ein starker Roman über die Entwurzelung deutscher Aussiedler
In ihrem aktuellen Roman „Sibir“ verknüpft die Autorin Sabrina Janisch die Geschichten zweier Kindheiten miteinander und macht den Leser aufmerksam auf ein Kapitel deutsch-russischer Geschichte, das nicht ...
In ihrem aktuellen Roman „Sibir“ verknüpft die Autorin Sabrina Janisch die Geschichten zweier Kindheiten miteinander und macht den Leser aufmerksam auf ein Kapitel deutsch-russischer Geschichte, das nicht oft im Fokus steht. Mir war zwar grundsätzlich bekannt, dass im Osten Europas angesiedelte Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft um die Zeit des zweiten Weltkriegs auch nach Russland umgesiedelt wurden, die Tragweise der Schicksale dieser Menschen ist mir erst durch diesen Roman bewusst geworden.
Josef Ambacher ist 10 Jahre alt, als er mit seiner Familie in einen Zug gesteckt und unter unmenschlichen Bedingungen nach Kasachstan gebracht wird, bereits unterwegs stirbt sein jüngerer Bruder, seine Mutter Emma bleibt in einem Schneesturm bei ihrer Ankunft in Sibirien verschollen. Josef lebt dort mit seinen Großeltern und seiner Tante, ist jedoch weitgehend auf sich gestellt. Die Freundschaft zu einem gleichaltrigen Jungen aus dem nahe gelegenen Kasachendorf hilft ihm, in der unwirtlichen Steppe zu überleben.
Mitte der 50er Jahre kehrt die Familie gemeinsam mit aus Sibirien freigelassenen Kriegsgefangenen nach Deutschland zurück und lässt sich in einer Siedlung in der Lüneburger Heide nieder. Die Meschen fühlen sich fremd in Deutschland, sind geprägt durch ihre Erlebnisse, ihre Lebensgewohnheiten unterscheiden sich von den anderen Bewohnern des Ortes.
Josefs Tochter Leila spürt dieses Anderssein auch noch 40 Jahre später als Teenager Anfang der 1990er Jahre.
Die Geschichte springt zwischen Erzählungen aus Josefs Zeit in Sibirien und Leilas Aufwachsen in Niedersachen hin und her. Dabei ergänzen sich die Szenen oftmals; während Josef mit seinem Freund Tawil in der Steppe Vorräte anlegt und eine verlassene Hütte als Unterschlupf wieder aufbaut, sammelt Leila mit ihrem besten Freund Arnold Dinge, die ihnen wichtig sind in wechselnden Verstecken. In beiden Zeitschienen dominiert das Gefühl der Heimatlosigkeit, des Eindrucks, nicht dazu zu gehören, aber auch der Stärke, die aus einer engen Freundschaft entstehen kann.
Vieles steckt hier zwischen den Zeilen, wird von der Autorin nicht direkt ausgesprochen sondern anhand vieler kleiner Anekdoten verdeutlicht, so wie auch in den Familien vieles ungesagt bleibt und zu einigen Missverständnissen führt. Der Roman beeindruckt mit der Art und Weise, wie die Geschichten der beiden Zeitschienen miteinander verflochten sind, sich ergänzen und wie die Vergangenheit auf Leilas Jugend abzufärben scheint.
Für mich war es der erste Roman der Autorin, der Stil und der Inhalt haben mich so beeindruckt, dass mein Interesse auch an ihren anderen Werken geweckt ist.