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Veröffentlicht am 14.01.2023

Vom Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland

Zur See
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„Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt. Die alten und die neuen Mythen. All die wahren, halbwegs wahren, frei erfundenen Geschichten über diese See, die Menschen, ihre Schiffe, ihre Angst. ...

„Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt. Die alten und die neuen Mythen. All die wahren, halbwegs wahren, frei erfundenen Geschichten über diese See, die Menschen, ihre Schiffe, ihre Angst. Er muss sie weitersagen, ob er möchte oder nicht, denn die Geschichten suchen den Erzähler aus. Nicht umgekehrt. Auf dieser Insel ist es Rykmer Sander, der die Sagen kennt.“ (4%)

Rykmer und seine jüngeren Geschwister Eske und Henrik sind bereits auf dieser Nordseeinsel geboren, von der wir nicht genau erfahren, welche es ist oder ob es sich um eine fiktive Insel handelt. Sie sind inzwischen erwachsen und führen ihre eigenen Leben. Aber - auf dieser Insel. Sie sind nicht weggezogen. Jeder von ihnen repräsentiert eine Urtümlichkeit des Insellebens. Rykmer, der bereits zur See gefahren ist und all die Geschichten über die See kennt. Eske, die sich für „die Inselsprache“, den Dialekt, der langsam in Vergessenheit gerät, begeistert und die alten Insulaner pflegt und sie oftmals inklusive der alten Geschichten und Sprache zu Grabe tragen muss. Und Henrik, der Jüngste, der eine tiefe Verbundenheit zum Meer und zur Natur empfindet, eins mit ihr zu sein scheint.

Ihre Eltern Hanne und Jens haben sich seit einigen Jahren auseinander gelebt. Sind den Anforderungen an die typischen Insulanerrollen nicht ganz gerecht geworden. Eine feste Verbundenheit bleibt. Es wird über dieses Auseinanderdriften nie gesprochen. Genauso kommentarlos nähert man sich nach Jahren wieder an. Nix gewesen.

Derlei Beziehungsgeflechte gibt es viele in Dörte Hansens drittem Roman. Die Geschichten der Figuren sind eng verwoben mit der Geschichte der Insel, die auf ein Ende zuzugehen scheint.

So schließt Hansens dritter Roman thematisch an die beiden Vorgänger an: Auch darin wird das Ende einer Zeit beschrieben. Das Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland.
„Zur See“ hat mich noch ein wenig mehr aufgewühlt als die beiden Vorgängerromane. Dabei halte ich alle ihrer Bücher für absolut herausragend. Man findet immer Figuren (oder zumindest Teile von ihnen), mit denen man sich identifizieren kann. Sieht sich in einer ähnlichen Beziehung und begreift plötzlich viel mehr darüber.
Die zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen gleichzeitig besonders und alltäglich. Sie werden akzeptiert und fast schon liebevoll betrachtet in ihrer Einzigartigkeit und Kauzigkeit.

Als Norddeutsche fühlt man sich vermutlich noch mehr angesprochen von diesen Geschichten. Die Schroffheit der Personen und der Natur; der Wandel hin zu einer globalisierten Welt, der auch entlegenen Regionen Norddeutschlands allmählich die jahrhundertealten Eigenheiten nimmt.

„Zur See“ werde ich noch viele Male verschenken. Eine wunderbare Geschichte!

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Veröffentlicht am 18.12.2022

Ganz viel weihnachtlicher Geist

Clarice Bean und die Weihnachtswichtel
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„Ich wohne in der Navarinostraße Nummer 7 und kenne viele unserer Nachbarn. Zur Weihnachtszeit grüßen wir uns alle mehr, was ganz und gar am weihnachtlichen Geist liegt.
Weihnachten wäre ohne weihnachtlichen ...

„Ich wohne in der Navarinostraße Nummer 7 und kenne viele unserer Nachbarn. Zur Weihnachtszeit grüßen wir uns alle mehr, was ganz und gar am weihnachtlichen Geist liegt.
Weihnachten wäre ohne weihnachtlichen Geist nicht Weihnachten. Deshalb ist es wichtig, ihn im Auge zu behalten und bloß nicht davonschweben zu lassen.“ (11)

Clarice Bean lebt mit drei Geschwistern, ihren Eltern, ihrem Opa und dem Familienhund Zement zusammen. Die Familie, besonders Clarice und ihre Mama, freut sich auf Weihnachten. Doch es gibt noch einiges zu erledigen. Und während die Kinder vor allem den Zauber an Weihnachten spüren, wissen die Erwachsenen, dass eine Menge Organisation und Arbeit in diesem Zauber liegt…
Doch Clarice lässt sich durch nichts beirren und bemüht sich nach Kräften, ihr Umfeld den weihnachtlichen Geist spüren zu lassen. Tatsächlich verursacht sie dabei sogar selbst ein großes Chaos.

