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Veröffentlicht am 10.02.2023

"Es liegt nicht allein der Schatten des Berges über dem Dorf"

Talberg 1935
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Als eher zurückhaltender Leser von Krimis, habe ich mich sehr auf das Überraschungsbuch gefreut, versprach der Klappentext doch spannende Unterhaltung.

66 Kapitel verteilen sich auf 400 Seiten: auf den ...

Als eher zurückhaltender Leser von Krimis, habe ich mich sehr auf das Überraschungsbuch gefreut, versprach der Klappentext doch spannende Unterhaltung.

66 Kapitel verteilen sich auf 400 Seiten: auf den Prolog folgen Buch Elisabeth und Buch Johannes. Der Perspektivwechsel sorgt für neue Einblicke, obwohl der Erzählstil in der 3. Person beibehalten wird. Daher wirken die ohne minimal charakterisierten Protagonisten jedoch distanziert. Gerade zu Beginn hat man den Eindruck als reihen sich verschiedenen Episoden aneinander. In Kombination mit dem abschweifenden Erzählstil ergibt sich eine gewöhnungsbedürftige Mischung. Mit fortschreitender Handlung wird ein roter Faden erkennbar und auch die mystischen Aspekte werden vollständig geklärt. Das Cover passt in dieser Hinsicht sehr gut zum Inhalt des Buches. Vor allem der erste Teil erinnert entfernt an ein Kammerspiel mit klassischer Suche nach dem Mörder. Dem Klappentext habe ich nichts hinzuzufügen, außer dass die Thematik in Bezug auf Individualität einzelner Personen hochaktuell ist. (Ausgrenzung aus der Gesellschaft aufgrund vom allgemeinen Unverständnis anders zu sein)

Ich breche selten und ungern Bücher ab - hier habe ich mehrfach zu Beginn darüber nachgedacht. Nach knapp 50 Seiten hat sich das Durchhalten gelohnt und der Lesefluss samt Handlung nahm am Fahrt auf. (Vor allem nachdem die Schachtelsätze und endlosen Aufzählungen weniger wurden.) Den Schauplatz konnte ich mir aufgrund der zeitgemäßen und regionalen Sprache sehr gut in Bayern vorstellen. Insgesamt war mir die Geschichte zu düster und konnte aufgrund der Distanz zu den Protagonisten nur mäßig mein Interesse aufrechterhalten. Die Handlung verliert sich in detaillierten Beschreibungen von Nebensächlichkeiten, was zu Längen führt. Allerdings handelt es sich laut Cover, um einen Roman und keinen Krimi, daher ist vielleicht nicht von durchgehender Spannung und einem anderen Erzähltempo auszugehen. Im Nachwort erwähnt der Autor jedoch ausdrücklich, dass es sich eine „Thriller-Reihe" handelt – davon habe ich nichts bemerkt… Die Fortsetzung werde ich wohl eher nicht lesen.

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Veröffentlicht am 10.02.2023

Ekel, Scham, Angst & Stolz

Man kann Müttern nicht trauen
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Als pragmatische, kinderlose Mittdreißigerin hätte ich mir das Buch aufgrund des Klappentextes wohl nicht ausgesucht. Ich mag jedoch Abwechslung beim Lesen und habe mich bewusst auf meine erste Monografie ...

Als pragmatische, kinderlose Mittdreißigerin hätte ich mir das Buch aufgrund des Klappentextes wohl nicht ausgesucht. Ich mag jedoch Abwechslung beim Lesen und habe mich bewusst auf meine erste Monografie eingelassen. Diese Romanform definiert sich als eine umfassende, in sich vollständige Abhandlung eines bestimmten Themas, Problems bzw. einer Person. Im Nachhinein würde ich den Debütroman von Andrea Roedig als eine Art Retrospektive einordnen, einen Versuch zu verstehen...

Der Einstieg in die Geschichte ist mir nicht leicht gefallen. Trotz des emotionalen Auftaktkapitels hatte ich Schwierigkeiten mit dem Stil von Andrea Roedig. In überwiegend chronologischen Episoden werden die Lebenswege fremder Frauen nachgezeichnet: von Oma Gertrud, Mutter Lilo bis hin zur Autorin selbst. Die distanzierten Verhältnisse spiegeln sich auch sprachlich wider: es braucht etwas Zeit sich an die Erzählperspektive zu gewöhnen. Zitate aus Tagebüchern beeinträchtigen den Lesefluss ebenso wie gezielte häufige Wortwiederholungen. Durch längere Aufzählungen und Schachtelsätze mit vielen Einschüben wirkt der Text abgehackt. Hier ein Beispiel: „In den einzeilig auf Rechenpapier beschriebenen Zeilen meines Tagebuchs, in den unendlichen Fluten der Buchstaben, ganz am Ende eines langen Eintrags, in dem ich mich darüber auslasse, wie eingefangen ich mich fühle und dass ich so sehr hoffe, mit der Freundin Simone zum Düsseldorfer Rosenmontagszug gehen zu können, wenn sie doch nur anriefe, steht dieser Satz: »Gestern sagte Oma mir, dass Mami angerufen hatte.«

In einem Interview fasst die Autorin ihr Werk treffend zusammen: "Das Buch erzählt in autofiktionaler Weise die Geschichte meiner Mutter, die die Familie verließ, als ich 12 Jahre alt war. Es ist eine persön­liche Auseinandersetzung mit der Frage, wer diese Frau war, die mir zeitlebens fremd geblieben ist, und zugleich erzählt das Buch über ein Frauenleben in den 60er- und 70er-Jahren, über Wünsche, Hoffnungen und Befreiungsversuche."

