Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.03.2023

Wenn die Vergangenheit anklopft...

Tod in Siebenbürgen
0

Im Zentrum von Lioba Werrelmanns „Tod in Siebenbürgen“ steht der Investigativjournalist Paul Schwartzmüller. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Siebenbürgen und als Jugendlicher mit seinem Vater nach ...

Im Zentrum von Lioba Werrelmanns „Tod in Siebenbürgen“ steht der Investigativjournalist Paul Schwartzmüller. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Siebenbürgen und als Jugendlicher mit seinem Vater nach Deutschland ausgewandert, wird er durch ein Anwaltsschreiben mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Seine Lieblingstante Zinzi ist gestorben und hat ihm ihren Bauernhof vererbt. Auch wenn er kein Interesse an dem Erbe hat und den Hof schnellstens verkaufen möchte, muss Paul doch noch einmal in das Land seiner Kindheit reisen, um die Modalitäten zu klären.

Werrelmann schildert die Gegend am Fuße der Karpaten und das Dorfleben der sächsischen Gemeinschaft sehr lebendig, beschreibt das Misstrauen, das dem Rückkehrer entgegen schlägt, der nur von seinem ehemaligen Schulfreund Sorin mit offenen Armen empfangen wird, der kurz nach Pauls Ankunft in einem Mordfall verwickelt wird. Und Paul setzt alles daran, die Unschuld seines Freundes zu beweisen.

In ihren Beschreibungen konzentriert sie sich aber nicht auf Beschreibungen des kuscheligen Dorflebens, sondern behält glücklicherweise die Realität im Blick. Dubiose Investoren, die Ländereien zu Spottpreisen aufkaufen, um unter Vorspiegelung falscher Tatsachen EU-Subventionen (deren Verwendung natürlich nicht kontrolliert wird) einzustreichen und dabei gleichzeitig die Landschaft und das Grundwasser vergiften, aber auch die Vorurteile der Sachsen gegenüber den Țigani, die in der Nachbarschaft unter sehr schlechten Bedingungen leben. Und auch die dunklen Jahre unter Ceaușescu und seiner Geheimpolizei Securitate werden anhand von Pauls Familiengeschichte stimmig in diesen Roman eingearbeitet, der zwar Mord und Mörder aufzuweisen hat, aber dennoch mehr als ein Krimi ist.

Es gab drei Gründe, warum ich dieses Buch unbedingt lesen wollte: Erstens natürlich die Autorin. Lioba Werrelmann hat bereits mit „Hinterhaus“, ihrem mit dem Glauser-Preis ausgezeichneten Krimidebüt bewiesen, dass sie spannend und intelligent plotten kann, und ohne vorgreifen zu wollen, das beweist sie auch hier erneut. Die beiden anderen Gründe sind eher dem Bereich persönliche Erinnerungen zuzuordnen.

„Tod in Siebenbürgen“ ist ein gelungener Reihenauftakt, den ich sehr gerne gelesen habe, weil er einen interessante Einblicke in das Leben der Siebenbürger Sachsen bietet, auch wenn er mangels möglicher Täter als Kriminalroman nur bedingt funktioniert. Und auch das Dracula-Schloss, das glücklicherweise nur am Rande erwähnt wird, hätte ich nicht unbedingt gebraucht. Aber offenbar war das die Konzession der Autorin an die Leserschaft, die bei der Erwähnung der Karpaten sofort den blutsaugenden Grafen vor Augen hat.

Ich freue mich auf die Fortsetzung der Reihe und hoffe, dass diese auch bei den kommenden Ermittlungen in Rumänien verortet bleibt.

Veröffentlicht am 14.02.2023

Tresor der Erinnerungen

Sibir
0

Sabrina Janesch erzählt in „Sibir“ nicht nur eine Geschichte von Freundschaft, sondern beschreibt auch ein ererbtes Trauma und dessen Auswirkungen, die bis in die Gegenwart einer Familie reichen, die auf ...

Sabrina Janesch erzählt in „Sibir“ nicht nur eine Geschichte von Freundschaft, sondern beschreibt auch ein ererbtes Trauma und dessen Auswirkungen, die bis in die Gegenwart einer Familie reichen, die auf ihrer Suche nach Heimat und Beständigkeit zum Spielball der Politik wird und so im Laufe der Zeit immer wieder die vertraute Umgebung hinter sich lassen muss.