Clarice Bean und die Weihnachtswichtel ist eine bezaubernde Weihnachtsgeschichte zum Vorlesen oder ersten Selberlesen. Oder für erwachsene Leser, die ein wenig vom weihnachtlichen Geist in sich aufnehmen möchten. Clarice ist ein Kind, dass Weihnachten als eine magische Zeit wahrnimmt und sich auf all die Menschen in ihrer Umgebung als Gäste freut. Ihre ganze Familie ist liebenswert chaotisch und lebt in einer unperfekten Idylle. Man möchte sofort Weihnachten mit ihnen zusammen feiern.

Das Buch ist hervorragend gelayoutet und mit tollen Illustrationen versehen (wer ‚Charlie und Lola‘ kennt, erkennt sofort, dass hier die bekannte englische Kinderbuchautorin Lauren Child am Werk war). So wird die zauberhafte Weihnachtsgeschichte um Clarice Bean zu einem Gesamtkunstwerk.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Geniale Neuübersetzung von Andreas Steinhöfel

Matilda
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„Jäh und völlig unerwartet begann er, Seiten aus dem Buch zu reißen und in den Papierkorb zu werfen.
Matilda erstarrte vor Entsetzen. Der Vater machte immer weiter. Es schien kaum Zweifel daran zu geben, ...

„Jäh und völlig unerwartet begann er, Seiten aus dem Buch zu reißen und in den Papierkorb zu werfen.
Matilda erstarrte vor Entsetzen. Der Vater machte immer weiter. Es schien kaum Zweifel daran zu geben, dass der Mann von so etwas wie Eifersucht erfüllt war. Wie konnte sie es wagen, schien er mit jeder zerrissenen Seite zu sagen, wie konnte sie es wagen, sich an Büchern zu erfreuen, wenn er es nicht konnte? Wie konnte sie es wagen?“ (S. 38)

Wir alle kennen sie, die Geschichte von Matilda, dem kleinen, überaus intelligenten Mädchen, das Bücher liebt, und in einem Umfeld groß wird, das sie völlig verkennt und vernachlässigt.

Nun ist die deutsche Ausgabe dieses Kinderbuchklassikers neu übersetzt und aufgelegt worden. Es wurden die bekannten Illustrationen von Quentin Blake beibehalten (alles andere wäre auch unvorstellbar), in dieser Ausgabe sind sie aber durchgehend farbig illustriert.

Die geniale Neuübersetzung ist von dem bekannten Autoren Andreas Steinhöfel. Durch die absolut fantastische Neuübersetzung ist die Geschichte nicht nur moderner anmutend, sondern auch frecher und spannender. Ich wage zu behaupten, dass Steinhöfels Übersetzung der Tonalität Roald Dahls Sprache deutlich näher kommt als die vorherige deutsche Übersetzung.
Auch eignet sich die Sprache fürs Vorlesen der Geschichte ganz wunderbar. Besonders die spannenden Kapitel, in denen Matilda Rache übt oder die Knüppelkuh auftritt, verschlagen dem kleinen Zuhörer regelrecht den Atem. Und das ist eine große Leistung des Übersetzers.

Ich bin begeistert! Eine meiner Lieblingsgeschichten meisterhaft neu umgesetzt!

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Spannende Geschichte über Gerechtigkeit

Das riesengroße Krokodil
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„Weißt du, was ich heute gern zu Mittag essen würde?“, fragte das riesengroße Krokodil?
„Nein“, sagte das nichtsogroße. „Was denn?“
Das riesengroße Krokodil grinste und zeigte dabei einhundert spitze weiße ...

„Weißt du, was ich heute gern zu Mittag essen würde?“, fragte das riesengroße Krokodil?
„Nein“, sagte das nichtsogroße. „Was denn?“
Das riesengroße Krokodil grinste und zeigte dabei einhundert spitze weiße Zähne. „Zu Mittag“, sagte es, „hätte ich heute gerne ein schönes, saftiges kleines Kind.“

Und so überlegt sich das riesengroße Krokodil „geheime Pläne und ein paar schlaue Tricks“, um an diesen Leckerbissen zum Mittag zu kommen. Es begegnet auf seinem Weg in die Stadt dem ein oder anderen Tier, dem es dann doch stolz von seinem Plan erzählt. Jedes der anderen Tiere versucht das Krokodil davon zu überzeugen, dass seine Idee nicht so toll ist. Doch das riesengroße Krokodil wird nur umso hungriger, je mehr die anderen ihm sein Vorhaben auszureden versuchen.
Als es sich dann tatsächlich auf die Lauer legt, um ein Kind zu schnappen, kommen ihm die anderen Tiere in die Quere und können das Schlimmste gerade noch verhindern….