Ich habe mich letztendlich für eine neutrale Bewertung mit drei Sternen entschieden. Es fällt mir schwer ein solch persönliches Werk zu beurteilen, zumal die Handlung überwiegend einseitig geschildert wird. Teilweise fließen Vermutungen in die Verhaltensanalyse ein. In wie weit erfolgt eine Differenzierung von Selbst- & Fremdwahrnehmung der ambivalenten familiären Beziehungen? Entscheiden Sie selbst!

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Veröffentlicht am 10.02.2023

"Es gibt einen Unterschied zwischen fallen und springen"

Das Fundbüro der verlorenen Träume
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Nachdem mich der Klappentext der Neuerscheinung neugierig machte, habe ich sofort die Leseprobe heruntergeladen. Ich war allerdings recht überrascht, da ich mir aufgrund der originellen Idee eine gänzlich ...

Nachdem mich der Klappentext der Neuerscheinung neugierig machte, habe ich sofort die Leseprobe heruntergeladen. Ich war allerdings recht überrascht, da ich mir aufgrund der originellen Idee eine gänzlich andere Hauptprotagonistin vorgestellt hatte…

"Das ganze Fundbüro hat etwas aus der Zeit Gefallenes an sich, wie ein Museum, ein Archiv der Erinnerungen, eine Bibliothek des Verlusts. Ich glaube, deswegen habe ich mich hier immer zu Hause gefühlt."

Ich-Erzählerin Dot wirkt zu Beginn sehr korrekt, jedoch etwas weltfremd. Die Aussage „Wir hatten alle mal Träume“ ließ auf Enttäuschung schließen – hat sie mehr vom Leben erwartet?

Trotz der angedeuteten Entwicklung, was Dot und Mr. Appleby finden würden, war ich unschlüssig, ob ich die beiden auf ihrem Weg begleiten wollte. Zumindest diese Frage klärte sich als ich das Buch geschenkt bekam._

Über 368 Seiten enthüllt sich langsam Dot's Vergangenheit. Sie ist schon länger Single und arbeitet seit knapp 10 Jahren im titelgebenden Fundbüro. Nachdem ihre Mutter ins Pflegeheim kommt, droht nicht nur der Verkauf der gemeinsamen Wohnung...

Über weite Strecken wirkt die Geschichte trostlos. Nach etwa einem Drittel ändert sich der Ton: Dot wirkt nahbarer. Ich empfinde sie als glaubhaften Charakter, auch wenn ich ihr Verhalten nicht immer nachvollziehen kann. Der Klappentext beschreibt nicht die Kernthemen des Romans. Daher war der Handlungsverlauf jedoch nicht absehbar.

Die abschweifende, detaillierte Erzählweise empfand ich teilweise als anstrengend, obwohl ich den Schreibstil der Autorin ansonsten als angenehm empfunden habe und die prosaische Sprache die Handlung unterstreicht. Am meisten hat mir über weite Strecken ein wenig Optimismus gefehlt. Allerdings behandelt der Roman auch ernsthafte Themen wie Demenz, Schuld, Schicksalsschläge und Verantwortung.

Neben dem ansprechenden Cover sticht auf jeden Fall der Aufbau hervor: jedem Kapitel ist die Beschreibung eines bestimmten Fundstücks vorangestellt. London ist ein geeigneter Schauplatz für die Geschichte.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat, welches die Essenz des Romans beschreibt: "Das Leben hat so viel zu bieten...glückliche Zufälle, Aufregendes, Hoffnung. Doch durch alles zieht sich auch der Verlust. Wollte man diesen einen Faden heraus ziehen, würde sich das ganze Gewebe auflösen. Verlust ist der Preis, den wir für die Liebe zahlen."

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Veröffentlicht am 10.02.2023

Rettung - Aufstieg - Zerstörung - Wiedererweckung

Haie in Zeiten von Erlösern
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…die Teilüberschriften beschreiben die Metamorphose, welche der Leser, gemeinsam mit der Familie Flores durchlebt.

Der Klappentext gibt einen guten Einblick in die Geschichte. Nach einer Reihe Kurzgeschichten, ...

…die Teilüberschriften beschreiben die Metamorphose, welche der Leser, gemeinsam mit der Familie Flores durchlebt.

