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Veröffentlicht am 03.04.2023

Sprachlich ansprechender historischer Einblick

Morgen und für immer
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Ermal Meta erzählt uns das Leben von Kajan, der zu Kriegszeiten bei seinem Großvater am Rande eines albanischen Dorfes aufwächst, von einem deutschen Soldaten Klavierunterricht bekommt, so dass er nach ...

Ermal Meta erzählt uns das Leben von Kajan, der zu Kriegszeiten bei seinem Großvater am Rande eines albanischen Dorfes aufwächst, von einem deutschen Soldaten Klavierunterricht bekommt, so dass er nach dem Krieg zum berühmten Pianisten avanciert. Trotzdem ist sein Leben leer, denn seine Liebe zu Elizabeta bleibt durch die Machenschaften seiner Mutter unerfüllt. Die linientreue Kommunistin kann und darf die Tochter eines Regimekritikers nicht in der eigenen Familie dulden. Als Kajan sein Talent in der DDR bei einem Musikwettbewerb unter Beweis stellen soll, bietet sich die Möglichkeit zur Flucht.

Die Geschichte des kindlichen und des erstmals verliebten Kajan mochte ich sehr. Sie spiegelt in einem ausgewogenen Verhältnis die Ängste während des Krieges wie auch die glücklichen Momente zu dieser Zeit wider. Dieses Gleichgewicht habe ich auch in der Phase des Verliebtseins empfunden, als sich Elizabeta und Kajan heimlich getroffen haben. Im weiteren Verlauf wird die Geschichte zunehmend politischer. Bespitzelung, Verfolgung, Verhaftung und Vernichtung oppositioneller Kräfte in den Ostblockstaaten rücken immer weiter in der Vordergrund.

Gerät man wie Kajan unglücklich in die Mühlen des Systems ist das gezeichnete Schreckensszenario zutreffend und viel zu viele unschuldige Menschen waren davon betroffen. Da es hier keine Nebengeschichten gibt, entsteht der Eindruck, dass alle Menschen im Ostblock derartigen Quälereien ausgesetzt waren. Eine Abgrenzung zwischen den Regimen hinsichtlich des Unrechts-Ausmaßes habe ich ebenfalls vermisst, auch wenn jedes Unrecht letztlich bleibt, was es ist. So werden nach meinem Empfinden alle Verbrechen auf das Level von Goli Otok gehoben, was auch nicht richtig ist.

Ist man sich dessen bewusst, kann Kajans Lebensgeschichte sehr bereichernd im Verständnis der Historischen Gegebenheiten sein und wie diese vielleicht mit ihren Auswirkungen bis ins Heute weiter strahlen. Dabei hat für mich die Erkenntnis, dass der Krieg für Viele 1945 längst noch nicht zu Ende war, den größten Mehrwert.

Einige Schilderungen im Roman waren schwer zu ertragen, an anderer Stelle hat mich der Autor im positiven Sinn emotional tief berührt. Ermal Meta beherrscht das Wechselbad der Gefühle, ohne dabei kitschig zu werden. Er verwendet eine Sprache, die das beschriebene Szenario in ein realistisches Licht taucht, auch wenn ich die Ansammlung an Katastrophen in Kajans Leben etwas überbordend finde. Insgesamt ein interessanter, mitreißender Roman über einen Charakter, mit dem man extrem leidet und stets auf einen guten Ausgang hofft.

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Veröffentlicht am 19.02.2023

Wenn Eliten für Gerechtigkeit sorgen wollen

Equilon
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Der Algorithmus EQUILON soll die von Klimawandel und Überbevölkerung gezeichnete Erde wieder bewohnbar machen. Dafür wählt er aus der gesamten Bevölkerung die 1 Milliarde aus, die ihn dabei am besten unterstützen ...