Der von Andreas Steinhöfel fantastisch neuübersetzte Kinderbuchklassiker von Roald Dahl hat meinen Sohn sofort in den Bann gezogen. Es ist durchgehend farbig Illustriert mit den altbekannten Bildern von Quentin Blake, sodass auch der Nichtleser gleich neugierig wird und unbedingt die Geschichte vom riesengroßen Krokodil hören möchte.

Geschichten von Roald Dahl setzen sich schon dadurch von anderen Kinderbüchern ab, dass sie nicht diese Political Correctness mitbringen und Themen ansprechen, die aus unserer Erwachsenensicht die Kinder vielleicht schockieren könnten. Ich glaube, darin liegt sogar der Zauber seiner Geschichten. Denn die jungen Leser finden gerade das spannend. Hier ist ein wirklich böses Krokodil unterwegs. Angeberisch und nicht von seinem gemeinen Plan abzubringen. Die anderen Tiere treten ihm mutig mit ihrer Meinung entgegen und helfen den unschuldigen Kindern als es brenzlig wird. Auch das Ende ist für das Krokodil nicht gerade ein diplomatisches. Und dennoch - oder gerade deshalb - fühlt es sich an, als käme hier jemand Unbelehrbares zu seiner gerechten Strafe.

Wir haben das Buch gleich mehrfach hintereinander gelesen und mein Sohn hat allen begeistert von dieser Geschichte erzählt. Die Neuübersetzung ist so großartig, dass man die Geschichte wunderbar vorlesen kann. Sie ist so spannend erzählt, dass der kleine Zuhörer ganz gebannt und aufgeregt lauscht.

Ein absolut empfehlenswertes Bilderbuch.

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Veröffentlicht am 12.09.2022

Mean Time to Repair

MTTR
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„Ich halte mich an der Brüstung fest. Die Ampel an der Kreuzung steht genau drei Sekunden auf Gelb. Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.“ (70)

Als Teresa - eine typische Großstadt-Millenial - schwanger ...

„Ich halte mich an der Brüstung fest. Die Ampel an der Kreuzung steht genau drei Sekunden auf Gelb. Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.“ (70)

Als Teresa - eine typische Großstadt-Millenial - schwanger wird, gerät sie in ein Rollenbild, das zwar überholt ist, aber immer noch in unserer aller Köpfe steckt. Sie selbst pflegt kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, lebt ihr eigenes Leben mit ihrem Partner Erk zusammen. Auf keinen Fall will sie in den Strudel der gesellschaftlichen Zwänge geraten, in dem sie selbst und ihre Eltern groß geworden sind. Sollte sie also überhaupt Kinder kriegen? Und das alles wiederholen, womit sie selbst nichts mehr zu tun haben möchte?

Ihre Schwangerschaft ruft dann tatsächlich umgehend all diese Geister. Ihre und Erks Eltern hatten und haben noch den Erziehungsgeist einer Johanna Haarer in Köpfen, die in Nazideutschland Ratgeber für junge Mütter schrieb und deren Bücher bis in die Achtziger neuaufgelegt wurden. Dieses Gedankengut hat also auch unsere Millenial-Generation noch durch Erziehung mitgegeben bekommen.

Selbst wenn man alles anders machen möchte als die eigenen Eltern, so ganz wird man seinen familiären Background meist nicht los. Auch wird man als werdendes oder frischgebackenes Elternteil häufig genau durch diese Brille beurteilt. Denn plötzlich steht die Großelterngeneration wieder auf der Matte, mit vielen gutgemeinten Ratschlägen.

Ich bin auch aus Teresas Generation und Mutter. Beim Lesen von MTTR hatte ich das Gefühl, dass Julia Friese meine Geschichte erzählt. All diese (teils subtilen und unausgesprochenen) Vorwürfe und gesellschaftlichen Erwartungen an junge Eltern und vor allem Mütter. All die problematischen und gefühlskalten Beziehungen zu den eigenen Eltern. MTTR deckt sie auf, spricht sie an. Ich wünschte, dass dieses Buch einige Jahre eher erschienen wäre, denn ich selbst hatte vor ein paar Jahren das Gefühl, sehr alleine mit dieser Wahrnehmung dazustehen. Möge die Schwarze Pädagogik endlich aus unserer Welt verschwinden. Ein Buch wie MTTR ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Ein großartiges Buch mit einer schonungslosen Erzählstimme. Von Julia Friese werden wir bestimmt noch häufiger hören.

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