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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.06.2023

Gestärkt aus der Krise

Der Himmel muss warten
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Marie Parker ist müde, genauer gesagt lebensmüde. Sie mag nicht mehr und sie will es auch nicht wollen. Nach mehreren gescheiterten Suizidversuchen ist sie mit der Einweisung in eine Klinik einverstanden; ...

Marie Parker ist müde, genauer gesagt lebensmüde. Sie mag nicht mehr und sie will es auch nicht wollen. Nach mehreren gescheiterten Suizidversuchen ist sie mit der Einweisung in eine Klinik einverstanden; dies nicht etwa, um gesund zu werden, sondern um Menschen zu finden, die mit ihr zusammen aus dem Leben scheiden. In der Klinik trifft sie auf unterschiedliche Leidensgenossen und erfährt deren Geschichten, die tief in ihr etwas berühren und auslösen.

Eigentlich wollte ich nur kurz in die Leseprobe, die keine war, weil die Autorin mir das gesamte Buch elektronisch zur Verfügung gestellt hat, reinlesen und blieb nach vierundzwanzig Seiten kleben. Der leichte Schreibstil und der immer wieder eingestreute Humor machten es mir in dieser Hinsicht leicht, sodass ich das relativ schmale Buch recht zügig und auch sehr gerne gelesen habe. Das Thema Depression und Suizid ist hier vordergründig, wie bereits ausführlich im Klappentext erwähnt, sodass ich zwar keine Triggerwarnung aussprechen, hierauf aber explizit noch einmal hinweisen muss und möchte. In der Klinik werden verschiedene Krankheiten behandelt, darüber sollten sich LeserInnen ebenfalls im Vorfeld im Klaren sein.

Aus der Kürze der Geschichte resultieren im übrigen zwei Kritikpunkte, die ich habe. Die Entwicklung, die Maria macht, passiert so blitzschnell, dass ich dies unrealistisch finde. Nun kann man das Buch natürlich nicht der Realität anpassen, aber dort die Zeit anders ablaufen lassen. Hier hätte ich mir mehr Raum für die Entwicklung gewünscht, ich glaube, dass das Leseerlebnis dann etwas intensiver geworden wäre. Womit wir beim zweiten Punkt wären. Das Buch gleicht mehr einem Ratgeber in Romanform, was ich an sich nicht schlecht finde. Die geballte Masse an Empfehlungen, Tipps und Ratschlägen allerdings hat mich stellenweise erschlagen. Hier wäre weniger mehr gewesen, weil ich ein wenig das Gefühl hatte, dass aufgrund der Kürze der Erzählung jeder Charakter so viel therapeutisch kluges wie möglich von sich geben sollte. Dass dies bei so vielen Patienten einer solchen Klinik relativ unwahrscheinlich ist, lassen wir einmal außen vor; dass dies in einer solchen Fülle erfolgt, fand ich aber schon ein wenig befremdlich. Natürlich ist dies meine persönliche Einschätzung, da es Menschen gibt, die diese Lebensweisheiten und Lebenshilfen noch nicht kennen und davon mehr profitieren könnten, als ich dies getan habe. Anmerken möchte ich in diesem Zusammenhang, dass ich die Unterhaltungen nichtsdestotrotz gut gewählt und außerordentlich nützlich finde für Menschen, die in dieser Hinsicht den Halt oder ihr Ziel aus den Augen verloren haben.

Das Ende hat leider wieder ein wenig den Kontakt zur Realität verloren. Die Reaktion von Marie auf eine bestimmte Aktion ist nicht nur indiskutabel, sondern erfüllt für mich einen Straftatbestand. Für mich nicht nachvollziehbar und ein wenig schade, denn dies hätte man anders lösen können, finde ich. Wie immer macht sich aber auch hier jede/r LeserIn am besten eine eigene Meinung.

Als Fazit kann ich sagen, dass ich froh darüber bin, dass das Buch den Weg zu mir fand. Die schweren Themen so aufgelockert in eine Erzählung zu packen, war eine gute Entscheidung. Die Krankheitsbilder verdienen mehr Aufmerksamkeit und auch die immer noch stattfindende Stigmatisierung psychischer Probleme muss endlich ein Ende haben. Wie schön, dass diese Menschen durch solche Bücher eine Stimme bekommen.

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Veröffentlicht am 31.05.2023

In Gedenken

Durch das große Feuer
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In England des Jahres 1914 ist in dem ländlich gelegenen Eliteinternat Preshute der Erste Weltkrieg noch kein Thema. Die beiden Schüler Sidney Ellwood und Heinrich (Harry) Gaunt haben mit ihren Freunden ...

In England des Jahres 1914 ist in dem ländlich gelegenen Eliteinternat Preshute der Erste Weltkrieg noch kein Thema. Die beiden Schüler Sidney Ellwood und Heinrich (Harry) Gaunt haben mit ihren Freunden eine unbeschwerte Zeit. Das größte Drama im Leben von Gaunt sind seine Gefühle für Ellwood, der diese Liebe seiner Meinung nach nicht erwidert. Aus familiären Gründen meldet Gaunt sich bereits früh an die Front, was Ellwood dazu bringt, sich ebenfalls frühzeitig zu verpflichten.