Im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme für die Gräueltaten der Nazis räumen 1945 Rotarmisten das galizische Dorf (Südukraine), in dem der zehnjährige Josef mit seiner Familie lebt und deportieren alle Deutschstämmigen nach Sary Arka, eine Steppenlandschaft im Norden Kasachstans, in der Menschen aus aller Herren Länder Zwangsarbeit leisten müssen. Auf die Erwachsenen warten in dieser Einöde Entbehrungen und harte Fron, Josef hingegen findet dort in dem einheimischen Tachawi einen Freund, mit dem er die Gegend erkundet und unbeschwerte Tage verlebt. Eine Freundschaft, die bis Mitte der fünfziger Jahre Bestand hat, als Josef samt Familie nach Deutschland ausreist und in einer Kleinstadt in Norddeutschland landet.

Die Siedlung am Ortsrand wird zum Wohnort, aber Heimat ist sie nicht. Die kasachische Steppe, die Erinnerungen an Menschen, an Leben und Erleben, all das wird im Tresor der Erinnerungen verschlossen und kommt er wieder an die Oberfläche, als Anfang der neunziger Jahre der Eiserne Vorhang fällt und viele Deutschstämmige die Gelegenheit beim Schopf packen, Russland verlassen und nach ihrer Ankunft mit ähnlichen Problemen wie er zu kämpfen haben. Sie gehören nicht dazu, sind Fremde im eigenen Land. Eine Erfahrung, die auch seine Tochter Leila machen musste, der er sich nach und nach öffnet, als die Erinnerungen an die Zeit in Kasachstan sein Denken fluten. Und wie bei Josef ist es auch bei Leila der Freund, dessen Gegenwart und Unterstützung das Erwachsenwerden erträglich macht.

Janesch formuliert feinfühlig und emotional, glücklicherweise aber ohne Kitsch und Pathos. Sie überzeugt durch bildhafte Beschreibungen vor allem in den Passagen, in denen sie uns mit in das kasachische Dorf mit seinem Vielvölkergemisch nimmt. Und ja, ich fand den Ausflug in die Vergangenheit der russlanddeutschen Gemeinschaft, die Abschnitte, die Josefs Jugendjahre beschreiben, wesentlich interessanter als die Beschreibungen von Leilas Erlebnissen in der deutschen Gegenwart.

Die Autorin lässt uns abwechselnd an diesen beiden Leben teilhaben, verschränkt sie, zeigt Gemeinsamkeiten auf. Sie erzählt von Scham und Schuld, und nicht zuletzt von der tiefen Sprachlosigkeit, dem Schweigen und dem Trauma, das sich von Generation zu Generation weitervererbt. Lesen!

Veröffentlicht am 07.02.2023

Skandinavisch-düstere Fortsetzung

Rotwild
0

Drei Jahre sind vergangen und noch immer knabbert Sanna Berling an diesem einen Fall, den sie nicht abschließen konnte. Sie hadert mit ihrer eigenen Unfähigkeit und hat deshalb nach einer längeren Auszeit ...

Drei Jahre sind vergangen und noch immer knabbert Sanna Berling an diesem einen Fall, den sie nicht abschließen konnte. Sie hadert mit ihrer eigenen Unfähigkeit und hat deshalb nach einer längeren Auszeit die Brandruine verkauft, ihr Team verlassen und die Koffer gepackt. Gemeinsam mit ihrem Wolfshundmischling zieht sie aufs Land, möchte auf dem dortigen kleinen Revier einen Neuanfang wagen, nie mehr Mörder jagen, sondern sich nur noch mit banalen Gesetzesübertretungen beschäftigen.

Aber es kommt anders als gedacht. Zuerst ist da diese seltsame Puppe, die ein Jogger bei seiner täglichen Runde gefunden hat und bei Sanna und ihrem Kollegen abliefert. Und dann ist da noch der Notruf, dem sie nachgehen muss. In einer verfallenen Hütte im Wald findet sie einen jungen Mann, der im Sterben liegt. Sein Körper ist mit unzähligen Wunden übersät. Aber es ist bereits zu spät, er kann ihr nicht mehr sagen, wer ihm das angetan hat. Ein schockierendes Bild, das sich einbrennt und Sanna der Bitte ihres Vorgesetzten zustimmen lässt, gemeinsam mit ihrer Ex-Kollegin Eir Pedersen die Ermittlungen aufzunehmen und den Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.

