alle hängen irgendwie mit drinnen – ganz wie im wahren Leben.
Dass da die eine oder andere Frage offenbleibt oder mal etwas zu glatt läuft, kann man nachsehen.