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Veröffentlicht am 22.07.2017

Willkommen in Unterleuten!

Unterleuten
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In dem Gesellschaftsroman „Unterleuten“, von Juli Zeh, geht es um das fiktive Dorf Unterleuten und seine Bewohner. Es werden im Laufe des Romans elf Parteien vorgestellt, die aus ihrer jeweiligen Perspektive ...

In dem Gesellschaftsroman „Unterleuten“, von Juli Zeh, geht es um das fiktive Dorf Unterleuten und seine Bewohner. Es werden im Laufe des Romans elf Parteien vorgestellt, die aus ihrer jeweiligen Perspektive über den geplanten Bau eines Windparks berichten. Dabei kommen verschiedene Konflikte aus der Vergangenheit ans Licht, die nun in der Gegenwart zu eskalieren drohen.
Juli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren und studierte Europa- und Völkerrecht. Sie engagiert sich politisch und wirkte bei verschiedenen offenen Briefen mit. Als Beispiel kann man hier einen offenen Brief an die Kanzlerin vom 15.Mai 2014 nennen, indem es um den NSA Abhörskandal geht. Juli Zeh wurde, durch ihr Interesse an der Frage nach der Entstehung von Verbrechen, zu diesem Roman inspiriert. Die Geschehnisse in Unterleuten spiegeln dabei dem Umstand wieder, dass kein Mensch etwas Böses will, aber oft trotzdem schlimme Dinge passieren. Dabei versteht es Juli Zeh, durch ein scheinbar unspektakuläres Dorf, ein spannendes Leseerlebnis zu schaffen. Diese Unscheinbarkeit transportiert auch der fast harmlos wirkende Anfang des Romans, der sich rasant zuspitzt und schnell durchblicken lässt, dass der Schein oft trügt. Es ist als entdecke man ein reales Dorf und der Leser wird förmlich in die fiktive Welt eingesogen. Fiktion und Realität scheinen zu verschwimmen, nicht zuletzt wegen der liebevoll gestalteten Webseiten die Unterleuten so real werden lassen . Man hat das Gefühl ein neu zugezogener Bewohner in Unterleuten zu sein, der die ganzen Geschehnisse von seinen Nachbarn erzählt bekommt. Genau wie ein neuer Nachbar, weiß der Leser nicht wem man glauben oder vertrauen soll. Mehr als einmal ändert sich, für wen man Sympathie und für wen man Abneigung empfindet, was wohl der ausführlichen Beschreibung des Innenlebens der einzelnen Bewohner geschuldet ist. Durch diese Beschreibung wird die Gesellschaftskritik auch gut transportiert, da jede Figur eine eigene Meinung zu der Welt hat und diese deutlich vertritt. Kritisiert wird hierbei, dass die Menschen verlernt haben miteinander zu reden und sich nur noch für den Klatsch und Tratsch interessieren, der ihnen von anderen erzählt wird. Des Weiteren geht es, laut Juli Zeh, um einen Kampf der Kulturen. Dieser findet zwischen Leuten aus der Stadt und den Bewohnern im Dorf statt. Unterleuten verkörpert dabei diesen Kampf deutlich. In Unterleuten leben sowohl Menschen aus der Stadt, als auch Menschen die schon immer in Unterleuten gelebt haben. Deren unterschiedlichen Weltansichten treffen mehr als einmal aufeinander und das gegenseitige Unverständnis wird durch die Perspektiven stark verdeutlicht. Trotz dieser vielen unterschiedlichen Perspektiven hat man nie das Gefühl, dass die Geschichte nicht vorangeht. Jedes Kapitel ist gut mit den anderen verknüpft, obwohl immer andere Personen ihre Sicht zu den Geschehnissen aus der Vergangenheit und Gegenwart darstellen. Kritik könnte man an der etwas langen Einführung der Personen äußern welches den kompletten ersten Teil von sechs einnimmt. Obwohl diese etwas langatmig ist, ist sie meiner Meinung nach nötig für den Verlauf und nicht unüberlegt so gestaltet. Wie anfangs erwähnt führt sie zu einem zunächst harmlosen Bild des Dorfes, indem man nur einige Reibereien von Nachbarn vermutet die überall vorkommen. Das dieser Eindruck trügt wird jedoch schnell klar und den Leser erwartet ein überraschendes, aber sehr spannendes Ende.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Unterleuten ein empfehlenswerter und faszinierender Gesellschaftsroman ist, der zeigt, dass der erste Eindruck trügt. „Unterleuten“ hat sich daher einen schönen Platz in meinem Bücherregal gesichert.