„Rotwild“ hat alle Zutaten, die man von einem skandinavischen Thriller der neuen Generation erwartet: die typische nordisch-düstere Atmosphäre, problembeladene Ermittlerinnen, die mit traumatisierenden Erlebnissen aus der Vergangenheit kämpfen und nicht zuletzt einen Mordfall, der mit barbarischen Details aufwartet.

Allerdings gibt es gegenüber dem Vorgänger einen nicht zu vernachlässigenden Fortschritt. Hat sich die Autorin dort fast ausschließlich auf die Handlung konzentriert, widmet sie sich hier verstärkt der Charakterisierung der beiden Protagonistinnen, wobei aber der komplexe Fall dadurch nicht in den Hintergrund gedrängt wird. Hier merkt man einfach die frühere Drehbuchautorin, die genau weiß, wann sie wie welche Knöpfe zu drücken hat, damit die Spannung sich steigert. Und das tut sie…

Im Handlungsverlauf gibt es allerdings immer wieder Situation, in denen durch Rückblenden auf „Fuchsmädchen“, den Vorgänger und ersten Band dieser Reihe, Bezug genommen wird, weshalb es für ein besseres Verständnis von Vorteil ist, wenn man diesen gelesen hat.

Veröffentlicht am 03.02.2023

Ein Ermittler, der aus dem Rahmen fällt

Der Kriminalist
0

„Der Kriminalist“ ist der erste Band der Krimireihe mit DS George Cross, der für die Major Crime Unit der Polizei von Somerset und Avon arbeitet. Cross ist Asperger-Autist, was sich allerdings nicht negativ ...

„Der Kriminalist“ ist der erste Band der Krimireihe mit DS George Cross, der für die Major Crime Unit der Polizei von Somerset und Avon arbeitet. Cross ist Asperger-Autist, was sich allerdings nicht negativ auf seine berufliche Qualifikation auswirkt. Im Gegenteil. Brillant in seinem Job, hat er die höchste Aufklärungsquote der Einheit und wird insbesondere von der Staatsanwaltschaft geschätzt, da er nicht nur äußerst akkurat ermittelt sondern die Ergebnisse auch logisch nachvollziehbar präsentiert. Im Gegensatz dazu geht der Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen leider nicht so glatt über die Bühne, denn hier machen sich seine Detailversessenheit und sein Mangel an Empathie immer wieder störend bemerkbar.

So auch im Fall der Leiche im Park, offenbar das Opfer einer Auseinandersetzung unter Obdachlosen mit tödlichem Ausgang. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, doch Cross bezweifelt dessen Schuld. Gemeinsam mit seiner Partnerin, die ihn im Auge behalten soll, stellt er Nachforschungen an und findet tatsächlich eine Verbindung zu einen fünfzehn Jahre zurückliegenden Cold Case. Ein Mord, der nie aufgeklärt wurde. Und wenn Cross einmal Witterung aufgenommen hat, lässt er bei seiner Suche nach Gerechtigkeit nicht locker, auch wenn er mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest sticht und einflussreiche Kräfte des Polizeiapparates verprellt.

Ich mag Polizeiromane und bin spätestens seit Gil Ribeiros Leander-Lost-Reihe ein Fan von Ermittlern, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten aus dem Rahmen fallen. Aber im Gegensatz zu diesem hat Cross kein Team im Rücken, das ihn unterstützt und auf das er sich verlassen kann, was allerdings bei ihm nicht nur an seiner Unnachgiebigkeit während der Ermittlungen liegt. Es sind auch seine persönliche Eigenheiten, insbesondere die Distanziertheit gegenüber seinen Kollegen, die ihn unzugänglich und zum Außenseiter machen, was der Autor Tim Sullivan (von Haus aus Drehbuchautor) in allen Facetten gelungen aufzeigt.