Der Klappentext gibt einen guten Einblick in die Geschichte. Nach einer Reihe Kurzgeschichten, Familiengründung & Berufstätigkeit als Software-Ingenieur, liegt nun Washburns Debütroman vor. Hauptsächlich in seiner Heimat Hawaii verortet, erzählt das Buch die Geschichte von drei Geschwistern, deren Beziehung nicht ohne Konflikte ist, da die Eltern einen Sohn für auserwählt halten. Als die Geschwister nacheinander aufs Festland gehen, verlieren sie zunehmend den Halt - versuchen aber auch, jedes auf seine Weise, wieder Verbindung mit der Heimat zu finden…

Ich habe das auch im Anschluss an meine 4-wöchige Hawaii-Reise gelesen. Lokale Autoren sind rar gesät, wie ich in den Buchladen vor Ort bemerkt habe. Zugegeben, der zurückliegende Besuch erleichtert die geografische Einordnung und den Umgang mit hawaiianischen Begrifflichkeiten. (Bei Letzterem hilft allerdings auch ein Blick ins Glossar.) Die Beschreibungen des hawaiianischen Lebens auf den Inseln Oahu und Big Island erscheinen mir authentisch. Es geht um Identitätsfindung, Erwachsen werden: das Leben auf der Überholspur. Dabei werden auch einige Klischees bedient. Die hohen Lebenserhaltungskosten sind ein hochaktuelles Thema, ebenso wie die Vorurteile von Randgruppen gegenüber der Gesellschaft. Der Leser ist mittendrin statt nur dabei, was sicher zum Teil der wechselnden Perspektiven der Ich-Erzähler geschuldet ist. Vielfältige Themen werden aufgegriffen, jedoch nicht immer tiefgründig oder abschließend behandelt.

Punktabzug gibt es für die (häufig unnötig) deftige Ausdrucksweise und die spät aufkommende Spannung (ab ca. der Hälfte des Buches). Der Leser braucht einen etwas längeren Atem, um die Geschichte zu erfassen. Wer des Englischen mächtig ist, dem würde ich zudem die Originalversion ans Herz legen. Die Übersetzung war stellenweise doch etwas holprig, was Satzbau und Wortverwendung anbelangt (z.B. „knistrige“ oder „Studentenschaft“ statt Studentenverbindung). Interesse für die hawaiianische Kultur in Gegenwart und Vergangenheit trägt auf jeden Fall zum Verständnis des Buches bei.

Fazit: für mich ein gutes Buch - der Funke ist jedoch nicht übergesprungen.

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Veröffentlicht am 10.02.2023

"Sie wissen, dass die Familie alles ist."

Die Familie
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Da ich mir das Buch nicht selbst ausgesucht habe, frönte es einige Monate in meinem Vorrat. Es hat es einige Anläufe gebraucht, bis ich Zugang zu diesem Buch gefunden habe. Warum? Weil ich mit dem Prolog ...

Da ich mir das Buch nicht selbst ausgesucht habe, frönte es einige Monate in meinem Vorrat. Es hat es einige Anläufe gebraucht, bis ich Zugang zu diesem Buch gefunden habe. Warum? Weil ich mit dem Prolog beim Anlesen nicht warm geworden bin.

Das Cover finde ich passend. Die beiden Mädchen könnten tatsächlich die beiden Hauptprotagonistinnen Antonia und Sofia sein.

Der Leser begleitet im Zeitraum von 1928 bis 1948 mehrere Generationen der Familien Russo und Colicchio, welche zu Beginn des 20. Jahrhundert aus Sizilien nach New York City ausgewandert sind. Die Anzahl der Charaktere ist daher überschaubar. Der Klappentext gibt einen guten Überblick was den Leser auf den folgenden 400 Seiten erwartet.

Da ich bisher wenig Berührungspunkte mit Mafia-Geschichten hatte - von dem ein oder anderen Film abgesehen – war mein Interesse schnell geweckt. Ich mochte vor allem den Perspektivwechsel zu Beginn: das "Familienleben" aus der Sicht der Mädchen zu erzählen. Geschichtliche Ereignisse wie der 2. Weltkrieg werden gestreift und in Form von Zweifeln bzw. dem Erwachsenwerden in einer sich verändernden Welt aufgegriffen. Dazu erhält man Einblicke in das Familienleben innerhalb der „Familie“. Im Verlauf der Geschichte werden unterschiedliche Fragen aufgeworfen: Hat man immer eine Wahl? Welche Konsequenzen trägt man aufgrund Entscheidungen anderer?

Nachdem ich einmal begonnen hatte, habe ich das Buch gern gelesen und war gespannt, wo die Geschichte hingeführt. Hauptpotential sehe ich im Stil: die Erzählung erfolgt in der 3. Person. Das schafft Neutralität, erzeugt gleichzeitig jedoch Distanz und ließ mich mit den Figuren nicht wirklich warm werden. Hinzu kommt die bildhafte, poetische Sprache. ("Grauen kriecht ihr wie eine fette Schnecke den Rachen hinunter.") Dies hat den Lesefluss manchmal ein wenig aufgehalten. Das abrupte Ende ist für meinen Geschmack nicht unpassend, könnte anderen aber nicht abschließend erscheinen.

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