Aktueller Diskurs in Briefform
MEINUNG:
Seit Über Menschen bin ich den Romanen von Juli Zeh ein bisschen verfallen. Ich habe im Anschluss gleich noch Leere Herzen gelesen und als ich gesehen habe, dass sie einen Roman, sogar einen ...
MEINUNG:
Seit Über Menschen bin ich den Romanen von Juli Zeh ein bisschen verfallen. Ich habe im Anschluss gleich noch Leere Herzen gelesen und als ich gesehen habe, dass sie einen Roman, sogar einen Briefroman, zusammen mit Simon Urban (von dem ich allerdings noch nichts kenne) veröffentlichen wird, war für mich klar - Das muss ich lesen!
Teresa und Stefan haben zusammen studiert und in einer WG zusammen gewohnt. Durch Zufall treffen sie nach 20 Jahren in Hamburg wieder, wo Stefan inzwischen Zeit wohnt und arbeitet. Er ist stellvertretender Chef-Redakteur bei der BOTE, Deutschlands größter Wochenzeitung. Theresa ist nach dem Studium, was sie nicht beendet hat, in ihrer brandenburgische Heimat zurück gekehrt und betreibt dort den elterlichen Bio-Milchhof weiter nach dem Tod ihres Vaters. Die Begegnung endet im Streit, aber es folgt ein langer und ausgiebiger Wechsel von E-Mails und Whatsapp-Nachrichten über den sie sich einen sehr hitzigen Schlagabtausch über gesellschaftliche Themen wie Klimawandel, Gendersprache und Rassismus austauschen.
Der Roman ist komplett in E-Mails und WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Ich liebe solche Art Romane, kann mir aber vorstellen, dass nicht für jeden etwas ist. Beide tauschen sich über gut 450 Seiten über sehr viel aus und schreiben auch sehr lange Nachrichten. Es gibt aber trotzdem ein gewissen roten Faden bzw. eine Entwicklung beider Personen. Generell finde ich, dass sich solche Art von Romanen sehr schnell lesen lassen, aber hier habe ich immer nur so 50 bis 60 Seiten gelesen, weil ich manche Themen erstmal sacken lassen musste. Über einige sehr gute Formulierungen und Metaphern musste ich auch noch ein bisschen nachdenken. Das Buch ist schon ein bisschen Arbeit. ;)
Bei Stefan ist von Anfang klar, dass er in Theresa mehr sieht als nur eine Freundin. Schon damals wollte er mehr von ihr, aber sie hat ihm immer deutlich gemacht, dass da nicht ist von ihrer Seite. Ich fand Stefans Verzweiflung sie unbedingt doch von sich zu gewinnen manchmal etwas beschämend, wo doch eigentlich ziemlich offensichtlich ist, dass sie nichts von ihm möchte und auch schlichtweg andere Probleme hat. Theresa ist verheiratet und zwei Kinder. Die Ehe steht auf wackligen Füßen, weil Theresa durch ihren Betrieb einfach zu wenig Zeit für die Familie hat. Es ist kein Urlaub möglich und oft schafft sie es nicht zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Ich fand diese Situation ziemlich ironisch und habe mich oft gefragt, wie es wäre, wenn Theresa ein Mann wäre und die Reaktionen dann die gleichen wären. Allerdings fand ich objektiv natürlich absolut nachvollziehbar, dass dies ständig zu Streits geführt hat zwischen ihr und ihrem Mann. Mir gefiel, dass Juli Zeh so ein paar Anspielungen auf ihre anderen Romane gemacht hat. So kommt Lars, ein guter Schulfreund von Theresa aus Bracken - dem fiktiven Dorf aus Über Menschen. Vielleicht gab es noch mehr Querverweise, aber ich kenne leider (noch) nicht alle Bücher
Ich fand wirklich bemerkenswert, dass wenn Stefan mal mit eigentlich für ihn guten und positiven Nachrichten in seinem Leben bei Theresa ankam, dann hat sie das jedes Mal gnadenlos zerpflückt und ihm dem Spiegel vorgehalten. Es deutlich spürbar, wie hier die Lager sind Theresa kämpft jeden Tag mit ihrem landwirtschaftlichen Betrieb ums nackte Überleben, hat 12 und mehr Stunden-Tage, Ehe-Probleme etc. und Stefan schreibt irgendwie nur darüber in seine teuren Designer-Wohnung. Ich konnte mich aber trotzdem sehr mit Stefan identifizieren, vor allem als um die Gender-gerechte Sprache ging. Ich konnte allerdings auch Theresas Argumente verstehen, dass sie sich mit so etwas nicht abgeben kann und möchte. Ich fand sie allerdings wirklich sehr hart und viele ihrer Meinungen driften mir teilweise zu sehr ins Rechte Milieu ab, vor allem als sie sich Aktivisten anschließt.
Ab ungefähr der Hälfte nimmt die Geschichte dann wirklich an Fahrt auf, so dass sich sogar ein gewisse Spannung aufgebaut hat. Auch bei Stefan gibt bei der Zeitung ein einschneidendes Erlebnis, welches dazu führt, dass auch Stefans Zukunft ungewiss ist. Hier gibt wird auch nochmal deutlich gemacht, was Social Media anrichten kann, wenn eine gewisse Öffentlichkeit genießt und sich einen verbalen Fehltritt leistet. Das fand ich wirklich heftig, auch die Auswirkungen auf Familie und Freunde. Natürlich war mir das nicht unbekannt, aber es schockiert doch immer wieder, welches Ausmaß so etwas annehmen kann und von heute auf morgen das ganze Leben zerstört und auch zur realen Gefahr werden kann. Die Handlung spitzt sich zum Schluss rasant zu und auf das Ende wurde gut hingearbeitet und eignet sich gut für einen Austausch/ Diskussion.
FAZIT:
Zwischen Welten ist ein hochaktueller Gesellschaftsroman in Briefform, der aufwühlt und dem Lesenden häufig den eigenen Spiegel vorhält. Der Roman greift aktuelle Themen auf. Ich bin immer ein bisschen zwischen beiden Meinungen der Protagonisten hin und her gependelt und teilweise rief auch einiges absolutes Unverständnis bei mir auf, aber ich glaube, genau diese Gefühle sollten hiermit erzeugt werden.