Es hat sehr lange gedauert, bis ich ins Buch hineingefunden habe. Die ersten hundert Seiten lang konnte ich die Geschichte überhaupt nicht fühlen, fand keinen Zugang zu den Figuren. Das lag unter anderem auch daran, dass die Erzählung für mich nicht authentisch rüberkam. Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte im Jahr 1914 beginnt, und dennoch lässt die Autorin es für mich so klingen, als ob das halbe Internat, in dem Ellwood und Gaunt wohnen, sich miteinander vergnügt. Ein Jungeninternat, wohlgemerkt. Es ist fast ein offenes Geheimnis, alle wissen es, nur erwischen lassen darf man sich nicht. Das fand ich schon ein wenig befremdlich; nicht wegen der Sache an sich, daran sehe ich nichts anstößiges, aber im historischen Kontext ist dies mehr als unglaubwürdig. Es gab immer wieder Situationen, die verklärt, ja, fast schon romantisch dargestellt wurden, und wir wissen doch alle, dass es das nicht gewesen ist. Im Gegenteil!

Erst als es ernst wurde, der Krieg begann und das Grauen in Form von Vermissten- und Todeslisten, perfider Propaganda (ich sage nur weiße Feder) sowie der wiederholten Rekrutierung der viel zu jungen Männer endgültig da war, fing die Geschichte an, mich in ihren Bann zu ziehen. Die Freundschaft und Liebe zwischen den beiden Freunden geriet in den Hintergrund, es ging jetzt vorrangig nur noch um das nackte Überleben. Die Gräuel des Krieges, die sinnlose Vergeudung von Menschenleben, die unaussprechlichen Taten, die man sich gegenseitig angetan hat, historische Fakten und daneben zwei Freunde, die sich beide ihrer Sache sicher, aber der Liebe des jeweils anderen unsicher fühlen; all das ergab eine Story, die mich gleichermaßen fasziniert, wie abgestoßen hat. Die Naivität der jungen Männer, was den Krieg angeht, fand ich entsetzlich, die brutale Realität machte diesen Phantasien schnell einen Strich durch die Rechnung; falls sie überhaupt lange genug überlebt haben, um dies zu realisieren. Ich habe vieles gewusst, aber auch einiges dazugelernt, die Vermischung von Fakt und Fiktion fand ich außergewöhnlich gut gelungen. Ein Highlight ist es nicht geworden, aber ein interessanter und durchaus sehr unterhaltsamer Roman mit historischem Hintergrund, den ich lesenswert finde. Macht euch ein eigenes Bild.

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Veröffentlicht am 01.03.2023

Anders als gedacht

Rote Sirenen
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In diesem autobiografischen Roman verarbeitet Victoria Belim ihre Familiengeschichte. Es ist ein Buch über die Suche nach Identität und Heimat sowie darüber, die Geschichte der eigenen Familie zu recherchieren ...

In diesem autobiografischen Roman verarbeitet Victoria Belim ihre Familiengeschichte. Es ist ein Buch über die Suche nach Identität und Heimat sowie darüber, die Geschichte der eigenen Familie zu recherchieren und auch zu verarbeiten. Die Autorin reist hierzu in ihr Heimatland, besucht die Orte ihrer Kindheit und spricht mit Familienangehörigen und Nachbarn. Erinnerungen und auch neue Hinweise vervollständigen das Bild.

„Man kann nicht frei sein, solange man Angst vor der Wirklichkeit hat.“ (Seite 279)

Leider konnte das Buch mich bis zuletzt nicht wirklich erreichen, zu persönlich, zu eigensinnig fand ich den Roman. Es gab zwar eine ganze Menge historischer Informationen zur Ukraine und ihren Bewohnern, insbesondere viele politische Fakten in Hülle und Fülle, aber gerade dieser Umstand behinderte immer wieder meinen Lesefluss. Der Roman wurde übrigens fertiggestellt vor dem Angriff Putins auf die Ukraine, die aktuellen Ereignisse finden lediglich im Vorwort und im Nachwort Platz. Wer ausführliche Informationen hierzu erwartet, wird gegebenenfalls enttäuscht.

Ich habe eine emotionale Familiengeschichte erwartet, bekommen habe ich eine Auseinandersetzung mit der Ukraine und den Nachbarländern. Die dazwischen gestreuten Erzählungen, die die Familie der Autorin betrafen, fand ich hierbei außerordentlich interessant und hätte mir diesbezüglich eine durchgehende Erzählung gewünscht. Der Schreibstil war insgesamt sehr nüchtern, erinnerte mich eher an ein chronologisch gehaltenes Journal über eine Reise in die Heimat, als an eine Erzählung für Fremde, berührt hat es mich leider nicht. Für historisch interessierte LeserInnen wäre dies sicherlich das richtige Buch. Meine Erwartungen waren hier wohl einfach falsch.