Die Protagonisten sind sehr gut charakterisiert, die Story ist spannend, das Handlungsgerüst logisch aufgebaut und unerwartete Wendungen sorgen immer wieder für Überraschungsmomente. Ein gelungener Auftakt mit einer sympathischen Hauptfigur, von der ich gerne in Zukunft noch mehr lesen möchte (im Original liegen bereits sechs Bände vor, die hoffentlich bald den Weg zu der Übersetzerin Frauke Meier finden).

Veröffentlicht am 01.02.2023

Innenansichten

Verschwiegen
0

„Verschwiegen“ ist das Debüt der isländischen Soziologin Eva Björg Ægisdóttir und gleichzeitig der Auftakt einer Krimireihe, in deren Zentrum Elma und ihre Kollegen der Dienststelle in Akranes stehen. ...

„Verschwiegen“ ist das Debüt der isländischen Soziologin Eva Björg Ægisdóttir und gleichzeitig der Auftakt einer Krimireihe, in deren Zentrum Elma und ihre Kollegen der Dienststelle in Akranes stehen. Die Kleinstadt im Südwesten Islands ist überschaubar, die meisten Bewohner leben bereits seit Generationen dort, haben ihren angestammten Platz im sozialen Gefüge. Für die Polizei gibt es kaum Arbeit, denn schwerwiegende Gesetzesverstöße kommen so gut wie nicht vor, das tägliche Leben geht seinen geregelten Gang.

Eva Björg Ægisdóttir ist, wie ihre Protagonistin Elma, in Akranes geboren, kennt die Gegend wie ihre Westentasche, und sie ist mit der Mentalität der dort lebenden Menschen vertraut. Beides zusammengenommen ergibt, soweit ich es beurteilen kann, ein stimmungsvolles und authentisches Bild von Land und Leuten.

Elma ist nach einem kurzen Abstecher bei der Reykjaviker Polizei aus persönlichen Gründen in ihren Geburtsort zurückgekehrt. Sie sucht Ruhe, möchte das traumatische Ende ihrer Beziehung verarbeiten und arbeitet nun als Polizistin in Akranes. Aber die Heile-Welt-Atmosphäre währt nicht lange, denn am alten Leuchtturm wird eine Frauenleiche gefunden unbekannter Identität entdeckt. Schnell stellt sich heraus, dass sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist und nachträglich an diesem Ort platziert wurde. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Saevar wird Elma auf den Fall angesetzt, und was sie während der Ermittlungen herausfinden, lässt sie recht schnell erkennen, dass die Antworten auf ihre Fragen in der Vergangenheit zu finden sind. Aber leichter gesagt als getan. Zwar können sie den Namen der Toten ermitteln, aber sämtliche weiteren Befragungen laufen ins Leere. Ein Mantel des Schweigens breitet sich über der Kleinstadt aus, die offenbar alles daran setzt, ihre schmerzlichen Geheimnisse für sich zu behalten.

„Ein Island-Krimi“ steht auf dem Cover, und die von mir sehr geschätzte Ann Cleves bezeichnet diese Debüt als Nordic Noir, aber leider wird weder die eine noch die andere Aussage diesem Roman in all seinen Facetten gerecht. Natürlich stellt sich die Frage nach dem Täter, aber wesentlich wichtiger scheint mir doch der kritische und entlarvende Blick der Autorin auf diese kleinstädtische Gemeinschaft, die nach ihren eigenen Regeln lebt. Auf der einen Seite die solvente Unternehmerfamilie, die man tunlichst mit Samthandschuhen anfassen sollte, was besonders deutlich an den Anweisungen von Elmas Vorgesetztem wird, dort das vernachlässigte Kind aus prekären Verhältnissen, um das sich kaum jemand kümmert.

Es sind heikle Themen, die die Autorin in ihrem Erstling anpackt. Allerdings merkt man hier die sozialwissenschaftliche Ausbildung, denn sie behandelt diese mit sehr viel Fingerspitzengefühl und vermeidet das Abgleiten in voyeuristische Beschreibungen. Ein feiner, psychologisch durchdachter Roman, dessen einziges Manko das unbefriedigende Ende ist, was mich allerdings nicht davon abhalten wird, die Reihe weiter zu verfolgen.