Der Algorithmus EQUILON soll die von Klimawandel und Überbevölkerung gezeichnete Erde wieder bewohnbar machen. Dafür wählt er aus der gesamten Bevölkerung die 1 Milliarde aus, die ihn dabei am besten unterstützen kann. Für das Ranking wird ein Score berechnet. Jenna hat den erforderlichen Score geknackt, wird aus Old B. in Europa abgeholt und nach New Valley, Jenas Traumziel gebracht. Dafür hat sie ihr ganzes Leben gearbeitet, sich maximal ins Zeug gelegt. Dorian ist da ganz anders. Er ist geneigt aufzugeben bis er die kleine Maggie und ihre Mutter Hannah trifft.

Sarah Raich konstruiert einen gut durchdachten Jugendthriller, der die aktuell wichtigen Themen Klimakrise, Künstliche Intelligenz sowie die sich vergrößernde Schere zwischen arm und reich in die Zukunft fortschreibt. Die MegaGoods haben mit Hilfe des Algorithmus ein Leben für alle designed, das von maximaler Kontrolle und Armut für die meisten gekennzeichnet wird. Gerade als die schöne Welt der 1 Milliarde zu bröckeln beginnt, kommt Jenna in New Valley an.

Beide, Jenna und Dorian, sind keine wirklichen Helden. Sie lassen sich leicht beeinflussen und haben einen leichten Hang zum Jammern. Während sich Dorian zu Beginn des Thrillers auf dem Tiefpunkt seines Selbstbewusstseins befindet und dann langsam über sich hinauswächst, scheint es lange bei Jenna genau andersherum zu sein. Deshalb waren mir beide Hauptfiguren gar nicht so richtig sympathisch. Viel lieber mochte ich die kleine Maggie, die ihre Armut und Angst stoisch erträgt und im richtigen Moment immer wieder den notwendigen Mut aufbringt. Besonders sympathisch ist mir ihre mehrfach vorgetragene Forderung nach Essen und ihre Zufriedenheit, wenn sie ihren Hunger mit einem Nahrungsblock stillen kann.

Gefallen hat mir mir die sprachliche Gestaltung. Sarah Raich hat das schöne New Valley vor meinem inneren Auge entstehen lassen, mit all der Technik und auch den unschönen Dingen darin. Auch von den ebenfalls designten Menschen, also von den Styles, den Frisuren und dem Make-up hatte ich eine gute Vorstellung sowie vom Umgang der Valley-Bewohner miteinander. Darüber hinaus mochte ich die Geschwindigkeit, die durch den Spannungsbogen beim Lesen entstanden ist. Am besten hat mir der wechselnde Blick der beiden Hauptfiguren auf dieselben Situationen gefallen. Diese Staffelstabübergabe an besonders spannenden Stellen war einfach genial.

Etwas kritisch sehe ich die Vorhersehbarkeit so mancher Szenerie und die gehäufte Lebensgefahr in Verbindung mit Wasser. Dem Lesevergnügen tut dies insgesamt aber keinen Abbruch, weshalb ich den Jugendthriller gern empfehle.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Man muss sich langsam öffnen

Schnell mal vegan
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Ich muss zugeben, dass ich zunächst keinen guten Zugang zu Buch gefunden habe. Die ersten 20 Seiten des Kochbuches enthalten viele Verweise auf weitere Werke der Autorin. Zudem empfinde ich die Einführung ...

Ich muss zugeben, dass ich zunächst keinen guten Zugang zu Buch gefunden habe. Die ersten 20 Seiten des Kochbuches enthalten viele Verweise auf weitere Werke der Autorin. Zudem empfinde ich die Einführung ganz schön belehrend, so dass ich nach der Lektüre dieser ersten Seiten eine leichte Abneigung entwickelt hatte und dann natürlich beim Durchblättern der Rezepte besonders kritisch drauf geschaut habe.

Ich habe dann einige Rezepte entdeckt, wo ich mich gefragt habe, was diese Dinge in einem Kochbuch zu suchen haben. Das kann doch jeder, dachte ich. Avocado-Toast oder das Spargelrezept auf Seite 72 seinen hier beispielhaft genannt. Zudem habe ich festgestellt, das viele Rezepte Knoblauch enthalten, den ich persönlich nicht so mag. Doch ich wollte nicht in dieser meckernden Haltung verbleiben, sondern die Challenge mal einige Wochen nur vegan zu essen, tatsächlich auch annehmen.