Veröffentlicht am 22.07.2017

Navid Kermani - Eine starke Botschaft durch viel Emotionen

Navid Kermani
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Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. 1994 gründet er im Iran ein internationales Kulturzentrum, dass er jedoch nach nur ein paar Jahren wieder schließen musste. ...

Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. 1994 gründet er im Iran ein internationales Kulturzentrum, dass er jedoch nach nur ein paar Jahren wieder schließen musste. Des Weiteren schrieb er Reportagen über verschiedene Krisengebiete und schilderte den Alltag der dort lebenden Menschen. 2015 erhielt Kermani den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In demselben Jahr verübte ein Mitglied des Islamischen Staats den Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Frankreich. Des Weiteren verschärfte sich die Flüchtlingskrise, es kam zu Anfeindungen des Islams und der Islamische Staat rückte in Syrien weiter vor. Daher war es nicht verwunderlich, dass der Orientalist Navid Kermani in seiner Rede, genau diese Ereignisse thematisierte. Sie trägt den Titel „Über die Grenzen – Jacques Mourad und die Liebe in Syrien“ und handelt von dem Zustand in Syrien und der Welt, Kermanis Verständnis vom Islam, dessen Entwicklung und vor allem um die Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen. All diese Themen werden durch die Geschichte von Pater Jacques Mourad verbildlicht. Kermani lernte Pater Jacques 2012 kennen und führte mit ihm ein Interview. Pater Jacques betreute die katholische Gemeinde in Qaryatein, war ein starker Kritiker der syrischen Regierung und vermittelte erfolgreich zwischen den verschiedenen Konfessionen. Im Mai 2015 wurde er vom Islamischen Staat entführt, konnte jedoch im Oktober 2015 befreit werden. Seine Geschichte erzählt von einem Mann, der sich für die Verständigung über die verschiedenen Kulturen hinaus einsetzt und die Toleranz, von der immer wieder gesprochen wird, lebt. Des Weiteren vermittelt Kermani sein Verständnis des Islams. Seiner Meinung nach muss der Islam sich auf seine alten Traditionen zurückberufen und den Koran wieder mit Blick eines Literaturwissenschaftlers sehen. Am Ende seiner Rede bittet er die Anwesenden nicht zu klatschen, sondern für die in Gefangenschaft des Islamischen Staats Lebenden zu beten bzw. mit ihren Wünschen bei diesen Menschen zu sein.
Navid Kermanis Rede ist alles andere als eine typische Danksagung nach Erhalt eines Preises. Die meisten kennen dies wohl eher von der Oscar Verleihung mit den ausschweifenden Dankesbekundungen und den kurzen und knappen politischen Parolen. Diese Rede jedoch lässt einen Inne halten und stimmt einen nachdenklich. Sie zielt ganz klar auf die Gefühlsebene ab, was prima funktioniert. Man ist mitgerissen und berührt von der Pater Jacques Geschichte und seinem Schicksal, welches sich bestimmt unzählige Male in Syrien und anderen Orten auf der Welt finden lässt. Es ist daher eine sehr persönliche Rede, die einen die Augen öffnen lässt. Gerade deshalb funktioniert der belehrende und appellierende Teil so gut. Durch Emotionen lassen sich Botschaften besser transportieren als durch harte Fakten. Der hier stattfindende Aufruf zu mehr Toleranz und Verständigung, über die Kultur hinaus, ist hier für mich die Kernbotschaft und Sinnbild von Pater Jacques Geschichte. Für mich persönlich war der Islamtheoretische Teil etwas zu langatmig, aber ein positiver Einblick, den man heutzutage doch eher vermisst. Des Weiteren war ich überrascht, über die Paradoxe Aussage über den Aufruf zum Krieg. Navid Kermani sagt zwei Mal, dass er als Friedenspreisträger nicht zum Krieg aufruft. Dennoch bringt er mit dieser Wiederholung und exakten Aussage genau dies auf den Tisch. Bis zu dieser Erwähnung wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass er zum Krieg aufruft. Vielleicht eher zu einer Art Widerstand. Doch durch die bloße Erwähnung, auch wenn er sie verneint, bekommt man einen gegenteiligen Eindruck.
Abschließend lässt sich sagen, dass Navid Kermani mit seiner Rede die aktuelle Situation in der Welt und in Syrien transparent macht und sie einen gut gelungenen Appell an mehr Menschlichkeit und Verständnis, auch über die Grenzen der Kulturen hinaus, darstellt.

