Ein unglaublich wichtiges Sachbuch!
Dass uns das Mittelalter Europas als düster, grausam und frauenfeindlich vermittelt wurde, liegt u.a. daran, dass die Deutungshoheit der Geschichte lange Zeit Männer innehatten. Archäologische Grabstelle ...
Dass uns das Mittelalter Europas als düster, grausam und frauenfeindlich vermittelt wurde, liegt u.a. daran, dass die Deutungshoheit der Geschichte lange Zeit Männer innehatten. Archäologische Grabstelle ausgebuddelt, Waffen gefunden – kann ja nur ein Mann sein. Wie falsch diese Annahmen überwiegend männlicher Historiker, Archäologen und Konsorten ist, darin gibt dieses Buch einen Einblick, indem es anhand derselben Fakten und Belege untersucht wie Aberdutzende Historiker:innen zuvor und den Fokus hin zu einer diversen Betrachtung des Mittelalters verschiebt.
Ein Blick ins Mittelalter hält so viel mehr bereit als Jeanne d'Arc und Hildegard von Bingen. Janina Ramirez gibt beispielsweise Einblicke in Æthelflæd, eine umsichtige frühmittelalterliche Herrscherin des angelsächsischen Königreichs Mercia. Auch mit Hedwig von Anjou, heilige Hedwig von Polen, die im 14. Jahrhundert den Titel König (nicht Königin) von Polen innehatte, stellt Ramirez eine weitere hochinteressante historische Persönlichkeit vor. Ein richtiges It-Girl war Margery Kempe, die im 15. Jahrhundert als Mystikerin mit ihrem Book of Margery Kempe eine Art erste Autobiografie der englischen Sprache verfasste, in der sie ausgedehnt über ihre Pilgerreisen zu den heiligen Stätten Europas berichtet und mit ihrem exzentrischen Verhalten die kirchlichen Autoritäten unter dem Blick der Häresie auf sich zieht.
Von manchen der vorgestellten Frauenfiguren gibt es so gut wie keine überlieferten Belege. Im Zuge der Reformationsbewegungen wurden Bibliotheken immer wieder nach kontroversen Texten durchsucht, weibliche Autorenschaft mit der Randnotiz „Femina“ versehen und damit oftmals direkt als nicht aufbewahrenswert gekennzeichnet. Heute würden wir wohl „Ablage P“ sagen. Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Texte verloren gegangen, und an manche historische Frauen kann man sich nur annähern, indem man Texte männlicher Historienfiguren auf ihre Anwesenheit hin untersucht.
Ramirez hat mit ihrem Buch einen ganz wundervollen Ansatz geschaffen, der hoffentlich einen großen Trend widerspiegeln wird, um Frauen in der Geschichte den würdigen Platz zu bescheren, den sie verdient haben.