Ich habe die Rezepte intensiver studiert und letztlich leckere neue Gerichte aufgetan. Dabei habe ich bei den Verwendungsmöglichkeiten von Avocado dazugelernt. Ich stelle im Zusammenhang mit dieser Zutat eine bisher eingeschränkte Kreativität meinerseits fest. Der Guacamole-Salat war toll, der Ananas-Avocado-Salat ein richtiges Highlight. Von den Suppen haben mir die Rote Linsensuppe und die Erbsensuppe mit Minze gefallen. Spannend, weil ich nie auf diese Kombination bzw. Namen kommen würde, fand ich Spinatreis und Bloody-Mary-Salat. Durch die inzwischen guten Erfahrungen bin ich bereit, weitere Rezepte zu probieren, sogar zu Gerichten, wie Waldorf-Salat, die ich in der Vergangenheit eher abgelehnt habe.

Die Beschäftigung mit Katharina Seiser‘s Kochbuch hat mir meine doch noch hohe Hemmschwelle gegenüber veganer Küche offenbart. Die Challenge ist noch nicht ganz geglückt, aber durch ihre Anregungen beschäftige ich mich intensiv mit Ernährung ohne Fleisch und andere tierische Produkte. Ich empfehle, eine vielleicht angestrebte Ernährungsumstellung langsam anzugehen, damit der Ehrgeiz es zu schaffen über den leckeren Geschmack kommt. Ansonsten ist die Gefahr des Aufgebens wie bei Diäten recht groß. Auch wenn ich nicht sofort überzeugt war, finde ich das Buch inzwischen hilfreich.

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Veröffentlicht am 02.02.2023

Diskriminierung bis zur Eskalation

Salomés Zorn
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Salomé Atabong ist ein junges Mädchen, dessen Wurzeln bis nach Kamerun reichen. Sie lebt mit ihren Eltern in einem kleinen Dorf in den Niederlanden. Täglich muss sie unterschwelligen sowie offenen Rassismus ...

Salomé Atabong ist ein junges Mädchen, dessen Wurzeln bis nach Kamerun reichen. Sie lebt mit ihren Eltern in einem kleinen Dorf in den Niederlanden. Täglich muss sie unterschwelligen sowie offenen Rassismus ertragen, angefangen von nicht beseitigten Hundehaufen auf dem Grundstück der Atabongs, über alltägliche Beleidigungen bis hin zu ausgeübter Gewalt. Ihr dahingehend leidgeprüfter Vater gibt ihr einen folgenschweren Rat: „Du musst deiner Faust folgen.“, „So, als ob du ein Loch in deinen Feind schlagen willst.“

Also kämpft Salomé, getrieben von einer jahrelang angewachsenen Wut, gegen ihre Peiniger. Sie will einfach kein Opfer sein. Als es eskaliert, muss sie in den Donut, eine Jugendstrafanstalt, wo sie eine Therapie machen muss. Dabei tauchen wir in Salomés Innenleben ein und lesen von ihrer Gefühlswelt, von Salomés Bekannten und Verwandten, von den Einflüssen auf ihr Leben. Die Protagonistin selbst ist mir zu keinem Zeitpunkt besonders sympathisch gewesen. Aufgrund ihrer schnippischen, anlehnenden Art blieb eine gewisse Distanz, die ich trotz Verständnis für ihren Gemütszustand nicht abbauen konnte.

Der Schreibstil ist modern, etwas gewöhnungsbedürftig, weil sich in ihm sämtliche Irritation der Protagonistin widerspiegelt. Der Text enthält beschreibende Passagen wie den langen Urlaub in Kamerun, Träume, passende Ausschnitte aus griechischen Sagen und eben zahlreiche Gefühlsfetzen. In ihrem allgegenwärtigen Zorn springen die Gefühle, fahren ein Stück weit Achterbahn. Doch gleichzeitig entsteht während der Therapie bei allen Ungerechtigkeiten so etwas wie vernünftige Einsicht, dass Gegengewalt keine Lösung sein wird. Natürlich ist dies gemein, aber leider die Realität.

Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung auf Basis von Salomés Zorn offenbart viele kleine rassistische Statements, die sich überall in unserem Sprachgebrauch wiederfinden, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ich frage mich, ob es je möglich sein wird, sie ganz verschwinden zu lassen. Reaktionen von Diskriminierung Betroffener erscheinen für mich in einem neuen Licht. Deshalb möchte ich die Lektüre empfehlen, es erscheint mir als gesellschaftliche Notwendigkeit, an dieser Stelle ein besseres Bewusstsein zu entwickeln.

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Veröffentlicht am 21.01.2023

Klimawandel - mit uns nicht aufzuhalten, vielleicht zu managen

Taupunkt
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Vor vier Jahren hatte ich „Die Reinsten“ von Thore D. Hansen gelesen und war begeistert von seiner geschickten Fortschreibung unseres aktuellen Handelns in eine potentielle Zukunft gewesen. Deshalb war ...

Vor vier Jahren hatte ich „Die Reinsten“ von Thore D. Hansen gelesen und war begeistert von seiner geschickten Fortschreibung unseres aktuellen Handelns in eine potentielle Zukunft gewesen. Deshalb war es mir eine Freude seinen neuen Klimaroman „Taupunkt“ zu entdecken. Schon das Cover deutet auf ein Inferno, ein Leben mit erdrückender Hitze hin.

Wir begleiten in einer nicht all zu fernen Zukunft eine zerrissene Familie durch einen nicht enden wollenden Hitzesommer mit Temperaturen zwischen vierzig und fünfzig Grad, der viele Feuer begünstigt und nun auch massiv Opfer fordert. Es geht um zwei Brüder, Robert und Tom Beyer, die sich vor Jahren auseinander entwickelt haben, und ihre Töchter im Studentinnenalter, Mareike und Janne, die dementsprechend eine ganz unterschiedliche Kindheit erfahren haben. Das Setting ist recht weitläufig, befindet sich hauptsächlich im Dreieck zwischen zwei landwirtschaftlichen Höfen in Nordfriesland und Brandenburg, die Robert gehören sowie in Berlin, wo Klimaaktivisten unbeirrt weiter demonstrieren, um endlich ein Umdenken bei Regierung und Gesellschaft zu erzeugen.

Robert, der Landwirt, kämpft schon seit Jahren mit der Hitze, seine wirtschaftliche Existenz ist bedroht, er versucht alles, um noch ein bisschen Ertrag aus seinem Land herauszuholen. Für Tom, den Wissenschaftler, der ein Programm entwickelt hat, dessen Durchsetzung die Lebensgewohnheiten der Menschen tiefgreifend verändern wird, geht Roberts Handeln in die falsche Richtung. Janne geht neben dem Studium demonstrieren und Mareike ist genervt von einem Leben mit berühmten Vater, dessen Wissenschaft immer wieder den Finger in die Wunde der Leute legt.

So konstruiert der Autor im Spannungsfeld des Klimawandels einen Mikrokosmos Familie, wo selbige Mechanismen wie auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext greifen, macht widersprüchliche Verhaltensweisen seiner Charaktere transparent, führt uns damit ganz nah an eigene Unzulänglichkeiten, die wir oft gar nicht wahrnehmen, heran. Das Schreckensszenario aus Hitze, Tod und Verbrechen ist beängstigend real erzählt, lies mich nicht nur einmal ins Grübeln kommen.

Letztlich hilft der Roman zu begreifen, dass sich etwas ändern muss, im Kleinen wie im Großen, ausgehend von uns allen. Ich empfehle die Lektüre gern. Lediglich das Ende kam mir zu schnell. Ich habe es lieber, wenn das Ende ausgeprägter oder ganz offen ist.

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