Veröffentlicht am 22.07.2017

Die Suche nach einem Platz in der Welt

Der Eisvogel
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Uwe Tellkamp, geboren 1968, veröffentlichte 2005 den Roman „Der Eisvogel“. Darin geht es um Wiggo Ritter, der gleich zu Anfang des Romans Mauritz Kaltmeister tötet. Im Verlauf des Romans wird dargestellt ...

Uwe Tellkamp, geboren 1968, veröffentlichte 2005 den Roman „Der Eisvogel“. Darin geht es um Wiggo Ritter, der gleich zu Anfang des Romans Mauritz Kaltmeister tötet. Im Verlauf des Romans wird dargestellt wie und warum es zu dieser Tat kam. Wiggo Ritter ist ein arbeitsloser Philosoph, der seinen Platz in der Welt sucht und dabei Mauritz Kaltmeister und dessen Schwester kennenlernt. Mauritz plant jedoch die Veränderung der Welt durch Terror und zieht Wiggo in seine Organisation „Wiedergeburt“ mit rein. Dabei verliebt sich Wiggo in Mauritz Schwester Manuela. All dies wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Wiggo schildert seinem Verteidiger was passiert ist, während er mit Verbrennungen im Krankenhaus liegt. Weitere Informationen erhält der Leser von dem Umfeld Wiggos die, so scheint es, eine Aussage beim Gericht machen.
Durch den schnellen Wechsel der Personen ergibt sich eine interessante Erzählweise, die zunächst jedoch etwas irritiert. Manchmal ist es notwendig mehrere Passagen mehrfach zu lesen, um herauszufinden wer genau was sagt oder macht. Oft ist mir auch nicht klar gewesen was genau gemeint ist. Dies führte zu einer starken Frustration, welche wohl ein Grund war, warum ich besonders am Anfang keinen Zugang zu dem Roman finden konnte. Dies änderte sich jedoch mit zunehmender Seitenzahl und mehr und mehr konnte man diesen gut durchdachten Roman wertschätzen. Man sollte hier beharrlich bleiben und dem „Eisvogel“ Zeit geben bis man sich an ihn gewöhnt hat.
Es gibt viele Zeit und Ortswechsel im Roman, die sich von einem Absatz zum nächsten ändern. Oft muss man sich neu orientieren, um den Faden nicht zu verlieren und es entsteht ein Gefühl als ob man umherirren würde. Dies deckt sich mit Wiggo der ebenfalls umherirrt, um seinen Platz in der Welt zu suchen und dabei auf sich allein gestellt ist. Meiner Meinung nach ist es erforderlich den Roman mehrfach zu lesen, um ihn in Gänze zu verstehen. Es sind viele kleine Details vorhanden, die es wert sind genauer betrachten zu werden bzw. diesen nachzugehen.
„Der Eisvogel“ ist ein zunächst irritierender Roman auf den man sich bewusst einlassen muss, um ihn zu verstehen und wertzuschätzen.