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Veröffentlicht am 13.02.2023

Die Erinnerung ist ein Gespenst

Macht
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Liv ist Mitte dreißig, verheiratet, hat zwei Kinder und nach außen hin ein perfektes Leben. Fast niemand weiß, dass sie vor Jahren vergewaltigt worden ist, auch ihrem Mann gegenüber hat sie es nie erwähnt. ...

Liv ist Mitte dreißig, verheiratet, hat zwei Kinder und nach außen hin ein perfektes Leben. Fast niemand weiß, dass sie vor Jahren vergewaltigt worden ist, auch ihrem Mann gegenüber hat sie es nie erwähnt. Sie ist nicht bereit, ein Opfer zu sein, versucht krampfhaft, das Trauma alleine zu verarbeiten und durchzustehen. Als in das Pflegeheim, in dem sie arbeitet, eine neue Patientin eingeliefert wird, droht die brüchige Fassade einzureißen, denn der Bruder der Frau ist ein bekannter Schauspieler, der vor einigen Jahren wegen Vergewaltigung angeklagt und freigesprochen worden ist. Die Vergangenheit holt Liv ein.

„Es war zu wenig Gewalt oder zu wenig Sex, tief in mir wusste ich, welches Wort ich hier nehmen sollte, aber ich brachte es nicht über mich, es aufzuschreiben. Konnte dieses Wort nicht ertragen, dieses verdammte Wort. Vergewaltigung.“ (Seite 27)

Die Ich-Erzählerin Liv ist eine zerrissene Persönlichkeit. Nach außen hin funktioniert sie perfekt, einer Maschine gleich erfüllt sie ihre Pflichten und verstellt sich gut. Innerlich aber zerreißt es sie, in jeder Minute, jeder Stunde und Sekunde darauf zu achten, dass der Vorfall, wie sie es nennt, sich nicht zurück in ihr Gedächtnis schleicht. Natürlich funktioniert dies nicht, denn je mehr man etwas verdrängen möchte, desto mehr will es mit Macht ans Licht. Der Roman gleicht Fetzen eines einseitigen Gesprächs, Liv erzählt und ich höre zu. Höre zu, wie sie erzählt, analysiert, relativiert und vergleicht. Wie sie versucht, einen Grund zu finden, wo keiner ist, wie sie mal belastbar und mal erschöpft erscheint; sie schwankt und tut alles dafür, damit sie nicht fällt. Wie sie leidet, stark ist und schwach, wie sie versucht, Worte für etwas zu finden, das unaussprechlich ist.

„Manchmal ist es schlimmer zu sagen, ich bin vergewaltigt worden, als tatsächlich vergewaltigt zu werden.“ (Seite 135)

Dieses Buch ist keine leichte Kost. Die Tat widert mich an, sie beschämt, macht wütend, kotzt mich förmlich an! Die Erzählweise ist dabei ungewöhnlich, der distanzierte Ton lässt eigentlich keine Nähe zu, aber trotzdem ist da der Hauch einer emotionalen Bindung, geht mir Livs Erzählung ein wenig nah. Es ist schwer für mich, für dieses Buch eine Bewertung abzugeben, es gibt sicherlich andere Bücher, die mich mehr berührten, aber das Thema beschäftigt mich natürlich trotzdem. Eine Geschichte, die mich beeindruckt hat, im Gedächtnis bleibt sie mir wegen dem nüchternen Schreibstil jedoch nicht.

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Veröffentlicht am 12.02.2023

Schicksalhafte Begegnung

Die Puppe wusste es
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Die junge Architektin Mariam ist verzweifelt, sie hadert mit ihrem Schicksal, ist mit ihren Kräften am Ende und suizidgefährdet. Als sie sich an einem heißen Tag auf einer Bank niederlässt, begegnet sie ...

Die junge Architektin Mariam ist verzweifelt, sie hadert mit ihrem Schicksal, ist mit ihren Kräften am Ende und suizidgefährdet. Als sie sich an einem heißen Tag auf einer Bank niederlässt, begegnet sie Tjomme, einem betagten Arzt im Ruhestand, der ihren Zustand bemerkt und sie in ein Gespräch verwickelt. Mariam öffnet sich dem alten Mann gegenüber und offenbart ihm ihre Vergangenheit, ohne zu ahnen, welche Folgen diese Begegnung für beide haben wird.

Die Erinnerungen der beiden sind nichts für schwache Nerven, Zeitsprünge und diverse Ortswechsel sorgen für Abwechslung in dieser Geschichte voller Schicksalsschläge und Prüfungen. Emotional und berührend erzählt die Autorin die Geschichte von Mariam und Tjomme, wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart bis ein Gesamtbild entsteht. Authentisch und von der Realität nicht immer weit entfernt, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise, die zum nachdenken anregt. Der Schreibstil ist hierbei sehr angenehm und trotz der bedrückenden Thematik flog ich förmlich durch die Seiten, weil ich wissen wollte, wie diese dramatische Erzählung endet. Von mir gibt es drei Sterne und eine Leseempfehlung.

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