Goldene Momente
Seit Annie vor einigen Jahren gestorben ist, repariert Ellis in der Nachtschicht Autos, bessert Lackschäden und Dellen aus; keine schlaflosen Nächte mehr, und dennoch sieht er überall ihren Geist. Doch ...
Seit Annie vor einigen Jahren gestorben ist, repariert Ellis in der Nachtschicht Autos, bessert Lackschäden und Dellen aus; keine schlaflosen Nächte mehr, und dennoch sieht er überall ihren Geist. Doch seine Erinnerungen an sie werden blasser, ihre Stimme, die, wenn sie wieder eine Frank Sinatra-Imitation zum Besten gab, Tote wecken könnte, ein weißes Rauschen. Er ist einsam ohne sie. Ohne Michael. Seine erste große Liebe. Wie in einem Fiebertraum lässt Winman Ellis in Erinnerungen taumeln, zeigt auf, woher seine Vulnerabilität, seine Traurigkeit rühren. Kurze Szenen in Sepia, Momente des Glücks und der Leere, Michaels plötzliches Verschwinden, Liebe und Freundschaft, die die graue Gegenwart in helles Licht tauchen, die auch mich für einen Moment alles um mich vergessen ließen. Und dann findet Ellis auf dem Dachboden seines Vaters, diesem Mann, der nach dem Tod seiner Mutter Dora über sein Leben bestimmte, ihm seiner Freiheit nahm, Künstler zu werden, wie er es immer wollte, der nun vom Alter gezeichnet von der Fürsorge Carols, seiner Lebensgefährtin, abhängig ist: eine Kiste. Michael steht darauf. Carol hatte sie für ihn aufbewahrt, für den Moment, wenn er bereit ist. Er findet ein Postkarten, Bilder. Ein Notizbuch.
Klick, Pausentaste. Das Band spult sieben Jahre vor, es ist 1989. Verloren geglaubte Puzzleteile schließen eine Lücke. Aus der Sicht von Michael beschreibt Winman, in denen er aus Ellis' und Annies Leben verschwand, Jahre, in denen er nach sich selbst suchte, dem Menschen, der er sein mag. Einfühlsam und nuanciert zeigt sie auf, welchen Einfluss die Verluste, die er aufgrund der AIDS-Epidemie der 1980er Jahre machen musste, die Menschen, denen er begegnete, auf seine Persönlichkeitsentwicklung hatten. Wie er immer wieder an Ellis denken muss. An das, was sie hätten sein können. An Allie, an Dora und an Marbel. Und daran, wie seine Mutter ihn einst verließ, alleine ließ. Aber nun ist das Bild komplett.
Immer langsamer schweifte mein Blick über die Zeilen, wollte ich weder Michael noch Ellis hinter mir lassen, noch länger im Licht der goldenen Tage stehen und von Liebe und Zauber erfüllt werden. Doch jeder Tag neigt sich dem Ende, ein Lächeln auf den Lippen, das von Glückseligkeit spricht: ob der warmen Bilder, die Sarah Winman mit ihrer Sprache zeichnet, der Protagonisten, die zu Freunden geworden sind. Und auch der Leerstellen, denn nicht alles muss Worte finden, um verstanden zu werden. Sie bleiben, die Erinnerungen an die guten, an die lichten Tage. Eine große Empfehlung!