Alles fließt … alles ist in Bewegung – wie das Wasser, so auch der Lebensweg
Das Lied des Wassers„Das Lied des Wassers“ von Hedi Hummel war für mich in erster Linie ein äußerst gefühlvoller Liebesroman, in dem jedoch viel mehr steckt – eben durch die Verflechtung von Richards Lebensweg mit dem vielschichtigen ...
„Das Lied des Wassers“ von Hedi Hummel war für mich in erster Linie ein äußerst gefühlvoller Liebesroman, in dem jedoch viel mehr steckt – eben durch die Verflechtung von Richards Lebensweg mit dem vielschichtigen Thema Wasser.
Worum geht es?
Primär wohl um die schicksalshaften Wendungen in Richard Andernachs Leben. Erlebnisse und zwischenmenschliche Beziehungen in der Kindheit und Studentenzeit, Schuldgefühle gegenüber einem Jugendfreund und eine unglückliche Liebe haben ihn geprägt, zu einem distanzierten Einzelgänger und Workaholic werden lassen. Bis ein kleines Büchlein über Wasser sein Leben verändert.
Bereits das Cover hat mich angesprochen. Das grüne Blatt mit den glänzenden Wassertropfen unterstreicht harmonisch den Titel. Das Buch erschien 2022, die Handlung spielt 2019, mit Rückblenden in die Vergangenheit, die sich durch die kursive Schrift optisch sehr gut hervorheben. Die Kapitel haben eine angenehme Länge.
Kaum hat man zu lesen begonnen, ist man gefangen von dem wunderbaren Schreibstil. Ich liebe Bücher, die ein Sprachkunstwerk darstellen. Und dieses Buch ist in meinen Augen eines. So voller Poesie. Detailreich und bildhaft, dabei aber nie langatmig. Stimmungen sind so atmosphärisch geschildert, dass der Funke überspringt und man in diese Gefühle –ob tiefempfundene Liebe, Zweifel, Verwirrung, Sehnsucht oder Trauer – mit hineingezogen wird. Man erfährt, was sie denken, was sie empfinden, und fühlt mit den Romanfiguren, kann sich in sie hineinversetzen, auch wenn man selber vielleicht anders reagieren würde.
Im Mittelpunkt steht Richard Andernach, der Börsenexperte, ein einsamer Wolf, dessen Leben sich nur um die Arbeit dreht. Die Rückblenden auf seine Vergangenheit offenbaren Richards Schuldgefühle. Einerseits hinsichtlich Paul, seinem Freund in der Kindheit, der plötzlich verschwand, und um den Richard sich zu wenig gekümmert hat, als dieser ihn brauchte. Andererseits hinsichtlich Gabriele, der Geliebten während der Studentenzeit, mit der ihn eine innige Liebe verband, die jedoch ebenfalls durch sein Fehlverhalten in Brüche ging. Beides hat Richards Leben geprägt. Er hat einen seelischen Schutzwall um sich errichtet, um nicht mehr verletzt zu werden. Nur bei seiner Arbeit fühlt er sich sicher. Das ist sein Metier. Er wahrt Distanz zu anderen Menschen. Bis er sich mit dem Thema Wasser zu beschäftigen beginnt.
Womit ich bei dem Kernthema des Romans gelandet wäre. Wasser gab dem Buch den Titel. Was es mit dem „Lied des Wassers“ auf sich hat, beginnt man im Laufe der Lektüre zu verstehen. Wasser, vom plätschernden Wildbach bis zum verunreinigten, gekippten See, zieht sich parallel zu der Liebesgeschichte, den Charakterbildern, in allen möglichen Varianten als roter Faden durch den Roman. Die Autorin hat akribisch recherchiert, geht sehr überzeugend auf alle möglichen chemischen Reaktionen und physikalischen Eigenschaften des Wassers ein, zitiert Forschungserkenntnisse und streift auch Umwelt- und esoterische Themen. Wissenserweiternd und interessant, fast wie ein Sachbuch. Ich war erstaunt, wie viele Aspekte hier relevant waren. Dieser Exkurs in die Wissenschaft wird gut dosiert serviert, stets von Richards Gedanken und Aktionen durchbrochen. Was die Umweltaktion am Ende, die Wasserreinigung, anbelangt, fühlte ich mich weniger vom technischen Verständnis her angesprochen als davon, wie das Aufeinandertreffen dieser drei Menschen sie verändert, wie sie ihre neuen Ziele erkennen, wie sich alles klärt und zum Guten wendet.
Die Entwicklung der drei Personen – von Richard, Paul und Gabriele – war für mich die vorrangige Thematik des Romans, die Wendungen, die ihr Schicksal nimmt. Die Charaktere sind facettenreich dargestellt, sie entwickeln sich, sie wirken unheimlich lebendig, sehr emotional in allen Schattierungen, haben Ecken und Kanten, begehen Fehler, agieren manchmal zu impulsiv und lassen sich zu unbedachten Handlungen hinreißen, aber sie lernen daraus, finden zu sich selbst, lernen loszulassen und ihren eigenen Weg zu finden.
„Das Lied des Wassers“ ist kein Roman, den man so einem Zug ausliest. Nicht, weil er nicht packend ist, sondern weil man animiert wird, eigenen Gedanken nachzuhängen. Übers eigene Leben, den Weg, den man selber einschlug – und last but not least auch über die Bedeutung des Wassers, für die Menschheit generell und für einen selber. Welch wertvolles Gut es darstellt und wie privilegiert wir hier in Europa sind.
Für mich war es ein Buch, das im Gedächtnis haften bleibt. Ich habe vor allem die poetischen Stellen geliebt, bin versunken in diese von wunderbaren Bildern geprägte Erzählkunst und Sprache. Ich spürte die Schönheit der Natur ebenso wie die Emotionen der Protagonisten in all ihren Schattierungen.
Eine unbedingte Leseempfehlung!